JudikaturOGH

15Os53/92-6 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Juni 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Windisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerold M***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (vormals auch wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Strafsatz StGB) über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 9.Jänner 1991, GZ 34 Vr 865/90-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Jänner 1991, GZ 34 Vr 865/90-29, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 113 Abs. 1 StPO.

Text

Gründe:

In der Strafsache AZ 34 Vr 865/90 des Landesgerichtes Innsbruck (nunmehr: 10 U 99/91 des Bezirksgerichtes Innsbruck) führte die Untersuchungsrichterin über Antrag der Staatsanwaltschaft gerichtliche Vorerhebungen gegen Gerold M***** wegen des Verdachtes des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 letzter Fall StGB. Im Zuge dieser Vorerhebungen erließ die Untersuchungsrichterin über Antrag des öffentlichen Anklägers (S 3 c und 3 c verso) am 24.September 1990 einen Hausdurchsuchungsbefehl, mit dem die Durchsuchung sämtlicher Räume der Wohnung des Verdächtigen Gerold M***** zur Auffindung und Sicherstellung von Beweisstücken, besonders einer alten Schreibmaschine, auf welcher bestimmte Briefe geschrieben worden sein sollen, angeordnet wurde (ON 13). Die am 26.September 1990 von der Bundespolizeidirektion Innsbruck vollzogene Hausdurchsuchung, anläßlich welcher dem Beschuldigten eine Ausfertigung des Hausdurchsuchungsbefehls zugestellt wurde, verlief negativ (ON 14).

Am 28.September 1990 richtete der Beschuldigte eine als "Beschwerde gegen vorgenommene Hausdurchsuchung" bezeichnete Eingabe an das Gericht (ON 15). Darin brachte er im wesentlichen vor, daß kein Anlaß für die Anordnung der Hausdurchsuchung gegeben gewesen sei, weil nach der Aktenlage andere Erhebungsschritte ausgereicht hätten und außerdem die Auffindung von Beweisstücken nicht zu erwarten gewesen sei. Ferner bemängelt der Einschreiter Modalitäten der Durchsuchung sowie die Einseitigkeit der seiner Ansicht nach mit Übergehung von Entlastungshinweisen geführten Vorerhebungen. Er begehrte abschließend, seiner Beschwerde möge stattgegeben, die durchgeführte Hausdurchsuchung als nicht rechtens erkannt und das Verfahren eingestellt werden.

Diese Beschwerde wurde mit Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 9.Jänner 1991, GZ 34 Vr 865/90-29, "als gegenstandslos zurückgewiesen". Den Ausspruch über die Verweigerung einer Sachentscheidung begründete die Ratskammer folgendermaßen:

"Darüber, ob die von der Untersuchungsrichterin beschlossene Hausdurchsuchung gesetzwidrig war oder nicht, hat die Ratskammer des Gerichtshofes erster Instanz nicht zu befinden. Die Beschwerde nach § 113 Abs. 1 StPO ist nämlich den Verfahrensbeteiligten nicht dazu eingeräumt, daß damit allfällige Gesetzesverletzungen bloß festgestellt werden - wie dies etwa durch den Obersten Gerichtshof nach den §§ 33, 292 StPO oder durch den Verfassungsgerichtshof geschieht - sondern sie soll vielmehr dazu dienen, im Vorverfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters entstandene Gesetzwidrigkeiten bzw. deren Auswirkungen zu beseitigen (siehe hiezu Roeder, Österreichisches Strafverfahrensrecht2, 179). Eine Beschwerde an die Ratskammer nach § 113 Abs. 1 StPO muß daher, um Erfolg haben zu können, ein bestimmtes auf Änderung, Aufhebung oder Durchführung einer Maßnahme des Untersuchungsrichters abzielendes Begehren enthalten. Wurde ein solches Begehren - wie im vorliegenden Fall - nicht gestellt, so fehlt es dem Rechtsmittelwerber an der Beschwer."

In den Schlußsätzen der Begründung dieses Beschlusses ging die Ratskammer noch auf die behauptete Entbehrlichkeit der Hausdurchsuchung ein und deutete eine Gesetzmäßigkeit der Maßnahme an; aus der Art der Formulierung ergibt sich, daß es sich dabei (nur) um eine für den Spruch der Entscheidung nicht maßgebliche Eventualüberlegung handelte. Insgesamt lassen nämlich Spruch und Begründung des Beschlusses erkennen, daß für die Entscheidung die Auffassung maßgebend gewesen ist, daß für die Ratskammer an sich kein Anlaß bestand, die Gesetzmäßigkeit des Hausdurchsuchungsbefehls zu beurteilen.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung der Ratskammer steht - wie der Generalprokurator zutreffend geltend macht - mit § 113 Abs. 1 StPO nicht im Einklang.

Diese Bestimmung gibt allen, die sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, das Recht, darüber eine Entscheidung der Ratskammer zu verlangen und ihr Begehren entweder schriftlich oder mündlich beim Untersuchungsrichter oder unmittelbar bei der Ratskammer anzubringen. Inhalt der von § 113 Abs. 1 StPO eingeräumten Beschwerde ist somit ein Verlangen nach einer Ratskammerentscheidung über eine beschwerende Verfügung oder Verzögerung.

Dieses Beschwerderecht wurde von Gerold M***** in Anspruch genommen und die angefochtene Verfügung (Hausdurchsuchungsbefehl) der Untersuchungsrichterin deutlich bezeichnet. Ob der Rechtsmittelwerber durch den Hausdurchsuchungsbefehl beschwert war, hing allein vom Wesen und der Zielsetzung dieser Maßnahme und nicht von der Wortwahl in seiner Beschwerde ab (vgl. Ullmann, Lehrbuch der österreichischen Strafproceßordnung2, 788). Die Ratskammer folgerte daher zu Unrecht aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Beschwerdeantrages "auf Änderung, Aufhebung oder Durchführung einer Maßnahme des Untersuchungsrichters" einen Mangel des Beschwerdeinteresses. Die Inanspruchnahme der Überprüfungskompetenz der Ratskammer wurde in der Rechtsmittelschrift durch die Forderung, die Hausdurchsuchung möge als nicht rechtens erklärt werden, mit hinreichender Klarheit ausgesprochen. Das Gesetz sieht insoweit nur ein Begehren um Entscheidung der Ratskammer über eine vorgebrachte Beanstandung und nicht eine näher spezifizierte Antragstellung vor, weshalb die Ratskammer aus dem Unterbleiben derartiger Erklärungen keine Rechtsfolgen ableiten durfte.

Es war auch die von Gerold M***** behauptete "Beschwer" klar ersichtlich, nämlich die in der Eingabe als Einschränkung seiner Grundrechte (vgl. Art. 9 StGG, RGBl. 1867/142; §§ 1 ff des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 1862/88; Art. 8 MRK) charakterisierte Hausdurchsuchung. Die Anordnung einer Hausdurchsuchung führt eine Beeinträchtigung herbei, welche auch nach Vollziehung der Durchsuchung einen Beschwerdeanlaß darstellt. Schon bei Schaffung der Vorschrift des § 113 StPO wurde nicht in Zweifel gezogen, daß ein Beschwerdeinteresse vorliegt, wenn bei jemandem über richterlichen Auftrag eine Hausdurchsuchung vorgenommen wird und sich der Betroffene hiedurch in seiner Rechtssphäre verletzt erachtet (Mayer, Commentar zur Österreichischen Strafproceß-Ordnung, II. Bd, Anm. 3 zu § 113). Ein anderes Verständnis der Norm wäre im Hinblick auf Artikel 13 MRK mit dem Gebot einer verfassungskonformen Gesetzesinterpretation nicht vereinbar.

Die Ratskammer hätte daher sehr wohl über die Gesetzmäßigkeit der vom Untersuchungsrichter beschlossenen Hausdurchsuchung zu befinden gehabt. Im Falle der Rechtsrichtigkeit des Hausdurchsuchungsbefehls wäre der Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge zu geben gewesen. Bei Annahme seiner Gesetzwidrigkeit hätte die Ratskammer den Hausdurchsuchungsbefehl aufzuheben gehabt, weil nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung auch vollzogene Entscheidungen der Aufhebung im Rechtsmittelweg unterliegen. Dies leuchtet klar aus der Bestimmung des § 113 Abs. 1 letzter Satz StPO hervor, wonach die Beschwerde gegen eine Verfügung des Untersuchungsrichters deren Vollzug grundsätzlich nicht hemmt. Angesichts dieser Bestimmung hätte der Standpunkt der Ratskammer zur Folge, daß in einer Vielzahl von Fällen Beschwerden gegen bereits durchgeführte Verfügungen des Untersuchungsrichters als "gegenstandslos" betrachtet werden müßten und die Ratskammer ihrer Funktion als Aufsichtsorgan über Voruntersuchungen und Vorerhebungen (§ 12 Abs. 1 StPO) weitgehend entkleidet würde.

Demnach war die von der Ratskammer angeschnittene Frage eines Feststellungsbeschlusses über die Gesetzmäßigkeit der Hausdurchsuchung gar nicht aktuell.

Bei ihrer Berufung auf eine Lehrmeinung (Roeder, Lehrbuch des österreichischen Strafverfahrensrechtes2, 179) unterlief der Ratskammer im übrigen ein Mißverständnis: Die zitierte Passage über die Beseitigung der Auswirkungen einer entstandenen Gesetzwidrigkeit bezieht sich auf eine nicht in Beschwerde gezogene Gesetzwidrigkeit, die von der Ratskammer aus Anlaß einer in andere Richtung zielenden Beschwerde wahrzunehmen ist.

Da das Strafverfahren gegen Gerold M***** wegen des Verdachtes des Verbrechens der Verleumdung schon vor geraumer Zeit eingestellt wurde und nach den Umständen des Falles ein auf die prozessuale Unterlassung der Ratskammer zurückgehender und derzeit bestehender Nachteil für den Genannten auszuschließen ist, kann es mit der Feststellung der unterlaufenen Gesetzesverletzung das Bewenden haben.

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