15Os78/93 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Mai 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner und Dr.Kuch als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kirschbichler als Schriftführerin, in der bei dem Landesgericht Linz zum AZ 25 Vr 653/93 anhängigen Strafsache gegen Thomas L***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Miroljub B***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 14.April 1993, AZ 8 Bs 115,116,117/93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Durch den angefochtenen Beschluß wurde Miroljub B***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Beim Landesgericht Linz wird eine Voruntersuchung unter anderem gegen den Beschwerdeführer Miroljub B***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB geführt (S 174/I); darnach steht er im Verdacht, zusammen mit weiteren, teils ausgeforschten, teils noch unbekannt gebliebenen Personen am 14.März 1993 gegen 4 Uhr in Linz einen tätlichen Angriff gegen Oliver N*****, Helmut L***** und Mario S***** unternommen zu haben, bei dem die drei Genannten zu Boden gerissen sowie - zumeist schon am Boden liegend - mit Fußtritten und Faustschlägen traktiert wurden, wodurch der letztlich bewußtlos geschlagene N***** stark blutende - wenngleich im Ergebnis offenbar noch leicht gebliebene (S 341/I) - Verletzungen vornehmlich am Kopf, L***** unter anderem einen Knöchelbruch (S 339/I) und S***** Abschürfungen im Kopfbereich (S 9/II) erlitten.
Der Beschuldigte B***** wurde auf Grund eines Haftbefehls des Landesgerichtes Linz vom 5.März 1993 (S 97/I) am 16.März 1993 um 22 Uhr festgenommen (S 123/I) und am 17.März 1993 um 10 Uhr 20 in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Linz eingeliefert (S 127/I). Nach seiner Vernehmung zur Sache durch die Untersuchungsrichterin in den Vormittagsstunden des 18.März 1993 wurde ihm der Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft aus den Gründen des § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 2 und Z 3 lit. a und b StPO iVm § 35 JGG (S 211 f/I) kundgemacht (S 177/I).
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Linz (unter anderem) der Beschwerde des Beschuldigten B***** gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Linz vom 24.März 1993 (S 283 ff/I), mit dem (unter anderem) ausgesprochen wurde, daß die über B***** verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 3 lit. a StPO aufrecht bleibt, nicht Folge.
Der sich gegen die Annahme eines Tatverdachtes in der Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB sowie gegen die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit. a StPO wendenden Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten B***** kommt keine Berechtigung zu.
Das Vorbringen, weder die Ratskammer des Landesgerichtes Linz noch die Staatsanwaltschaft erblicke einen Tatverdacht in der Richtung der absichtlichen schweren Körperverletzung (nach § 87 Abs. 1 StGB) oder einer schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 2 Z 2 StGB, ist, soweit es die Staatsanwaltschaft anlangt, aktenwidrig. Diese beantragte auch in Ansehung des Beschwerdeführers die Einleitung der Voruntersuchung wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB (S 1/I) und rückte davon dem Akteninhalt zufolge nicht ab.
Richtig ist allerdings, daß die Ratskammer des Landesgerichtes Linz in ihrem Beschluß vom 24.März 1993 (S 283 ff/I) ausführte, der Beschwerdeführer sei des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB dringend verdächtig. Indes ging sie dabei weder auf den in der Haftprüfungsverhandlung erstatteten Bericht der Untersuchungsrichterin über das Vorliegen eines Tatverdachtes in der Richtung des § 87 Abs. 1 StGB (S 279/I) ein, noch legte sie dar, weshalb hinsichtlich des Beschwerdeführers der Verdacht einer Tatbeteiligung am Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB ausgeräumt sei und unterließ Überlegungen dahin, daß eine Tatbeteiligung an diesem Verbrechen nicht notwendigerweise in einer eigenhändigen Herbeiführung der schweren Verletzung bestehen muß, sondern auch in einer Bestimmung oder in einem sonstigen Tatbeitrag (§ 12 zweiter und dritter Fall StGB) gelegen sein könnte (Leukauf-Steininger Komm.3 § 91 RN 17 f; Burgstaller im WK § 87 Rz 13; Kienapfel BT I3 § 87 Rz 8).
Durchaus zutreffend stellte demgegenüber das Oberlandesgericht Linz im angefochtenen Beschluß auf einen nach den Umständen des Falles auch beim Beschwerdeführer B***** weiterhin bestehenden dringenden Tatverdacht in der Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB ab; dies im Hinblick auf einen sich aus dem Tatgeschehen selbst und aus den Aussagen von Zeugen über eine von den Tätern von vornherein durch Provokationen gesuchte Auseinandersetzung ergebenden nachhaltigen (Anscheins )Beweis eines gemeinsamen gleichgelagerten Vorsatzes der Schlägergruppe, der der Beschwerdeführer angehörte und die nach der weiteren Aussage von Zeugen, welche ihrem gesellschaftlichen Umfeld nach gewiß keine zimperliche Auffassung haben, mit bestürzender Brutalität vorging (S 226, 238/I); all dies sind Indizien, die - vorbehaltlich der ausschließlich dem erkennenden Gericht obliegenden Beweiswürdigung - nach wie vor geeignet sind, Schlüsse auf eine bei den Tätern und damit auch beim Beschwerdeführer gegebene Absicht, die drei Attackierten schwer zu verletzen, zuzulassen.
Daß nur einer von ihnen schwer verletzt wurde, könnte rechtlich gesehen lediglich dazu führen, daß in Ansehung der beiden anderen Verletzten die Tat beim Versuch blieb.
Dem - ein Zusammenwirken mit der Schlägergruppe relativierenden - Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe seine Komplizen Michael und Thomas L***** von dem am Boden liegenden Verletzten (gemeint: N*****) weggestoßen, sie aufgefordert, nicht mehr zuzuschlagen, habe den Verletzten Hilfe geleistet und bis zum Eintreffen der Polizei gewartet, steht eine gegenteilige Aussage eines Zeugen gegenüber, derzufolge der Beschwerdeführer deshalb auf einen Abbruch der Tätlichkeiten und eine sofortige Flucht drängte, weil er eine unmittelbar bevorstehende Polizeiintervention fürchtete, und danach sogleich ebenfalls vom Tatort verschwand (S 237/I).
Der dringende Tatverdacht in Richtung des Verbrechens der (teils vollendeten, teils versuchten) absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 sowie § 15 StGB - allenfalls als Beteiligter nach § 12 zweiter oder dritter Fall StGB - ist somit (auch) in Ansehung des Beschwerdeführers nach wie vor gegeben.
Zu der in der Beschwerde verneinten Tatbegehungsgefahr ist auf Grund der dem Obersten Gerichtshof vorliegenden Akten festzuhalten:
Der Beschwerdeführer ist zwar nach dem Inhalt der Strafregisterauskunft unbescholten. Er wurde jedoch mit dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25.Februar 1993, GZ 35 E Vr 1938/92-13 - das nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Haftprüfungsverhandlung vom 24.März 1993 lediglich wegen des Ausspruches über die Strafe angefochten wurde (S 279/I) - wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2, Abs. 3 StGB (nach dem Inhalt des Urteilstenors sollte es richtig wohl heißen: wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2, Abs. 3 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB) verurteilt, weil er am 9.Juni 1992 zusammen mit einem Komplizen dem Gerald S***** unter anderem durch einen von ihm geführten Schlag mit einem Billardstock auf den Kopf eine blutende Wunde im Stirnbereich zufügte (Punkt 1 des Urteils), allein dem Johannes B***** einen Faustschlag in das Gesicht versetzte, wodurch der Genannte Nasenbluten und Schmerzen an der Nase erlitt (Punkt 2 des Urteils), mit drei Komplizen in verabredeter Verbindung dem Alexander Sp***** durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten eine (gerade noch) leichte Verletzung, nämlich einen Bruch der neunten Rippe und Abschürfungen und Prellungen im Brustbereich zufügte (Punkt 3 des Urteils), am 26.Juli 1992 allein dem Markus A***** durch Versetzen eines Fußtrittes ins Gesicht eine Rißquetschwunde oberhalb des rechten Auges zufügte (Punkt 5 des Urteils) und am 10.August 1992 zusammen mit dem (auch am 14.März 1993 wieder in Erscheinung getretenen) Michael L***** dem Michael N***** durch Versetzen eines Kopfstoßes und von Fußtritten eine Fraktur der beiden oberen Schneidezähne zufügte (Punkt 4 des Urteils).
Es zeigt sich somit, daß der Beschwerdeführer ersichtlich unbeeindruckt von dem jeweils seinen Tathandlungen folgenden behördlichen Einschreiten in rascher Aufeinanderfolge erneut mit Aggressionshandlungen in Erscheinung tritt, die zuletzt - am 14.März 1993 - im Rahmen einer (gezielten) Beteiligung an einem terrorisierenden bandenmäßigen Schlägertrupp gesetzt wurden, nachdem bereits am 9.Juni 1992 ein ähnliches Erscheinungsbild gegeben war (Punkt 3 des erwähnten Urteiles vom 25.Februar 1993).
Diese rasch aufeinanderfolgende gleichartige Delinquenz des Beschwerdeführers ist eine bestimmte Tatsache, die die Gefahr indiziert, der Beschuldigte werde auf freiem Fuße ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens (abermals) eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen.
Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Entscheidung EvBl. 1973/151 schlägt fehl, denn gerade dort wird mit besonderem Nachdruck darauf verwiesen, daß auf eine kriminalistische Prognose unter Einbeziehung des gesamten Persönlichkeitsbildes eines Beschuldigten abzustellen ist und demnach eine allein aus Vorstrafen abgeleitete "abstrakte Rückfallsgefahr" für die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr (nunmehr: Tatbegehungsgefahr) nicht ausreicht. Vorliegend hat aber der Beschwerdeführer durch die rasche Aufeinanderfolge grundloser schwerer Aggressionsakte ein Persönlichkeitsbild enthüllt, das zu Recht die Annahme der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit. a StPO gestattet.
Entgegen den Beschwerdeausführungen wurde vom Oberlandesgericht Linz auch zutreffend darauf verwiesen, daß mit gelinderen Mitteln im Sinn des § 180 Abs. 5 StPO (§ 35 Abs. 1 JGG) vorliegend die Haftzwecke nicht mehr erreicht werden können; hat doch die bisherige Kontrolle des Beschwerdeführers im Familienverband (durch Mithilfe in der Gastwirtschaft seines Vaters und seiner Stiefmutter) nichts gefruchtet, sodaß auch eine Weisung zu "vermehrter" Mithilfe ebensowenig erfolgversprechend erscheint wie eine - in der praktischen Durchsetzung schwer kontrollierbare - Weisung, einen bestimmten Ort oder einen bestimmten Umgang zu meiden.
Dem nicht näher konkretisierten Beschwerdevorbringen einer Unverhältnismäßigkeit der Haftdauer ist zu entgegnen, daß die bisherige Haftdauer keineswegs im Verhältnis zu einer (nach den Grundsätzen für die Strafbemessung realistischerweise) zu erwartenden Strafe (innerhalb des von einem bis zu fünf Jahren reichenden Strafsatzes des § 87 Abs. 1 StGB) offenbar unangemessen ist.
Der Beschwerdeführer wurde demnach durch den bekämpften Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde abzuweisen war.