JudikaturOGH

3Ob533/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Kropfitsch, Dr. Warta und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nadja F***, geboren am 15. Juli 1977, infolge Revisionsrekurses der väterlichen Großmutter Maria F***, Pensionistin, Wien 16., Haymerlegasse 13-15/4/1, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 24. März 1988, GZ 47 R 67/88-169, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 8. Juli 1987, GZ 1 P 147/87-159, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß, der in seinem bestätigenden Teil unangefochten geblieben ist, wird in seinem abändernden Teil dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes vom 8. Juli 1987, ON 159, womit die Vormundschaft über die mj. Nadja F***, verbunden mit dem Recht und der Pflicht, die Minderjährige zu pflegen und zu erziehen, auf die väterliche Großmutter Maria F*** übertragen wird, wieder hergestellt wird.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern der mj. Nadja F*** wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 6. November 1978 geschieden. Bereits mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1. August 1978 (ON 21) war die Minderjährige in die Pflege und Erziehung ihrer Mutter eingewiesen worden.

Mit Beschluß vom 8. Juli 1987, ON 159, übertrug das Erstgericht die Vormundschaft über die Minderjährige, verbunden mit dem Recht und der Pflicht, die Minderjährige zu pflegen und zu erziehen, auf die väterliche Großmutter Maria F***. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:

Die Minderjährige verbrachte die ersten Lebensmonate im Haushalt ihrer Eltern. Zum Zeitpunkt der Scheidung verbüßte die Mutter eine mehrmonatige Haftstrafe in der Strafvollzugsanstalt Schwarzau. Trotz großen Widerstands seitens der väterlichen Großeltern erreichte sie, die Minderjährige während der Haft bei sich behalten zu dürfen. Nach der Haftentlassung zog die Mutter im März 1979 mit der Minderjährigen in das Haus ihrer Mutter in Floridsdorf. Während der folgenden zwei Jahre beschränkten sich die Kontakte zu den väterlichen Großeltern auf erbitterte Kämpfe um ein Besuchsrecht. Der Vater verbüßte zu dieser Zeit eine Haftstrafe. Die Minderjährige wurde überwiegend von der mütterlichen Großmutter betreut. Im August 1981 wurde die mj. Sabrina von der Mutter der Minderjährigen außer der Ehe geboren. Die Mutter übernahm einige Monate später die Vormundschaft über die mj. Sabrina. In den folgenden beiden Jahren verbesserte sich der Kontakt zu den väterlichen Großeltern der minderjährigen Nadja. Die Mutter bezog eine Eigentumswohnung in Wien 21., Pilzgasse, ging wieder, wie schon zuvor, der Prostitution nach und brachte ihre beiden Kinder immer wieder für mehrere Tage und Wochen bei den väterlichen Großeltern unter. Seit Sommer 1983 beließ die Mutter die beiden Mädchen schließlich ganz bei den väterlichen Großeltern und holte sie nur sehr unregelmäßig zu Besuchen über das Wochenende ab. Die väterlichen Großeltern versorgten die beiden Kinder unentgeltlich. Sie bezogen lediglich den Unterhaltsvorschuß und die Familienbeihilfe. Nadja ist in der Familie der väterlichen Großeltern sehr gut integriert. Sie fühlt sich geborgen und akzeptiert und hat zu den Großeltern eine belastbare emotionale Beziehung aufgebaut. Sie betrachtet die Mutter als mächtig, bedrohlich und unberechenbar und lehnt jeglichen Besuchskontakt zu ihr ab. Die sporadischen Besuchskontakte zur Mutter werden von ihr als unerfreulich empfunden. Dabei ist sicherlich einerseits die Rivalität der jüngeren Halbschwester, die seit 2 Monaten bei der Mutter lebt, zu berücksichtigen, vor allem aber auch, daß Nadja nach jahrelangem ständigem Wechsel des Pflegeplatzes nunmehr endlich zur Ruhe gekommen ist und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu den Großeltern entwickelt hat, das durch die Mutter immer wieder auf die Probe gestellt wird. Der nur sporadische Besuchskonstakt zur Mutter hat zu einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen Mutter und Tochter und in der Folge zur Ablehnung geführt. Eine Rückkehr der Minderjährigen zur Mutter würde derzeit eine Gefährdung des Kindeswohles darstellen.

Die zweite Instanz gab dem Rekurs der Mutter teilweise Folge. Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes hinsichtlich der Übertragung des Rechtes und der Pflicht, die Minderjährige zu pflegen und zu erziehen, änderte ihn jedoch im übrigen, hinsichtlich der Übertragung des Rechtes auf Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung der Minderjährigen, dahin ab, daß der Antrag der Maria F***, sie zum Vormund der Minderjährigen zu bestellen, abgewiesen wird. Das Rekursgericht stellte ergänzend fest, daß die Mutter der Minderjährigen der väterlichen Großmutter am 8. Juli 1987 drohte, die Minderjährige gegen ihren Willen mit Polizeieinsatz von der Großmutter abzuholen und daß sich die Mutter bei der Wiener Jugendgerichtshilfe mit dem Verbleib der Minderjährigen bei den väterlichen Großeltern einverstanden erklärte.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Rekursgericht aus, das Wohl der Minderjährigen sei gefährdet, wenn die Mutter ihre Drohung, in Ausübung der ihr zustehenden Elternrechte die Minderjährige allenfalls mit Polizeieinsatz gegen ihren Willen von den Großeltern abzuholen, verwirklichen sollte. Um eine solche Vorgangsweise hintanzuhalten, habe das Erstgericht zutreffend im Sinne des § 176 ABGB der Mutter das Recht auf Pflege und Erziehung der Minderjährigen entzogen und der väterlichen Großmutter übertragen. Es bestehe jedoch keine Notwendigkeit, der Mutter die gesamten elterlichen Rechte hinsichtlich der Minderjährigen zu entziehen, zumal diese offensichtlich vermögenslos sei und der Mutter weder im Hinblick auf die Vermögensverwaltung noch auf die gesetzliche Vertretung der Minderjährigen Gefährdungshandlungen im Sinne des § 176 ABGB unterstellt werden könnten.

Die väterliche Großmutter Maria F*** bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes in seinem abweisenden Teil mit Revisionsrekurs mit dem Antrag, ihr auch das Recht auf Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung der minderjährigen Nadja zu übertragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Es erübrigt sich, auf die im Revisionsrekurs vor allem erörterte Frage einzugehen, ob und durch welche Umstände das Wohl der Minderjährigen durch ihre Mutter gefährdet wird. Die zweite Instanz hat ohnedies eine derartige Gefährdung angenommen und deshalb die vom Erstgericht angeordnete Übertragung der Pflege und Erziehung auf die väterliche Großmutter bestätigt, wobei dieser Teil des Beschlusses des Rekursgerichtes unangefochten geblieben und damit rechtskräftig geworden ist.

Wie schon von der zweiten Instanz ausgeführt wurde, schließt gemäß § 176 Abs 2 ABGB die Entziehung der Pflege und Erziehung oder der Verwaltung des Vermögens des Kindes die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit ein. Kommt dieser Umstand im Spruch der angefochtenen Entscheidung auch nicht oder zumindest nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck, sollte doch nach dem Willen des Rekursgerichtes die Pflege und Erziehung der Minderjährigen offenbar einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesem Bereich der väterlichen Großmutter übertragen und nur die Verwaltung des Vermögens des Kindes einschließlich der gesetzlichen Vertretung in jenem Bereich bei der Mutter der Minderjährigen verbleiben. Warum aber das Recht zur Verwaltung des Kindesvermögens und das damit kraft Gesetzes verbundene Recht zur Vertretung der Minderjährigen in Vermögensangelegenheiten (vgl. Pichler in Rummel, ABGB, Rz 6 zu § 176; EFSlg. 43.328) bei der Mutter zurückbleiben sollte, ist nicht einzusehen. Der Grundsatz, daß alle Rechte des § 144 ABGB nach Möglichkeit in einer Hand vereinigt bleiben sollen, läßt es vielmehr zweckmäßig und geboten erscheinen, auch diese Rechte der väterlichen Großmutter zu übertragen (EFSlg. 36.008). Der Umstand, daß die Minderjährige "offensichtlich vermögenslos" ist, der Mutter daher auch "im Hinblick auf die Vermögensverwaltung keine Gefährdungshandlungen unterstellt werden können", bildet keinen hinreichenden Grund, die Vermögensverwaltung und die damit verbundene gesetzliche Vertretung von dem Recht der Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in jenem Bereich zu trennen.

Steht der Mutter aber die gesetzliche Vertretung auch nicht in einem bestimmten Teilbereich zu, war für die Minderjährige in der Person der väterlichen Großmutter ein Vormund zu bestellen (§ 187 ABGB, Pichler aaO, Rz 1 zu § 187).

Es war deshalb die Entscheidung des Erstgerichtes wieder herzustellen.

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