JudikaturOGH

10Os27/79 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 1979

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.März 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, Dr. Bernardini, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Jelinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86 StGB und eines anderen Delikts über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27.November 1978, GZ. 10 Vr 9055/76-73, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, der Ausführungen der Verteidigerin Dr. Oehlzand und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 27.Februar 1944 geborene beschäftigungslose Rudolf A des Verbrechens (richtig: Vergehens) der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 2 Z. 1 StGB, des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG. schuldig erkannt.

Während der zu einem weiteren Anklagepunkt (in Richtung des letzterwähnten Vergehens) ergangene Teilfreispruch (als unbekämpft) in Rechtskraft erwachsen ist, wendet sich der Angeklagte gegen den schuldigsprechenden Teil dieses Urteils - der Sache nach allerdings nur gegen die Schuldsprüche betreffend die Körperverletzungsdelikte

-

mit einer auf die der Z. 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die (aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund erhobene) Mängelrüge macht dem Schöffengericht primär zum Vorwurf, daß die (für die Frage des allfälligen Vorliegens einer Notwehrsituation) entscheidungswesentliche Feststellung, wonach die beiden italienischen Staatsangehörigen, welche der Beschwerdeführer nach dem Inhalt des Schuldspruches am 27.Mai 1976 in Genua durch mit Verletzungsvorsatz abgegebene Pistolenschüsse teils schwer (Domenico B), teils tödlich (Vincenzo C) verletzte, unbewaffnet waren und auch keine auf die Absicht des Ziehens einer Waffe hindeutende Bewegungen machten, einer zureichenden Begründung entbehre.

Der Einwand schlägt nicht durch. Das Erstgericht stützt die erwähnten Feststellungen ausdrücklich (Band II, S. 80) auf die Angaben der im Rechtshilfeweg in Italien (Untersuchungsabteilung des Gerichtshofes Genua) zeugenschaftlich vernommenen Personen, insbesondere Giovanni D, Gianfranco E und Maria F (Band I, S. 252, 256, 268, 271, Verlesung Band II, S. 14 in Verbindung mit S. 63) stützte, denen es in freier Beweiswürdigung unter gleichzeitiger Ablehnung der anderslautenden Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (wonach eine Gruppe von vier bis fünf Italienern, teils mit Messern bewaffnet, auf ihn und seinen Begleiter Raimund G zugegangen seien) Glauben schenkte. Daß die in diesem Zusammenhang in der Rechtsmittelausführung zum Ausdruck gebrachte Auffassung, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gelte nur für unmittelbare Beweisaufnahmen vor dem erkennenden Gericht (wobei auch noch die unzutreffende Behauptung aufgestellt wird, die Zeugen seien vorliegend überhaupt nicht 'gerichtlich' vernommen worden) völlig fehl geht, bedarf keiner näheren Begründung, zumal andernfalls jede Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg (a priori) sinnlos wäre. Das Erstgericht hat nach dem Gesagten - entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen -

aber auch die Verantwortung des Angeklagten keineswegs 'mit Stillschweigen übergangen', sondern es hat ihr mit ausreichender Begründung den Glauben versagt.

Im übrigen hat sich das Schöffengericht mit Fug nicht mit der für den (unmittelbaren) Tathergang selbst belanglosen Aussage des Zeugen Gianfranco E (Band I, S. 232) auseinandergesetzt, wonach vorher insgesamt vier Italiener einem Auto entstiegen seien (ohne daß der Zeuge aber etwa behauptete, diese hätten den Angeklagten dann alle attackiert);

ebensowenig brauchte sich das Erstgericht weiters mit der Bekundung des von ihm selbst vernommenen Zeugen Dr. Pietro H über das Tatortmilieu besonders beschäftigen, da hieraus in Ansehung der konkreten Straftat nichts zu gewinnen war. Es hat im übrigen ohnedies seiner Anschauung Ausdruck verliehen, daß es sich vorliegend nach den Persönlichkeiten sämtlicher Beteiligter offensichtlich um eine Fehde in Schmuggler- und Zuhälterkreisen gehandelt hat (Band II, S. 82). Die vom Beschwerdeführer ebenfalls bekämpfte Feststellung schließlich, es sei zur Konfrontation mit den späteren Opfern gekommen, als er jenen Italiener zur Rede stellen wollte, der vorher seinen Begleiter Raimund G im Zuge eines Streites aus banalem Anlaß geschlagen hatte, stellt eine - den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechende - Folgerung tatsächlicher Art dar, die das Erstgericht aus der von ihm in freier Beweiswürdigung festgestellten Gesamtsituation zur Zeit der Tat zog; dabei durfte es - ebenfalls im Rahmen der ihm durch § 258 Abs. 2 StPO eingeräumten Befugnisse - im Hinblick auf die Persönlichkeiten der Beteiligten und die sonst obwaltenden Umstände auch der Verantwortung des Angeklagten, er habe mit dem Italiener, der vorher gegen seinen Begleiter Raimund G gewalttätig geworden war, nur zu einer 'gütlichen Einigung gelangen' wollen, Glaubwürdigkeit absprechen.

Rechtliche Beurteilung

Das gesamte Vorbringen der Mängelrüge stellt sich - soweit es sich nicht überhaupt vorgreifend mit rechtlichen Erwägungen zur Frage nach dem Vorliegen einer Notwehrsituation befaßt - in Wahrheit (auch wenn die Beschwerde dies nicht wahrhaben will) doch bloß als Versuch dar, die freie Beweiswürdigung des Erstgerichtes in einer im Nichtigkeitsverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile unzulässigen Weise nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen. Was aber die auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9

lit. a (der Sache nach Z. 9 lit. b und 10) des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Rechtsrüge des Angeklagten anlangt, mit der er ein Handeln in 'gerechter' Notwehr (vgl. § 2

lit. g StG. 1945; gemäß § 3 StGB nunmehr: 'Notwehr'), zumindest aber die irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation (Putativnotwehr - § 8 StGB), allenfalls auch eine bloße Notwehrüberschreitung aus asthenischen Affekten behauptet, so ist von den Feststellungen des Erstgerichtes auszugehen: Hienach eröffnete er sofort aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern auf die sich ihm nähernden beiden Italiener Domenico B und Vincenzo C das Feuer aus seiner Pistole, obgleich beide unbewaffnet waren, auch keine drohende Haltung einnahmen und bloß einer von ihnen die Äußerung 'wir kennen uns' gemacht hatte. Auf Grund dieses Hergangs der Ereignisse hat das Erstgericht zu Recht das Vorliegen eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffes auf ein notwehrfähiges Gut des Angeklagten (oder seines Begleiters) und damit eine Notwehrsituation verneint; hieran vermag auch der Umstand, daß sich der Vorfall in einer übel beleumundeten Gegend der Hafenstadt Genua abspielte, umso weniger zu ändern, als nicht zu übersehen ist, daß der Angeklagte sich an diesen Ort begab, obwohl ihm diese Umstände wohlbekannt waren. Das Erstgericht hat ferner - den Beschwerdebehauptungen zuwider - aber auch die erforderlichen Feststellungen zur Beantwortung der Frage getroffen, ob der Angeklagte etwa in sogenannter 'Putativnotwehr' handelte, indem es - im Zusammenhalt mit der Ablehnung der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung über den angeblichen Angriff von vier bis fünf, teils mit Messern bewaffneten Italienern und der sie zeitweise zum Teil stützenden Angaben des Raimund G - die Abwehr nicht nur eines tatsächlichen, sondern auch eines bloß vermeintlichen Angriffs angesichts der am Tatort zur Tatzeit als erwiesen angenommenen Verhältnisse - ausdrücklich (Bd. II S. 81) - verneinte.

Da nach dem urteilsmäßig festgestellten Sachverhalt sohin von vornherein weder eine echte noch eine vom Angeklagten irrig als gegeben angesehene Notwehrsituation vorlag, kommt die Frage eines allfälligen Notwehrexzesses überhaupt nicht zum Tragen. Nur der Vollständigkeit halber sei am Rande darauf verwiesen, daß selbst bei Zubilligung eines Handelns in Notwehr (oder Putativnotwehr) im Verhalten des Angeklagten jedenfalls eine klar zutage liegende Notwehrüberschreitung erblickt werden müßte, wobei ein asthenischer Affekt als Beweggrund hiefür durch nichts indiziert wäre, zumal sich der Angeklagte nach den (hinreichend begründeten) Feststellungen des Erstgerichtes an den späteren Tatort begeben hatte, um dort die Konfrontation mit dem Verletzer seines Begleiters (geradezu) zu suchen, den üblen Ruf der Gegend kannte, auf einen Raufhandel auch innerlich (zumindestens) vorbereitet und den sodann von ihm angeschossenen unbewaffneten Personen infolge seiner Bewaffnung mit einer gebrauchsbereiten Pistole von vornherein weit überlegen war. Die dann somit allein verbleibende Notwehrüberschreitung aus sthenischem Affekt - wobei aber ein Affekt, d. i. eine plötzliche Gemütsbewegung, eine Aufwallung, beim vorsätzlichen Aufsuchen einer Konfrontation (siehe vorher) begrifflich kaum in Betracht kommt - könnte aber am Ausmaß der vom Erstgericht angenommenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten für seine Taten und damit an deren rechtlicher Beurteilung (als Vorsatztaten - nach den vom Erstgericht herangezogenen Gesetzesstellen) nichts ändern. Daher erweist sich auch die Rechtsrüge des Angeklagten als unberechtigt.

Seine zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Rudolf A nach § 86 StGB unter Bedachtnahme auf die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.September 1977, 2 d Vr 5056/77 (§ 165 StGB, § 36 Abs. 1 WaffG.), und vom 13.Jänner 1978, 10 Vr 756/76 (§ 127 Abs. 1 u. 2 Z. 1, 128 Abs. 2, 129 Z. 1 StGB), unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen und drei einschlägige Vorstrafen als erschwerend; mildernd war das Teilgeständnis, nämlich (bloß) im Waffenfaktum. Mit seiner Berufung strebt Rudolf A eine Strafermäßigung an. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Die vom Erstgericht angenommenen Erschwerungsgründe bedürfen insoferne einer Berichtigung, als (richtig) ein Verbrechen (§ 83, 86 StGB) mit zwei Vergehen (§ 83, 84

StGB; § 36 WaffG.) konkurriert.

Der vom Berufungswerber geltend gemachte Milderungsgrund der Erregung zum Tatzeitpunkt steht im Widerspruch zur Urteilsfeststellung, daß der Berufungswerber die Konfrontation gesucht hat (siehe II. Bd. S. 81 unten).

Eine Situation, die einem Rechtfertigungsgrund nahekommt, war auf Grund des Urteilssachverhalts gleichfalls nicht gegeben. Von Hilfeleistung für den Freund (G) kann nicht die Rede sein, weil ja der Freund längst außer jeder Gefahr war, als der Berufungswerber in einem Lokal mit ihm zusammentraf und sich entschloß, offenbar einen Racheakt ins Werk zu setzen.

Unter angemessener Bedachtnahme auf die beiden angeführten Vorverurteilungen zu je 18 Monaten Freiheitsstrafe (§ 31, 40 StGB) erscheint die nunmehr verhängte Zusatzstrafe nicht überhöht.

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