15Os4/92 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Februar 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ingrid G***** wegen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17.Oktober 1991, GZ 6 Vr 633/91-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ingrid G***** des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie am 3.März 1991 in Bad Gleichenberg ihr Kind, solange sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stand, dadurch getötet, daß sie es unmittelbar nach der Geburt durch Ertränken erstickte.
Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 10 StPO gestützt wird.
Rechtliche Beurteilung
Die Mängelrüge (Z 5) behauptet das Vorliegen keiner und nur offenbar unzureichender Gründe in Ansehung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Das Erstgericht habe sich mit den inneren Vorgängen nicht auseinandergesetzt und ein absichtliches Handeln der Angeklagten angenommen, ohne dies zu begründen; angesichts der vom Sachverständigen Dr. ZIGEUNER dargelegten psychischen Situation der Angeklagten sei es denkunmöglich, daß sie, wie dies das Gericht konstatiere, die Tötung des Kindes plante oder überhaupt einen Entschluß, das Kind zu töten, faßte; auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen sei auszuschließen, daß bei der Angeklagten "ein Tötungswille und eine Tötungsabsicht jemals bestanden hat", sie habe sich vielmehr "nicht vom Willen umfaßten Reaktionen" hingegeben.
Die Rüge versagt.
Zunächst ist festzuhalten, daß der subjektive Tatbestand des Verbrechens nach § 79 StGB keineswegs Absichtlichkeit in der Bedeutung des § 5 Abs. 2 StGB erfordert; es genügt hiefür jede Vorsatzform und demnach auch bedingter Vorsatz. Das Erstgericht hat auch nicht auf ein absichtliches Handeln (iS § 5 Abs. 2 StGB) abgestellt. Es hat mit dem Wort "Absicht" auf US 2 verso ersichtlich nur, wenngleich mißverständlich, den Entschluß zur Tat umschrieben, wie sich aus dem Zusammenhang mit dem unmittelbar vorangehenden Satz ergibt. Das gilt gleichermaßen auch für das Wort "Tötungsabsicht" auf US 4; ergibt sich doch aus den vorangestellten Sätzen, daß das Gericht von einem Handeln mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz ausgeht und daher auch hier nicht Absicht iS § 5 Abs. 2 StGB annimmt. Soweit die Beschwerde daher eine Begründung für ein absichtliches Handeln vermißt, geht sie schon deshalb fehl.
Dem weiteren Vorbringen in der Mängelrüge zuwider ist dem Gutachten des Sachverständigen Dr. ZIGEUNER in keiner Weise zu entnehmen, die Angeklagte sei im Tatzeitpunkt zu einem vom Willen beherrschbaren Verhalten unfähig und demnach - worauf die Beschwerde ersichtlich abzielt - strafrechtlich handlungsunfähig gewesen. Daß es sich bei der Tat um "nicht vom Willen umfaßte Reaktionen" gehandelt habe, findet demnach in den Verfahrensergebnissen keine Deckung.
Die Feststellung hinwieder, daß die Angeklagte ihr Kind unmittelbar nach der Geburt vorsätzlich getötet hat, indem sie bei ihrem Handeln diesen Erfolg zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat (US 3 verso unten/4 oben), ist formal mängelfei begründet (US 4/4 verso). Entgegen den Beschwerdeausführungen ist das Erstgericht nicht davon ausgegangen, daß die Tötung des Kindes schon längere Zeit vor der Geburt geplant gewesen sei, sondern vielmehr davon, daß die Angeklagte den Entschluß zur Tötung erst nach der Geburt (unter der Einwirkung des Geburtsvorganges) gefaßt hat (US 2 verso, 3 verso), wobei sie, wie der Sachverständige Dr. ZIGEUNER darlegte (und was auch die Beschwerde an sich nicht verkennt), in diesem Zeitpunkt (bei allerdings beträchtlich verminderter Steuerungsfähigkeit) zurechnungsfähig gewesen ist. Damit kann aber auch keine Rede davon sein, das Gericht habe das Gutachten zwar zitiert, es aber - wie die Beschwerde
vermeint - offensichtlich nicht verstanden oder nicht verstehen wollen.
In der Tatsachenrüge (Z 5 a) bezieht sich die Beschwerdeführerin im wesentlichen auf ihre Ausführungen in der Mängelrüge. Weder damit noch mit den ergänzenden Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 a des § 281 Abs. 1 StPO vermag sie sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über ihre Schuld mit Beziehung auf die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands des § 79 StGB zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) gelangt nicht zur prozeßordnungsgemäßen Ausführung, weil die Nichtigkeitsbeschwerde nicht den im Urteil festgestellten Sachverhalt mit dem darauf angewendeten Strafgesetz vergleicht. Indem die Beschwerdeführerin den ihr angelasteten Tötungsvorsatz in Abrede stellt und allenfalls (verbis: "wenn überhaupt") die rechtliche Beurteilung ihres Verhaltens als Vergehen nach § 80 StGB anstrebt, übergeht sie die Urteilsfeststellung, daß sie den Entschluß faßte, das Kind zu töten, in dieser "Absicht" den Knaben erfaßte und dessen Kopf solange im gefüllten Wasserbecken untertauchte, bis das Kind kein Lebenszeichen mehr von sich gab (US 2 f), was sie ernstlich für möglich hielt und womit sie sich abgefunden hat (US 3 f); sie bringt solcherart den geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrund, dessen gesetzmäßige Ausführung stets ein Festhalten an der Gesamtheit der Urteilskonstatierungen erfordert, nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, § 285 d Abs. 1 Z 1 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO).
Zur Entscheidung über die Berufung ist demnach der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig (§ 285 i StPO).