6Ob591/91 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Karl Ludwig Vavrovsky und Dr. Ingrid Stöger, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei STADTGEMEINDE *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 379.074,88 S samt Nebenforderungen und Feststellung (Teilstreitwert 300.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 23. April 1991, AZ 3 R 69/91(ON 14), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19. Dezember 1990, GZ 10 Cg 177/90-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht stattgegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 18.552,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 3.258,75 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Eine Abfallentsorgungsgesellschaft und eine salzburgische Stadtgemeinde schlossen im Juni 1976 einen langfristig unkündbaren Müllabnahmevertrag. Mit diesem verpflichtete sich die Gemeinde, den nach dem Salzburger Müllabfallgesetz anfallenden Haus- und Sperrmüll mit Ausnahme von Autowracks der Entsorgungsgesellschaft auszufolgen und zu übergeben, diese dagegen, diesen Müll zu übernehmen und einer bestimmten Müllverwertungsanlage zuzuführen. Je Entleerung einer 90 l-Mülltonne (bei einem zugrundegelegten spezifischen Müllgewicht von 150 kg/m2) wurde ein von der Gemeinde an die Gesellschaft zu entrichtendes nach dem Verbraucherpreisindex 1966 wertgesichertes Entgelt von 3 S zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart. Die Wertsicherungsklausel enthält einen Schwellwert von 5 %. Die Gemeinde verpflichtete sich nur Müll aus den zur Verrechnung gelangenden Gefäßen zu übergeben. Das Entgelt für die Übernahme von Sperrmüll sollte jeweils vom Aufsichtsrat der Gesellschaft, einer GesmbH, mit einem für die Gemeinde verbindlichen Betrag festgelegt werden. Das von der Gemeinde geschuldete Entgelt sollte zum Ende eines jeden Kalendervierteljahres anhand der im Abrechnungszeitraum erfolgten Entleerungen abgerechnet und allmonatlich zum 10. von der Gemeinde akontiert werden. Beide Vertragsteile erklärten ausdrücklich, auf eine Anfechtung wegen allfälliger Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes zu verzichten.
Nach dem Wirksamwerden der Beitragspflicht nach dem Altlastensanierungsgesetz BGBl 1989/299 (idF: ALSAG) begehrte die Entsorgungsgesellschaft die volle Überwälzung der von ihr nunmehr zu kalkulierenden Abgabe von 40 S je deponierter Tonne Abfalls (iS des § 6 Z 2 ALSAG) auf die Gemeinde im Wege der Vertragsanpassung.
Die Gemeinde bestritt die Voraussetzungen für die von der Gesellschaft geforderte Entgelterhöhung.
Die Entsorgungsgesellschaft forderte hierauf klageweise von der Gemeinde einen Betrag von 379.074,88 S samt staffelweise berechneter Zinsen als Erhöhungsansteil der in sechs Rechnungen aus der Zeit zwischen 31. Januar und 31. März 1990 vorgeschriebenen Entgeltbeträge und stellte darüber hinaus das Begehren auf Feststellung, daß die Gemeinde ihr die künftig fällig werdenden Altlastenbeiträge von nicht gefährlichem Müll in der jeweiligen gesetzlichen Höhe laut ALSAG zuzüglich Umsatzsteuer in der gesetzlichen Höhe für den von der Gemeinde übernommenen Müll neben dem Entgelt laut Müllabnahmevertrag vom Juni 1976 zu bezahlen habe.
Das von der Gemeinde an die Entsorgungsgesellschaft für die Entleerung eines 90-l-Müllgefäßes vertragsgemäß aufgewertete Entgelt beträgt derzeit 5,05 S.
Die Gesellschaft behauptete einen auf ein zu entleerendes Abfallgefäß (nach dem von ihr nach der Bearbeitung des Mülls zu deponierenden Müllrest) anteilig zu kalkulierenden Betrag von 0,22 S, somit eine zusätzliche Belastung im Ausmaß von 4,36 % des vereinbarten Entgelts.
Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Dazu sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.
In rechtlicher Beurteilung befand das Prozeßgericht erster Instanz, daß entgegen dem Prozeßstandpunkt der Klägerin in Ansehung der Einführung von Beiträgen nach dem ALSAG keine durch Vertragsergänzung zu schließende Regelungslücke vorläge, weil beiden Parteien des 1976 geschlossenen Müllabnahmevertrages bei Vertragsabschluß die Zielvorstellung zurechenbar sei, daß der Gemeinde durch die Errichtung und den Betrieb der Müllbeseitigungsanlage keine Kosten erwachsen sollten, das heißt, daß im Zusammenhang mit der Müllbeseitigung im Bereich der Klägerin auflaufende Kosten nicht zu Lasten der Gemeinde gehen sollten. Entgegen dem Prozeßstandpunkt der Klägerin berühre die Einführung von Beiträgen nach dem ALSAG auch nicht die Geschäftsgrundlage des Müllabnahmevertrages, weil als Beitragsschuldner der neu eingeführten gesetzlichen Abgabe ausschließlich der Deponiebetreiber genannt ist und diese Belastung daher ausschließlich in die Risikosphäre der Klägerin falle, für die die Einführung einer solchen Abgabe bei Vertragsschluß nicht unvorhersehbar gewesen wäre. Daß der von der Klägerin vertraglich zu übernehmende Müll (teilweise) deponiert werde, läge im übrigen außerhalb der Vertragspflichten.
Das Berufungsgericht trat in seiner rechtlichen Würdigung der erstrichterlichen Beurteilung bei, daß keine durch Vertragsergänzung zu schließende Regelungslücke vorliege, weil die Vertragsteile den Fall einer Änderung der Kostenbelastung der Klägerin im Laufe der langjährigen Vertragsdauer nicht unbedacht gelassen, sondern ihn vielmehr durch die Vereinbarung einer Wertsicherung des von der Gemeinde zu leistenden Entgeltes berücksichtigt hätten. Selbst nach dem - von der Beklagten bestrittenen - Ausmaß der kalkulatorisch anzusetzenden Belastung je Entleerung eines 90-l-Müllgefäßes mit 22 Groschen bliebe die zusätzliche Belastung durch Beiträge nach § 6 ALSAG unter der Erheblichkeitsgrenze. Bei einer (von der Klägerin gar nicht schlüssig behaupteten und erwiesenen) Unzumutbarkeit einer Aufrechterhaltung des langfristigen, aber schon mehr als die Hälfte der Unkündbarkeitsfrist erfüllten Vertrages käme nur eine vorzeitige Vertragsauflösung in Betracht, mangels einer solchen Unzumutbarkeit aber weder diese noch die von der Klägerin angestrebte Entgelterhöhung.
Das Berufungsgericht trat auch der erstrichterlichen Auffassung bei, daß die Voraussetzungen für die Annahme eines Wegfalls der Geschäftsgrundlagen des Müllabnahmevertrages nicht anzunehmen seien. Auch in diesem Zusammenhang hob das Berufungsgericht das nach dem Standpunkt der Klägerin unter 4,5 % des vereinbarten Entgeltes bleibende Ausmaß der durch die neue Abgabe bewirkten Mehrbelastung der Klägerin hervor.
Die Klägerin ficht das bestätigende Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit einem Abänderungsantrage im Sinne ihrer Klagebegehren und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Die Beklagte erachtet die Revisionszulässigkeitsvoraussetzung nach § 502 Abs 1 ZPO als nicht gegeben und strebt im übrigen die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Die Revision ist zulässig, weil über eine Anwendung der von Lehre und Rechtsprechung abgeleiteten und nicht unmittelbar positiv gesetzlich geregelten Rechtsinstitute der ergänzenden Vertragsauslegung und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu entscheiden ist, die für zahlreiche gleichgelagerte Vertragsfälle von Bedeutung ist.
Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Die Abfallbeseitigungsgesellschaft hat sich gegenüber der Gemeinde in einem langjährig unkündbaren Vertrag zur Abnahme näher umschriebenen Mülls gegen ein nicht von der tatsächlich angelieferten Müllmenge, sondern von der Zahl der zu entleerenden Sammelgefäße abhängiges und nach dem Verbraucherpreisindex 1966 wertgesichertes Entgelt verpflichtet. Nach der Vereinbarung der Anlieferung zu einer bestimmten, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erst zu errichtenden Müllverarbeitungsanlage mit einer vertraglich festgehaltenen Kompostierungskapazität galt unzweifelhaft als unterstellt, daß die Klägerin den von ihr zu übernehmenden Müll einer Behandlung zur Wiedergewinnung verwertbarer Stoffe zuführen werde, aber ebenso darüber hinaus, auch ohne ausdrücklichen vertraglichen Anknüpfungspunkt, daß die Klägerin für die gesetzmäßige Behandlung des nach der Bearbeitung verbliebenen nicht verwertbaren Restes, also insbesondere für eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Deponierung sorgen werde müssen. Die Wiedergewinnung von weiterverwertbaren Stoffen und die Lagerung des danach verbleibenden Müllrestes lag allerdings in dem von der Klägerin technisch zu gestaltenden und wirtschaftlich zu kalkulierenden Bereich. Die Kalkulation der Klägerin wurde nicht zur aufgedeckten Vertragsgrundlage. Daß das Entgelt unter Bedachtnahme auf die Erträgnisse aus der Wiedergewinnung von weiterverwertbaren Stoffen im langjährigen Durchschnitt zumindest kostendeckend sein sollte, darf nach der beiderseitigen Interessenlage der Vertragspartner unterstellt werden. Die nach mehr als zehnjähriger Laufzeit eingeführte neue Abgabe auf die Deponierung von Abfällen für den Betreiber einer Deponie bedeutet für die Klägerin wirtschaftlich einen zusätzlichen Kostenfaktor. Daß dieser eine Aufrechterhaltung des Müllabnahmevertrages bis zu dessen nächstmöglicher Aufhebung durch ordentliche Kündigung für die Klägerin wegen Existenzgefährdung unzumutbar machte, hat die Klägerin weder behauptet noch konkret dargetan. Dafür sprechende Umstände wurden auch nicht festgestellt.
Welches Mindestausmaß von Kostensteigerungen aber die Klägerin erst berechtigten könnte, eine Anpassung des vertraglich festgelegten Entgeltes oder eine vorzeitige Auflösung des Vertrages zu begehren, ist im konkreten Vertragsfall aufgrund von zwei Vertragsregelungen abzugrenzen: Einerseits vereinbarten die Vertragsteile für die Anwendung der Wertsicherungsklausel einen Schwellwert von 5 %, andererseits erklärten die Vertragsteile in dem vor Erlassung des Konsumentenschutzgesetzes geschlossenen Vertrag einen Verzicht auf den Rechtsbehelf des § 934 ABGB. Der Anfechtungsverzicht rechtfertigt die Vertragsauslegung, daß das vertraglich bestimmte Entgelt selbst bei größeren objektiven Äquivalenzstörungen unverändert bleiben sollte; der zur Wertsicherung vereinbarte Schwellwert legt den Vertragswillen nahe, daß jedenfalls Wertverschiebungen in einem 5 % nicht übersteigenden Ausmaß für die Entgeltfestsetzung unerheblich bleiben sollten.
Diese beiden konkreten Vertragsregelungen lassen mangels eines festgestellten realen gegenteiligen Parteiwillens das Vertragsgesamtkonzept erkennen, den Bestand der Vertragsbeziehung und die Hauptleistungen ungeachtet von Kostensteigerungen, wie sie die Klägerin zum Anlaß ihres Klagebegehrens genommen hat, unverändert zu lassen.
Daran muß das Entgelterhöhungsbegehren der Klägerin scheitern.
Der Revision war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.