JudikaturOGH

10ObS62/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. September 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Ilona Gälzer und Dr.Dietmar Strimitzer (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Irma R*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Rössler, Pritz und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Höhe der Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Dezember 1992, GZ 33 Rs 148/92-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13.Juli 1992, GZ 3 Cgs 301/92-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich des unangefochten gebliebenen Teiles insgesamt lauten:

"Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin ab dem 1.März 1991 eine Witwenpension nach dem Versicherten Georg R***** in der Höhe von monatlich S 2.710,50 (Wert zum Stichtag) zu zahlen.

Die gewährten Vorschüsse werden gegen die danach gebührende Nachzahlung aufgerechnet.

Die Beklagte ist nicht berechtigt, einen zuviel bezogenen Vorschuß von S 9.9029,60 mit der ausländischen Renten(Pensions)nachzahlung zu verrechnen."

Die Beklagte ist weiters schuldig, der Klägerin die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist die Witwe nach dem am 17.2.1991 verstorbenen, bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert gewesenen Georg R*****. Dieser hatte in Österreich 179 und in der Bundesrepublik Deutschland 298, insgesamt daher 477 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben. Mit Bescheid vom 7.5.1976 gewährte die Beklagte dem Ehegatten der Klägerin ab 1.3.1975 eine Erwerbsunfähigkeitspension. Gemäß Art 48 Abs 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit (in der Folge kurz Abkommen) wurde die sich ergebende Teilleistung von S 1.116,20 auf die sich ohne Anwendung des Abkommens ergebende österreichische Gesamtleistung von S 2.050,50, ab 1.1.1976 auf S 2.286,30 erhöht. Diese Pension wurde in der Folge in eine Alterspension umgewandelt und betrug zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten S 4.517,50 monatlich.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31.10.1991 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 1.3.1991 nach dem versicherten Ehemann eine Witwenpension von monatlich S 1.457,10. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß der mit monatlich S 2.710,50 gewährte Vorschuß gegen die Nachzahlung aufgerechnet und der zuviel bezogene Vorschuß von insgesamt S 9.929,60 mit der ausländischen Renten(Pensions)nachzahlung verrechnet wird. Bei dieser Berechnung ging die Beklagte von einem zwischenstaatlichen Kürzungsfaktor von 0,37526 aus und ermittelte 60 % von der zum Stichtag 1.3.1991 aufgewerteten fiktiven Alterspension des verstorbenen Versicherten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Gewährung der Witwenpension im Ausmaß von 60 % der dem Gatten der Klägerin zustehenden Alterspension ohne Anwendung des Abkommens und Abstandnahme von der Verrechnung des Vorschusses im Ausmaß von S 9.929,60 sowie Nachzahlung bereits fällig gewordener Beträge. Die Klägerin führte dazu aus, die Pension ihres Ehegatten sei infolge des Stichtages 1.3.1975 ausschließlich aufgrund seiner in Österreich erworbenen Versicherungszeiten berechnet worden, ohne daß das Abkommen zur Anwendung gekommen sei. Das Abkommen sei für den Bereich der in der Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft selbständigen Erwerbstätigen erst durch das zweite Zusatzabkommen BGBl 1975/280 mit 1.6.1975 in Geltung gesetzt worden. Seine Pension sei daher nicht mit dem zwischenstaatlichen Faktor gekürzt worden. Die Beklagte habe die Alterspension des verstorbenen Ehegatten bei Berechnung der Witwenpension hingegen mit dem Faktor gekürzt und von dieser gekürzten und bis zum Stichtag der Witwenpension aufgewerteten fiktiven Pension des Ehegatten 60 % als Witwenpension gewährt. Der Stichtag für den Versicherungsfall des Todes liege nach Inkrafttreten des Abkommens. Nach Art 48 Abs 4 des Abkommens sollten bereits bestehende Leistungen der Höhe nach gewahrt bleiben, weshalb eine Kürzung nicht in Betracht käme. Ebenso ergebe sich aus § 145 Abs 1 lit b GSVG, daß die Witwenpension, wenn der Versicherte im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf eine Alterspension hatte, 60 % dieser Pension zu betragen habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Witwenpension betrage 60 vH der Leistung, auf die der Verstorbene unter Anwendung des Abkommens Anspruch gehabt hätte. In Hinterbliebenenpensionsfällen mit einem Stichtag ab 1.6.1975 sei durch die Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs des Abkommens auf den nach dem GSVG versicherten Personenkreis jedenfalls eine Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der Vorschriften des zweiten (und dritten) Zusatzabkommens vorzunehmen. Die erstmalige Anwendung des Abkommens in Hinterbliebenenpensionsfällen führe dazu, daß das Inkrafttreten des Abkommens in seiner derzeit geltenden Fassung bereits zum Stichtag der Direktpension fingiert werde. Aus Anlaß des neuen Versicherungsfalls des Todes sei die Witwenpension auf Basis einer zwischenstaatlichen zum Ablebenszeitpunkt des Versicherten errechneten Direktpension im Ausmaß von 60 vH dieser Direktpension festzustellen gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, erkannte in Wiederholung des angefochtenen und durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheides die Beklagte schuldig, der Klägerin ab 1.3.1991 eine Witwenpension von monatlich S 1.457,10 (Wert zum Stichtag) und in der Folge in der sich aus den gesetzlichen Aufwertungsfaktoren ergebenden Höhe zu zahlen und sprach schließlich aus, daß die Beklagte berechtigt sei, den Vorschuß von S 9.929,60 mit der ausländischen Renten(Pensions)nachzahlung zu verrechnen.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Stichtag für den Anfall der Witwenpension nach dem Inkrafttreten des Abkommens liege. Da die Erwerbsunfähigkeitspension, die Alterspension und die Witwenpension aus verschiedenen Versicherungsfällen resultierten, finde auf den Versicherungsfall der Witwenpension, wenn dieser nach dem Inkrafttreten des Abkommens eingetreten sei, die Stichtagsregelung nach Art 48 Anwendung und nicht die Günstigkeitsregelung für die Neufeststellung. Der Eintritt eines Versicherungsfalles sei keine Neufeststellung. Demzufolge sei das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Erst durch das zweite Zusatzabkommen sei die Anwendung des Art 48 des Abkommens auf das in den Geltungsbereich des Abkommens einbezogene System der selbständig Erwerbstätigen ermöglicht worden. Nach Art 48 Abs 3 (und 7) sei das Abkommen grundsätzlich auf Versicherungsfälle anzuwenden, die vor seinem Inkrafttreten eingetreten seien. Im konkreten Fall lägen zwei relevante Versicherungsfälle vor, nämlich der der dauernden Erwerbsunfähigkeit (später des Alters) des verstorbenen Versicherten, aufgrund dessen ihm eine Pension gewährt worden war, und der des Todes. Für den ersten Versicherungsfall sei von Österreich ohne Bezug auf eine deutsche Teilleistung eine innerstaatliche Leistung gewährt worden, weil zum Stichtag 1.3.1975 das Abkommen auf den Versicherten noch nicht anzuwenden war. Art 27 des Abkommens regle, wie die Pension zu berechnen sei, sodaß kein Zweifel bestehen könne, daß eine nach dem Abkommen gebührende Teilleistung ausgehend von der fiktiven Vollpension zu berechnen sei, die dem Verhältnis der Dauer der bei der Berechnung der Leistung nach den Rechtsvorschriften des eigenen Staates berücksichtigten Versicherungszeit zur Gesamtdauer der bei der Leistungsberechnung nach den Rechtsvorschriften beider Staaten zu berücksichtigenden Versicherungszeiten entspreche (Kürzungsfaktor). Im Rahmen der Berechnung des Witwenpensionsanspruches könne nicht die seinerzeit dem Versicherten zugesprochene Pension zugrundegelegt werden, sondern die Witwenpension betrage 60 vH der Leistung, auf die der Verstorbene unter Anwendung des Abkommens zur Zeit des Todes Anspruch gehabt hatte, weil in § 145 Abs 1 lit b GSVG nur der Pensionsanspruch gemeint sein könne, den der Versicherte aufgrund der Gesetze und damit auch aufgrund der Bestimmungen des Abkommens gehabt habe. Um den Anspruch festzustellen, bedürfe es aber einer Neufeststellung der Pension des Versicherten als Vorfrage zur Ermittlung der Witwenpension. Auch unter Bedachtnahme auf Art 48 Abs 4 des Abkommens ergebe sich keine Schlechterstellung der Klägerin durch die Bestimmung der österreichischen Teilleistung, weil die nach dem Abkommen errechneten Teilleistungen insgesamt nicht niedriger seien, als die am Tag vor Inkrafttreten des Abkommens zustehende österreichische ungekürzte Gesamtleistung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgeben werde. Hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß im Rahmen der Berechnung der Witwenpension nicht die seinerzeit dem Versicherten zustehende Alterspension ungekürzt zugrundegelegt werden könne, ist nicht zu folgen. Auszugehen ist davon, daß der Ehemann der Klägerin am 17.2.1991 verstarb und zuletzt eine Alterspension in der Höhe von S 4.517,50 bezog. Stichtag für seine - ursprünglich als Erwerbsunfähigkeitspension gewährte - Alterspension war der 1.3.1975. Außerdem bezog er auf Grund der in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Versicherungszeiten eine deutsche Pensionsleistung. Da das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit vom 22.12.1966, BGBl 1969/382, für den Bereich der in der Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft selbständig erwerbstätigen Versicherten erst durch das Zweite Zusatzabkommen vom 29.3.1974, BGBl 1975/280, mit 1.6.1975 in Kraft trat, wurde sowohl die österreichische als auch die deutsche Pensionsleistung für den Ehemann der Klägerin ohne Anwendung des Abkommens und der darin vorgesehenen zwischenstaatlichen Kürzung berechnet. Eine Neufeststellung nach Art 48 Abs 3 des Abkommens, die ungeachtet des nach dem 31.10.1969 liegenden Stichtages für Pensionen nach dem GSVG (bzw GSPVG) an sich möglich gewesen wäre (Art 2 Abs 2 des 2.ZA; vgl Siedl-Spiegel, Zwischenstaatl.SV Teil Deutschland 1 g, Lfg 18, 203), unterblieb aus hier nicht untersuchenden Gründen. Die Beklagte hat auch nicht eingewendet, daß eine Neufeststellung nach dieser Bestimmung zu erfolgen hatte.

Das Ausmaß (die Höhe) der Witwenpension ist für den Pensionsfall der Klägerin im § 145 GSVG geregelt. Nach § 145 Abs 1 lit b GSVG beträgt die Witwenpension, wenn der Versicherte im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf Erwerbsunfähigkeits(Alters)pension hatte, ohne nach deren Anfall weitere Beitragszeiten der Pflichtversicherung erworben zu haben, 60 vH dieser Pension. Im Gegensatz dazu beträgt die Witwenpension, wenn der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes keinen Pensionsanspruch hattte, 60 vH der Pension, auf die er Anspruch gehabt hätte (Abs 1 lit a). Wie die Revisionswerberin zutreffend ausführt, hat sich die Feststellung der Höhe der Witwenpension hier darauf zu beschränken, die Höhe der Direktpension des Versicherten zum Stichtag zu ermitteln, also im vorliegenden Fall jener Alterspension, die der Versicherte vor seinem Tod zuletzt tatsächlich bezog, nicht aber einer (fiktiven) Pension, auf die er unter Anwendung von am Stichtag (seiner Pension) noch gar nicht geltenden Rechtsvorschriften allenfalls Anspruch gehabt hätte. Jede andere Auffassung wäre mit dem Gesetzeswortlaut des § 145 Abs 1 GSVG unvereinbar.

Zu Unrecht vertritt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung die Auffassung, § 145 Abs 1 lit b GSVG sei durch die speziellere Norm des Art 27 des Abkommens verdrängt worden. In Wahrheit besteht die Gesetzeskollision gar nicht: Art 27 des Abkommens wäre dann anzuwenden, wenn der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes noch keinen Pensionsanspruch erworben gehabt hätte und sich demnach auch das Ausmaß der Witwenpension danach richten müßte, auf welche Pension er (fiktiv) in diesem Zeitpunkt Anspruch gehabt hätte. Warum die hier vertretene Auffassung mit dem Grundsatz der Vertragstreue in Widerspruch trete, ist entgegen der Meinung der Beklagten nicht einsichtig.

Der Revision war daher Folge zu geben und der Klägerin ab 1.3.1991 eine monatliche Witwenpension in Höhe von 60 vH der vom Versicherten bezogenen Direktpension zuzuerkennen. Der sich so ergebende Betrag deckt sich mit dem der Klägerin gewährten monatlichen Vorschuß, weshalb ein Überbezug nicht entstanden ist und die Verrechnung eines solchen Überbezuges mit einer ausländischen Nachzahlung zu unterbleiben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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