JudikaturOGH

3Ob540/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Gerhard H*****, vertreten durch Dr.Werner Thurner, Dr.Peter Schaden, Dr.Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Doris Sigrid Brigitta H***** , vertreten durch Dr.Gerald Kleinschuster, Dr.Hans Günther Medwed, Dr.Gert Kleinschuster, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 1.April 1993, GZ 2 R 82/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25.November 1992, GZ 31 C 43/92-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung lautet:

Die am 13.6.1981 vor dem Standesamt Lang zu FamBuch Nr.6/1981 geschlossene Ehe der Streitteile wird mit der Wirkung geschieden, daß sie mit Rechtskraft des Urteiles aufgelöst ist. Das Verschulden trifft beide Teile, das des Klägers überwiegt.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten an Verfahrenskosten S 18.846,90 (darin anteilige Umsatzsteuer von S 1.449,60) binnen 14 Tagen zu bezahlen. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger anteilige Barauslagen von S 487,50 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 13.6.1981 die jeweils erste Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger. Ehepakte wurden nicht errichtet. Der Ehe entstammen die Kinder Florian, geboren am 10.1.1983, Julia, geboren am 3.11.1985, und Antonia, geboren am 4.2.1988.

Die Streitteile kannten sich seit dem Jahre 1971 und wohnten schon vor der Eheschließung seit 1979 gemeinsam. Die Beklagte gab nach der Geburt des dritten Kindes im Einvernehmen mit dem Kläger ihren Beruf als Volksschullehrerin auf und widmete sich seither ausschließlich der Kindererziehung und der Haushaltsführung. Der Kläger arbeitete als Rechtsanwalt in Kanzleigemeinschaft mit seinem Schwiegervater. Er kam an Wochentagen nur zum Mittagessen und abends meist erst gegen 20 Uhr nach Hause, sodaß für ein Familienleben wenig Platz blieb. Da die Beklagte ihre Kinder nie für längere Zeit fremden Personen überlassen, sondern lieber selbst betreuen wollte, wurden gemeinsame Urlaube, selbst Kurzurlaube sehr selten verbracht. Die ehelichen Beziehungen zwischen den Streitteilen wurden aufgrund der Anspannung der Beklagten zufolge der Kinderbetreuung "geringer", Zärtlichkeiten und Intimitäten gab es aber noch bis Ende November, Anfang Dezember 1989. Im Dezember 1989 knüpfte der Kläger zu einer in der Rechtsanwaltskanzlei mittätigen Konzipientin nähere Kontakte an. Am 4.1.1990 teilte er der Beklagten seinen Entschluß mit, sich von ihr zu trennen und eine andere Wohnung zu suchen, weil zwischen ihnen keine Gemeinsamkeiten und keine Gesprächsbasis mehr bestünden. Für die Beklagte kam diese Mitteilung überraschend. Sie versuchte, mit dem Kläger über die genannten Probleme zu reden, und appellierte an ihn, er solle eine Zeit lang in sich gehen und überlegen, ob er wirklich sie und die Kinder verlassen wolle. Erst vierzehn Tage später teilte der Kläger der Beklagten als Grund für seine Entscheidung seine Beziehung zur Konzipientin mit. Am 26./27.1.1990 verließ der Kläger gegen den Willen der Beklagten die Ehewohnung und nahm sich eine eigene Mietwohnung. Ab diesem Zeitpunkt war für den Kläger die Trennung von der Beklagten endgültig, dies teilte er der Beklagten auch mit. Gespräche der Eltern der Beklagten mit dem Kläger sowie des Vaters der Beklagten mit der Konzipientin änderten daran nichts mehr. Mitte des Jahres 1990 zog der Kläger in die Wohnung der Konzipientin. Zwischen diesen beiden bestehen bis zuletzt sexuelle Beziehungen mit Durchführung des Geschlechtsverkehrs. Da der Kläger in der Folge die Kanzleigemeinschaft mit dem Vater der Beklagten auflöste, stand auch für die Beklagte ab Beginn des Jahres 1991 fest, daß der Kläger nicht mehr in die Ehe zurückkehren werde. Im August 1991 knüpfte die Beklagte anläßlich eines mit den Kindern verbrachten Urlaubes eine nähere Beziehung zu einem anderen Mann an, mit dem sie seit Herbst 1991 sexuelle Kontakte mit Vollzug des Geschlechtsverkehres pflegt. Diese Beziehung dauert noch an, die Beklagte hat mit diesem Mann teils alleine, teils gemeinsam mit den Kindern Urlaube verbracht.

Versuche des Klägers, mit der Beklagten zu einer einvernehmlichen Scheidung zu gelangen, scheiterten an unüberwindbaren Auffassungsunterschieden über die vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten, weil diese in einer dem Kläger seit Jänner 1992 bekanntgewordenen ehebrecherischen Beziehung zu einem anderen Mann lebe. Schon in der Klage gesteht der Kläger - wie im gesamten Verfahren - allerdings zu, daß sein eigenes Verhalten den Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens rechtfertige.

Die Beklagte beantragte primär die Abweisung des Scheidungsbegehrens, hilfsweise den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers, weil dieser allein für das Scheitern und die Zerrüttung der Ehe verantwortlich sei. Sie bestritt ihre ehebrecherische Beziehung zu einem anderen Mann im Prozeß nicht, gründete ihre Gegenanträge aber darauf, daß das Scheidungsbegehren des Klägers angesichts seines alleinigen Zerrüttungsverschuldens nicht gerechtfertigt sei.

Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren auf der Grundlage der eingangs dargelegten wesentlichen Feststellungen ab. Es beurteilte das lange nach der vom Kläger verschuldeten Zerrüttung der Ehe von der Beklagten aufgenommene ehebrecherische Verhältnis zu einem anderen Mann als nicht derart schwerwiegend, daß es bei der Verschuldensabwägung zu Lasten der Beklagten Berücksichtigung finden müßte.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Dem Kläger sei der Beweis, daß auch die Beklagte kein Interesse an der Fortsetzung der Ehe habe, mißlungen. In jüngerer Rechtsprechung vertrete der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß Eheverfehlungen, selbst ein Ehebruch, die nach der Zerrüttung der Ehe begangen würden, keine entscheidende Rolle mehr spielten; maßgebend bei der Verschuldensabwägung sei, welcher Ehegatte die Zerrüttung schuldhaft eingeleitet und die Zerrüttungsursachen gesetzt habe; keinesfalls berechtige der Ehebruch nach Zerrüttung der Ehe und nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft den Ehebrecher zur Scheidung aus auch nur teilweiser Mitschuld des (an der Zerrüttung schuldlosen) Ehepartners; der mindere Grad des Verschuldens der Beklagten infolge des Zusammenhanges ihrer Eheverfehlungen mit jenen des Klägers lasse dessen Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt erscheinen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das berufungsgerichtliche Urteil gerichtete außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Ehebruch gemäß § 47 EheG ein absoluter Scheidungsgrund ist und daher zur Scheidung aus (einem) Verschulden des ehebrechenden Eheteiles führen muß, und ob ein nach vollständiger Zerrüttung der Ehe begangener Ehebruch bei der Verschuldensabwägung keinen entscheidenden Einfluß (über die Verschuldensteilung) mehr hat, also etwa vernachlässigt werden kann, weil alle diese aus den, von den Parteien zitierten Entscheidungen abgeleiteten Rechtssätze jeweils auf den Einzelfall abstellten und abstellen mußten, in welchem das "Wesen der Ehe" jeweils an der konkret zu beurteilenden Ehe als Bestandsvoraussetzung zu prüfen war.

Dies kann auch im vorliegenden Fall nicht anders geschehen:

Zweifellos hat der Kläger mit der Aufnahme einer ehewidrigen und später ehebrecherischen Beziehung zu einer anderen Frau und mit der abrupten Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft mit der Beklagten die Hauptursachen für die Zerrüttung und die Zerstörung der Ehe der Streitteile gesetzt und diese Umstände auch als Verschulden zu vertreten. Wieweit er zu diesem letztlich ehezerstörenden Verhalten durch eine allmähliche Abkühlung der ehelichen Beziehung zur Beklagten etwa auch aus Gründen, die auch die Beklagte zu vertreten gehabt hätte, veranlaßt wurde, muß dahingestellt bleiben, weil der Kläger plakativ nur die ehebrecherische Beziehung der Beklagten zu einem anderen Mann als Scheidungsgrund heranzieht.

Dadurch, daß die Beklagte seit Herbst 1991 ohne Unterbrechung mit einem anderen Mann regelmäßig geschlechtliche Beziehungen unterhält, allein oder auch gemeinsam mit ihren Kindern mit diesem Mann Urlaube verbrachte, hat sie sich - wenn auch eine Lebensgemeinschaft zwischen ihr und diesem Mann nicht festgestellt wurde - von der Ehe mit dem Kläger (wie dieser, wenn auch nach der vom Kläger verschuldeten Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft) endgültig gelöst und eine Dauerbeziehung zu einem anderen Mann begonnen. Bei richtiger Würdigung des Wesens einer Ehe als einer geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen auf Dauer gerichteten Lebensgemeinschaft kann daher im konkreten Fall aufgrund des Verhaltens beider Ehegatten nicht mehr davon gesprochen werden, daß ihre Ehe vor dem Gesetz noch jenen Bestandsschutz erhalten muß, der die Verwirklichung ihrer Wesensmerkmale garantieren soll. Könnte nämlich ein derartiger Bestandsschutz, der dann zu der von den Vorinstanzen gepflogenen Klagsabweisung führen müßte, noch solange gefordert werden, als auch nur ein Ehepartner an der Ehe festhält und die Ehe wiederherzustellen versucht, aber infolge seiner Alters- und Lebenssituation in Ausnahmefällen mit der nur mehr für ihn bestehenden ehelichen Treuepflicht in Konflikt gerät und die Ehe bricht, dann muß dies in einem Fall wie dem vorliegenden abgelehnt werden. Auch die Beklagte hat sich mit der Zerrüttung ihrer Ehe dadurch abgefunden, daß sie eine geschlechtliche Dauerbeziehung zu einem anderen Mann einging und mit diesem Mann auch ihre Freizeit (Urlaube) verbringt. Sie ist daher mit ihrer Berufung auf den Bestandschutz der Ehe als an der Zerrüttung schuldloser Eheteil nicht mehr schutzwürdig. Dieses Ergebnis steht auch durchaus mit der bisherigen Judikatur und der Lehre im Einklang. Ein bis zum Schluß der Verhandlung (1.10.1992) bereits rund ein Jahr andauerndes ehebrecherisches Verhältnis der Beklagten zu einem anderen Mann, das bereits vor Einbringung der Scheidungsklage begonnen wurde, stellt eine derart schwere Verletzung ehelicher Treuepflicht dar, die gerade dann, wenn die Beklagte selbst noch an der Ehe festhalten will, vom anderen Teil als gänzlich ehezerstörend empfunden werden konnte (EFSlg. 60.188, 54.395, 54.394 ua; Schwimann in Schwimann, ABGB Rz 4 zu § 49 EheG). Soweit sich die Beklagte auf § 49 EheG Schlußsatz beruft, ist ihr zu erwidern, daß Ehebruch niemals eine zulässige Reaktionshandlung darstellen kann (Schwimann aaO Rz 7 zu § 47 EheG; Pichler in Rummel2, Rz 6 zu § 47 EheG). Die in der Revisionsbeantwortung erstmals aufgestellten Behauptungen, der Kläger habe das ehebrecherische Verhalten der Beklagten absichtlich ermöglicht oder erleichtert, er hätte dies auch nicht als ehezerstörend empfunden, fallen unter das Neuerungsverbot des § 506 ZPO.

Die maßgeblichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen rechtfertigen daher im Sinne des Zugeständnisses des Klägers im gesamten Verfahren und des Eventualantrages der Beklagten die Scheidung der Ehe aus dem beiderseitigen Verschulden mit dem Ausspruch, daß das Verschulden des Klägers überwiegt.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 43 Abs.1 und 50 ZPO. Der Beklagten stehen aufgrund des überwiegenden Verschuldens des Klägers drei Viertel ihrer Kosten zu, sie hat dem Kläger ein Achtel der gemäß § 43 Abs.1 2.Satz ZPO ersatzfähigen Pauschalgebühren aller drei Instanzen zu ersetzen. Die vom Kläger als Barauslage begehrten Detektivkosten fallen nicht unter die genannte Bestimmung und teilen als vorprozessuale Kosten das Schicksal der übrigen Verfahrenskosten des Klägers.

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