11Os63/93(11Os64/93, 11Os65/93, 11Os66/93, 11Os67/93, 11Os68/93, 11Os69/93, 11Os70/93, 11Os71/93) – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Mai 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Rzeszut, Dr.Mayrhofer und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in den Strafverfahren gegen Hubert S***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs 1 StGB, AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 3 StGB, AZ U 323/89 des Bezirksgerichtes Hall in Tirol, wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB, AZ 37 Vr 736/90 des Landesgerichtes Innsbruck und wegen des Vergehens des Betruges nach dem § 146 StGB, AZ 29 U 169/91 des Bezirksgerichtes Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen die Vorgänge, daß im Zusammenhang mit Beschlüssen nach § 494 a Abs 4, teils in Verbindung mit Abs 7 StPO die prozessualen Rechte des zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz ingerierten Privatanklägers auf Anhörung und Beschlußzustellung, zu AZ 29 U 169/91 des Bezirksgerichtes Innsbruck überdies die Verständigungspflicht gemäß § 494 a Abs 8 StPO unbeachtet blieben, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Hauptmann, zu Recht erkannt:
Spruch
In den nachangeführten Strafverfahren gegen Hubert S***** verletzen das Gesetz:
1. zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz (Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB)
a) die Unterlassung der Anhörung des Privatanklägers Max H***** vor der Beschlußfassung über die endgültige Strafnachsicht am 15.Jänner 1992 (ON 19) in der Bestimmung des § 497 Abs 2 StPO und
b) die Unterlassung der Zustellung dieses Beschlusses an den Privatankläger in den Bestimmungen der §§ 77 Abs 1 und 79 Abs 2 StPO iVm § 498 Abs 2 StPO;
2. zu AZ U 323/89 des Bezirksgerichtes Hall in Tirol (Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 StGB)
a) die Unterlassung der Anhörung des Privatanklägers Max H***** vor dem Beschluß vom 13.Juli 1989 (ON 6) auf Absehen vom Widerruf der zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz gewährten bedingten Strafnachsicht (§ 494 a Abs 1 Z 2 StPO) in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 erster Satz StPO und
b) die Unterlassung der Zustellung dieses Beschlusses an den Privatankläger in der Bestimmung der §§ 77 Abs 1 und 79 Abs 2 StPO in Verbindung mit § 494 a Abs 4 StPO;
3. zu AZ 37 Vr 736/90 des Landesgerichtes Innsbruck (Verbrechen des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB)
a) die Unterlassung der Anhörung des Privatanklägers Max H***** vor dem Beschluß vom 20.April 1990 (ON 7) auf Absehen vom Widerruf der zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz gewährten bedingten Strafnachsicht (§ 494 a Abs 1 Z 2 StPO) in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 erster Satz StPO und
b) die Unterlassung der Zustellung dieses Beschlusses an den Privatankläger in den Bestimmungen der §§ 77 Abs 1, 79 Abs 2 StPO iVm § 494 a Abs 4 StPO;
4. zu AZ 29 U 169/91 des Bezirksgerichtes Innsbruck (Vergehen des Betruges nach § 146 StGB)
a) die Unterlassung der Anhörung des Privatanklägers sowie der Einsichtnahme in den Akt U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz vor dem Beschluß vom 12.Februar 1992 (ON 12) auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht und auf Verlängerung der Probezeit (§ 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 7 StPO) in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO und in dem sich aus der Bestimmung des § 494 a Abs 1 Z 2 (iVm Abs 7) StPO ergebenden Verbot, nach einem gleichzeitig mit einer Nachverurteilung gefaßten (wenn auch noch nicht rechtskräftigen) Beschluß über die bedingte Strafnachsicht (außerhalb eines diesen Beschluß betreffenden Verfahrens) in der Sache nochmals zu entscheiden,
b) die Unterlassung der Zustellung des vorerwähnten Beschlusses an den Privatankläger in den Bestimmungen der §§ 77 Abs 1, 79 Abs 2 StPO iVm § 494 a Abs 4 StPO, und
c) die Unterlassung der unverzüglichen Verständigung des Bezirksgerichtes Schwaz von dem zu a) bezeichneten Beschluß in der Bestimmung des § 494 a Abs 8 StPO.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird der zu 4.a bezeichnete Beschluß aufgehoben und der Antrag des öffentlichen Anklägers auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Der am 31.Mai 1959 geborene Hubert S***** wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 7.Dezember 1988, GZ U 414/88-8 - privatanklagekonform - des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Die nach dieser Gesetzesstelle über ihn verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 S (30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) wurde gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 13.Juli 1989, GZ U 323/89-6, wurde Hubert S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt (Tatzeit: 23.Mai 1989; Sanktion:
Geldstrafe), wobei mit zugleich gefaßtem Beschluß gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der im vorerwähnten Strafverfahren gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen wurde. Nach dem Akteninhalt wurde weder vor diesem Beschluß der Versuch einer Anhörung des Privatanklägers im Verfahren zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz unternommen noch wurde dem Privatankläger der Beschluß gemäß § 77 Abs 1 StPO bekanntgemacht.
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. April 1990, GZ 37 Vr 736/90-7, wurde über Hubert S***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB (Tatzeit: 21.Februar 1990) eine - teilweise bedingt nachgesehene - Geldstrafe verhängt und mit zugleich gefaßtem Beschluß erneut (ua) vom Widerruf der zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen. Auch dazu ist dem Akteninhalt weder der Versuch der Anhörung des im letzterwähnten Strafverfahren aufgetretenen Privatanklägers noch die Zustellung des Beschlusses gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO an ihn zu entnehmen.
Mit rechtskräftigem Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 12.Februar 1992, GZ 29 U 169/91-12, wurde schließlich über Hubert S***** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (Tatzeiten: 20. Juni und 2.Juli 1991) abermals eine Geldstrafe verhängt. Auch in diesem Verfahren erging (ua) gleichzeitig der Beschluß auf Absehen vom Widerruf der zu AZ U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz gewährten bedingten Strafnachsicht sowie auf Verlängerung der dazu bestimmten Probezeit auf fünf Jahre. Vor diesem Beschluß war der (damals) Beschuldigte zwar zum Widerrufsantrag des Bezirksanwaltes (ON 1 und 4) gehört worden (S 20), die Beischaffung des Aktes U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz und die Anhörung des dort ingerierten Privatanklägers vor der Beschlußfassung gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 7 StPO sind jedoch ebensowenig aktenkundig wie auch in diesem Fall eine Beschlußzustellung an ihn. Die Verständigung des Bezirksgerichtes Schwaz von dem Beschluß über die Verlängerung der Probezeit wurde - nach Erledigung der Einsprüche gegen das Abwesenheitsurteil - erst mit Endverfügung vom 15.Juni 1992 (ON 17) angeordnet. Das Bezirksgericht Schwaz hatte jedoch mittlerweile, nachdem es von den Nachverurteilungen des Hubert S***** durch das Bezirksgericht Hall und das Landesgericht Innsbruck sowie von den jeweils zugleich gefaßten Beschlüssen gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO Kenntnis erlangt, den Akt jeweils (ohne rechtserheblichen Anlaß) dem Bezirksanwalt zur Antragstellung übermittelt und den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 8.Mai 1990 auf Verlängerung der Probezeit im Ergebnis zu Recht "abgewiesen" (richtig: zurückgewiesen) hatte (ON 11, 14 und 16), mit Einverständnis des Bezirksanwaltes (S 63 verso), allerdings ohne Anhörung des Privatanklägers bereits mit Beschluß vom 15. Jänner 1992 (ON 19) die Strafe endgültig nachgesehen. Auch dieser Beschluß wurde dem Privatankläger bisher nicht zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Generalprokuratur ist im Recht, wenn sie in mehrfacher Hinsicht den genannten Gerichten unterlaufene Gesetzesverletzungen geltend macht:
Gesetzwidrig ging zunächst das Bezirksgericht Innsbruck vor, indem es vor dem Beschluß vom 12.Februar 1992 über die Verlängerung der Probezeit die nach § 494 a Abs 3 StPO gebotene (hier überdies im Hinblick auf den möglichen Ablauf der Probezeit nachhaltig aktuell gewesene) Beischaffung des Aktes U 414/88 des Bezirksgerichtes Schwaz zur Einsicht unterließ, mit dem deshalb auf unvollständigen Grundlagen basierenden Verlängerungsbeschluß dem aus § 494 a Abs 1 Z 2 iVm Abs 7 erster Halbsatz StPO abzuleitenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über die Endgültigkeit einer bedingten Strafnachsicht nochmals in dieser Sache zu erkennen, zuwiderhandelte und überdies gegen das Gebot unverzüglicher (nicht an die Rechtskraft der Entscheidung gebundener) Verständigung des mit der betroffenen Vorentscheidung befaßt gewesenen Gerichtes (§ 494 a Abs 8 StPO) verstieß.
Sämtliche vorerwähnten Gerichte setzten sich zudem darüber hinweg, daß unter dem gemäß den §§ 494 a Abs 3 erster Satz und 497 Abs 2 StPO zu hörenden Ankläger - nicht anders als im Fall des § 495 Abs 3 StPO - jener zu verstehen ist, dem im früheren (mit den nunmehr betroffenen bedingten Maßnahmen vorerst beendeten) Verfahren die Parteistellung zukam. Handelte es sich dabei um ein Privatanklageverfahren, so hat demnach der Privatankläger das Recht auf Anhörung. Der Grundsatz beiderseitigen Gehörs gebietet es nämlich, in einem amtswegigen Verfahren, in welchem es zur Modifikation des (vorläufigen) urteilsmäßigen Ausspruchs darüber kommen kann, ob die verhängte Strafe tatsächlich zu vollziehen ist (§ 494 a Abs 1 Z 2 und 4 StPO sowie § 495 StPO und § 16 Abs 2 Z 12 StVG) ebenso wie in Verfahren, die eine Entscheidung über die Nachholung des Strafausspruches überhaupt zum Gegenstand haben (§ 494 a Abs 1 Z 1 und 3 StPO, § 16 Abs 1 JGG), nicht nur den Verurteilten, sondern auch jenen Ankläger zu hören, der seinerzeit durch seinen Strafantrag das Erkenntnisverfahren in Gang gesetzt und so das vorausgegangene Strafurteil erwirkt hat (bzw am Verfahren über die bedingte Entlassung als - diesfalls öffentlicher - Ankläger beteiligt war). Nach den §§ 494 a Abs 3, 497 Abs 2 sowie § 495 Abs 3 StPO anhörungsberechtigter Ankläger ist daher, wer im Sinn des § 2 StPO zur Anklageerhebung berechtigt war, im Privatanklageverfahren demnach der Privatankläger. Damit im Einklang steht auch, daß das in den §§ 494 a Abs 4 und 498 Abs 2 StPO normierte Beschwerderecht nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht auf den öffentlichen Ankläger beschränkt ist (arg. § 283 Abs 2 iVm § 282 StPO; dazu SSt 48/33).
An einem Verfahren nach § 494 a StPO ist demnach neben dem im früheren Strafverfahren nicht anklageberechtigt gewesenen (Privat )Ankläger des neuen Strafverfahrens (der in dem die Straffrage einschließenden Vortrag nach § 255 Abs 1 StPO Stellung nehmen kann) zusätzlich der (Privat )Ankläger des früheren Verfahrens zu beteiligen. Anhaltspunkte dafür, daß durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl 605, anläßlich der Einführung einer "Gesamtregelung der Straffrage" und der Neufassung der Widerrufsvoraussetzungen nach § 53 Abs 1 StGB auch das Anhörungs- und das Beschwerderecht des Anklägers hinsichtlich der Entscheidungen nach § 494 a Abs 1 StPO einer Neuregelung zugeführt werden sollte, ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien (siehe dazu JAB 359 Blg 17.GP NR 12, 53 f). Kann doch auch nach dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung (wie auch jene über den nachträglichen Strafausspruch) unter gewissen Voraussetzungen von dem mit dem früheren Strafverfahren (bzw Vollzugsverfahren) befaßt gewesenen Gericht erster Instanz getroffen werden (§§ 494 a Abs 2 letzter Satz, 495 StPO; 16 Abs 1 zweiter Satz JGG; 16 Abs 2 Z 12 iVm § 179 Abs 2 StVG), und zwar jeweils unter Mitwirkung jenes (Privat )Anklägers, dem im früheren Verfahren Parteistellung zukam. Ein - ersichtlich nicht gesetzesgewollter - Ausschluß dieses (Privat )Anklägers von der analogen Anhörungs- und Beschwerdeberechtigung im Verfahren nach § 494 a StPO hätte sohin einer ausdrücklichen Klarstellung in § 494 a Abs 3 StPO, zumindest aber in den Gesetzesmaterialien bedurft.
Da sich von den in der Beschwerde - aus den dargelegten Erwägungen zutreffend - aufgezeigten Gesetzesverletzungen nur die Verlängerung der Probezeit durch das Bezirksgericht Innsbruck zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war allein der dazu ergangene Gerichtsbeschluß spruchgemäß zu beheben (§ 292 letzter Satz StPO). Im übrigen hatte es mit der Feststellung der Gesetzesverletzungen sein Bewenden.