15Os125/91-44 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sonntag als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Friedrich Wilhelm K***** wegen des Finanzvergehens der teils vollendeten, teils versuchten Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 und 2 lit a sowie § 13 FinStrG, AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über den Antrag des Dr. Friedrich Wilhelm K***** auf Wiederaufnahme des Verfahrens über die vom Generalprokurator eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, AZ 15 Os 125 bis 127/91 des Obersten Gerichtshofes, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Mit dem Urteil vom 5. Dezember 1991, GZ 15 Os 125 bis 127/91-30, hat der Oberste Gerichtshof über eine vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde betreffend die Unterlassung der Erledigung eines Antrages des Angeklagten auf Anordnung der stenographischen Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge der nächsten Hauptverhandlung und die Verhängung einer Ordnungsstrafe über den Angeklagten im Verfahren AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien entschieden.
In einem am 3. März 1992 beim Obersten Gerichtshof eingelangten Schriftsatz beantragt der Angeklagte die Wiederaufnahme des Verfahrens über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit dem Vorbringen, dem Obersten Gerichtshof sei die im genannten Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingebrachte Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 5. Dezember 1986, GZ 27 d St 77.828/86-17, nicht zur Verfügung gestanden; aus deren Inhalt ergäbe sich, daß der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO vorliege, weil hinsichtlich eines Teils der als Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und 2 lit a sowie § 13 FinStrG angeklagten Taten die 10 Jahre betragende absolute Verjährungsfrist abgelaufen sei, weshalb der Oberste Gerichtshof aus Anlaß der Wahrungsbeschwerde unter Anwendung des § 290 StPO insoweit mit einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO und im übrigen mit einem Freispruch (wegen Unzuständigkeit der Gerichte) gemäß § 214 FinStrG vorzugehen gehabt hätte. Eine Ausfertigung der genannten Anklageschrift wurde mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegt.
Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.
Der Oberste Gerichtshof hätte nämlich, selbst wenn ihm die erwähnte Anklageschrift vorgelegen wäre, die vom Angeklagten angestrebte Entscheidung nicht treffen können.
Gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO hat der Oberste Gerichtshof, wenn er sich aus Anlaß einer von wem immer ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde (u.a.) überzeugt, daß zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden sei (§ 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO), von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der in Frage kommende Nichtigkeitsgrund geltend gemacht worden. Eine solche Maßnahme setzt die Verwirklichung eines der genannten Nichtigkeitsgründe durch einen "Ausspruch" (Z 9, 11) oder eine "Entscheidung" (Z 10) eines Gerichtes voraus. Demgemäß ging der Oberste Gerichtshof mit einer Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO aus Anlaß einer vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde in den vom Angeklagten angeführten Entscheidungen AZ 15 Os 130/88 und 11 Os 203/85 - und den bei Mayerhofer-Rieder StPO3 E 20 zu § 290 zitierten weiteren Entscheidungen - jeweils in bezug auf jene Urteile vor, die mit der Wahrungsbeschwerde bekämpft worden waren.
Eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hingegen unterliegt nicht einer Anfechtung durch eine Nichtigkeitsbeschwerde; sie kann nicht mit einem der im § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bezeichneten Nichtigkeitsgründe behaftet sein und ist im übrigen auch einer Anfechtung gemäß § 33 Abs 2 StPO entzogen.
Eine die Anklage erledigende Entscheidung eines Gerichtes, die zum Nachteil des Angeklagten mit materiellrechtlicher Nichtigkeit behaftet wäre und in bezug auf welche aus Anlaß der Entscheidung über die Wahrungsbeschwerde eine Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO hätte getroffen werden können, ist im Verfahren AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nach dem Vorbringen des Angeklagten nicht ergangen; das Verfahren befindet sich vielmehr auch nach dem Vorbringen des Angeklagten - nach wie vor - im Stadium der Hauptverhandlung.
Dem Wiederaufnahmsantrag war somit schon deshalb ein Erfolg zu versagen, ohne daß noch auf die darin aufgeworfene Verjährungsfrage einzugehen gewesen wäre. Zu deren Prüfung wird jedoch unter einem eine Kopie des Antrages der Oberstaatsanwaltschaft Wien zugeleitet (§ 3 StPO).