12Os121/93(12Os122/93) – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23.September 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schmidt als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache gegen Bernd P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 15.Dezember 1992, GZ 2 BE 596/92-8, und des Oberlandesgerichtes Graz vom 28.Jänner 1993, AZ 10 Bs 15/93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, und des Verteidigers Dr.Alexander Haas jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 4. Februar 1980, GZ 11 Vr 1328/79-55, wurde der am 23.März 1961 geborene Bernd P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren verurteilt, die er am 26.Juni 1980 antrat. Das urteilsgemäße Strafende fällt infolge Anrechnung der seit 23.Juli 1979 erlittenen Vorhaft auf den 23.Juli 1999. Sämtliche dem Schuldspruch zugrundeliegenden Delikte wurden am 21.Juli 1979, also nach Vollendung des 18., aber noch vor Vollendung des 19.Lebensjahres begangen.
Mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (als Vollzugsgericht) vom 15.Dezember 1992, GZ 2 BE 596/92-8, wurde der Antrag des Bernd P*****, ihn gemäß § 46 Abs. 2 StGB bedingt aus der Freiheitsstrafe zu entlassen, ausschließlich aus Gründen der Generalprävention abgelehnt. Das Vollzugsgericht vertrat dabei die Ansicht, es sei für den überwiegenden Teil der Bevölkerung angesichts der erschreckenden Zunahme von Verbrechen gegen Leib und Leben unverständlich, einen Mörder, der die Tat noch dazu auf besonders brutale und grausame Weise (durch Werfen des um sein Leben flehenden Raubopfers von einer Brücke) begangen habe, wesentlich vor Ende der urteilsgemäßen Strafzeit bedingt zu entlassen.
Die hiegegen vom Strafgefangenen P***** erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 28.Jänner 1993 zu AZ 10 Bs 15/93 als unbegründet verworfen, wobei das Beschwerdegericht sich den vom Vollzugsgericht angeführten generalpräventiven Bedenken gegen eine bedingte Entlassung nach bloß 13 1/2-jähriger Strafhaft anschloß. Nach der Aktenlage befindet sich Bernd P***** daher weiterhin in Strafhaft.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Generalprokurator gegen die erwähnten Entscheidungen des Vollzugsgerichtes und des Beschwerdegerichtes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird im wesentlichen wie folgt begründet:
"Die Ablehnung der bedingten Entlassung ausschließlich aus Gründen der Generalprävention entspricht zwar der Bestimmung des § 46 Abs. 3 StGB, derzufolge auch zu prüfen ist, ob es aus besonderen Gründen der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Für die bedingte Entlassung aus einer wegen einer Jugendstraftat verhängten Freiheitsstrafe gilt § 46 Abs. 1 bis 4 StGB jedoch nach der (auch inhaltlich neuen) Vorschrift des § 17 JGG 1988 nur mit der Maßgabe, daß (ua) außer Betracht zu bleiben hat, ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Jugendstraftat ist nach den Begriffsbestimmungen der Z 2 und 3 des § 1 JGG 1988 eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die nach Vollendung des 14., aber noch vor Vollendung des 19.Lebensjahres begangen wird.
Der Anwendung des § 17 (iVm § 1 Z 2 und 3) JGG 1988 auf Bernd P*****, dessen Delikte (auf Grund der Begriffsbestimmung des § 1 Z 2 JGG 1961, wonach das jugendliche Alter mit der Vollendung des 18. Lebensjahres endete) weder zur Begehungszeit noch zum Zeitpunkt ihrer Aburteilung als Jugendstraftaten (§ 1 Abs. 1 Z 3 JGG 1961) galten, scheint zwar die Übergangsbestimmung des Art. IX Abs. 1 JGG 1988 entgegenzustehen, wonach unter anderem der dritte (die materiellrechtlichen Bestimmungen der §§ 4 bis 18 enthaltende) Abschnitt dieses Bundesgesetzes in Strafsachen nicht anzuwenden ist, in denen vor seinem (gemäß Art. VIII Abs. 1 leg.cit. am 1.Jänner 1989 erfolgten) Inkrafttreten das Urteil oder das Erkenntnis in erster Instanz gefällt worden ist (sofern es nicht zur Aufhebung eines solchen Urteiles oder Erkenntnisses infolge einer Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung oder Wiederaufnahme des Strafverfahrens kommt, in welchem Falle im Sinne der §§ 1, 61 StGB vorzugehen ist). Diese Übergangsbestimmung bezieht sich jedoch, wie insbesondere ihrem (in obiger Klammer sinngemäß wiedergegebenen) zweiten Satz und der Verwendung der Ausdrücke "Strafsachen" und "Strafverfahren" als Synonyme zu entnehmen ist, ausschließlich auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens neuen Rechtes bereits anhängige, aber noch nicht abgeschlossene Strafverfahren, für welche eine von den allgemeinen Regeln der §§ 1 und 61 StGB abweichende Sonderregelung getroffen wird, um die Überprüfung von Entscheidungen auf Grund der zum Zeitpunkt ihrer Erlassung geltenden Rechtslage zu ermöglichen.
Im wesentlichen gleichlautende Übergangsbestimmungen wurden schon insbesondere in § 323 Abs. 2 StGB sowie in Art. XX Abs. 1 Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. 605, getroffen. Daß in diese früheren Gesetze jeweils ausdrückliche Anordnungen über die sofortige allgemeine Anwendbarkeit neuer (ua) die bedingte Entlassung betreffender Bestimmungen aufgenommen wurden (§ 323 Abs. 1 StGB bzw. Art. XX Abs. 3 StRÄG 1987), spricht nur scheinbar dafür, daß ohne solche Regelungen bedingte Entlassungen aus einer (in erster Instanz) noch unter der Geltung des alten Rechtes verhängten Freiheitsstrafe jedenfalls nach diesen alten Vorschriftne zu überprüfen gewesen wären: In den Gesetzesmaterialien zum StGB (AB 959 BlgNR 13.GP, 36 letzter Absatz und 37) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß § 323 Abs. 2 StGB klarstelle, bis zu welchem Zeitpunkt in einem bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits anhängigen (oder infolge Wiederaufnahme später wieder anhängig werdenden) Strafverfahren die neue Rechtslage zu berücksichtigen sein werde, und die Absicht zum Ausdruck gebracht, durch § 323 Abs. 1 StGB die Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften des neuen Rechtes über die Bestimmung der Strafrechtsfolgen für jene Fälle vorzusehen, in welchen sonst auf Grund des nach § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleiches altes Recht anzuwenden wäre; ein solcher Günstigkeitsvergleich ist aber in den Fällen des ersten Satzes des § 323 Abs. 2 StGB überhaupt nicht vorzunehmen. Aus den Gesetzesmaterialien zum StRÄG 1987 (AB 359 BlgNR 17. GP, 71 f) ergibt sich, daß dessen Art. XX Abs. 3 nur eine plötzliche Überbelastung der Vollzugsgerichte bei Inkrafttreten des StRÄG am 1.März 1988 durch eine Vielzahl von bedingten Entlassungen (nach altem Recht) Verurteilter auf Grund der für sie wesentlichen günstigeren neuen Rechtslage verhindern sollte, der Gesetzgeber sohin davon ausging, daß das neue Entlassungsrecht auch auf die vor seinem Inkrafttreten Verurteilten - ungeachtet der Vorschrift des Art. XX Abs. 1 StRÄG 1987 - zur Anwendung gelangen könne. In gleicher Weise muß auch davon ausgegangen werden, daß Art. IX Abs. 1 JGG 1988 - mit welchem (zufolge EBRV 486 BlgNR 17.GP, 44) klargestellt werden sollte, daß die Änderungen materiellrechtlicher Bestimmungen in bei ihrem Inkrafttreten bereits in erster Instanz erledigten Jugendstrafsachen nicht anzuwenden sind - der Anwendung der im Sinne des § 61 StGB in der Gesamtauswirkung für den Täter (Verurteilten) günstigeren Vorschrift des § 17 JGG 1988 in Strafvollzugssachen betreffend die bedingte Entlassung aus einer schon vor dem 1.Jänner 1989 in erster Instanz verhängten Freiheitsstrafe nicht entgegensteht.
Umsoweniger hindert der Abschluß des Strafverfahrens vor Inkrafttreten des JGG 1988 die Anwendung der in seinem ersten Abschnitt enthaltenen Begriffsbestimmungen. Wird demnach davon ausgegangen, daß die an Bernd P***** vollzogene Freiheitsstrafe wegen einer Jugendstraftat im Sinne der Z 3 des § 1 JGG 1988 verhängt worden ist, dann erscheint durch die Ablehnung seiner bedingten Entlassung allein aus generalpräventiven Erwägungen die Vorschrift des § 17 JGG 1988 zu seinem Nachteil verletzt."
Der Oberste Gerichtshof vermag der Beschwerde aus nachstehenden Erwägungen nicht beizutreten:
Auszugehen ist davon, daß die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe im § 46 StGB geregelt sind und daß § 17 JGG 1988 diese Vorschriften für die bedingte Entlassung aus einer wegen einer Jugendstraftat verhängten Freiheitsstrafe mit der Maßgabe übernimmt, daß die mindestens zu verbüßende Strafzeit jeweils einen Monat beträgt und daß außer Betracht bleibt, ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
Angesichts dessen, daß mithin § 17 JGG 1988 der Sache nach eine Strafvollzugsvorschrift darstellt (siehe auch § 16 Abs. 2 Z 12 StVG iVm § 51 JGG 1988) und im Hinblick darauf, daß Art. IX Abs. 1 JGG 1988 ausdrücklich normiert, daß u.a. der dritte Abschnitt dieses Bundesgesetzes ... in Strafsachen nicht anzuwenden ist, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil oder Erkenntnis in erster Instanz gefällt worden ist, und § 17 im dritten Abschnitt enthalten ist, vermögen alle zur Stützung des Beschwerdestandpunktes ins Treffen geführten subtilen Analogieschlüsse nicht aus der Welt zu schaffen, daß sich die Übergangsbestimmung des Art. IX Abs. 1 leg.cit. nicht nur auf Strafsachen im engeren Sinn, sondern auch auf Strafvollzugsachen bezieht, das Wort "Strafsachen" im Abs. 1 des Art. IX sonach als Oberbegriff zu verstehen ist.
Verhält es sich aber so, gilt also Art. IX Abs. 1 auch für Verfahren wie das gegenständliche, dann erscheint auch die weitere Beschwerdethese, wonach sich die Übergangsbestimmung des Art. IX Abs. 1 JGG 1988 ... ausschließlich auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechtes bereits anhängige, aber noch nicht abgeschlossene Strafverfahren beziehe, nicht haltbar. Führte sie doch zu dem völlig unvertretbaren, ja absurden Ergebnis, daß Täter (wie der beschwerdegegenständliche), bei denen das Urteil vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes in Rechtskraft erwuchs, gemäß § 61 StGB in den Genuß des § 17 JGG 1988 kämen - bei ihrer bedingten Entlassung generalpräventive Belange also außer Betracht zu bleiben hätten -, Personen aber, bei denen das Urteil erster Instanz vor dem 1. Jänner 1989 erging und erst nach diesem Datum rechtskräftig wurde, in Ansehung ihrer bedingten Entlassung nach dem alten Recht - mithin unter Berücksichtigung der Generalprävention - zu behandeln wären.
Der nach dem Gesagten unbegründeten Beschwerde mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.