8Ob562/91 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Verlassenschaft nach dem am 18.5.1989 verstorbenen Dipl.Ing.Felix J***** und 2. Johanna J*****, ***** beide vertreten durch Dr.Peter Fichtenbauer und Dr.Klaus Krebs, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Braunegg, Hoffmann Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 341.357,10 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 20.Februar 1991, GZ 48 R 52/91-14, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Teilurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 9.Oktober 1990, GZ 46 C 206/89-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
In Abänderung der Urteile der Vorinstanzen wird das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den Klägern S 341.357,10 binnen 14 Tagen zu bezahlen, abgewiesen.
Die Kläger sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 111.043,78 (einschließlich S 18.160 Barauslagen und S 15.480,63 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Bank-Aktiengesellschaft mietete am 24./25.November 1987 von den nun klagenden Wohnungseigentümern das Geschäftslokal top II und I/1 im Hause L*****straße 6 im 9.Wiener Gemeindebezirk ab 1.11.1987 auf unbestimmte Dauer für einen monatlichen Mietzins von S 15.000,- (wertgesichert, zuzüglich Umsatzsteuer) und gegen eine Ablösezahlung von S 50.000,- sowie eine einmalige Betriebskostenzahlung von S 19.890,- (für die Monate September-November 1987) zum Betrieb von Bankgeschäften; die Vermieter räumten der Mieterin das - dann verbücherte - Vorkaufsrecht an ihren Miteigentumsanteilen, mit denen das Wohnungseigentum an den Mietobjekten verbunden ist, ein.
Am 21.12.1987 brachte die A*****gesellschaft mbH gegen die beiden Vermieter und gegen die Mieterin eine Besitzstörungsklage beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ein. Mit der Behauptung, es sei ihr von den (hier klagenden und) dort beklagten Miteigentümern aufgrund eines angenommenen Kaufanbots das von der (hier und dort) beklagten Bank-AG später gemietete Objekt durch Schlüsselübergabe Mitte Juli 1987 zum Alleinbesitz übertragen worden, begehrte die Besitzstörungsklägerin die Erlassung des Endbeschlusses, die (hier klagenden und) dort beklagten Miteigentümer hätten durch die Vermietung und die (hier beklagte und) dort beklagte Bank-AG habe durch das Betreten und Ändern des Türschlosses des (oben näher bezeichneten) Geschäftslokals den ruhigen Besitz der Klägerin an diesem Objekt gestört und seien schuldig, den ursprünglichen Zustand durch Auflösung des Bestandverhältnisses (zwischen den Miteigentümern und der beklagten Bank-AG) und Übergabe des Geschäftslokales unter Ausfolgung der Geschäftsschlüssel wiederherzustellen. Zur Sicherung dieses Anspruches begehrte die Besitzstörungsklägerin die Anordnung einer einstweiligen Anordnung, durch die allen Beklagten jedwede Benützung untersagt und der beklagten Bank-AG überdies die Räumung des Geschäftslokals und die Ausfolgung der Geschäftsschlüssel an die Klägerin aufgetragen werden sollte. Die dortige Klägerin legte zum Nachweis ihrer Käuferposition ein von den (hier klagenden und) dort beklagten Miteigentümern als "Verkäufer" des Geschäftslokals und von der Käuferin unterfertigtes "Kaufanbot" vom 4.5.1987 vor (als Beilage 2 hiesiger Aktenbestandteil).
Das Erstgericht wies mit Beschluß vom 23.12.1987 den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Vorkehrung und mit Endbeschluß vom 5.10.1988 das gesamte Besitzstörungsklagebegehren ab; diese Entscheidung wurde unangefochten rechtskräftig.
Mit Brief vom 28.12.1987 (Beilage 4) teilte die beklagte Bank-AG den beiden Klägern mit, daß sie zufolge der ihr am gleichen Tag zugestellten Besitzstörungsklage der A*****gesellschaft mbH "bis zur endgültigen, also rechtskräftigen, Klärung der Frage" ab Jänner 1988 keine Zahlungen auf Rechtsgrundlage des Mietvertrages zur Anweisung bringen werde und sich aus der Auflösung und Rückabwicklung des Mietverhältnisses erwachsende Schadenersatzansprüche für den Fall der Rechtsunwirksamkeit des Mietvertrages vorbehalte.
Mit der vorliegenden Klage begehrten die Kläger - nach Klageeinschränkung bezüglich zweier weiterer Klagebegehren (Räumung und Einwilligung in die Löschung des Vorkaufsrechtes) und Ausdehnung des Zahlungsbegehrens - zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 341.357,10 an Mietzins und Betriebskosten für die Zeit von 13 Monaten (1.Jänner 1988 bis 31.1.1989) aus der Vermietung des oben angeführten Geschäftslokals. Sie brachten vor, daß die Beklagte sich zu Unrecht geweigert habe, diese Leistungen für den angeführten Zeitraum zu erbringen, und daß wegen der langandauernden Zahlungsverweigerung die Geschäftsgrundlage für die Giltigkeit des ihr eingeräumten Vorkaufsrechtes am Bestandobjekt weggefallen sei. Das Räumungsbegehren (zufolge Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB) und das Begehren auf Einwilligung in die Löschung des verbücherten Vorkaufsrechtes ließen die Kläger mit der Begründung fallen, die Beklagten seien diesen beiden Begehren nach Klageeinbringung nachgekommen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des gesamten Klagebegehrens, stellte das Mietzinsbegehren in Höhe von S 214.500,- außer Streit und wendete im wesentlichen ein, erst nach Vertragsschluß mit den Klägern von deren Vertragskontakten mit der A*****gesellschaft mbH und den behaupteten Ansprüchen dieser Gesellschaft daraus erfahren zu haben; nach Einbringung der Besitzstörungsklage dieser Gesellschaft habe sie, die Beklagte, in Anbetracht des ernsthaften Risikos für ihre Bestand- und Besitzrechte an dem Objekt am 28.Dezember 1987 den Klägern schriftlich mitgeteilt, daß bis zur Klärung der rechtlichen Situation das Recht auf "Zinsminderung auf Null" ab 1.Jänner 1988 in Anspruch genommen werde. Den Klägern sei bei Vertragsschluß bekannt gewesen, daß sie, die beklagte Bank-AG, das Bestandobjekt erst durch weitreichende und eine sechsstellige Investitionssumme erfordernde Bau- und Adaptierungsmaßnahmen für den vereinbarten Gebrauch (Betrieb von Bankgeschäften) umgestalten müsse; in Anbetracht der Ungewißheit, ob der Besitz des Bestandobjektes überhaupt erhalten bleiben kann, haben die notwendigen Investitionsmaßnahmen nicht riskiert werden können, so daß auch die Benützung des Lokals unterblieben sei. Nach rechtskräftiger Erledigung des Besitzstörungsverfahrens sei ab Feber 1989 der Bestandzins wieder bezahlt worden, aber das Interesse an dem Objekt sei für sie, die Beklagte, weggefallen, da sie in der Zwischenzeit gezwungen gewesen sei, ein Ersatzobjekt in Anspruch zu nehmen. Hilfsweise hat die Beklagte aus dem Titel "verlorener Mietaufwand" eine Gegenforderung bis zur Höhe der (allenfalls) berechtigten Klageforderung einredeweise geltend gemacht.
Das Erstgericht stellte mit "Teilurteil" fest, daß "die Klage(teil)forderung mit S 214.500,- an Mietzinsen für die Monate Jänner 1988 bis Jänner 1989 für das (angeführte) Geschäftslokal .... dem Grunde nach nicht zu Recht" bestehe, und begründete seine Entscheidung im wesentlichen so:
Der Gesetzgeber befreie den Bestandnehmer bei Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstandes oder bei Störungen in seinem bedungenen Gebrauch verschuldensunabhängig von der Zinszahlungspflicht, soweit die Unmöglichkeit und die Gebrauchsstörung reiche. Werde der bedungene Gebrauch durch eine Störung seitens des Bestandgebers ganz oder teilweise verhindert, so sei dies nach geltender Rechtsprechung dem Mangel des Bestandobjektes gleichzuhalten und der Bestandnehmer sei berechtigt, eine Zinsminderung zu begehren. Im Hinblick auf die durch das Besitzstörungsverfahren verursachte Gebrauchsstörung und die dadurch nicht vorhandene Möglichkeit für die Beklagte, das Objekt für den bedungenen Gebrauch zu adaptieren, war ihr die Benützung des Mietgegenstandes bis zur rechtskräftigen Beendigung des Besitzstörungsverfahrens vorerst vollkommen unmöglich und ihr Zinsminderungsanspruch auf Null auch gerechtfertigt.
Das Gericht zweiter Instanz verurteilte in Stattgebung der Berufung der Kläger mit Teilurteil die Beklagte zur Zahlung von S 214.500,-
und zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, daß die Frage, ob Zinsminderungsansprüche auch bei bloßer Gefährdung der Rechtsposition des Mieters berechtigt sind, auch mangels höchstgerichtlicher Judikatur dazu, von grundsätzlicher Bedeutung sei. Seine Entscheidung begründete es im wesentlichen folgendermaßen:
Beim Zinsminderungsanspruch nach § 1096 Abs. 1 Satz 2 ABGB handle es sich um einen Gewährungsleistungsanspruch besonderer Art, der unabhängig von den Fristen des § 933 ABGB geltend gemacht werden könne und unabhängig von einem Verschulden des Bestandgebers ex lege eintrete. Der Anspruch bestehe nach der Rechtsprechung auch dann, wenn zwar der Bestandgegenstand selbst nicht mangelhaft ist, aber der Bestandgeber den Bestandnehmer im bedungenen Gebrauch stört oder ihm diesen nicht oder nicht in vollem Ausmaß gewährt. Dies setzt ein eigenes oder zumindest von ihm zu vertretendes Verhalten des Bestandgebers voraus, das die bedungene Benützung des Objektes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beeinträchtigt oder hindert (Verweisung auf JBl 1989, 381). Es habe der Bestandgeber also auch für Mängel im Recht Gewähr zu leisten, wenn dadurch dem Bestandnehmer der Gebrauch der Sache ganz oder teilweise entzogen wird (Verweisung auf Klang in Klang2 V 43). Eine vollständige Zinsminderung komme nur dann in Betracht, wenn der Bestandnehmer die Bestandsache infolge objektiv und nicht subjektiv zu beurteilender Unzumutbarkeit nicht benützt (Verweisung auf MietSlg 39.117 und 37.140).
Die von der Beklagten vorgebrachten Gründe berechtigten sie jedoch nicht zur Zinsminderung. Es sei zwar grundsätzlich vorstellbar, daß eine nach objektiven Maßstäben zu beurteilende, ernste Gefahr des Gebrauchsentzuges infolge Mängel im Recht eine Zinsminderung rechtfertige, wenn mit Wissen des Bestandgebers vorerst umfassende und kostspielige Adaptierungen für den Gebrauch des Bestandobjektes vom Bestandnehmer durchzuführen sind; welche konkreten Mängel im Recht von den Klägern zu vertreten seien, habe die Beklagte nicht schlüssig dargelegt, denn das behauptete "ernsthafte Risiko", daß eine dritte Person ein "besseres Recht" am Bestandobjekt habe und sie, die Beklagte, deshalb nicht im Besitz bleiben könne, sei nur als subjektive Befürchtung zu beurteilen, eine objektiv unsichere Sach- und Rechtslage habe jedoch nicht bestanden. Es erscheine nämlich schwer vorstellbar, daß der Mieter, der ein Lokal gutgläubig gemietet habe und vom Vermieter in den Besitz des Lokals gesetzt worden sei, des Mietobjekts verlustig gehen sollte. Auch im Rahmen eines Besitzstörungsverfahrens erscheine schon wegen der fehlenden Eigenmacht keine Handhabe gegen die Beklagte gegeben (Verweisung auf Klang aaO II 109). Das von der Beklagten verwendete Argument der "Doppelveräußerung" sei in Anbetracht des bestehenden Mietverhältnisses verfehlt und die Probleme im Zusammenhang mit dem Kaufanbot über das Objekt beträfen das Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und der A*****gesellschaft mbH.
Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Hauptantrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen, und dem Hilfsantrag, diese Entscheidung - und wenn erforderlich auch jene des Erstgerichtes - aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung (an eine der beiden Vorinstanzen) zurückzuverweisen.
Die Kläger begehren, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig und sie ist auch sachlich berechtigt.
Die beklagte Bank-AG hat das im Wohnungseigentum der Kläger stehende Geschäftslokal zum Zwecke des Betriebes von Bankgeschäften gemietet. Um das gemietete Objekt zu diesem Zwecke zu benützen, waren unbestrittenermaßen erhebliche Investitionsaufwendungen erforderlich. Nach Zustellung der Besitzstörungsklage, mit der die klagende A*****gesellschaft mbH älteren (im Juli 1987 durch Schlüsselübergabe bewirkten) Besitz an diesem Geschäftslokal behauptete, stellte die vom Restitutionsbegehren dieser Klägerin in ihrem (später erlangten) Besitz bedrohte Beklagte die Zahlung des vereinbarten Mietzinses (samt Betriebskosten) ab 1.1.1988 für die Dauer bis zur rechtskräftigen Klärung der Besitzfrage ein und verständigte davon die Kläger mit Brief vom 28.12.1987. Erst im Jänner 1989 wurde die Abweisung des Besitzstörungsklagebegehrens rechtskräftig. Bis dahin hat die beklagte Bank-AG keine Mietzins- und Betriebskosten an die Kläger geleistet.
Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Beklagte mit Recht für den angeführten Zeitraum völlige Zinsbefreiung nach § 1096 Abs. 1 Satz 2 ABGB in Anspruch genommen hat.
Der Bestandgeber hat nämlich dann, wenn die Herstellung des für den bedungenen Gebrauch der Bestandsache erforderlichen Zustandes dem Bestandnehmer obliegt, Gewähr dafür zu leisten, daß der Bestandnehmer dazu frei von Störungen, die dem Risikobereich des Bestandgebers zuzurechnen sind, in zumutbarer Weise in der Lage ist.
Hier war die beklagte Bestandnehmerin in ihrem Besitz des Bestandobjektes, das ohne erhebliche Investititionsaufwendungen nicht zum vereinbarten Verwendungszweck brauchbar war, durch die auf die Behauptung älteren Besitzes gegründete Besitzstörungsklage der A*****gesellschaft mbH zumindest für die Dauer bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreites darüber ernstlich bedroht, denn es bestand für sie die Gefahr, in diesem Verfahren zu unterliegen. Weder die Gutgläubigkeit noch die Unkenntnis des von der dortigen Besitzstörungsklägerin behaupteten älteren Besitzstandes hätten die Beklagte vor dem Erfolg des Restitutionsbegehrens bewahren können, wenn sie in der Beweisfrage unterlegen wäre (Spielbüchler in Rummel2 Rz 4 zu § 339 ABGB mwN). Jedenfalls kann nicht, wie es das Berufungsgericht meinte, mit dem vordergründigen Argument der angeblich stoßend fehlenden Eigenmacht der Beklagten die Bedrohung ihres Besitzes a priori verneint werden; sie war aus der Sicht und der Interessenlage der Beklagten jedenfalls ernst zu nehmen. Bejaht man aber die Ernstlichkeit der Bedrohung ihres Besitzstandes für die Dauer bis zur rechtskräftigen Abweisung der Besitzstörungsklage der A*****gesellschaft mbH, so muß auch anerkannt werden, daß der Beklagten jegliche Investitionsaufwendung zur Herstellung des für den vereinbarten Verwendungszweck des Bestandgegenstandes erforderlichen Gebrauchszustandes wegen des jederzeit möglichen prozessualen Unterliegens mit Restitutionsverpflichtung absolut unzumutbar und demgemäß auch der Gebrauch des Bestandgegenstandes zur bestimmungsgemäßen Verwendung unmöglich war. Aus diesem Grunde hat die Beklagte mit Recht für den gesamten Zeitraum der Bedrohung ihres Besitzes des Bestandobjektes (Jänner 1988 bis Jänner 1989) völlige Zinsbefreiung (einschließlich der Betriebskosten) im Sinne des § 1096 Abs. 1 Satz 2 ABGB in Anspruch genommen. Ihrer Revision war deshalb Erfolg zu geben und das Klagebegehren war zur Gänze kostenersatzpflichtig abzuweisen (§§ 41, 50 ZPO).