7Ob511/88 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) S*** G*** E***, Schwäbisch Gmünd, G. Daimler-Straße 19,
vertreten durch Dr. Gunther Stemberger, Rechtsanwalt in Salzburg,
2.) B*** FÜR A***, Berlin-Wilmersdorf,
Ruhrstraße 2, vertreten durch Dr. Rudolf Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Johann S***, Landwirt, Maria Alm, Aberg 2, vertreten durch Dr. Rudolf Zitta, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen DM 75.476,57 s.A. und DM 78.531,41 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 26. Mai 1987, GZ 3 R 94, 95/87-50, womit infolge der Berufungen beider Streitteile das Teilzwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5. Dezember 1986, GZ 2 Cg 50/83-34, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Dieter H*** kam am 18. Februar 1980 auf einer am Anwesen des Beklagten vorbeiführenden Piste zum Sturz, wodurch er eine Unterschenkelfraktur rechts erlitt. Der Beklagte wurde mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Saalfelden vom 22. April 1980, U 164/80-5, wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 4 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, wobei der Strafverfügung zugrunde gelegt wurde, daß der Beklagte seine beiden Hunde nicht ordnungsgemäß verwahrte, sodaß diese auf die Schiabfahrt liefen und Dieter H*** zum Sturz brachten. Die klagenden Parteien, bei denen Dieter H*** sozialversichert ist, erbrachten an diesen Versicherungsleistungen, deren Ersatz sie, gestützt auf den gesetzlichen Forderungsübergang, begehren. Mit dem Leistungsbegehren verbanden die klagenden Parteien das Begehren auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Versicherungsleistungen. Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischenurteil zu Recht, daß das Leistungsbegehren der klagenden Parteien zu einem Fünftel zu Recht und zu vier Fünftel nicht zu Recht bestehe. Nach seinen Feststellungen hatte der Beklagte im Frühjahr 1979 zwei junge, nur wenige Wochen alte Hunde von seinem Bruder geschenkt bekommen. Die Tiere waren zum Unfallszeitpunkt noch nicht ein Jahr alt. Sie hielten sich immer mit den zwischen 2 und 8 Jahre alten Kindern des Beklagten im Haus oder beim Hof auf und hatten sich noch nie allein vom Anwesen entfernt.
Dieter H*** ist ein guter Schifahrer. Am 18. Februar 1980 fuhr er gegen 14 Uhr mit seinem 9jährigen Sohn auf der Abfahrt Nr. 10 von der Bergstation der ersten Sektion des Abergsesselliftes ab. Dieter H*** fuhr ungefähr 50 m vor seinem Sohn, blieb dann immer wieder stehen und vergewisserte sich, daß sein Sohn nachkomme. Nach einem solchen Anhalten fuhr er in weit ausschwingenden Stemmbögen mit einem Reversierungswinkel von jeweils ca. 55 Grad langsam auf die spätere Unfallstelle zu. Die präparierte Piste ist im Unfallsbereich etwa 20 m breit. Die Pistenneigung beträgt etwa 15 bis 20 %, wird in Abfahrtsrichtung auf die Unfallstelle zu flacher und dahinter wieder steiler. Die Piste kann von einem Schifahrer, der eine Richtungsänderung beherrscht, ohne weiteres befahren werden. Außerhalb der präparierten Piste war Tiefschnee, der Pistenrand war zum Tiefschneebereich scharf abgegrenzt. In Abfahrtsrichtung links unterhalb der Unfallstelle liegt etwa 60 m vom Pistenrand entfernt, hinter einer Mulde, das Anwesen des Beklagten. Als Dieter H*** auf die Flachstelle zufuhr und sich dabei dem Pistenrand mit Schrittgeschwindigkeit näherte, sah er vom linken Pistenrand einen Hund in einem Winkel von ca. 90 Grad zu seiner eigenen Bewegungsrichtung in die Piste laufen. Der Hund lief kläffend über eine Strecke von etwa 4 m links neben Dieter H*** her, der versuchte, den Hund mit dem Schistock und durch Zurufen abzudrängen, worauf der Hund zurückblieb. Dieter H*** hätte in dieser Phase des Geschehensablaufes leicht stehen bleiben können. Im Zuge der Weiterfahrt drehte er seinen Körper nach links und übersah dabei offensichtlich das Näherkommen des Pistenrandes. Als nun neuerlich der Hund oder der zweite Hund des Beklagten von links auf Dieter H*** zulief, an ihm hochsprang und dabei mit den Vordertatzen seinen Oberschenkel berührte, fädelte Dieter H*** mit den Schiern im Tiefschnee ein und kam dadurch zu Sturz. Dieter H*** hätte auch bei der zweiten Annäherung des Hundes leicht stehen bleiben können. Nach der Ansicht des Erstgerichtes sei infolge der Bindungswirkung der Strafverfügung davon auszugehen, daß der Beklagte seine Verwahrungspflicht in Ansehung der beiden Hunde schuldhaft verletzt und daher für den Schaden zu haften habe. Den Verletzten treffe jedoch ein Mitverschulden, das erheblich schwerer wiege. Er hätte den Sturz leicht durch Anhalten vermeiden können und habe auch dem Pistenrand nicht die gebotene Aufmerksamkeit zugewendet.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Leistungsbegehren der klagenden Parteien dem Grunde nach insoweit als zu Recht bestehend erkannte, als die zugrundeliegenden Sozialversicherungsleistungen in den kongruenten zivilrechtlichen Ersatzansprüchen des Geschädigten unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten im Ausmaß von 50 % Deckung finden. Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen aus, daß die Verwahrung eines Tieres in der Nähe einer Schipiste ebenso wie im Nahbereich einer Straße mit öffentlichem Verkehr besonders sorgfältig erfolgen müsse. In Anbetracht der geringen Entfernung des Anwesens des Beklagten zur Piste hätte der Beklagte die Hunde nicht frei herumlaufen lassen dürfen. Den Geschädigten treffe jedoch der Vorwurf der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, weil er nicht angehalten habe. Dies rechtfertige eine Schadensteilung im Sinne des § 1304 ABGB. Danach richte sich der Teil des Schadens, den der Geschädigte selbst zu tragen habe, nach der Schwere des Verschuldens des Schädigers und des Geschädigten. Treffe beide ein gleiches Verschulden oder sei das Verhältnis des Verschuldens nicht zu klären, sei der Schaden durch den Schädiger und den Geschädigten zu gleichen Teilen zu tragen. Im vorliegenden Fall sei ein Überwiegen in der Schwere des Verschuldens hinsichtlich eines Beteiligten nicht ersichtlich, sodaß eine Schadensteilung von 1 : 1 gerechtfertigt sei.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Die Bindung des Zivilrichters gemäß § 268 ZPO an rechtskräftige Strafverfügungen nach § 460 StPO wird zwar im Schrifttum abgelehnt (Fasching LB Rdz 860 mwN), die ständige Rechtsprechung bejaht jedoch diese Bindung (ZVR 1987/93; ZVR 1979/312; JBl. 1975, 434; ZVR 1974/96 uva). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlaß, von der ständigen Rechtsprechung abzugehen. Es ist zwar richtig, daß die Strafprozeßordnung den Begriff Erkenntnis zum Teil im Sinne von Urteil verwendet (§ 288 Abs. 2 Z 3 StPO). Die Revision muß aber selbst einräumen, daß die Strafprozeßordnung den Begriff des strafgerichtlichen Erkenntnisses auch in einem weiteren Sinn verwendet, der auch die Strafverfügungen umfaßt
(vgl. § 252 Abs. 2 StPO). Der § 268 ZPO umfaßt seinem Wortlaut nach alle verurteilenden Erkenntnisse des Strafgerichtes und somit auch die Strafverfügung. Die Behauptung, daß die Voraussetzungen für die Erlassung einer Strafverfügung gegen den Beklagten nicht gegeben gewesen seien, übersieht den dritten Fall des § 460 StPO, wonach eine Strafverfügung auch dann erlassen werden kann, wenn die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände aureichen. Die Frage, ob das gesamte Erhebungsmaterial zur Erlassung einer Strafverfügung ausreicht, unterliegt der freien Beweiswürdigung (Foregger-Serini, StPO3 542). Nach den für eine Strafverfügung normierten Voraussetzungen kann auch nicht gesagt werden, daß einer Strafverfügung von vornherein jegliche Wahrheitsgarantie fehlt. Die Strafverfügung stellt nur die Möglichkeit dar, die Strafsache ohne Hauptverhandlung zum Abschluß zu bringen (Foregger-Serini aaO). Eine Rechtsbelehrung über die zivilrechtlichen Folgen enthält auch ein Strafurteil nicht. Auch bei Fällung eines Strafurteils wird der Rechtsunkundige nicht bedenken, daß damit für einen allfälligen Zivilprozeß die Tatsachen bindend festgelegt sind. Es kann auch die Meinung der Revision nicht geteilt werden, daß eine Strafverfügung gegen das Gebot des Art. 6 EMRK eines "fair trial" verstoße. Der Beschuldigte hat nach Art. 6 EMRK zwar grundsätzlich ein Recht darauf, daß über die Anschuldigung ein Gericht in einem fairen und zügigen Verfahren entscheidet. Dieses Recht ist aber bei der Strafverfügung gewahrt, weil dem Beschuldigten die Möglichkeit des Einspruches und damit des Zuganges zu einem gerichtlichen Verfahren gegeben ist (vgl. Frowein-Peukert, EMRK-Komm. 134; Vogler im internationalen Kommentar zur EMRK Art. 6 Rz 241 f).
Die Bindung des Zivilrichters nach § 268 ZPO erstreckt sich nach Lehre und Rechtsprechung auf alle den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen, d.h. auf alle vom Strafgericht als erwiesen angenommenen Tatumstände, die in ihrer Gesamtheit den Straftatbestand ergeben. § 268 ZPO ist dahin zu verstehen, daß der Zivilrichter bei seiner Entscheidung von der Annahme auszugehen hat, der strafgerichtlich Verurteilte habe die ihm im Strafurteil zur Last gelegte Tat wirklich begangen. Hiebei sind als Tat jene Handlungen und Unterlassungen anzusehen, die nach dem Inhalt des strafgerichtlichen Erkenntnisses den Tatbestand derjenigen strafbaren Handlung (Unterlassung) darstellen, deretwegen die Verurteilung erfolgte (SZ 54/150 mwN). Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf das Verschulden, soweit es zur subjektiven Tatseite der strafbaren Handlung gehört und auf die Kausalität der Handlung oder Unterlassung für den Schadenserfolg (vgl. SZ 55/154). Zum Tatbestand der strafbaren Handlung, deretwegen der Beklagte verurteilt wurde, gehört die Unterlassung der erforderlichen Verwahrung eines Tieres. Insoweit die Revision neuerlich die Verletzung der Verwahrungspflicht des Beklagten in Frage stellt, steht dem die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Erkenntnisses entgegen. Nach dem Inhalt der Strafverfügung brachten die beiden Hunde des Beklagten Dieter H*** zu Sturz, der einen Bruch des rechten Unterschenkels zur Folge hatte. Der Beklagte kann sich daher auch nicht darauf berufen, daß Dieter H*** durch einen eigenen Fahrfehler zu Sturz gekommen sei. Berücksichtigt man die mit der Anwesenheit von Hunden auf einer Schipiste verbundenen Gefahren, kann nach den maßgeblichen Aufteilungsgrundsätzen - Größe und Wahrscheinlichkeit der jeweils bewirkten Gefahr - der Revision weder darin gefolgt werden, daß das Verschulden des Beklagten wegen Geringfügigkeit gänzlich vernachlässigt werden könne noch auch darin, daß eine Verschuldensteilung überwiegend zu Lasten des Beklagten gerechtfertigt sei.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.