9ObA603/90 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.phil.Eberhard Piso und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider den Antragsgegner Ö*** G*** für die Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten, Wien 1., Biberstraße 5, über die gemäß § 54 Abs. 2 ASGG gestellten Feststellungsanträge in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Anträge
1. es werde festgestellt, daß die Antragstellerin berechtigt sei, auch von Bediensteten, die vor dem 10.10.1989 aus dem Dienstverhältnis zur Antragstellerin beim Bundesamt für Zivilluftfahrt ausgeschieden sind, die Beiträge zum Altersversorgungszuschuß in der im 36. Nachtrag zum Kollektivvertrag vereinbarten Höhe nachzufordern, und
2. es werde festgestellt, daß ehemaligen Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, denen trotz geleisteter Beiträge zum Altersversorgungszuschuß kein Anspruch auf Altersversorgungszuschuß nach Beendigung des Dienstverhältnisses zum Bundesamt für Zivilluftfahrt zusteht, ein Anspruch auf Rückvergütung der von ihnen kollektivvertragsmäßig geleisteten Beträge zum Altersversorgungszuschuß nicht zukomme,
werden abgewiesen.
Text
Begründung:
Die antragstellende Partei ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft öffentlichen Rechts gemäß § 7 ArbVG. Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer im Sinn des § 4 Abs 2 ArbVG. Beide Parteien sind daher im Sinn des § 54 Abs 2 1. Satz ASGG als Parteien des gegenständlichen besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.
Der Antragsteller führt zur Begründung seiner aus dem Spruch ersichtlichen Feststellungsanträge aus, am 1. Dezember 1967 sei zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Unternehmungen namens der Republik Österreich einerseits und dem Antragsgegner andererseits ein Kollektivvertrag abgeschlossen worden. Dieser Kollektivvertrag gelte für alle Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, die nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. Mit einem am 23. Juni 1987 abgeschlossenen 33. Nachtrag zum Kollektivvertrag für die Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt sei als Teil 2 des Kollektivvertrages der Altersversorgungszuschuß eingeführt worden. Der 33. Nachtrag sei rückwirkend am 1. Jänner 1986 in Kraft getreten. Nach den Bestimmungen des Art I Abs 1 des Teils 2 des Kollektivvertrages erwerben Bedienstete, auf die Teil 1 des Kollektivvertrages für die beim Bundesamt für Zivilluftfahrt beschäftigten Bediensteten anzuwenden sei, und die 1. eine nach Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegte, nach dem 1. Teil des Kollektivvertrages anrechenbare Dienstzeit von 10 Jahren aufweisen und 2. a) an einer Flugsicherungsstelle Dienst versehen oder
b) Maßnahmen im Sinn des § 119 LFG in der Zentrale des Bundesamtes für Zivilluftfahrt setzen, eine Anwartschaft auf den Altersversorgungszuschuß. Grundlage der Ermittlung des Altersversorgungszuschusses seien 1. das vor dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis zuletzt bezogene monatliche Bruttogehalt nach Anhang 1 des Teiles 1 des Kollektivvertrages und 2. die Bemessungszeit, die sich aus der Zeit des Dienstverhältnisses zum Bundesamt für Zivilluftfahrt und sonstigen anzurechnenden Zeiten zusammensetze. Gemäß Art VI des 2. Teiles des Kollektivvertrages habe der Bedienstete neben seinem Beitrag zur gesetzlichen Pensionsversicherung einen zusätzlichen Beitrag sowie einen Beitrag von jeder Sonderzahlung von jenem Teil des monatlichen Bruttogehaltes zu entrichten, der über der jeweils geltenden Höchstbeitragsgrundlage in der Pensionsversicherung nach dem ASVG liege. Der zusätzliche Beitrag habe ab dem 1.1.1986 eine Höhe von 3,26 %, ab 1.1.1987 eine Höhe von 3,45 % der Beitragsgrundlage gemäß Abs 1 betragen. Art IX habe nachstehenden Wortlaut:
VI. Beiträge
Rechtliche Beurteilung
Die Anträge sind nicht berechtigt.
Gemäß § 2 Abs 2 ArbVG können durch Kollektivvertrag (die anderen in dieser Norm genannten Fälle kommen hier nicht in Betracht) die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Z 2) und die Änderung kollektivvertraglicher Rechtsansprüche gemäß Z 2 der aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer (Z 3) geregelt werden. Der normative Teil des Kollektivvertrages ist ein Gesetz im materiellen Sinn, wirkt ebenso wie ein Gesetz im formellen Sinn auf den Arbeitsvertrag gestaltend ein und bestimmt dessen Inhalt mit, soweit sein Regelungsziel die rein vertraglichen Rechte und Pflichten der Parteien des Einzelarbeitsvertrages betrifft (Arb 9639). Die Wirkung des Kollektivvertrages erstreckt sich auf Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt seines Abschlusses bereits bestehen (durch Einwirkung und gestaltende Veränderung des bisherigen Vertragsinhaltes) sowie auf die während seiner Geltungsdauer künftig abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse. Für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer besteht eine Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner lediglich im Rahmen des § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG. Mit "Änderung kollektivvertraglicher Rechtsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedener Arbeitnehmer" sind Fälle gemeint, in denen der Arbeitnehmer aus früheren Arbeitsverhältnissen Rechtsansprüche gegen den (früheren) Arbeitgeber besitzt. Diese Rechtsansprüche müssen, damit die Regelungsmacht gemäß § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG gegeben ist, auf Kollektivvertrag beruhen, und zwar muß es sich um Bestimmungen im Sinn des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG handeln. Sie müssen also gemäß § 11 Abs 1 ArbVG für den Arbeitsvertrag unmittelbar verbindlich geworden sein. Ob der Arbeitnehmer mittlerweile in einem anderen Arbeitsverhältnis steht oder arbeitslos oder pensioniert ist, ist unentscheidend. Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis aufgelöst ist, der aber aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses weitere Ansprüche gegen seinen früheren Arbeitgeber hat, ist mit diesem noch rechtlich verknüpft. Diese Verknüpfung wird in der Regel kein Arbeitsverhältnis (auch kein abgeschwächtes) mehr sein. Die Qualifizierung dieser Rechtsbeziehung ist auch von untergeordneter Bedeutung. Am ehesten wird man von Nachwirkungen des Arbeitsverhältnisses sprechen können. Insoweit die Kollektivvertragspartner auf diese einwirken können, bedeutet dies, daß ihnen die Macht eingeräumt ist, auch auf andere Arten von Rechtsbeziehungen, als es Arbeitsverhältnisse sind, regelnd mit der Wirkung des § 11 Abs 1 ArbVG einzuwirken. Die Beschränkung auf kollektivvertragliche Ansprüche bedeutet, grob gesprochen, daß Kollektivvertragspartner das, was sie einmal gegeben haben, auch wieder nehmen können. Einzige Schranke dieser Eingriffe bilden die guten Sitten (Strasser in Floretta-Strasser, ArbVG Handbuch, 28).
Im vorliegenden Fall begehrt die antragstellende Partei die Feststellung, daß sie berechtigt sei, von Bediensteten, die bereits vor Abschluß des Kollektivvertrages (10.10.1989) aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden waren, die mit diesem Kollektivvertrag festgelegten Beiträge zum Altersversorgungszuschuß rückwirkend nachzufordern. Es kann unerörtert bleiben, ob ein solcher Nachforderungsanspruch durch den Wortlaut des Kollektivvertrages gedeckt ist. Gegenstand einer solchen Bestimmung wäre nicht die Änderung von kollektivvertraglichen Rechtsansprüchen von aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmern, sondern die Schaffung einer die ausgeschiedenen Arbeitnehmer belastenden Verpflichtung. Dies würde aber die durch § 2 ArbVG eingeräumte Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner überschreiten und könnte in einem Kollektivvertrag mit verbindlicher Wirkung für die bereits zuvor ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht angeordnet werden. Eine solche Bestimmung könnte daher eine Verpflichtung der ausgeschiedenen Arbeitnehmer im Sinn des 1. Teiles des Feststellungsantrages nicht wirksam begründen; überdies käme diesem Antrag auch aus den im folgenden zu Punkt 2 auszuführenden Gründen keine Berechtigung zu.
Die Lehre (Steindl in Rungaldier-Steindl (Hrsg), Handbuch zur betrieblichen Altersversorgung, 293 f) vertrat bereits früher den Standpunkt, daß eine Ruhegeldordnung, welche den Verfall von Arbeitnehmerbeiträgen vorsehe, "diesen Namen nicht verdiene" und zumindest in diesem Punkt sittenwidrig und nichtig sei. Leiste der Arbeitnehmer einen eigenen Beitrag zum Aufbau seiner Altersversorgung, so komme weder ein Verfall dieser Leistungen noch eine verkürzte oder teilweise Erstattung in Betracht. Das Kapital des Arbeitnehmers sei vielmehr in der Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Prozentsatzes zu verzinsen und (gegebenenfalls) zu refundieren.
Ganz klar ist die Rechtslage nunmehr nach dem am 1.7.1990 erfolgten Inkrafttreten des Betriebspensionsgesetzes (BPG) BGBl 1990/282. Dieses Bundesgesetz regelt indessen § 1 Abs 1 die Sicherung von Leistungen und Anwartschaften aus Zusagen zur die gesetzliche Pensionsversicherung ergänzenden Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung (Leistungszusagen), die dem Arbeitnehmer im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber gemacht wurden. Eine Ausnahme vom Geltungsbereich des Gesetzes ist - soweit dies hier von Bedeutung ist - in dessen § 1 Abs 3 Z 2 für Leistungszusagen und Leistungen von Bund, Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden vorgesehen, soweit dienstrechtliche Vorschriften eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung vorsehen, die jener für in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehende Bedienstete gleichwertig ist.
Diese Ausnahmsbestimmung kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Die Altersversorgung des vom Antrag erfaßten Personenkreises besteht einerseits aus der gesetzlichen Pensionsversicherung nach dem ASVG und andererseits aus dem Altersversorgungszuschuß aufgrund des Kollektivvertrages. Dienstrechtliche Vorschriften, die eine Gleichstellung mit Bediensteten in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis vorsehen, bestehen nach dem behaupteten Sachverhalt nicht. Die Bestimmungen des Betriebspensionsgesetzes sind daher auf den Altersversorgungszuschuß anzuwenden. Gemäß § 7 Abs 4 BPG sind eigene Zahlungen, die der Arbeitnehmer für den Erwerb von Anwartschaften geleistet hat, einschließlich der darauf entfallenden Verzinsung durch den Rechnungszinsfuß (§ 14 Abs 7 Z 6 EStG 1988) jedenfalls unverfallbar und sind ihm auf Verlangen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuzahlen. Das BPG trat am 1.7.1990 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt besteht daher eine positive gesetzliche Norm, welche die Unverfallbarkeit von Arbeitnehmerbeiträgen zur gesetzlichen Altersversorgung bestimmt. Art 5 Abs 4 BPG sieht nur eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Übergangsbestimmung für die Zulässigkeit von früher getroffenen Vereinbarungen über den Verfall von Anwartschaften vor und erweitert daher (im Bereich der direkten Leistungszusage) die Fälle, in denen ein Verlust von Anwartschaften auf Ruhegenüsse gemäß § 7 Abs 1 BPG vorgesehen werden kann. Die Bestimmung des § 7 Abs 4 BPG wird dadurch nicht berührt. Das Begehren des Antrages steht daher in seinem 2. Teil im klaren Widerspruch mit dem Gesetzeswortlaut und war aus diesem Grund abzuweisen. Eine Nachforderung von Beiträgen von ausgeschiedenen Arbeitnehmern für die Vergangenheit kommt auch aus diesem Grund nicht in Betracht.