13Os112/93 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Juli 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hatvagner als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Salzburg zum AZ 29 Vr 1263/93 anhängigen Strafsache gegen August G***** wegen des Verbrechens nach dem § 3 g VerbotsG und einer anderen strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 15.Juni 1993, AZ 9 Bs 193/93 (= ON 73/III), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Durch den angefochtenen Beschluß wurde August G***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Gegen den am 10.Jänner 1976 geborenen August Friedrich G***** ist beim Landesgericht Salzburg ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 3 g VerbotsG und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB anhängig. Dem jugendlichen und bislang unbescholtenen Beschuldigten wird - neben zwei Körperverletzungsdelikten - zur Last gelegt, von Herbst 1991 bis 24. Mai 1993 in Salzburg und anderen Orten des In- und Auslandes nicht nur Handlanger des wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 3 a Z 2 VerbotsG abgesondert verfolgten Günther R***** in der rechtsextremen Szene gewesen zu sein, sondern auch als Aktivist der VAPO (Volkstreue außerparlamentarische Opposition) unter anderem Propagandamaterial mit nationalsozialistischen Tendenzen erworben und weiterverbreitet, brieflich und fernmündlich Kontakte zu Rechtsradikalen im In- und Ausland, teils in Vertretung des inhaftierten Günther R*****, unterhalten und an verschiedenen einschlägigen Veranstaltungen teilgenommen bzw dafür geworben zu haben.
In zwei vom ORF in der Sendung "Salzburg heute" am 18. und 19.Mai 1993 ausgestrahlten Interviews erklärte G***** unter anderem mit Hinweis auf einen von ihm getragenen sogenannten "SS"-Ring, die "SS" für die Elite der deutschen Soldaten zu halten sowie auf die Ausländer zu "scheißen" (18.Mai 1993: AS 413/II), und in der Sendung vom 19.Mai wörtlich "So ein Ausländer g'hört am Schädel g'haut und nach Hause geschickt, mit einem Viehwaggon wenn's geht" und weiters "ich möchte öffentlich bekanntgeben, wenn der R***** längere Zeit verurteilt wird, dann gibts Randale in Salzburg und Ausschreitungen, solche hat es in Salzburg noch nicht gegeben" (AS 415/II).
Auf Grund dieser Äußerungen, die als neonazistisch, ausländerfeindlich und insgesamt als tatbildlich im Sinne des § 3 g VerbotsG beurteilt und in die Voruntersuchung miteinbezogen wurden (AS 1 v/I), wurde über den Beschuldigten am 25.Mai 1993 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO in Verbindung mit § 35 Abs. 1 JGG verhängt (ON 57).
Am 2.Juni 1993 gab die Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg dem Enthaftungsantrag des Beschuldigten Folge und hob die Untersuchungshaft unter Verneinung des Haftgrundes der Fluchtgefahr gegen die Anordnung gelinderer Mittel im Sinne des § 180 Abs. 5 Z 3 und 4 StPO zur Abwendung der Haft aus dem weiterhin als bestehend angenommenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr auf. Dem Beschuldigten wurde die Weisung erteilt, bei seinem Vater Wohnsitz zu nehmen und (dazu im Widerspruch) jede Änderung des Wohnsitzes dem Gerichte unverzüglich mitzuteilen, sich einmal wöchentlich beim zuständigen Gendarmerieposten zu melden und binnen vierzehn Tagen die Arbeitsaufnahme bei der Firma D***** nachzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Am 15.Juni 1993 ordnete das Oberlandesgericht Linz in Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft die Fortdauer der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit a und b StPO an.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Grundrechtsbeschwerde. Ohne die Dringlichkeit des Tatverdachtes zu bestreiten, erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit in der - insbesondere unter dem Aspekt der ultima-ratio-Regel des § 35 Abs. 1 JGG - angeblich verfehlten Auffassung des Oberlandesgerichtes über die Substituierbarkeit des angenommenen Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr. Ohne die Berechtigung des Haftgrundes selbst in Frage zu stellen, hält er eine Haftverschonung unter Anwendung der von der Ratskammer verfügten gelinderen Mittel, allenfalls ergänzt durch die Anordnung der vorläufigen Bewährungshilfe (§ 180 Abs. 5 Z 8 iVm § 197 a StPO) für geboten, die dennoch beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft im Hinblick auf § 35 Abs. 1 JGG demnach für unzulässig.
Damit behauptet der Beschuldigte nicht nur die unrichtige Anwendung der Bestimmung des § 35 Abs. 1 JGG, sondern auch der Bestimmung des § 180 Abs. 4 StPO, wonach eine Untersuchungsghaft nicht verhängt oder aufrecht erhalten werden darf, wenn die Haftzwecke durch die Anordnung eines oder mehrerer gelinderer Mittel (Abs. 5) erreicht werden können; indes zu Unrecht.
Die mangelnde Substituierbarkeit der Haft durch die vom Erstgericht angenommenen und vom Beschwerdeführer angebotenen gelinderen Mittel stützt das Oberlandesgericht darauf, daß weder die Wohnungnahme beim Vater des Beschuldigten, zu dem bisher anscheinend keine Verbindung bestanden habe, ausreichende Gewähr für ein künftig deliktsfreies Verhalten biete, noch die aushilfsweise Beschäftigung bei einem Plakatierunternehmen. Vor allem letztere eröffnete dem Beschuldigten geradezu eine opportune Möglichkeit, wirksam nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten.
Dieser - durchaus vertretbaren - Argumentation vermag die Beschwerde keine substantiellen Einwände entgegenzusetzen, sodaß es hiezu keiner weiteren Ausführungen bedarf.
Soweit sie sich aber auf § 35 Abs. 1 JGG beruft, wonach über Jugendliche die Untersuchungshaft nicht zu verhängen oder aufrecht zu erhalten ist, wenn ihr Zweck durch familienrechtliche oder jugendwohlfahrtsrechtliche Verfügungen, allenfalls in Verbindung mit einem gelinderen Mittel (§ 180 Abs. 5 StPO) erreicht werden kann, ist ihr in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluß entgegenzuhalten, daß die hiefür maßgeblichen Umstände - wozu auch die Erfolgsaussichten einer vorläufigen Bewährungshilfe zählen - noch nicht erhoben sind. Daß diese Erhebungen (§ 35 Abs. 1 dritter Satz JGG) aber vom Gerichtshof zweiter Instanz selbst zu pflegen gewesen wären, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Schließlich kann auch keine Rede davon sein, daß die mit der Untersuchungshaft verbundenen Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Fortkommen des jugendlichen Beschuldigten derzeit außer Verhältnis zur Bedeutung der Tat und der zu erwartenden Strafe stehen (§ 35 Abs. 1 zweiter Satz JGG).
Da im bekämpften Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz somit kein Gesetz unrichtig angewendet worden ist, wurde der Beschwerdeführer hiedurch auch nicht im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, weshalb spruchgemäß zu erkennen war.
Demzufolge hatte gemäß § 8 GRBG ein Ausspruch über den Ersatz der Beschwerdekosten zu entfallen.
Darauf hinzuweisen ist, daß der Beschuldigte am 24.Juni 1993 einen neuerlichen Enthaftungsantrag gestellt hat (ON 80), über den nach Durchführung der vom Untersuchungsrichter am 1.Juli 1993 im Sinne des § 35 Abs. 1 dritter Satz JGG veranlaßten Erhebungen zu entscheiden sein wird.