JudikaturOGH

2Ob265/82 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 1983

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Josef Peissl, Rechtsanwalt in Köflach, wider die beklagten Parteien 1.) Rudolf R*****, 2.) W***** Versicherungs AG, *****, beide vertreten durch Dr. Alois Ruschitzger, Rechtsanwalt in Graz, wegen restlicher 2.656,18 S sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 11. Oktober 1982, GZ 4 R 313/82 14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. April 1982, GZ 28 C 1042/81 8, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit 1.514 S (darin 96 S Barauslagen und 105 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16. 6. 1981 um ca 15 Uhr ereignete sich bei trockenen Fahrbahnverhältnissen im Stadtgebiet von Graz auf der Riesstraße in der Nähe der Einmündung der Semmelweisgasse ein Verkehrsunfall zwischen dem von der Tochter des Klägers, Annemarie S*****, gelenkten PKW Ford Taunus, KZ Nr *****, und dem vom Erstbeklagten gelenkten und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW mit dem Kennzeichen *****. Hiebei entstanden am Fahrzeug des Klägers Sachschäden, deren Behebung 10.624,72 S kostete.

Der Kläger forderte unter Einräumung eines Mitverschuldens die Bezahlung der Hälfte des ihm entstandenen Schadens.

Die Beklagten haben Klagsabweisung beantragt und Alleinverschulden der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers eingewendet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Infolge Berufung des Klägers änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts im Sinne des Zuspruches von 2.656,18 S sA an den Kläger und Abweisung des Mehrbegehrens von 2.656,18 S sA ab.

Gegen den stattgebenden Teil dieses Urteils wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur die Schadensteilung strittig.

Das Erstgericht hat die in seiner Entscheidung auf S 3 bis 5 (AS 47 bis 49) enthaltenen Feststellungen getroffen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers, Annemarie S*****, und der Erstbeklagte hätten sich aus Westen kommend der späteren Unfallsstelle genähert. Weil Annemarie S***** einen Parkplatz suchte, habe sie das Fahrzeug des Klägers etwa 4 m östlich der Bezugslinie in einem Seitenabstand von rund 70 cm zum südlichen Fahrbahnrand angehalten, wobei sie den linken Blinker eingeschaltet hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei das Fahrzeug des Erstbeklagten rund 25 m westlich der Bezugslinie gewesen und habe einen Seitenabstand von rund 2 m zum südlichen Fahrbahnrand eingehalten. 0,9 Sekunden nach dem Anhalten und 2,8 Sekunden vor der Kollision sei Annemarie S***** weiterhin links blinkend wieder angefahren, um zu einem freien Parkplatz am nördlichen Fahrbahnrand der Riesstraße zuzufahren. 0,7 Sekunden danach habe der Erstbeklagte den Bremsentschluss gefasst, jedoch sei sein Fahrzeug mit rund 5 bis 10 km/h rund 4,9 m vom südlichen Fahrbahnrand entfernt mit der rechten Frontecke gegen die linke Flanke des Fahrzeugs des Klägers gestoßen.

Das Erstgericht nahm Alleinverschulden der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers an. Der Erstbeklagte habe auf das Losfahren dieses Fahrzeugs rechtzeitig reagiert. Der Umstand, dass erkennbar auch in der Stillstandsposition dieses Fahrzeugs der linke Blinker eingeschaltet war, könne ein Mitverschulden des Erstbeklagten nicht begründen, weil er trotz eingeschaltetem linken Blinker nicht damit rechnen musste, dass das Fahrzeug des Klägers auf der gekennzeichneten Vorrangstraße zum linken Straßenrand zufahren wolle.

Das Berufungsgericht stellte nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzend fest, dass ein Anhalten des Fahrzeugs des Erstbeklagten mit einer mittleren Betriebsbremsung möglich gewesen wäre, wenn der Erstbeklagte den Bremsentschluss bereits 25 m westlich der Bezugslinie gefasst hätte, als er die Blinkzeichen links am Fahrzeug des Klägers erstmals wahrnahm. Im Übrigen übernahm es die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich, gelangte aber zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Der Erstbeklagte hätte das Vorbeifahrmanöver nur mit einem sehr geringen Seitenabstand vom angehaltenen PKW des Klägers durchführen können. Die Lenkerin dieses Fahrzeugs habe entgegen der Bestimmung des § 11 Abs 1 StVO 1960 ihre Fahrtrichtung geändert, ohne sich zu überzeugen, ob dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei und sei entgegen der Bestimmung des § 7 Abs 4 StVO 1960 in der Vorrangstraße im Ortsgebiet zum linken Fahrbahnrand zugefahren. Diese Verstöße gegen Schutznormen hätten wesentlich zum Zustandekommen des Unfalls beigetragen, weshalb die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers das überwiegende Verschulden am Unfall treffe. Aber auch den Erstbeklagten, der sehr knapp am Fahrzeug, das im Bereich der südlichen Fahrbahnhälfte gestanden sei und Blinkzeichen links gegeben habe, vorbeizufahren versucht habe, treffe ein nicht zu vernachlässigendes Mitverschulden am Unfall. Das nur 0,9 Sekunden dauernde Anhalten des Fahrzeugs des Klägers nicht etwa am rechten Fahrbahnrand, sondern in einer Entfernung von 70 cm hievon im Bereich der südlichen Fahrbahnhälfte, wobei Blinkzeichen links gegeben wurden, habe nicht erkennen lassen, welche Fahrweise die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers beabsichtigte. Ein nachkommender Verkehrsteilnehmer habe nicht wahrnehmen können, welche beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung durch die Abgabe von Blinkzeichen links angezeigt werden sollte. Eine Zufahrt zum linken Straßenrand sei nach § 7 Abs 4 StVO 1960 verboten gewesen. In die Riesstraße münden aus Richtung Norden kommend im Bereiche 10 m östlich der Bezugslinie weder eine Straße noch ein Weg, in den das Fahrzeug des Klägers hätte einbiegen können. Die Abgabe von Blinkzeichen links und das Unterlassen der Zufahrt ganz an den rechten Fahrbahnrand spreche gegen die Annahme, dass die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers etwa dort halten wollte. Für den Erstbeklagten sei daher eine unklare Verkehrssituation vorgelegen. Jede unklare Verkehrssituation sei im bedenklichen Sinne auszulegen. Insbesondere sei ihr durch Abstehen von einem Überholmanöver oder Vorbeifahren Rechnung zu tragen. Hiezu wäre der Erstbeklagte bei Anwendung einer mittleren Betriebsbremsung in der Lage gewesen. Zumindest hätte er jedoch das Vorbeifahren am Fahrzeug des Klägers nur mit größter Vorsicht ausführen dürfen, nämlich unter Einhaltung eines größeren Seitenabstands (§§ 17 Abs 1, 15 Abs 4 StVO 1960) und nach Abgabe von Warnzeichen iSd § 22 StVO 1960. Der Verstoß gegen diese Schutznorm iSd § 1311 ABGB begründet ein Mitverschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des gegenständlichen Unfalls im Ausmaß von einem Viertel.

In ihrer Revision weisen die Beklagten zunächst darauf hin, dass das Berufungsgericht in der Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichts die Breite einer Fahrbahnhälfte mit 4,4 m anstatt mit 5,4 m angenommen habe.

Da das Erstgericht die Breite der Asphaltfahrbahn der Riesstraße mit 10,8 m feststellte (AS 47), und das Berufungsgericht diese Feststellung übernahm, betrug die Breite einer Fahrbahnhälfte tatsächlich 5,4 m und nicht, wie das Berufungsgericht offenbar aufgrund eines Rechenfehlers annahm, nur 4,4 m; dieser Rechenfehler hat aber auf die rechtliche Beurteilung keinen Einfluss.

Die Beklagten bestreiten im Übrigen in ihrer Revision, dass für den Erstbeklagten infolge des Verhaltens der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers eine unklare Verkehrssituation bestanden habe.

Dem kann nicht gefolgt werden. Nach den Feststellungen hielt die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers ihr Fahrzeug 0,9 Sekunden lang in einer nicht zur Fahrbahnmitte eingeordneten Position an. Dabei stand das Fahrzeug aber nicht am rechten Fahrbahnrand, sondern 70 cm von diesem entfernt, wobei der linke Blinker eingeschaltet war. Die Lenkerin hatte die Absicht, zu einem freien Parkplatz am linken Fahrbahnrand der Riesstraße, einer gekennzeichneten Vorrangstraße, zuzufahren. Der Erstbeklagte hatte auf dieses Verhalten der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers zunächst nicht reagiert, obwohl er das Fahrzeug und die Blinkzeichen aus einer Entfernung von 29 m bereits wahrgenommen hatte und er leicht hätte anhalten bzw optische oder akustische Signale geben können. Das Fahrzeug des Klägers bog dann, ohne dass seine Lenkerin auf das nachkommende Beklagtenfahrzeug achtete, plötzlich zu dem erwähnten Parkplatz ein. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Erstbeklagte nicht mehr unfallsverhindernd reagieren, sodass es zum Anprall zwischen den beiden Fahrzeugen kam. Der Erstbeklagte hatte das Vorbeifahrmanöver unter Beibehaltung der von ihm eingehaltenen rechten Fahrbahnhälfte durchführen wollen. Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen ist dem Berufungsgericht beizupflichten, dass für den Erstbeklagten eine unklare Verkehrssituation bestand, die er im bedenklichen Sinn auszulegen hatte. Er wäre daher verpflichtet gewesen, zunächst durch Warnzeichen mit der Lenkerin des Kraftfahrzeugs Kontakt aufzunehmen und sodann das Vorbeifahren nur mit größter Vorsicht und unter Einhaltung eines größeren als des von ihm tatsächlich eingehaltenen Sicherheitsabstands durchzuführen. Diesen Verpflichtungen ist der Erstbeklagte jedoch nicht nachgekommen, sodass ihm das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum ein Mitverschulden von ¼ zur Last gelegt hat.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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