JudikaturOGH

14Ob154/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer

Hon.Prof.Dr. Gottfried Winkler und Hon.Prof.Dr. Hanns Waas als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude L***, Lehrling, Breinbauerweg 32, 4020 Linz, vertreten durch Wolfgang Gruber, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich in Linz, dieser vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei D*** Gesellschaft mbH Co KG, Hosenerzeugung und Handel mit Waren aller Art in Vöcklabruck, Lötschstraße 12 a, vertreten durch Dr. Jörg Iro, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen S 3.323,35 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 30. April 1986, GZ 12 Cg 4/86-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Linz vom 9. Oktober 1985, GZ 1 Cr 164/85-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig der Klägerin S 2.434 samt 4 % Zinsen seit 1. März 1985 und die mit S 1098,84 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (davon S 68,99 Umsatzsteuer und S 343,25 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 889,35 samt 4 % Zinsen seit 30. April 1986 wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stand ab 1. August 1983 in einem Lehrverhältnis zur beklagten Partei im Lehrberuf des Einzelhandelskaufmanns. Dieses Lehrverhältnis endete am 28. Februar 1985 gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG vorzeitig, weil die beklagte Partei die Gewerbeberechtigung für den Ausbildungsstandort in Linz, Unionkreuzung, zurücklegte. Zu dieser Zeit hatte die Klägerin den für das 2. Lehrjahr (1.8.1984 bis 31.7.1985) gebührenden Urlaub von 26 Werktagen noch nicht verbraucht. Die beklagte Partei bezahlte der Klägerin eine Urlaubsabfindung (§ 10 UrlG) von S 1.486 brutto.

Die Klägerin begehrte in erster Instanz die Bezahlung der

Urlaubsentschädigung (§ 9 UrlG) in Höhe des unbestrittenen

Grundbetrages von S 3.360,--

zuzüglich 2/12 Sonderzahlungsanteilen (in der Klage fälschlich als

"1/12" bezeichnet) in Höhe

von S 560,--

zusammen S 3.920,--

abzüglich der bezahlten Urlaubsabfindung

von S 1.486,--

zusammen S 2.434,-- sA.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß § 9 Abs 1 Z 1 bis 5 UrlG jene Fälle taxativ aufzähle, in denen Urlaubsentschädigung gebühre. Werde das Arbeitsverhältnis, wie vorliegend, in anderer Form beendet, gebühre nur die aliquote Urlaubabfindung als subsidiärer Anspruch. Eine analoge Anwendung des § 9 UrlG auf den vorliegenden Fall, in dem das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufgelöst wurde, ohne daß den Arbeitnehmer ein Verschulden treffe, komme nicht in Betracht, weil die geschlossene Systematik der §§ 9 und 10 UrlG keinen Raum für Analogien lasse.

§ 10 Abs 1 UrlG umfasse alle in § 9 UrlG nicht genannten Tatbestände. Im Berufungsverfahren dehnte die Klägerin das Klagebegehren zuletzt um folgende, bei der Bemessung der Urlaubsentschädigung (§§ 6 Abs 1, 9 Abs 1 UrlG) zu berücksichtigende Beträge auf S 3.323,35 brutto sA aus:

Für Überstunden S 329,35

als weiterer Sonderzahlungsanteil in

Höhe von "1/12", da bisher nur "1/12"

begehrt worden sei S 560,--

zusammen S 889,35 sA.

Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem, gab der Berufung nicht Folge und wies das auf S 3.323,35 brutto sA ausgedehnte Klagebegehren ab. Die zweite Instanz meinte, sie könne seine früher zum ähnlichen Endigungsgrund des § 14 Abs 2 lit d BAG (idF vor der Novelle BGBl. 1978/232) vertretene Ansicht, daß dem Arbeitnehmer gemäß § 9 UrlG immer dann eine Urlaubsentschädigung zustehe, wenn das Arbeitsverhältnis vorzeitig gelöst werde, ohne daß den Arbeitnehmer ein Verschulden treffe (Arb 9738), im Hinblick auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 4 Ob 56-59/79 (ARD 3231/22/80) nicht aufrechterhalten. Das in den §§ 9 und 10 UrlG normierte System der Urlaubsabgeltung sei sprachlich eindeutig geschlossen, sodaß eine "logische" oder "echte" Gesetzeslücke nicht vorliege. Der taxativen Aufzählung im § 9 UrlG stehe die Generalklausel des § 10 UrlG zugunsten der Urlaubsabfindung gegenüber. Eine analoge Anwendung des § 9 UrlG auf dort nicht geregelte Auflösungsfälle käme nur bei Vorliegen einer "verdeckten" Gesetzeslücke in Betracht, also bei einem nur durch Analogie vermeidbaren schwerwiegenden Wertungsbruch. Gegen eine solche Analogie spräche schon die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung. § 9 UrlG sei zu einem Zeitpunkt erlassen worden, als § 14 BAG bereits lange in Geltung gestanden sei. Bei der Änderung des BAG durch das Bundesgesetz vom 2. Juni 1978 Nr. 232 habe der Gesetzgeber keinen Anlaß gesehen, den Endigungsgrund des § 14 Abs 2 lit d BAG durch Novellierung des § 9 UrlG als Entschädigungstatbestand zu regeln. Dem Gesetzgeber könne das Fehlen dieses Endigungsgrundes bei den Entschädigungstatbeständen des § 9 UrlG nicht entgangen sein. Damit sei mangels eines auffallenden Wertungswiderspruches und infolge bewußter Nichtaufnahme dieses Endigungsgrundes durch den Gesetzgeber auch eine verdeckte Gesetzeslücke nicht anzunehmen. Eine Analogie zu § 9 Abs 1 Z 5 UrlG sei auch unter dem Gesichtspunkt ausgeschlossen, daß bereits mehr als die Hälfte des Urlaubsjahres verstrichen gewesen sei, als das Lehrverhältnis der Klägerin geendet habe. Aus § 9 Abs 2 UrlG, der die Vererblichkeit des Anspruches auf Urlaubsentschädigung regle, ergebe sich keine Ungleichbehandlung der Lehrlinge gegenüber anderen Arbeitnehmern.

Die Klägerin habe schon der Berechnung des ursprünglichen Klagebegehrens 2/12 der Sonderzahlungen zur Lehrlingsentschädigung zugrunde gelegt. Aus der einmaligen Leistung von Überstunden durch die Klägerin am 15. Dezember 1984 ergebe sich keine Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist teilweise berechtigt.

Voraussetzung der analogen Anwendung des § 9 Abs 1 UrlG auf einen dort nicht aufgezählten Fall der Beendigung eines Dienstverhältnisses (Lehrverhältnisses) ist eine Gesetzeslücke. Eine Lücke im Rechtssinn ist gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereiches keine Bestimmung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müßte. Eine Lücke ist anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung entspricht (Koziol-Welser, Grundriß 7 I 23 mwN). Bei der Lücke handelt es sich daher um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des privaten Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung (Koziol-Welser aaO mwN FN 49). Bei der "logischen" oder "echten" Lücke erweisen sich ausdrücklich gegebene gesetzliche Bestimmungen als nicht anwendbar (Bydlinski in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 7). Eine solche Lücke liegt hier nicht vor, weil nach dem Wortlaut des § 10 Abs 1 UrlG in den Fällen, in denen kein Anspruch auf Urlaubsentschädigung besteht (und das Arbeitsverhältnis vor Verbrauch des Urlaubs endet) eine Urlaubsabfindung gebührt, und § 9 UrlG nach Meinung der Gesetzesverfasser (276 BlgNr 14.GP 4) alle jene Endigungsgründe taxativ aufzählt, bei deren Vorliegen Anspruch auf Urlaubsentschädigung gegeben ist.

Dies schließt aber, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, das Vorliegen einer "teleologischen" oder "unechten" Lücke, bei der der Gesetzeszweck in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (Bydlinski aaO; vgl. JBl. 1953,129), nicht unter allen Umständen aus. Analogie ist vielmehr auch bei einer (nach Meinung der Gesetzesverfasser !) taxativen Aufzählung möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (Wolff in Klang 2 I/1, 97 f, Arb 9738 mwN). Nur wenn für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge von der Gesetzgebungsinstanz bewußt nicht angeordnet worden ist, fehlt es an der Gesetzeslücke und daher an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (Bydlinski aaO; vgl auch Dens, Jur. Methodenlehre und Rechtsbegriff 246 f). Die bloße Meinung des Gesetzesanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, rechtfertigt also die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht (Koziol-Welser aaO). Eine solche "teleologische" ("unechte") Gesetzeslücke liegt hier vor:

Gemäß § 9 Abs 1 UrlG gebührt dem Arbeitnehmer eine Entschädigung in der Höhe des noch ausstehenden Urlaubsentgeltes, wenn das Arbeitsverhältnis nach Entstehung des Urlaubsanspruches, jedoch vor Verbrauch des Urlaubes endet durch:

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