JudikaturOGH

12Os126/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Oktober 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer sowie Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz M*** wegen des Vergehens der Entziehung von Energie nach § 132 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 23.Oktober 1986, GZ 6 U 2005/86-3, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 23. Oktober 1986, GZ 6 U 2005/86-3, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO.

Die Strafverfügung wird aufgehoben und es wird dem Strafbezirksgericht Wien die Einleitung des ordentlichen Verfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Aus dem angeschlossenen Akt 6 U 2005/86 des Strafbezirksgerichtes Wien ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Mit Strafverfügung vom 23.Oktober 1986, GZ 6 U 2005/86-3, hat das Strafbezirksgericht Wien über den am 26.April 1932 geborenen Kraftfahrer Franz M*** eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 200 S, insgesamt daher 6.000 S, im Nichteinbringungsfall 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt, weil er vom 20. bis 23.Juni 1986 in Wien 5., Mittersteig 2 B/2/12, dadurch, daß er am Vorzählerkasten eine Stromverbindung zur Wohnung Nr. 12 herstellte, "widerrechtlich Energie entzogen" und hiedurch das Vergehen der Entziehung von Energie nach § 132 Abs. 1 StGB begangen hat. Diese Strafverfügung ist in Rechtskraft erwachsen.

Aus der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien (Bundespolizeikommissariat Margareten), ON 1, ergibt sich, daß etwa zwei Monate vor der Tat die Stromzufuhr zur genannten Wohnung, deren Hauptmieterin die Lebensgefährtin des Beschuldigten, Silvia D***, ist, von den Wiener Stadtwerken, E-Werke (wegen Zahlungsrückständen) gesperrt worden war. Der Beschuldigte hat - nachdem seinen eigenen, bisher unwiderlegt gebliebenen Angaben und jenen seiner Lebensgefährtin zufolge die Letztere die ausständige Schuld von 10.000 S an die E-Werke beglichen hatte - am 20. Juni 1986 mittels eines Drahtes, an dessen Enden sich Klammern befanden, die Stromverbindung von dem am Gang befindlichen Vorzählersicherungskasten zur Wohnung Nr. 12 wieder hergestellt, wobei der von den E-Werken plombierte Vorzählersicherungskasten nicht beschädigt wurde. Von den einschreitenden Polizeibeamten wurde festgestellt, daß der Stromzähler in der Wohnung lief und sich in der Küche ein Kühlschrank in Betrieb befand.

Der Beschuldigte wurde gehört, indem er polizeilich - wenngleich kurz - vernommen wurde (S 13). Er gab an, sich "im Sinne der Anzeige" schuldig zu bekennen, nahm zum Motiv der Tat (Bezahlung der Rechnungsrückstände, Notwendigkeit der Versorgung eines dreijährigen Kindes in der Wohnung) Stellung und fügte bei, daß er selbst "nichts davon gehabt" habe.

Zu dem auch beim Vergehen nach § 132 StGB vorausgesetzten Bereicherungsvorsatz (hier aktuell: zu Gunsten eines Dritten) hat der Beschuldigte daher nicht (bejahend) Stellung genommen. Desgleichen findet sich im weiteren Inhalt der vom Beschuldigten zitierten polizeilichen Anzeige kein Hinweis auf diesen Teil der subjektiven Tatseite, sondern es ist nur von der Widerrechtlichkeit der Energieentziehung die Rede. Sowohl der erwähnte Umstand, daß der Zähler in der Wohnung lief, woraus sich ergibt, daß der Anschluß an die Hausleitung vor dem Stromzähler der Wohnung geendet haben muß und der bezogene Strom zur Verrechnung gelangte, als auch die (angebliche) volle Bezahlung der früheren Restschuld an die E-Werke indizieren die Annahme, daß der Beschuldigte ohne Bereicherungsvorsatz handelte. Selbst der Spruch der Strafverfügung enthält nicht das subjektive Tatbestandsmerkmal des Bereicherungsvorsatzes, sondern stellt nur die Widerrechtlichkeit des Energieentzuges fest.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 460 Abs. 1 StPO kann der Richter die Strafe ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung festsetzen, falls er nur eine Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen zu verhängen findet, wenn ein auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen oder eines Geständnisses angezeigt wird oder wenn die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen. Von einem umfassenden Geständnis des Angezeigten, das auch die subjektive Tatseite zu umfassen hätte (vgl. SSt. 54/5), kann vorliegend keine Rede sein. Die dem erkennenden Gericht zum Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung vorgelegenen Erhebungen der Bundespolizeidirektion Wien (Bundespolizeikommissariat Margareten) bzw. Wahrnehmungen der anzeigenden Beamten reichen im Ergebnis nicht aus, um alle für einen Schuldspruch wegen Vergehens nach § 132 Abs. 1 StGB erforderlichen subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale zweifelsfrei beurteilen zu können. Da jede Strafverfügung materiellrechtlich durch die Aktenlage gedeckt sein muß, sich in diesem Fall nicht alle für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Umstände aus den vorliegenden Erhebungen ergaben, war es dem Richter verwehrt, ohne weitere Überprüfung des Sachverhalts eine Strafverfügung zu erlassen; er wäre vielmehr verhalten gewesen, entweder selbst weitere Erhebungen zu veranlassen oder eine Hauptverhandlung anzuberaumen (vgl. SSt. 54/5). Das Vorgehen des Strafbezirksgerichts Wien verstößt daher gegen die Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO.

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