JudikaturOGH

3Ob62/92 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei mj. Sebastian S*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 13. und 14.Bezirk, dieses vertreten durch Dr.Walter Schuppich, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei Edmund H*****, vertreten durch Dr.Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 64.979,60, infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 18.Mai 1992, GZ 13 R 99/92-6, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 10.März 1992, GZ 18 Nc 103/92-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht bewilligte aufgrund des Urteiles des Kreisgerichtes Erfurt vom 9.3.1984, F 145/82, zur Hereinbringung der vollstreckbaren Rückstände an Unterhalt für die Zeit vom 17.12.1981 bis 29.2.1992 von DM 5.600,-- und für den in der Zeit ab 1.3.1992 am Ersten eines jeden Monates im voraus fälligen Unterhaltsbetrag von monatlich DM 100,-- die Exekution durch Pfändung von Arbeitseinkommen oder sonstigen wiederkehrenden Bezügen gemäß § 294a EO.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verpflichteten Folge und wies den Exekutionsantrag ab. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Es führte aus: "Die Exekution wurde aufgrund eines Urteiles des Kreisgerichtes Erfurt vom 9.3.1984, also eines ausländischen, in der (ehemaligen) DDR gelegenen Gerichtes beantragt und bewilligt. Gemäß § 79 EO darf die Exekution in Österreich auf Grund ausländischer Exekutionstitel nur dann und insoweit bewilligt werden, als die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch darüber erlassene Regierungserklärungen verbürgt ist. Entscheidend ist daher, ob bezüglich eines aus der Zeit vor der Vereinigung Deutschlands stammenden Urteiles eines Gerichtes in der ehemaligen DDR jetzt nach der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit gegeben sind.

In einer einen Unterhaltsvorschuß betreffenden Rekursentscheidung vom 15.1.1992 zu 43 R 752/91 hat das Landesgericht für ZRS Wien die Ansicht vertreten, daß eine vor einem Jugendamt in der DDR errichtete Vaterschaftsanerkennungs- und vollstreckbare Unterhaltsverpflichtungsurkunde in Österreich vollstreckbar ist. Soweit sich diese Ansicht auf Art.1 Abs.1 Z 2 des Vertrages vom 11.11.1980 zwischen der Republik Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik über Rechtshilfe in Zivilsachen und über Urkundenangelegenheiten, BGBl. 1982/153, stützt, ist dem keineswegs zu folgen, weil sich aus den Artikeln 6 bis 8 dieses Vertrages eindeutig ergibt, daß nur Regelungen über die Vollstreckung von Entscheidungen über Verfahrenskosten, aber keine Regelungen über die Vollstreckung sonstiger Entscheidungen getroffen wurden. Sonstige bilaterale oder multilaterale Verträge mit der DDR, welche die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen geregelt hätte, bestanden nicht. Zur Zeit seiner Erlassung im Jahre 1984 war das gegenständliche Urteil des Kreisgerichtes Erfurt daher in Österreich nicht vollstreckbar.

Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik hat mit Beschluß vom 23.8.1990 den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3.10.1990 erklärt. Nach Artikel 11 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - "Einigungsvertrag" - gehen die Vertragsparteien davon aus, daß völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen, denen die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei angehört, ihre Gültigkeit behalten und die daraus folgenden Rechte und Verpflichtungen sich mit Ausnahme der in Anlage I genannten Verträge auch auf das in Artikel 3 genannte Gebiet (Gebiet der DDR) beziehen. Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik ist diese als Staat unter- und ihr gesamtes Gebiet in einen bestehenden Staat aufgegangen. Nach den Grundsätzen des Völkerrechtes erstrecken sich multilaterale Abkommen des einverleibenden Staates auch auf das neue Gebiet. Auf Grund dieser Ausführungen ist der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 15.11.1990, 7 Ob 635/90 (siehe EvBl 1991/74), zu dem Ergebnis gekommen, daß sich der Geltungsbereich des Haager-Minderjährigenschutz-Übereinkommens, welchem die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei angehört, jetzt nach der Herstellung der Einheit Deutschlands auch auf die Gebiete der ehemaligen DDR erstreckt und auf ehemalige DDR-Bürger anzuwenden ist (vgl. hiezu auch die Besprechung dieser Entscheidung in ZfRV 1991, 310 von Seidl-Hohenveldern). Diese Ausführungen besagen aber nichts darüber, ob durch die Herstellung der Einheit Deutschlands nicht vollstreckbare Urteile von Gerichten in der DDR auf Grund die Vollstreckung regelnder Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland jetzt in Österreich vollstreckbar werden, die Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland also nicht nur ab der deutschen Vereinigung für das gesamte Deutschland, sondern auch rückwirkend für die ehemalige DDR gelten, für die sie vorher keineswegs gegolten haben. Dies ist nach Ansicht des Rekursgerichtes aus nachfolgenden Erwägungen zu verneinen:

Das Übereinkommen vom 15.4.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, BGBl Nr.294/1961, dessen Vertragsstaaten unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Österreich sind, nicht aber die DDR war, ist auch zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland am 1.1.1962 in Kraft getreten. Dieses Übereinkommen ist nach Artikel 12 auf Entscheidungen, die vor seinem Inkrafttreten ergangen sind, nicht anzuwenden. Gegenüber Staaten, die es erst später ratifiziert haben, trat dieses Übereinkommen erst an dem Tag in Kraft, an welchem die Wirkungsvoraussetzungen erfüllt waren, nicht aber rückwirkend mit 1.1.1962 (vgl. EvBl. 1974/86; Kropholler in ZfRV 1967, 234; Hoyer-Loewe in Heller-Berger-Stix, Kommentar zur EO, 783 und 803; FN 11a zu Art.12 dieses Übereinkommens in Loewe, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilsachen, 158). Dieses Übereinkommen gilt nach seinem Artikel 2 für Unterhaltsentscheidungen, die in einem der vertragschließenden Staaten ergangen sind.

Mit dem Vertrag vom 6.6.1959 zwischen der Republik Östereich und der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl 1960/105 wurde insbesondere die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen der Gerichte des einen Staates in dem anderen geregelt, wobei nach Artikel 19 Abs.1 dieser Vertrag grundsätzlich nur auf Exekutionstitel (Schuldtitel) anzuwenden ist, die nach dem 31.12.1959 entstanden sind.

Aus dem genannten Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommen und dem angeführten Vollstreckungsvertrag ergibt sich daher, daß nur nach ihrem jeweiligen Inkrafttreten ergangene gerichtliche Entscheidungen anzuerkennen bzw. zu vollstrecken sind. Aus den genannten Regelungen über die Vollstreckung ergibt sich aber auch, daß jeweils nur Entscheidungen der Gerichte der vertragschließenden Staaten wechselseitig anzuerkennen und zu vollstrecken sind. Daraus, daß dieses Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen und der bilaterale Vollstreckungsvertrag nach der Vereinigung Deutschlands nunmehr auch für die Gebiete und die Gerichte der ehemaligen DDR, die jetzt Teile der Bundesrepublik Deutschland sind, gelten, folgt daher keineswegs, daß dies auch rückwirkend für in der DDR vor der Vereinigung Deutschlands ergangene Entscheidungen gelten würde. Dabei handelt es sich nämlich nicht um Entscheidungen der Gerichte der vertragschließenden Staaten, sondern um Entscheidungen der Gerichte der damals bestandenen DDR, mit der keine gegenseitige Regelungen über die Vollstreckung anderer Entscheidungen als Entscheidungen über Verfahrenskosten bestanden. Der Vertrag über die deutsche Einigung vom Oktober 1990 ändert somit nichts daran, daß vorher ergangene Entscheidungen in der DDR keine Entscheidungen der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland sind, sodaß er keine rückwirkende Änderung betreffend ihre Vollstreckbarkeit bewirken kann.

Daher ist mangels Gegenseitigkeit im Sinne des § 79 EO die Exekution auf Grund des Urteiles des Kreisgerichtes Erfurt vom 9.3.1984, F 145/82, nicht zu bewilligen."

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist nicht berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel bekämpft die betreibende Partei die zutreffende Ansicht des Rekursgerichtes, auf die gemäß §§ 510 Abs.3, 528a ZPO, 78 EO verwiesen wird, die Entscheidung des Kreisgerichtes Erfurt sei vor dem deutschen Einigungsvertrag nicht vollstreckbar gewesen, nicht. Es wird nur die These aufgestellt, alle Urteile der früheren DDR seien "deutsche Urteile". Dem kann nicht gefolgt werden.

Die DDR trat durch den bilateralen Einigungsvertrag vom 18.5.1990 ab 3.10.1990 gemäß Art.23 GG der Bundesrepublik Deutschland bei. Nach dem auch in Art.11 dieses Vertrages festgeschriebenen völkerrechtlichen Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen (Seidl-Hohenveldern in ZfRV 1991, 313 mwN in FN 7;

Neuhold-Hummer-Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts2 Rz 752, 780) gelten die von der Bundesrepublik Deutschland vor der Einigung geschlossenen völkerrechtlichen Verträge auch für das Gebiet der ehemaligen DDR fort. In Betracht kommen hier der bilaterale Vertrag vom 6.6.1959 zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen BGBl. 1960/105, und das multinationale Übereinkommen vom 15.April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern BGBl. 1961/294. Beide Vertragswerke setzen aber voraus, daß es sich um eine Entscheidung eines Gerichtes der Bundesrepublik Deutschland (Art.1 des Vollstreckungsvertrages) bzw. um eine Unterhaltsentscheidung handelt, die in einem der vertragschließenden Staaten ergangen ist (Art.2 des Übereinkommens). Dies trifft auf die Entscheidung des Kreisgerichtes Erfurt nicht zu. Im deutschen Einigungsvertrag wurde entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses keineswegs zu Lasten der völkerrechtlichen Vertragspartner von der Bundesrepublik Deutschland erklärt, daß alle Entscheidungen von Gerichten in Zivilsachen der ehemaligen DDR als Zivilentscheidungen der Bundesrepublik Deutschland gelten sollten. Es wurde in Art.18 Abs.1 des Einigungsvertrages nur vereinbart, daß vor dem Wirksamwerden des Beitrittes ergangene Entscheidungen der Gerichte der DDR wirksam bleiben und im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Art.8 und 9 des Vertrages vollstreckt werden können. Diese Auslegung entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz, daß vor Herstellung der Gegenseitigkeit durch das Inkrafttreten eines Staatsvertrages oder einer Regierungserklärung entstandene Titel grundsätzlich nicht zu vollstrecken sind (Heller-Berger-Stix 772; vgl. Art.19 des Vollstreckungsvertrages).

Dem Revisionsrekurs ist nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO, 78 EO.

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