14Os18/92-6 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17.März 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Dr. Kuch, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sonntag als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jiri L***** und Jan B***** wegen des Verbrechens des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß im Verfahren 1 a E Vr 999/90 des Jugendgerichtshofes Wien Verteidiger erst nach der Durchführung von Verfolgungshandlungen durch den Untersuchungsrichter bestellt und gerichtlichen Vernehmungen kein beeideter Dolmetsch für die tschechische Sprache zugezogen wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann und des Verteidigers Dr. Rieß, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Jiri L***** und Jan B***** wegen des Verbrechens nach § 277 Abs 1 StGB, AZ 1 a E Vr 999/90 des Jugendgerichtshofes Wien, wurde das Gesetz verletzt a/ durch den Vorgang, daß der Untersuchungsrichter die Beigebung von Verteidigern nach § 41 Abs 2 StPO erst am 20.August 1990 beschloß, obwohl er bereits seit 14.August 1990 Verfolgungshandlungen gesetzt hatte, in der Bestimmung des § 39 Abs 1 Z 1 JGG,
b/ durch die Unterlassung der Zuziehung eines beeideten Dolmetschers für die tschechische Sprache zu den am 14. August 1990 mit Jiri L***** und am 16.August 1990 mit beiden Beschuldigten durchgeführten Vernehmungen in der Bestimmung des § 198 Abs 3 StPO iVm § 163 erster Satz StPO.
Text
Gründe:
Die jugendlichen tschechoslowakischen Staatsangehörigen Jiri L*****, geboren am 6.August 1972, und Jan B*****, geboren am 2. April 1975, wurden mit Urteil des Einzelrichters des Jugendgerichtshofes Wien vom 20.September 1990, GZ 1 a E Vr 999/90-50, wegen des Verbrechens des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs 1 StGB zu Freiheitsstrafen (und zwar Jiri L***** von acht Monaten und Jan B***** zu sechs Monaten) verurteilt, die gemäß § 43 StGB für Probezeiten von je drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Die bis zum Urteilszeitpunkt fortdauernde Vorhaft wurde auf diese Strafen angerechnet. Unmittelbar nach Urteilsfällung wurden beide gegen das Gelöbnis nach § 180 Abs 5 Z 1 StPO und einer Sicherheit in Höhe von je 15.000 S enthaftet (AS 314).
Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 21.Februar 1991, AZ 24 Bs 252/90, wurde den Berufungen beider Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld sowie der Strafberufung des Angeklagten L***** nicht, der Strafberufung des Jan B***** hingegen dahin Folge gegeben, daß sein Strafausmaß auf (gleichfalls) sechs Monate herabgesetzt wurde (ON 68).
Jiri L***** und Jan B***** waren am 13.August 1990 in Wien zunächst wegen des Verdachtes des versuchten Bankraubes in polizeiliche Verwahrungshaft genommen worden. L***** wurde am 13. August 1990 ins Inquisitenspital, B***** am 15.August 1990 in das Gefangenenhaus des Jugendgerichtshofes Wien eingeliefert.
In dem bei diesem Gericht unter AZ 11 d Vr 999/90 gegen beide Beschuldigten wegen des Verbrechens nach § 277 Abs 1 StGB anhängigen Verfahren wurde L***** erstmals am 14.August 1990 vom Untersuchungsrichter zur Sache vernommen. Er widerrief dabei das vor der Polizei abgelegte Geständnis in Richtung eines Raubkomplottes (AS 57 f.). Zugleich wurde ihm die Anordnung der Verwahrungshaft gemäß § 175 Abs 1 Z 2 und 4 StPO zur Kenntnis gebracht (AS 93 f). Bei der nächsten Vernehmung am 16.August 1990 nahm er die Einleitung der Voruntersuchung wegen § 277 Abs 1 StGB und die Verhängung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 2 Z 1 StGB jeweils unter Rechtsmittelverzicht zur Kenntnis (AS 93 a ff). Dieser richterlichen Vernehmung wurde wie auch der erstmaligen Vernehmung des Beschuldigten Jan B***** am 16. August 1990, bei welcher auch dieser auf Rechtsmittel gegen die Einleitung der Voruntersuchung und die Verhängung der Untersuchungshaft verzichtete (AS 101 ff), Anna M***** als Dolmetscherin für die tschechische Sprache beigezogen. Eine Beeidigung dieser Dolmetscherin, die zu dieser Zeit in den von den Präsidenten der vier Oberlandesgerichte gemäß § 14 iVm § 7 des Bundesgesetzes vom 19.Februar 1975, BGBl 137, geführten Verzeichnissen nicht aufschien, ist nicht aktenkundig (siehe den Aktenvermerk der Generalprokuratur vom 13.Jänner 1992).
Obwohl bereits am 14.August 1990 die erste Verfolgungshandlung gesetzt und am 16.August 1990 gegen beide Beschuldigten die Voruntersuchung eingeleitet und die Untersuchungshaft verhängt worden war, wurde erst am 20.August 1990 die Beigebung von Verteidigern nach § 41 Abs 2 StPO beschlossen (AS 2 a). Die mit den Bescheiden des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer vom 22. August 1990 bestellten Verteidiger erlangten hievon erst durch die Bescheidzustellung jeweils am 27.August 1990 Kenntnis und waren daher vor diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, den jugendlichen Beschuldigten beizustehen (ON 24 und 25). Indessen war dem Jugendgerichtshof Wien allerdings bereits am 24. August 1990 die Bevollmächtigung eines anderen Rechtsanwaltes als Verteidiger des Beschuldigten B***** (durch dessen Vater als gesetzlichen Vertreter) bekanntgegeben worden (ON 21). In der Folge wurde auch der Angeklagte L***** durch einen Wahlverteidiger vertreten (ON 29).
Rechtliche Beurteilung
Das Vorgehen des Untersuchungsrichters des Jugendgerichtshofes Wien verletzt, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, in mehrfacher Hinsicht das Gesetz.
Nach § 39 Abs 1 Z 1 JGG 1988 (vgl auch § 38 Abs 1 Z 1 JGG 1961, § 34 Abs 1 Z 1 JGG 1949) muß einem jugendlichen Beschuldigten, wenn für seine Verteidigung nicht anderweitig gesorgt ist, von Amts wegen ein Verteidiger, wenn aber die Verpflichtung zur Zahlung der Verteidigungskosten sein Fortkommen erschweren würde oder die Voraussetzungen des § 41 Abs 2 StPO vorliegen, nach dieser Gesetzesstelle im Verfahren vor den Gerichtshöfen und den Geschworenengerichten ein Verteidiger für das gesamte Verfahren beigegeben werden. In einem solchen Falle notwendiger Verteidigung ist daher dem Jugendlichen grundsätzlich schon anläßlich der ersten Verfolgungshandlung des Gerichtes ein Verteidiger beizugeben (Anm 4 zu § 39 Abs 1 JGG in Jesionek-Held Juridica Kurzkomm; vgl Punkt XVII. des Einführungserlasses zum Jugendgerichtsgesetz 1988, JABl 1989/1). Der Grund hiefür liegt darin, daß der zu bestellende Verteidiger dem Jugendlichen auch bei der allfälligen Bekämpfung einer verhängten Untersuchungshaft sowie bei der Sammlung von Entlastungsmaterial bereits möglichst früh beistehen soll (vgl Heidrich-Zastiera, JGG 1961, Anm 1 zu § 38 JGG 1961). Dieser Vorschrift, der im Falle einer Haft besondere Bedeutung zukommt (vgl hiezu die allgemeine Bestimmung des § 182 StPO), wurde dadurch, daß die Verteidiger erst rund zwei Wochen nach der Einlieferung der Beschuldigten in gerichtliche Haft Kenntnis von ihrer Bestellung erlangten (mag für B***** zwischenzeitig, aber auch erst am 24.August 1990 ein Wahlverteidiger eingeschritten sein - ON 21), nicht genügt.
Darüberhinaus wurde am 14. und am 16.August 1990 die gemäß § 198 Abs 3 StPO bei Vernehmung der Gerichtssprache nicht kundiger Beschuldigter einzuhaltende Vorschrift des § 163, erster Satz, StPO verletzt, wonach ein Dolmetsch zuzuziehen ist, wenn nicht sowohl der Untersuchungsrichter als auch der Schriftführer der fremden Sprache mächtig sind. Unter einem Dolmetsch im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nur ein beeideter Dolmetscher zu verstehen (EvBl 1964/259). Dies ergibt sich aus der gemäß § 14 des Bundesgesetzes vom 19.Feber 1975, BGBl 137, auch für den Dolmetscher sinngemäß geltenden Bestimmung des § 5 Abs 2 SVDolmG, wonach die besondere Ablegung des Eides bei der Tätigkeit vor Gerichten dann entfallen kann, wenn der Sachverständige (hier: Dolmetscher) den gemäß § 5 Abs 1 leg.cit. vor der Eintragung in die Liste der allgemein beeideten Sachverständigen (Dolmetscher) zu leistenden Eid abgelegt hat. Dies geht ferner auch aus der Erwähnung der Beeidigung der Dolmetsche in §§ 100 und 164 StPO hervor.
Die in die Verzeichnisse der allgemein beeideten gerichtlichen Dolmetscher nicht aufgenommene Anna M***** hätte daher anläßlich ihrer Heranziehung für die Vernehmung der jugendlichen Beschuldigten beeidet werden müssen. Dies ist nach der Aktenlage unterblieben. Die Beschuldigten, die jeweils nur bei einer einzigen (übrigens gleichfalls ohne Heranziehung eines allgemein beeideten gerichtlichen Dolmetschers durchgeführten) polizeilichen Vernehmung geständig waren (AS 57 f, 73 f), wurden erstmals bei Fortsetzung ihrer Vernehmungen am 20.August 1990 unter Beiziehung einer im Verzeichnis des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien eingetragenen, sohin allgemein beeideten Dolmetscherin vernommen (in der Folge wurden nur mehr Dolmetscher verwendet, die in diesem Verzeichnis aufscheinen).
Die zum Nachteil der Verurteilten erfolgten Gesetzesverletzungen waren demnach wie im Spruch festzustellen.