7Ob19/84 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang P*****, vertreten durch Dr. Harald Jelinek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*****, vertreten durch Dr. Friedrich Fenzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 258.330 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 1984, GZ 3 R 248/83 13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 18. Oktober 1983, GZ 14 Cg 26/83 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.838,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 960 S Barauslagen und 716,25 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 31.Oktober 1980 lenkte der Kläger, dem rund 19 Tage vorher von einem Polizeibeamten der Führerschein abgenommen worden war, mit einem Blutalkoholgehalt von 1,5 %o seinen PKW durch Wien. Als ein Polizeibeamter den Kläger an der Schulter anfasste und ihn aufforderte, zwecks Feststellung der Personalien aus dem PKW auszusteigen, fuhr der Kläger mit starker Beschleunigung los. Dadurch stürzte der Beamte zu Boden. Der Kläger fuhr dann mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h auf einen weiteren Polizeibeamten, der ihn anzuhalten versuchte, und auf ein mit zwei Polizeibeamten besetztes Polizeifahrzeug los. Die Beamten konnten sich nur durch einen Sprung zur Seite bzw durch Losfahren mit dem Polizeifahrzeug in Sicherheit bringen. Unter Beibehaltung der Geschwindigkeit von rund 100 km/h fuhr der Kläger in der Folge auf einen weiteren Polizeibeamten los, der gleichfalls versucht hatte, den Kläger anzuhalten. Auch dieser Beamte konnte sich nur durch einen Sprung zur Seite retten. Während der weiteren Verfolgung des Klägers mit einem Polizeifahrzeug gab ein Polizeibeamter mehrere Schüsse gegen das Heck des PKW des Klägers ab, in der Absicht, die Reifen zu treffen. Ein Projektil drang durch den Fahrersitz und verletzte den Kläger am Rückgrat so schwer, dass eine Querschnittlähmung eintrat. Dadurch war der Kläger an der Bedienung der Pedale gehindert und kollidierte mit einem Taxi. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Dezember 1981 wurde der Kläger des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus der mit ihr abgeschlossenen Unfallversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung 1965 (im Folgenden nur AUVB) zugrundeliegen. Nach den AUVB sind von der Versicherung ausgeschlossen: Unfälle, die der Versicherte bei der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen erleidet, für die böser Vorsatz Tatbestandsmerkmal ist (Art 3 III Z 2 der AUVB); ferner Unfälle infolge von Schlaganfällen, von Geistes oder Bewusstseinsstörungen (auch durch Alkohol oder Rauschgifteinfluss), es sei denn, dass diese Anfälle oder Störungen durch ein unter die Versicherung fallendes Ereignis hervorgerufen wurden (Art 3 III Z 7 der AUVB). Die beklagte Partei beruft sich auf diese Ausschlusstatbestände und auf den Ausschluss nach § 181 VersVG.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte. Beide Vorinstanzen bejahten den Risikoausschluss nach Art 3 III Z 2 der AUVB. Aus dem Bedeutungszusammenhang dieser Bestimmung ergebe sich, dass das vom Versicherer übernommene Risiko auf solche Unfälle zu begrenzen sei, die sich aus einer normalen Gefahrenlage entwickelten. Die mit der vorsätzlichen Begehung von gerichtlich strafbaren Handlungen verbundene erhöhte Gefahrensituation sei auch auf der Flucht gegeben und falle nicht unter das versicherte Risiko. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt. Es erklärte die Revision für zulässig.
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Verneinung der Zulässigkeit der Revision durch die beklagte Partei ist entgegenzuhalten, dass zur Auslegung der Wortfolge „bei der Begehung“ in der Risikoausschlussbestimmung des Art 3 III Z 2 der AUVB eine ständige Rechtsprechung fehlt, an der grundsätzlichen Auslegung dieser Bestimmung aber ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse besteht.
Auf sich beruhen kann die Frage, ob Versicherungsbedingungen wie Gesetze auszulegen oder wie Verträge zu behandeln sind (vgl hiezu Bydlinski in Rummel ABGB Rdz 1 zu § 6), weil im vorliegenden Fall beide Arten der Auslegung zum gleichen Ergebnis führen. Nach dem Wortlaut des Art 3 III Z 2 AUVB ist der Ausschluss nicht auf Unfälle bis zur Vollendung der Tat im strafrechtlichen Sinn beschränkt, wie überhaupt der Begriff der Begehung ein versicherungsrechtlicher und kein strafrechtlicher Begriff ist. Die genannte Bestimmung enthält gewisse typisierte Fälle der Gefahrenerhöhung (vgl Prölss Martin VVG 23 1245). Ihr Zweck ist somit erkennbar – wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat – darauf gerichtet, das vom Versicherer übernommene Risiko auf solche Unfälle zu begrenzen, die sich aus einer regulären, normalen Gefahrenlage entwickeln ( Bruck Möller Wagner VVG 8 VI/1352). Das selbst verschuldete besondere Unfallrisiko, das mit der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gewöhnlich verbunden ist und durch die Erregung und durch die Furcht vor Entdeckung noch gesteigert wird, soll von der Deckung ausgeschlossen sein (vgl Bruck Möller Wagner aaO 353; BGH 23, 76). Dieses besondere Risiko fällt aber regelmäßig nicht schon mit der Vollendung der Straftat weg. Auch wenn der strafbare Tatbestand bereits verwirklicht ist, kann der Zustand der mit der Straftat verbundenen, typisch gesteigerten Gefahr andauern, was insbesondere für die Flucht nach Entdeckung zutrifft. Es gehört daher auch die Flucht vor der Polizei zur Begehung der Tat (vgl Wussow AUB 4 93 f; Stiefel Hofmann AKB 12 , 724). Auch vom Standpunkt des Erklärungsempfängers aus war die Absicht der Gefahrenbeschränkung erkennbar. Entgegen der Meinung des Revisionswerbers kommt es daher nicht darauf an, ob der Tatbestand des Delikts bereits vollendet war, als sich der Unfall ereignete.
Die Frage, ob ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Unfall genügt bzw zu fordern ist oder ob ein adäquater Verursachungszusammenhang vorliegen muss (vgl Bruck Möller Wagner aaO 351), braucht nicht erörtert zu werden, weil im vorliegenden Fall beide Voraussetzungen zutreffen. Insoweit der Revisionswerber einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang unter Hinweis auf die Vollendung des Delikts im Unfallszeitpunkt zu verneinen versucht, ist er auf die vorgenannten Darlegungen zu verweisen. Dass die strafbare Handlung des Klägers generell geeignet war, den Unfall herbeizuführen, weil die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht ohne Bedeutung für den Unfall war ( Bruck Möller Wagner aaO 354), kann nicht zweifelhaft sein. Nach dem rechtskräftigen Erkenntnis des Strafgerichts hat der Kläger Polizeibeamte dadurch mit Gewalt an Amtshandlungen gehindert, dass er zunächst mit seinem PKW stark beschleunigend anfuhr, wodurch der Polizeibeamte, der die Personaldaten des Klägers feststellen wollte, zu Boden stürzte, und dass er in der Folge auf seine Anhaltung versuchende weitere Polizeibeamte losfuhr, sodass sich diese durch einen Sprung zur Seite bzw durch Wegfahren mit dem Polizeifahrzeug in Sicherheit bringen mussten. Ein solches Verhalten hat zwangsläufig die Verfolgung des Täters auch durch Einsatzfahrzeuge und den Versuch der Polizei zur Folge, allenfalls auch durch Anwendung von geeigneten Gewaltmaßnahmen die Amtshandlung zu erzwingen. Eine allfällige Verletzung des Täters gehört zum eigentümlichen Gefahrenbereich einer solchen strafbaren Handlung. Liegen aber die Voraussetzungen der Ausschlussklausel nach Art 3 III Z 2 AUVB vor, ist es belanglos, dass der Sachverhalt gleichzeitig auch noch den Tatbestand von Verwaltungsübertretungen erfüllt. Da die Ausschlussklausel auf gerichtlich strafbare Handlungen beschränkt ist, kommt der Frage keine Bedeutung zu, ob auch mit Verwaltungsübertretungen eine Gefahrenerhöhung verbunden sein kann.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.