4Ob506/85 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl, Dr.Resch, Dr.Kuderna und Dr.Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei prot. Firma E*** Co., Internationale Transporte, Haan/Rheinland, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Wolfgang D***, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei S*** E*** Internationale Transporte Gesellschaft m.b.H., Kematen an der Krems, Piberbach Nr. 60, vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Herausgabe (Streitwert 350.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 28.November 1984, GZ 1 R 281/84-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 20.Juni 1984, GZ 3 Cg 89/81-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 12.265,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 S Barauslagen und 940,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin - eine Speditionsgesellschaft mit dem Sitz in Haan (Bundesrepublik Deutschland) - transportiert im Auftrag der Firma E***, deren Werke sich in den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland befinden, laufend Kunstfasern nach Izmit (Türkei), wo sie von der Firma K*** verarbeitet werden. Einer der Spediteure bzw. Frachtführer, deren sich die Klägerin dazu bedient, ist die Beklagte.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten die Herausgabe der bei der Zollfreizonen-Betriebs-Aktiengesellschaft in Linz eingelagerten
22.571 kg Spinnfäden durch Übergabe der diese Ware betreffenden Einlagerungsbestätigung.
Die Beklagte beantragt die Abweisung dieses Begehrens. Nachdem die Zahlungsrückstände der Klägerin Anfang 1978 mehr als 100.000 DM betragen hätten, habe sie einen Teil des Frachtgutes zur Deckung der noch offenen Frachtkosten in Linz zurückbehalten.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens, die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Infolge Revision der Beklagten hob der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 20.Jänner 1981, 4 Ob 503/80-28, diese Urteile auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück; auf die Begründung dieses Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren brachte die Beklagte ergänzend vor, daß der Beförderungsvertrag zwischen der Abnehmerin und der Klägerin nicht mehr aufrecht bestehe, die sich daraus ergebenden Ansprüche vielmehr abgerechnet und vergütet worden seien. Nach den Bestimmungen des deutschen BGB sei daher das Eigentum an dem eingelagerten Gut rechtswirksam auf die Klägerin übergegangen. Selbst wenn aber ein solcher Eigentumsübergang nicht stattgefunden hätte, wäre die Klägerin dennoch nicht zur Klage legitimiert, weil in diesem Fall die Beklagte an der von der Firma E*** derelinquierten Ware durch Zueignung Eigentum erworben hätte.
Die Klägerin verwies demgegenüber vor allem auf § 50 lit. c AÖSp und auf Art. 20 ff. CMR. Sie habe an der gegenständlichen Ladung Eigentum weder erworben noch erwerben wollen; ein solcher Rechtserwerb wäre auch gar nicht möglich gewesen, weil weder sie selbst noch die Firma E*** über das Transportgut hätten verfügen können.
Das Erstgericht erkannte abermals im Sinne des Klagebegehrens. Es traf die gleichen Tatsachenfeststellungen wie im ersten Rechtsgang und nahm ergänzend noch folgenden weiteren Sachverhalt als erwiesen an:
Die Klägerin hatte nur deshalb Zahlung angeboten und geleistet, um die Weiterbeförderung der Fracht zu erreichen. Daß sie die Forderungen der Beklagten anerkannt und auf ihre im Raum stehenden Gegenforderungen verzichtet hätte, konnte nicht festgestellt werden. Nachdem die Firma K*** im April 1978 über ihren Agenten bei der Firma E*** die noch immer nicht bei ihr eingetroffene Lieferung urgiert hatte, forderte die Firma E*** Ende April, Anfang Mai 1978 von der Klägerin telefonisch und fernschriftlich Aufklärung und schließlich vollen Schadenersatz, widrigenfalls sie gerichtliche Schritte gegen die Klägerin einleiten würde. Um die Geschäftsbeziehung weiter aufrecht zu erhalten, wurde am 3.Mai 1978 zwischen der Klägerin und der Firma E*** auf der Basis der CMR-Bestimmungen eine Vereinbarung getroffen, wonach die Klägerin die Firma E*** dafür, daß die von ihr als Hauptfrachtführer übernommene Fracht beim Empfänger nicht eingelangt sei, schadlos zu halten und ihr den Gegenwert der von der Beklagten zurückbehaltenen Fracht von netto 20.802,80 kg Spinnfäden in der Höhe von 93.175,90 DM (= US-Dollar 44.309,96) zu ersetzen habe. Außerdem wurde vereinbart, daß die Ware nach der Beendigung dieses Rechtsstreites der Firma E*** gegen einen dann festzusetzenden Wert wieder zur Verfügung gestellt werde. Eine Eigentumsübertragung an dem Frachtgut war mit dieser Regelung nicht beabsichtigt. Entsprechend der Vereinbarung wurde die Klägerin von der Firma E*** mit Rechnung vom 3.Mai 1978 mit dem Betrag von 93.174,98 DM belastet; sie hat diese Summe in der Folge auch gezahlt. Die Firma E*** sandte hierauf eine Ersatzlieferung an die Firma K*** in Izmit.
Über die von der Beklagten behaupteten Forderungen gegen die Klägerin ist ein Rechtsstreit anhängig.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß das Eigentum der Firma E*** an dem Frachtgut auch nach der Ersatzleistung der Klägerin weiter aufrecht sei. Die Klägerin und die Firma E*** hätten am 3.Mai 1978 zulässigerweise vereinbart, daß das Verfügungsrecht des Absenders bei Freigabe des Gutes durch die Beklagte wieder aufleben solle. Bei dieser Sachlage könne weder von einer Dereliktion des Transportgutes durch die Firma E*** noch von einem Eigentumserwerb der Klägerin oder gar der Beklagten selbst gesprochen werden; Gegenstand der Vereinbarung seien vielmehr nur die obligatorischen Ansprüche gewesen, während die dinglichen Rechte davon nicht betroffen worden seien. Da somit das zurückbehaltene Gut bis heute nicht Eigentum der Klägerin geworden sei und der Beklagten diesbezüglich auch kein guter Glaube zugebilligt werden könne, fehle es an der in § 50 lit. b AÖSp normierten Voraussetzung eines rechtswirksamen Zurückbehaltungsrechtes.
Für die Beklagte wäre aber auch dann nichts gewonnen, wenn man einen Eigentumserwerb der Klägerin an dem von der Beklagten zurückbehaltenen Gut annehmen wollte: Da die von ihr geltend gemachten, mit dem gegenständlichen Beförderungsauftrag nicht zusammenhängenden Forderungen streitig seien und eine Gefährdung dieser Ansprüche wegen der Vermögenslage der Klägerin von der Beklagten nicht einmal behauptet worden sei, stehe auch § 50 lit. c AÖSp dem Erwerb eines rechtswirksamen Zurückbehaltungsrechtes durch die Beklagte entgegen.
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Von den als unbedenklich übernommenen Tatsachenfeststellungen des Ersturteils ausgehend, billigte das Berufungsgericht auch die rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts durch das Prozeßgericht erster Instanz. Der von der Beklagten behauptete dingliche Rechtserwerb der Klägerin an dem Transportgut sei nach dem - hier noch anwendbaren - § 300 ABGB nach dem Recht des Lagerortes und damit nach österreichischem Recht zu beurteilen. Da sich die zu übereignende Sache in der Gewahrsame einer dritten Person - nämlich der Beklagten - befunden habe, hätte es zum Übergang des Eigentums (und ebenso eines allfälligen Sicherungseigentums) von der Firma E*** auf die Klägerin einer Besitzanweisung i.S. des § 428 ABGB bedurft; eine solche sei jedoch von der Beklagten nicht behauptet worden. Auch von einer Dereliktion der Ware durch die Firma E*** und damit von einem Eigentumserwerb der Beklagten selbst könne im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil im Zweifel nicht vermutet werde, daß jemand seine Sachen aufgeben wolle (§ 388 ABGB). Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes an den eingelagerten Spinnfäden sei somit gemäß § 50 lit. b AÖSp rechtswidrig; die Beklagte habe diese Ware der Klägerin herauszugeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes, nach dessen Ausspruch der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt, wird seinem ganzen Inhalt nach von der Beklagten mit Revision aus den Gründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO bekämpft. Die Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin beantragt, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
In seinem Aufhebungsbeschluß ON 28 hat der Oberste Gerichtshof den Vorinstanzen aufgetragen, nicht nur den von der Beklagten behaupteten nachträglichen Eigentumserwerb der Klägerin an dem zurückbehaltenen Transportgut, sondern gegebenenfalls auch die weiteren Voraussetzungen des § 50 lit. a bis c AÖSp (§ 26 Abs 1 bis 3 ATL) zu prüfen. Demgemäß hat auch das Erstgericht sein stattgebendes Urteil nicht nur auf das weiterhin fortbestehende Eigentum der Firma E*** und damit auf das Fehlen des Erfordernisses nach § 50 lit. b AÖSp gestützt, sondern hilfsweise auch damit begründet, daß der Ausübung eines rechtswirksamen Zurückbehaltungsrechtes durch die Beklagte auch das Fehlen der Voraussetzungen des § 50 lit. c AÖSp entgegenstehe. Es hat dazu als erwiesen angenommen, daß eine Anerkennung der Forderungen der Beklagten durch die Klägerin nicht erwiesen, über die von der Beklagten behaupteten, mit dem Transportgut nicht zusammenhängenden Forderungen vielmehr ein Rechtsstreit anhängig ist, sowie daß die Beklagte in einem Fernschreiben an die Klägerin deren wirtschaftliche Bonität nicht bezweifelt hatte, vielmehr klar zu erkennen vermochte, daß die Klägerin die beiden Schecks nur wegen des Verhaltens der Beklagten und nicht etwa aus Gründen ihrer Zahlungsfähigkeit wieder sperren ließ. Geht man aber von diesen - seitens der Beklagten im Berufungsverfahren unbekämpft gebliebenen und damit auch für den Obersten Gerichtshof bindenden - Sachverhaltsfeststellungen aus, dann scheitert die Berufung der Beklagten auf ein rechtswirksames Zurückbehaltungsrecht tatsächlich schon am Fehlen der Voraussetzungen des § 50 lit. c AÖSp: Nach dieser Bestimmung darf der Spediteur ein Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht wegen solcher Forderungen, die mit dem Gut nicht im Zusammenhang stehen, nur ausüben, soweit sie nicht strittig sind oder wenn die Vermögenslage des Schuldners die Forderung des Spediteurs gefährdet. Daß die von ihr gegen die Klägerin erhobene (Rest )Forderung mit dem in Linz zurückbehaltenen Transportgut nicht zusammenhängt, hat die Beklagte ebensowenig in Abrede gestellt wie den Umstand, daß über diese Ansprüche ein Rechtsstreit anhängig ist und daher von einer "nicht strittigen" Forderung keine Rede sein kann. Da nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch eine Gefährdung dieser Forderung durch die Vermögenslage der Klägerin nicht anzunehmen ist, die Beklagte selbst vielmehr an der Bonität der Klägerin nicht gezweifelt hat, kann sich die Beklagte schon wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 50 lit. c AÖSp nicht mit Erfolg auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 50 AÖSp (§ 26 ATL) berufen. Bei dieser Sachlage kann die von der Revision allein relevierte Frage eines nachträglichen Eigentumserwerbs der Klägerin an dem Transportgut auf sich beruhen; dem Rechtsmittel der Beklagten mußte vielmehr schon unter Bedachtnahme auf § 50 lit. c AÖSp im Ergebnis ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.