JudikaturOGH

12Os4/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Markel, Mag. Strieder und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Malesich als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jakob S* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 21. September 1992, AZ U 58/92, und den Vorgang, daß vor Beschlußfassung am 7. Mai und 22. September 1992, über die Gebührenanträge des Sachverständigen Dr. Ernst Schauer vom 6. April, 17. April und 21. September 1992 dem öffentlichen Ankläger und dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) keine Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Jakob S* wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB, AZ U 58/92 des Bezirksgerichtes Tamsweg, verletzen das Gesetz:

1.) der Vorgang, daß vor Beschlußfassung über die schriftlichen Gebührenanträge des Sachverständigen Dr. Ernst Schauer vom 6. April 1992, 17. April 1992 und 21. September 1992 weder dem öffentlichen Ankläger noch dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) Gelegenheit zur Äußerung binnen einer angemessenen, vierzehn Tage nicht übersteigenden Frist geboten wurde, in der Bestimmung des § 39 Abs. 1, letzter Satz GebAG;

2.) die Durchführung der Hauptverhandlung vom 21. September 1992 ohne Beiziehung des öffentlichen Anklägers und das in dieser Hauptverhandlung gegen Jakob S* gefällte Urteil in den Bestimmungen der §§ 31, zweiter Satz, 457 StPO (iVm §§ 77 Abs. 1, 447  bs. 1, 448 StPO und § 4 Abs. 1 StAG).

Das Urteil des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 21. September 1992, AZ U 58/92, wird aufgehoben, und es wird dem Bezirksgericht Tamsweg aufgetragen, dem Gesetz gemäß zu verfahren.

Text

Gründe:

Im Rahmen von Vorerhebungen beauftragte das Bezirksgericht Tamsweg über Antrag des Bezirksanwaltes den Sachverständigen für Kfz Technik, Straßenverkehr und Verkehrssicherheit Dr. Ernst Schauer mit der Erstellung eines Gutachtens. Für die unter Besichtigung der Unfallstelle vorgenommene Befundaufnahme und die Ausarbeitung des schriftlichen Gutachtens (ON 4) begehrte der Sachverständige nach den Tarifen des GebAG mit getrennt vorgelegten Noten vom 6. April 1992 (ON 5) und vom 17. April 1992 (ON 6) die Zuerkennung von Gebühren in der Höhe von 996 S und 1.464 S. Das Bezirksgericht bestimmte daraufhin mit gesonderten Beschlüssen vom 7.Mai 1992 die Gebühren des Sachverständigen in dieser Höhe (ON 7 und 8), ohne zuvor dem Beschuldigten und dem öffentlichen Ankläger Gelegenheit zur Äußerung zu den Gebührennoten geboten zu haben (§ 39 Abs. 1 GebAG). Letzteres geht aus dem Antrags und Verfügungsbogen im Zusammenhalt mit dem Datum der jeweils auf der Rückseite der bezughabenden Gebührenanträge abgefaßten Beschlüsse hervor, wonach die Gebührennoten ersichtlich nicht Bestandteil der am 29. April 1992 an den Bezirksanwalt übermittelten und am 16. Juni 1992 rückgelangten Akten waren.

Mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 22. September 1992 wurden ferner die Gebühren des Sachverständigen Dr. Ernst Schauer für die im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 21. September 1992 erbrachten Leistungen mit 1.846 S festgesetzt (ON 13 bzw. 14). Der diesem Beschluß zugrundeliegende Gebührenantrag des Sachverständigen war ebenfalls vorher weder dem Beschuldigten noch dem öffentlichen Ankläger zur allfälligen Äußerung bekanntgemacht worden.

Der Bezirksanwalt hat jeweils auf Rechtsmittel gegen die angeführten Gebührenbeschlüsse verzichtet ("BV"). Ob die Beschlüsse auch dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger zugestellt wurden, ist ungeklärt, weil die Abfertigungsvermerke und Zustellnachweise fehlen.

Bei der vom Bezirksgericht Tamsweg am 21. September 1992 gegen Jakob S* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB an Ort und Stelle in Seetal durchgeführten Hauptverhandlung war der öffentliche Ankläger (Bezirksanwalt) nicht anwesend. Dennoch wurde sie mit Urteil abgeschlossen (ON 11). Dem im Hauptverhandlungsprotokoll stichwortartig enthaltenen Vermerk zufolge (AS 67) wurde der (anwaltlich vertretene) Beschuldigte des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt; ferner erfolgte ein Zuspruch an den Privatbeteiligten (§ 366 Abs. 2 StPO).

Inhaltlich des (im übrigen vom Verhandlungsrichter entgegen §§ 271 Abs. 1, 447 Abs. 1, 458 Abs. 5 StPO nicht unterfertigten) Hauptverhandlungsprotokolls meldete der Verteidiger unmittelbar nach Urteilsverkündung "volle Berufung" an. Die schriftliche Urteilsausfertigung steht noch aus.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Bezirksgerichtes Tamsweg verletzt in mehrfacher Hinsicht das Gesetz:

Nach der (zwingenden) Bestimmung des § 39 Abs. 1, letzter Satz GebAG ist den im § 40 Abs. 1 Z 1 lit. a und Z 2 genannten Personen, in Strafsachen (Z 2) sohin dem Ankläger und dem Beschuldigten bzw. dessen Verteidiger, "unter Aushändigung oder Beischluß einer Ausfertigung des schriftlichen Gebührenantrags Gelegenheit zur Äußerung binnen einer angemessenen, vierzehn Tage nicht übersteigenden Frist zu geben".

Diese Vorschrift hat der Bezirksrichter verletzt, indem er in Ansehung der vom Sachverständigen eingebrachten Anträge vom 6. April 1992, vom 17. April 1992 und vom 21. September 1992 weder dem öffentlichen Ankläger noch dem Beschuldigten bzw. bezüglich der Gebührennote vom 21. September 1992 - dem Verteidiger eine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumte, sondern die Gebühren jeweils in antragsgemäß verzeichneter Höhe bestimmte.

Die Durchführung der Hauptverhandlung am 21. September 1992 und die Urteilsfällung in Abwesenheit des öffentlichen Anklägers stehen deshalb mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil die Bestimmungen der §§ 31, zweiter Satz und 457 StPO (iVm §§ 447 Abs. 1, 448 StPO sowie § 4 Abs. 1 StAG; siehe auch §§ 41 Abs. 1, 44 Abs. 2 DV StAG) für die Hauptverhandlung über von Amts wegen zu verfolgende strafbare Handlungen die Anwesenheit eines Vertreters der Anklagebehörde voraussetzen. Dieses Recht auf Anwesenheit und Beteiligung an der Hauptverhandlung konnte auch nicht durch die Verlesung des schriftlichen Strafantrags (AS 66) ersetzt werden. Vielmehr wäre das Gericht verpflichtet gewesen, die Hauptverhandlung zufolge der Abwesenheit des Bezirksanwaltes zu vertagen (vgl. SSt. 24/39; EvBl. 1959/28, 1963/304 je mwN; s. auch Foregger Serini Kodek StPO 5 Erl. II zu § 31, Erl. zu § 457; Mayerhofer Rieder StPO 3 ENr. 4 zu § 31; ENr. 15 zu § 276 und ENr. 2 zu § 457). Der dem Bezirksgericht unterlaufene Verstoß brachte schließlich mit sich, daß das Urteil dem öffentlichen Ankläger nicht auf die vom Gesetzgeber vorgesehene Art, nämlich durch mündliche Verkündung vor Gericht, bekanntgemacht wurde (§ 77 Abs. 1 StPO).

Da nach Lage des Falles nicht auszuschließen ist, daß sich die zuletzt aufgezeigte Gesetzwidrigkeit zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, zumal dem öffentlichen Ankläger auch die Verpflichtung zur Berücksichtigung der zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände obliegt (§§ 3, 465 Abs. 1 StPO), war das betroffene Urteil in Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 StPO erhobenen Beschwerde zu kassieren.

Hingegen kann es in bezug auf den aufgezeigten Verstoß gegen die Vorschrift des § 39 Abs. 1 GebAG mit der bloßen Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

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