14Os117/89 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Dezember 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kluwik als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter E*** wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 (§ 81 Z 1 und 2) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes Feldkirch vom 27.September 1988, GZ 24 b E Vr 312/87-26, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15. Dezember 1988, AZ 8 Bs 501/88, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Terp, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Urteile des Landesgerichtes Feldkirch vom 27.September 1988, GZ 24 b E Vr 312/87-26, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15. Dezember 1988, AZ 8 Bs 501/88, verletzen das Gesetz im Art. XIII Abs. 5 des Vertrages vom 13.Juni 1972 zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl. 1974/716.
Die bezeichneten Urteile werden aufgehoben und es wird gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Walter E*** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 4.September 1986 in Hard als verantwortlicher Bootsführer das Motorboot mit dem amtlichen Kennzeichen SG 788 auf dem Bodensee ohne einen funktionierenden Kompaß bei Dunkelheit und ohne Erfahrung bei Nachtfahrten, ohne Beleuchtung der Armaturen und, nachdem er die Orientierung verloren hat, mit ca. 40 km/h, also mit weit überhöhter Geschwindigkeit im Bereiche einer Hafeneinfahrt unkonzentriert gesteuert, sodaß das Boot gegen den äußeren Damm des Industriehafens stieß, wobei Paul S*** eine Gehirnerschütterung, eine Rißquetschwunde am Kopf, eine Innenbandzerrung am linken Knie, eine Schulterluxation und den Bruch eines Schneidezahnes, Paul S*** eine Rißquetschwunde am linken Auge, eine Gehirnerschütterung, einen Nasenbeinbruch, einen mehrfachen Jochbeinbruch, einen Kieferbruch und einen Bruch mehrerer Zähne erlitten, mithin fahrlässig unter besonders gefährlichen Verhältnissen und nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, daß ihm eine Tätigkeit bevorsteht, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei, einen anderen am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) der beiden vorgenannten Passagiere zur Folge hatte, und er habe hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 (§ 81 Z 1 und 2) StGB begangen,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Aus den Akten 24 b E Vr 312/87 des Landesgerichtes Feldkirch sowie den von der Generalprokuratur übermittelten, ergänzend vom Bundesministerium für Justiz beigeschafften Ablichtungen des Rechtshilfeschriftverkehrs mit den zuständigen schweizerischen Behörden ergibt sich:
Der schweizerische Staatsangehörige Walter E*** befuhr am 4. September 1986 mit seinem Motorboot, in dem seine Freunde Paul S*** und Paul S*** mitfuhren, den Bodensee. In Fussach und Lindau konsumierte er in der Folge jeweils größere Mengen von Alkohol. Sodann steuerte er in erheblich alkoholbeeinträchtigtem Zustand (1,2 Promille Blutalkoholgehalt) das Boot, dessen Kompaß nicht funktionierte und dessen (zumindest Armaturen )Beleuchtung er nicht einzuschalten vermochte, heimwärts, geriet dabei jedoch in die Einfahrt des Industriehafens Hard, somit auf österreichisches Staatsgebiet, und prallte gegen einen Damm, wodurch seine Fahrgäste (im Sinn des § 84 Abs. 1 StGB) schwer verletzt wurden (Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg - Seedienst vom 30. Oktober 1986, ON 2 in ON 2).
Nach Abschluß der gegen Walter E*** deswegen (gemäß § 12 Abs. 2 StPO vom Bezirksgericht Bregenz) geführten Voruntersuchung wegen § 88 Abs. 1 und 4 (§ 81 Z 1 und 2) StGB erhob die Staatsanwaltschaft Feldkirch am 27.Feber 1987 gegen den Genannten Strafantrag wegen des bezeichneten Vergehens (ON 13). Da der Beschuldigte der ihm im Rechtshilfeweg zugestellten Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch nicht Folge leistete, wurde das Verfahren gemäß § 422 StPO abgebrochen und die Übernahme der Strafverfolgung durch das zuständige Gericht in der Schweiz in die Wege geleitet (ON 17). Mit Schreiben vom 12.Oktober 1987 übermittelte das Bundesministerium für Justiz die von der Staatsanwaltschaft Feldkirch verfaßte Sachverhaltsdarstellung dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mit dem Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung des Walter E*** und um seinerzeitige Information über das Ergebnis des Strafverfahrens. Mit dem (vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mit Note vom 12. April 1988 dem Bundesministerium für Justiz zugemittelten) Schreiben vom 11.April 1988 bestätigte das Bezirksamt Neutoggenburg die Übernahme der Strafverfolgung. Am 24.Mai 1988 verfügte dieses Bezirksamt jedoch die Aufhebung (dh Einstellung) des Strafverfahrens gegen Walter E*** wegen fahrlässiger Körperverletzung, weil es sich nach schweizerischem Recht bei den Verletzungen des Paul S*** und des Paul S*** nicht um eine schwere
Körperverletzung handelt, eine andere Körperverletzung gemäß Art. 125 Abs. 1 schwStGB jedoch nur auf Antrag verfolgt wird, wobei seitens der Geschädigten ein solcher Verfolgungsantrag nicht gestellt wurde. Zugleich erließ das Bezirksamt aber einen "Strafbescheid" gegen Walter E*** wegen der Inverkehrnahme eines nicht betriebssicheren Motorbootes in angetrunkenem Zustand und Mißachtung von Verkehrsregeln (Art. 43 Abs. 3, 41 Abs. 1, 40 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 1 des schweizerischen Bundesgesetzes über die Binnenschifffahrt), wofür es den Genannten zu einer Gefängnisstrafe von 8 Tagen, deren Vollzug für eine zweijährige Probezeit bedingt aufgeschoben wurde, und einer Buße von 1.000 sfr verurteilte (beide Erkenntnisse sind als Beilage dem Hauptverhandlungsprotokoll ON 25 angeschlossen).
Im Hinblick auf die erwähnte Aufhebungsverfügung beantragte die Staatsanwaltschaft Feldkirch am 22.Juli 1988 die Fortsetzung des Strafverfahrens gegen E*** beim Landesgericht Feldkirch durch Anberaumung einer Hauptverhandlung (S 76). Am 27.September 1988 wurde Walter E***, der die Annahme der Vorladung im Rechtshilfeweg abgelehnt hatte, vom Landesgericht Feldkirch in Abwesenheit gemäß § 427 StPO des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 (§ 81 Z 1) StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer (unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab mit Urteil vom 15.Dezember 1988, AZ 8 Bs 501/88 (ON 37 dA), der Berufung des Angeklagten nicht Folge, wohl aber jener der Staatsanwaltschaft, indem es auch die Voraussetzungen des § 81 Z 2 StGB als gegeben annahm, den Angeklagten somit des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 (§ 81 Z 1 und 2) StGB schuldig erkannte und die Strafe neu festsetzte. Zu dem wesentlichen Berufungseinwand des Angeklagten, die ihm angelastete Tat sei bereits durch das schweizerische Gericht aufgrund des österreichischen Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung abgestraft worden, sodaß das folgende inländische Verfahren gegen § 74 Abs. 4 ARHG verstoße, führte das Berufungsgericht aus, die Sperrwirkung nach der zitierten Gesetzesstelle komme nur einem Schuldspruch zu, soferne überdies die Strafe ganz vollstreckt oder erlassen wurde, nicht aber einem Freispruch oder einer Einstellung; nach Art. XIII Abs. 5 des Vertrages vom 13.Juni 1972 zwischen Österreich und der Schweiz über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung sei zwar auch bei einem Freispruch oder einer endgültigen Einstellung von weiteren Verfolgungsmaßnahmen abzusehen, dies aber nur dann, wenn diese aus Beweisgründen erfolgt sei, was vorliegend nicht zutreffe. Der vom Berufungsgericht unbedingt verhängte Teil der Geldstrafe wurde bisher nicht bezahlt; das Landesgericht Feldkirch hat daher den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet (ON 42) und den Verurteilten zur Verhaftung ausgeschrieben (ON 44).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Urteile beider Gerichtsinstanzen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Die Bestimmungen des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes (ARHG) finden zufolge der Anordnung des § 1 dieses Gesetzes nur insoweit Anwendung, als in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist. Soweit § 74 Abs. 4 zweiter Satz ARHG für den Fall der Erwirkung der Übernahme der Strafverfolgung anordnet, daß das inländische Verfahren einzustellen ist, wenn der Täter von dem ausländischen Gericht rechtskräftig verurteilt und die Strafe ganz vollstreckt oder, soweit sie nicht vollstreckt wurde, erlassen worden ist, so kommt diese Bestimmung nur hilfsweise, nämlich dann zum Tragen, wenn nicht in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung etwas anderes angeordnet ist. Für den vorliegenden Fall trifft dies im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Hinblick auf den Vertrag vom 13. Juni 1972 über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl. 1974/716, zu. Gemäß Art. XIII Abs. 5 dieses Vertrages hat die Behörde des ersuchenden Staates von weiteren Verfolgungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen "wegen der angezeigten Tat" gegen den Beschuldigten abzusehen, (a) wenn die erkannte Strafe vollstreckt, erlassen oder verjährt ist, (b) solange der Strafvollzug ganz oder teilweise ausgesetzt oder die Entscheidung über die Bestrafung aufgeschoben ist, (c) wenn aus Beweisgründen ein rechtskräftiger Freispruch oder eine endgültige Einstellung erfolgt ist. Diese Bestimmung geht über jene des Art. 35 des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung vom 15.Mai 1972, BGBl. 1980/250 - derzufolge eine Person, gegen die ein rechtskräftiges vollstreckbares Straferkenntnis ergangen ist, wegen derselben Handlung in einem anderen Vertragsstaat weder verfolgt, abgeurteilt noch der Vollstreckung einer Sanktion unterworfen werden darf, (a) wenn sie freigesprochen worden ist, (b) wenn die verhängte Sanktion verbüßt wird oder ganz verbüßt worden ist, Gegenstand eines Gnadenerweises oder einer Amnestie war, die sich auf die gesamte Sanktion oder auf deren noch nicht vollstreckten Teil bezieht, oder wegen Verjährung nicht mehr vollstreckt werden kann, (c) wenn der Richter die Schuld des Täters festgestellt, aber keine Sanktion verhängt hat - hinaus; sie ist gemäß Art. 37 des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung weiterhin anzuwenden (vgl. auch Linke-Epp-Dokoupil-Felsenstein, Internationales Strafrecht, Anm. 2 zu Art. 37 S 355).
Vorliegend wurde Walter E*** aufgrund des österreichischen Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung (zwar nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung - diesbezüglich wurde das Verfahren vom zuständigen schweizerischen Bezirksamt mangels Strafantrages der Geschädigten "aufgehoben", dh eingestellt -, so doch) wegen der Inverkehrnahme eines nicht betriebssicheren Motorbootes in angetrunkenem Zustand und Mißachtung von Verkehrsregeln zu einer Geldstrafe von 1.000 sfr) und einer (für zwei Jahre bedingt aufgeschobenen) Freiheitsstrafe (von 8 Tagen) verurteilt, wobei der bezügliche Strafbescheid des Bezirksamtes Neutoggenburg seinem Wesen nach der Strafverfügung nach §§ 460 ff öStPO entspricht und wie diese die Rechtswirkung eines Urteils hat (vgl. hiezu auch Blg 1 zu ON 30 dA). Der Verurteilte hat (nach seinem unwiderlegten Vorbringen) die in der Schweiz verhängte Geldstrafe bezahlt, während der Vollzug der Freiheitsstrafe ausgesetzt ist.
Ob die österreichischen Behörden im Hinblick auf diese Verurteilung gemäß Art. XIII Abs. 5 lit. a und b des Vertrages BGBl. 1974/716 von weiteren Verfolgungsmaßnahmen abzusehen hatten, hängt davon ab, ob Gegenstand des betreffenden schweizerischen Straferkenntnisses dieselbe Tat war, die dem österreichischen Strafantrag und den Urteilen des Landesgerichtes Feldkirch und des Oberlandesgerichtes Innsbruck zugrundelag. Diese Voraussetzung ist - übereinstimmend mit dem Generalprokurator - zu bejahen. Denn für den Umfang der Sperrwirkung (unter dem hier aktuellen Aspekt) kann nichts anderes gelten als bei einem inländischen Urteil oder bei der nach denselben Grundsätzen erfolgenden Prüfung der Übereinstimmung von angeklagter und abgeurteilter Tat. Aus der zufolge §§ 262, 267 StPO auf die "Tat" (als historisches Ereignis) beschränkten, die rechtliche Beurteilung als "strafbare Handlung" nicht umfassenden Bindung des Gerichtes an die Anklage ergibt sich, daß dort, wo ein historisches Geschehen materiellrechtlich eine Mehrheit von Subsumtionen erfordert, um seinen Unrechtsgehalt zu erfassen, prozessual nicht eine Mehrheit von Taten, sondern nur eine einzige Tat vorliegt (vgl. EvBl. 1984/136; s. auch Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, 179 sowie Epp, Der Grundsatz des "ne bis in idem" im internationalen Rechtsverkehr, ÖJZ 1979, 36 ff, insb. 38).
Ist somit der Begriff der "angezeigten Tat" iS Art. XIII Abs. 5 des Vertrages BGBl. 1974/716 als ein bestimmtes historisches Ereignis, ein bestimmter historischer Sachverhalt, zu verstehen (vgl. auch Art. 7 des Verfolgungsübereinkommens BGBl. 1980/250), dessentwegen die schweizerischen Behörden um Übernahme der Strafverfolgung einer bestimmten Person ersucht wurden, so folgt daraus, daß das Bezirksamt Neutoggenburg (als die zuständige schweizerische Gerichtsbehörde) im Strafbescheid vom 24.Mai 1988 denselben Sachverhalt (dh dieselbe Tat) wie im österreichischen Ersuchen um Verfolgungsübernahme meritorisch, wenngleich unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten, beurteilt hat, womit dieses Erkenntnis gemäß der eingangs zitierten zwischenstaatlichen Vereinbarung Sperrwirkung über die Staatsgrenze hinweg auch im Inland entfaltet.
Die Verurteilung des Walter E*** durch das Landesgericht Feldkirch und das Oberlandesgericht Innsbruck verletzt daher das Gesetz im Art. XIII Abs. 5 des Vertrages vom 13.Juni 1972 zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft BGBl. 1974/716; sie ist darum nichtig gemäß §§ 489, 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO, was dem Verurteilten zum Nachteil gereicht. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators war demnach spruchgemäß zu erkennen.