10ObS327/92 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Fritz Stejskal und Dr.Theodor Zeh in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf K*****, vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.April 1992, GZ 31 Rs 36/92-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. Dezember 1991, GZ 5 Cgs 197/91-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am 20.5.1934 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 17.6.1991 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer.
Mit Bescheid vom 28.8.1991 lehnte die Beklagte diesen Antrag zum Stichtag 1.7.1991 ab, weil der Kläger das 60.Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
Das Erstgericht wies die auf Gewährung der abgelehnten Leistung im
gesetzlichen Ausmaß ab 1.7.1991 gerichtete Klage ab, weil der
Kläger das im § 131 Abs 1 GSVG festgelegte Anfallsalter von 60 Lebensjahren noch nicht erreicht habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die
zit Gesetzesstelle idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl
157 sei im Hinblick auf das Bundesgesetz über unterschiedliche
Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten BGBl
1991/627, dessen Art I Verfassungsrang habe, (zumindest derzeit)
verfassungskonform.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger
rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, beim
Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 131 Abs 1 GSVG als
verfassungswidrig oder die Feststellung zu beantragen, daß diese
Gesetzesstelle verfassungswidrig war, und sodann das angefochtene
Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, den Anträgen des Revisionswerbers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die rechtzeitige Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; sie ist auch berechtigt.
Weil der erkennende Senat gegen die hier präjudizielle Wortfolge im § 131 Abs 1 GSVG BGBl 1978/560 idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl 157 "nach Vollendnung des 60.Lebensjahres, die Versicherte" verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er mit Beschluß vom 15.9.1992 10 Ob S 207/92 beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, diese Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß sie in der Zeit vom 1.April bis 30.November 1991 verfassungswidrig war.
Mit Erkenntnis vom 2.12.1992 G 172/92-6 ua sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die erwähnte Wortfolge bis zum Ablauf des 30.November 1991 verfassungswidrig war.
An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (Satz 2 leg cit).
Die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erklärte Wortfolge im § 131 Abs 1 GSVG ist daher im vorliegenden Anlaßfall nicht mehr anzuwenden, in dem für den Kläger ausnahmsweise als Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension das vollendete 55. Lebensjahr genügt.
Damit steht aber nur fest, daß der Kläger am Stichtag diese eine Voraussetzung für den Anspruch auf die begehrte vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer erfüllt hat.
Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 131 Abs 1 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 wurden bisher weder behauptet, noch erörtert, noch außer Streit gestellt, noch festgestellt.
Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.