JudikaturOGH

14Os70/92(14Os71/92) – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. August 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.August 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Götsch als Schriftführer in der Strafsache gegen Dipl.Ing.Dr.techn.Wilhelm P***** wegen des Verbrechens des Betruges nach den §§ 146 ff StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Kreisgerichtes Wels vom 17.September 1991, AZ 16 Vr 1566/85, und des Oberlandesgerichtes Linz vom 25.September 1991, AZ 7 Bs 326/91, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, des Generalanwaltes Dr.Hauptmann, des Angeklagten Dipl.Ing.Dr.techn.P***** und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr.Schwab zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 16 Vr 1566/85 des Kreisgerichtes W***** wurde

1. durch den Beschluß des Schöffensenates vom 17.September 1991 (S 2 des Hauptverhandlungsprotokolles vom selben Tag), womit über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe in der Dauer eines Tages verhängt wurde, und

2. durch die Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes L***** vom 25.September 1991, AZ 7 Bs 326/91,

das Gesetz in der Bestimmung des § 235 StPO verletzt.

Die bezeichneten Beschlüsse werden aufgehoben.

Text

Gründe:

Zu Beginn der (fortgesetzten) Hauptverhandlung vom 17.September 1991 im Verfahren zum AZ 16 Vr 1566/85 des Kreisgerichtes W***** wurde über den Angeklagten Dipl.Ing.Dr.Wilhelm P***** gemäß § 235 StPO eine Ordnungsstrafe von einem Tag Freiheitsstrafe verhängt und deren sofortige Vollstreckung gemäß § 237 Abs. 1 StPO verfügt.

Dem war die Frage des Vorsitzenden an den Angeklagten vorangegangen, ob die in der Zwischenzeit bei Gericht eingelangten Eingaben ON 1279 bis ON 1285 zum Gegenstand seines Vorbringens in der Hauptverhandlung gemacht würden, die er mit "Ja" beantwortete.

Sodann wurde festgehalten, daß der Senat vor Beginn der Hauptverhandlung die Eingabe des Angeklagten ON 1283 (Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung bis zu einer Entscheidung des Bundespräsidenten bezüglich des Antrages auf Niederschlagung des Verfahrens), insbesondere Punkt 8., erörtert habe, und sogleich der Beschluß auf Verhängung der Ordnungsstrafe verkündet.

Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß "durch die wiederholten, offenbar unbegründeten Anschuldigungen des Angeklagten gegen die Berufsrichter, und zwar den Vorhalt der ständigen Gesetzesverstöße, sowie Punkt p) Absprache mit Zeugen der Anklage, sowie Punkt r) Urteilsabsprache mit dem Ankläger, von ihm versucht wird, die durch die Verfahrensgesetze vorgesehene Ordnung in der Hauptverhandlung zu stören und auf den Senat insofern Druck auszuüben, um diesen zu einem von ihm gewünschten Verhalten zu bewegen; die Verhängung einer Haftstrafe erscheint insbesondere deshalb gerechtfertigt, da die bislang oftmals verhängten Geldstrafen ebensowenig Wirkung zeigten, wie die noch öfter erfolgten Abmahnungen und die neuerlichen Vorwürfe in einer Eingabe an das höchste Organ im Staat enthalten sind" (S 1 und 2 des Protokolls über die fortgesetzte Hauptverhandlung vom 17.September 1991).

Über die vom Angeklagten gegen diese Ordnungsstrafe und weitere hierauf beruhende Beschlüsse, Verfügungen und Vorgänge erhobene Beschwerde gemäß § 15 StPO hat das Oberlandesgericht L***** mit Beschluß vom 25.September 1991, AZ 7 Bs 326/91, dahin befunden, daß kein Anlaß zu aufsichtsbehördlichen Maßnahmen bestehe; die Maßnahme des Schöffensenates nach § 235 StPO sei berechtigt gewesen, weil der Angeklagte die an eine andere Stelle gerichtete Eingabe in der Hauptverhandlung ausdrücklich zum Gegenstand seines Prozeßvorbringens gemacht habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Verhängung der Ordnungsstrafe gemäß § 235 StPO für eine (bloß) schriftliche, in der Hauptverhandlung nicht wörtlich wiederholte Äußerung steht, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, mit dem Gesetz ebensowenig im Einklang wie die Begründung des Oberlandesgerichtes L*****, mit der es in seinem Beschluß vom 25. September 1991 die gerügte Vorgangsweise des Erstgerichtes ausdrücklich für zulässig erklärte.

Gemäß § 233 Abs. 1 StPO obliegt dem Vorsitzenden die Erhaltung der Ruhe und Ordnung und des der Würde des Gerichtes entsprechenden Anstandes im Gerichtssaal. Zur Erfüllung dieser Aufgabe (Ausübung der Sitzungspolizei) ist ihm die in den §§ 235 bis 237 StPO behandelte Strafbefugnis (Disziplinargewalt) eingeräumt, die räumlich auf den Gerichtssaal oder Ort der gerichtlichen Amtshandlung und zeitlich auf die Dauer der Gerichtssitzung beschränkt ist (Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr. 3 zu § 233; Foregger-Serini-Kodek, StPO4, Erl. I zu § 233; 14 Os 142/91). In Erfüllung dieser Aufgabe hat der Vorsitzende unter anderem gemäß § 235 StPO darüber zu wachen, daß gegen niemand Beschimpfungen oder offenbar unbegründete oder zur Sache nicht gehörige Beschuldigungen vorgebracht werden.

Aber nur jene Beschimpfungen oder offenbar unbegründeten oder zur Sache nicht gehörigen Beschuldigungen sind geeignet, die Ruhe und Ordnung und den der Würde des Gerichtes entsprechenden Anstand (§ 233 Abs. 1 StPO) im Gerichtssaal zu stören, die während der gerichtlichen Amtshandlung am Ort der Gerichtssitzung tatsächlich wörtlich geäußert worden sind. Der bloße Bezug auf ein schriftliches Vorbringen, etwa durch Bejahen der Frage des die Verhandlung leitenden Vorsitzenden, ob dieses auch zum Gegenstand des Vorbringens in der Hauptverhandlung selbst gemacht werde, vermag diese Eignung nicht zu erfüllen; dies selbst dann nicht, wenn im Schriftsatz, auf den sich der Befragte damit bezieht, Beschimpfungen oder offenbar unbegründete oder zur Sache nicht gehörige Beschuldigungen enthalten sind. Denn eine Bestimmung des Inhalts, daß Ungebühr oder beleidigende oder respektwidrige Ausdrucksweisen in Schriftsätzen Ordnungsstrafen nach sich ziehen könnten, ist der Strafprozeßordnung fremd (Lohsing-Serini4, 333 f). Bei Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung durch beleidigende Ausfälle in schriftlichen Eingaben im Strafverfahren ist vielmehr gemäß § 97 GOG (nur) die Bestimmung des § 85 Abs. 1 GOG sinngemäß anwendbar (EvBl. 1958/83 ua).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht einmal, daß der Angeklagte nebst den Eingaben ON 1279 bis ON 1285 auch den gesamten Inhalt des der Eingabe ON 1283 (Unterbrechungsantrag) nur als Beilage angeschlossenen Abolitionsantrages an den Bundespräsidenten einschließlich der im Ordnungsstraferkenntnis inkriminierten Stellen zum Gegenstand des Vorbringens der Verhandlung gemacht hat. Die einzige hiezu in dieser Verhandlung vom Angeklagten gemachte Äußerung bestand in der schlichten Bejahung der oben erwähnten Frage des Vorsitzenden. Hierin kann ein Verhalten des Angeklagten, welches Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Verhandlung erfordert und somit das Gericht zur Ausübung der Sitzungspolizei berechtigt hätte, nicht erblickt werden. Andernfalls hätte der Vorsitzende in Ausübung der ihm durch den ersten Satz des § 235 StPO auferlegten Pflicht die gegenständlich vom Angeklagten beantwortete Frage wenigstens in Ansehung der Ordnungsnummer 1283 (bzw. ihrer Beilage) unterlassen müssen, um nicht die (vermeintlich) schon in der bloßen Bejahung zu erblickende Ordnungsstörung geradezu herauszufordern; erforderlichenfalls hätte er den Angeklagten (im Sinne des § 3 StPO) darüber belehren müssen, daß ein derartiges Vorbringen in der Hauptverhandlung nicht geduldet und eine Disziplinierung nach sich ziehen würde.

Indem das Oberlandesgericht L***** die vom Angeklagten gerügte Vorgangsweise des Schöffengerichtes - in Ausübung des dem Oberlandesgericht gemäß § 15 StPO eingeräumten Aufsichtsrechtes - auf ihre materiellrechtliche Richtigkeit geprüft und (mit den Worten:

"..., weshalb die disziplinäre Gewalt des Gerichtshofes nach § 235 StPO gegeben war") ausdrücklich für richtig befunden hat, hat es damit gleichermaßen das Gesetz in der Bestimmung des § 235 StPO verletzt.

Der Generalprokurator geht in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes davon aus, daß bei der gegebenen Sachlage der Rechtsmittelausschluß des § 237 Abs. 1 StPO der Ergreifung einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme nach § 15 StPO deshalb nicht entgegenstand, weil der aufzuhebende Beschluß des Erstgerichtes seinem Wesen nach nicht auf Grund der §§ 233 bis 235 und 236 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, d.h. in Ausübung der Sitzungspolizei zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung, ergangen war und daher ohne Eingriff in die gesetzlichen Befugnisse der Schöffensenate zu beseitigen gewesen wäre. Die formelle Berechtigung des Oberlandesgerichtes L***** zu einem Vorgehen nach § 15 StPO, das bei seiner meritorischen Entscheidung ohnehin davon ausgegangen ist, auch im vorliegenden Fall zur Ausübung seines Aufsichtsrechtes zuständig zu sein, wird von der Generalprokuratur nicht angefochten, weshalb auf diese Frage nicht einzugehen war.

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Angeklagten zum Nachteil gereichen, war nach § 292 letzter Satz StPO vorzugehen und spruchgemäß zu erkennen.

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