9Ob123/87 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck und Erika Hantschel als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. Walter B***, Wien 12., Zanaschkagasse 12/29/3, vertreten durch Dr. Gustav Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Franz B***, Rechtsanwalt in Wien 12., Meidlinger Hauptstraße 1, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Ing. Friedrich D***, Kaufmann in Wien 14., Antaeusgasse 53, wegen Feststellung (Streitwert 114.284 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. April 1987, GZ 33 Ra 1003/87-63, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 21. Juni 1985, GZ 5 Cr 1060/84-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Über das Vermögen des Gemeinschuldners wurde am 14. September 1983 das Ausgleichsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Ausgleichsverwalter bestellt. Mit Beschluß vom 23. März 1984 wurde der Anschlußkonkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß seine Forderung in der ersten Konkursklasse mit 50.000 S brutto und in der dritten Konkursklasse mit 64.284 S brutto, jeweils samt Anhang zu Recht bestehe. Er sei vom nunmehrigen Gemeinschuldner am 14. November 1983 als kaufmännischer Leiter mit einem Monatsbruttogehalt von 20.000 S angestellt worden. Da er am 1. Dezember 1983 sein Arbeitsentgelt für den November 1983 nicht erhalten habe, habe er eine Nachfrist gesetzt und sei nach deren fruchtlosem Verstreichen am 17. Dezember 1983 vorzeitig ausgetreten. Die geltend gemachten Forderungen stünden dem Kläger aus den Titeln restliches Entgelt, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlung und Urlaubsabfindung zu. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 24. April 1987 (zweiter Rechtsgang) brachte der Kläger ergänzend vor, bereits im Oktober 1983 beim Gemeinschuldner eingetreten zu sein und noch vor seinem Austritt 40.000 S an Gehalt für zwei Monate ausgezahlt erhalten zu haben; er habe diesen Betrag dem Gemeinschuldner über dessen Ersuchen zurückgezahlt, damit dieser eine Verbindlichkeit, derentwegen gegen ihn von der Polizei ermittelt worden sei, begleichen könne.
Der Beklagte wandte ein, daß der Gemeinschuldner mit dem Kläger kein Arbeitsverhältnis begründet habe. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre es mangels der nach § 8 Abs 1 AO erforderlichen Genehmigung durch den Ausgleichsverwalter rechtsunwirksam. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mit Beschluß vom 8. April 1986, 14 Ob 54/86, hob der Oberste Gerichtshof das bestätigende Urteil des Berufungsgerichtes (Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien) auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Mit der angefochtenen Entscheidung bestätigte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Gegenstandes seiner Entscheidung 30.000 S übersteige.
Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Im Herbst 1983 mußte Ing. Friedrich D*** auf Grund seiner prekären finanziellen Situation Arbeitsverhältnisse der ein höheres Entgelt beziehenden Arbeitnehmer beenden und konnte die Gehälter der übrigen Arbeitnehmer nicht rechtzeitig auszahlen. Der Ausgleichsverwalter hatte Ing. D*** die Befugnis erteilt, Verpflichtungen bis zu einem Betrag von 5.000 S ohne Rückfrage einzugehen. Im November 1983 vereinbarte Ing. D*** mit dem Kläger, daß ihm dieser bei der Eintreibung von Außenständen gegen ein Entgelt von 2.000 S monatlich zuzüglich belegter Spesen behilflich sein sollte. Tatsächlich wurden dem Kläger von Ing. D*** einmal 2.000 S ausgezahlt. Ing. D*** übergab dem Kläger eine Debitorenliste mit dem Auftrag, von den darin angeführten Schuldnern Überweisungen zu erreichen. Für den Kläger wurde weder eine Arbeitszeit festgesetzt noch traf ihn eine Anwesenheitspflicht im Büro; er war auch nicht verpflichtet, die Debitoren regelmäßig zu kontaktieren. Die Reihenfolge der Bearbeitung der einzelnen Debitoren legte Ing. D*** fest; der Kläger hatte über Erfolg oder Mißerfolg seiner Interventionen zu berichten. Es war dem Kläger aber freigestellt, wann, wie und in welchem zeitlichen Umfang er die Debitoren zur Zahlung auffordert. Der Kläger hatte in den Firmenräumlichkeiten keinen eigenen Arbeitsplatz und diktierte der Sekretärin nur selten Briefe. Die Anmeldung bei der Wiener Gebietskrankenkasse mit einem monatlichen Entgelt von 2.000 S veranlaßte der Kläger selbst. Sie sollte ein anmeldepflichtiges Beschäftigungsverhältnis vortäuschen. Die Wiener Gebietskrankenkasse nahm diese Anmeldung nicht an. Der Beklagte wußte, daß der Kläger versuchen werde, Außenstände einzutreiben; er war über das vereinbarte Entgelt nicht informiert, sondern ging davon aus, daß der Kläger dies aus Freundschaft zu Ing. D*** mache. Der Kläger zeigte sich ab etwa Mitte Dezember 1983 nicht mehr im Unternehmen des Gemeinschuldners. Gegen Ende Dezember 1983 schrieb er dem Ing. D*** einen Brief, in dem er unter Androhung des vorzeitigen Austrittes die Bezahlung eines monatlichen Gehaltes von 20.000 S bis 25.000 S begehrte. In der Folge erklärte der Kläger seinen "Austritt".
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, zwischen dem Kläger und Ing. D*** sei kein Arbeitsvertrag im Sinne des § 1151 ABGB zustande gekommen, weil die dafür erforderlichen Abhängigkeits- und Kontrollmerkmale fehlten. Der Kläger habe einen von vornherein gar nicht bestimmten Teil seiner Arbeitskraft zur Verfügung gestellt und sich bezüglich des Umfanges der Tätigkeit nicht gebunden. Auf Grund der geringfügigen Entlohnung sei auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Gemeinschuldner nicht anzunehmen. Auf einen derartigen freien Dienstvertrag seien die Bestimmungen der §§ 1151 ff ABGB nicht unmittelbar anzuwenden; es seien nur die Normen beachtlich, die nicht von der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers ausgingen und den sozial Schwächeren schützen sollten. Durch die Beendigung der Tätigkeit und die Erklärung, auszutreten, habe der Kläger zu erkennen gegeben, daß er den freien Dienstvertrag beendet wissen wollte. Der Zustimmung des Ausgleichsverwalters zum Vertragsabschluß habe es nicht bedurft, weil sich die Vereinbarung im Rahmen der eingeräumten Geringfügigkeitsgrenze gehalten habe. Mit dem gezahlten Betrag von 2.000 S sei das vereinbarte Pauschalentgelt beglichen worden.
Das Sachvorbringen des Klägers in der Tagsatzung vom 24. April 1987 wertete das Berufungsgericht als "unbeachtliche" Neuerung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Zu Recht wendet sich der Revisionswerber mit der Verfahrensrüge gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, im Hinblick auf das Datum der angefochtenen erstgerichtlichen Entscheidung vor dem 1. Jänner 1987 seien gemäß § 101 Abs 2 ASGG Neuerungen zwar grundsätzlich zulässig; dieses Recht, Neuerungen vorzubringen, sei aber mit dem Vortrag der Berufung in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Wien verbraucht worden.
Gemäß § 101 Abs 2 ASGG sind für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und die Gründe, die mit ihnen geltend gemacht werden können, die bis 31. Dezember 1986 geltenden Vorschriften maßgebend, wenn das Datum der Entscheidung vor dem 1. Jänner 1987 liegt. Da auch Neuerungen ein Rechtsmittelgrund im Sinne dieser Gesetzesstelle sind (siehe Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, 483), sind sie in den Fällen, auf die die Übergangsbestimmung des § 101 Abs 2 ASGG anzuwenden ist, ebenso zu beachten wie dies nach der alten Rechtslage der Fall gewesen wäre. Danach war aber das Vorbringen von Neuerungen keineswegs auf die erste zur mündlichen Berufungsverhandlung bestimmte Tagsatzung beschränkt. Hat das Berufungsgericht aber infolge unrichtiger Handhabung von Verfahrensvorschriften ein an sich zulässiges ergänzendes Sachvorbringen nicht beachtet, liegt ein wesentlicher Mangel des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO vor, der eine erschöpfende Erörterung der Streitsache verhinderte (vgl. Fasching, Kommentar IV 304).
Der Revision war daher im Sinne des Aufhebungsantrages Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.