9Os207/78 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 1978
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Obauer sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Dietmar A wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128
Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. August 1977, GZ. 29 Vr 1000/77- 27, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. August 1977, GZ. 29 Vr 1000/77-27, mit welchem Dietmar A des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 StGB sowie des Vergehens der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, verletzt insoweit, als die ausgesprochene Strafe nicht als Zusatzstrafe zum Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 1. Juni 1977, GZ. 10 E Vr 596/77-8, verhängt wurde, das Gesetz in den Bestimmungen der § 31 und 40 StGB. Diese Gesetzesverletzung wird festgestellt.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
I. Aus den Akten 29 Vr 1000/77 des Landesgerichtes Klagenfurt und 10
E Vr 596/77 des Kreisgerichtes Leoben ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. August 1977, GZ. 29 Vr 1000/77-27, wurde der am 25. April 1950 geborene Maurer Dietmar A des zwischen 15. März 1977 und 21. April 1977 in insgesamt drei Angriffen begangenen Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 StGB (Punkt I/1 bis 3 des Urteilsspruchs) sowie des am 17. Feber 1976 begangenen Vergehens der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs. 1 StGB (Punkt II/ des Urteilsspruchs) schuldig erkannt und hiefür nach § 28, 129 StGB
zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.
Zum Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 149 Abs. 1 StGB ging das Schöffengericht - gestützt auf das Geständnis des Angeklagten und die diesbezüglichen Gendarmerieerhebungen - davon aus, daß der Angeklagte am 17. Feber 1976 in Villach einen Zug der ÖBB bestiegen hat, ohne im Besitz einer Fahrkarte zu sein (und ohne den Fahrpreis bezahlt zu haben), wobei er in der Folge dem Schaffner gegenüber vorgab, ihm seien seine Fahrkarte in die Bundesrepublik Deutschland sowie sein Bargeld gestohlen worden. Bereits am 1. Juni 1977 war Dietmar A mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben, GZ. 10 E Vr 596/77-8, wegen des am 14. April 1977 begangenen Vergehens des (versuchten schweren) Betrugs nach § 15, 146, 147 Abs. 1 (Z 1) und Abs. 2 StGB schuldig erkannt und zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden; dieses Urteil ist mit Ablauf des 6. Juni 1977 (und nicht, wie in der Endverfügung vom 17. Juni 1977 - S. 31 des bezeichneten Akts - unrichtig angeführt, am 5. Juni 1977 - dieser Tag war ein Sonntag -
in Rechtskraft erwachsen.
II. In der gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht die Generalprokuratur geltend, das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. August 1977, GZ. 29 Vr 1000/77-27, stehe in zweifacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang, und zwar einerseits, soweit darin Dietmar A (auch) des Vergehens der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs. 1 StGB schuldig erkannt wurde, und andererseits, weil das Schöffengericht bei der Strafbemessung nicht auf das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 1. Juni 1977, GZ. 10 E Vr 596/77-8, Bedacht genommen habe, wiewohl die Voraussetzungen der § 31 und 40 StGB gegeben gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt nur im letztangeführten Umfang Berechtigung zu.
Dem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. August 1977, GZ. 29 Vr 1000/77-27, lagen ausschließlich Straftaten zugrunde, die zeitlich vor der Fällung des Urteils des Kreisgerichtes Leoben vom 1. Juni 1977, GZ. 10 E Vr 596/77-8, begangen wurden, nämlich am 17. Feber 1976, am 15. März 1977, am 19. April 1977 und am 21. April 1977.
Diese Straftaten hätten demnach zufolge der Zeit ihrer Begehung schon im Verfahren 10 E Vr 596/77 des Kreisgerichtes Leoben abgeurteilt werden können, weshalb das Landesgericht Klagenfurt gemäß § 31 und 40 StGB auf das oben bezeichnete Urteil des Kreisgerichtes Leoben Bedacht nehmen hätte müssen und lediglich eine Zusatzstrafe verhängen hätte dürfen. Da es dies unterlassen hat, verstößt sein Urteil gegen die Bestimmungen der § 31 und 40 StGB. Diese Gesetzesverletzung war festzustellen; sie gereichte nach Lage des Falls dem Verurteilten jedoch nicht zum Nachteil. Denn auch bei entsprechender Bedachtnahme auf die Verurteilung vom 1. Juni 1977 wäre die über Dietmar A zu verhängende Zusatzstrafe - unter Berücksichtigung der gegebenen besonderen Strafzumessungsgründe, vor allem der mehrfachen einschlägigen Vorstrafen und des besonders raschen Rückfalls (letzte Vorverurteilung wegen Vergehens des Diebstahls am 30. März 1977 zu 10 E Vr 356/77 des Kreisgerichtes Leoben, weitere Straftaten darnach bereits am 14., 19. und 21. April 1977), sowie der im § 32 StGB normierten allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung - gleichfalls mit acht Monaten auszumessen gewesen, weil bei gemeinsamer Aburteilung aller in Frage kommender strafbarer Handlungen eine Strafe von einem Jahr durchaus tatschuldangemessen und täterpersönlichkeitsadäquat gewesen wäre (§ 40 StGB). Aus diesem Grunde sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, seinem Erkenntnis über die in diesem Umfang begründete Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes konkrete Wirkung für den Verurteilten zuzuerkennen.
Nicht im Recht ist die Generalprokuratur hingegen, soweit sie geltend macht, der Schuldspruch wegen Vergehens der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs. 1 StGB (Punkt II/ des Urteilsspruchs) verletze das Gesetz in der angeführten Bestimmung. Sie hat hiezu folgendes ausgeführt:
'Des Vergehens der Erschleichung einer Leistung nach dem 1. Deliktsfall des § 149 Abs. 1 StGB macht sich unter der weiteren Voraussetzung, daß das Entgelt gering ist, derjenige schuldig, wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten. Nur dieser Vorwurf war von der Anklagebehörde erhoben worden, obwohl A vorerst angegeben hatte, er habe beabsichtigt, von Villach nach Wuppertal (ohne Entgeltleistung) die Bahn zu benützen (S. 11, 19 in U 32/77 des Bezirksgerichtes Knittelfeld) und später er habe zumindest bis Salzburg kommen wollen (S. 34, 60), in welchem Falle kaum mehr ein geringes Entgelt zu bezahlen gewesen wäre, was vorliegend für die Unrichtigkeit des vorbeschriebenen Schuldspruchs jedoch nicht von Bedeutung ist.
'Erschleichen' bedeutet an sich hier nur das unbefugte Erreichen der Beförderung (hier durch die österreichische Bundesbahn als eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt). Die zusätzliche Verwendung der Diktion des Betrugstatbestandes 'durch Täuschung über Tatsachen' bei Umschreibung des Tatbildes besagt jedoch, dieses einengend, daß die unentgeltliche Inanspruchnahme ohne psychische Einwirkung auf eine Person (sohin ohne deren Irreführung) zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht ausreicht. Es müssen also unrichtige Behauptungen aufgestellt oder schlüssige Handlungen gesetzt werden, durch die bei den zuständigen Kontrollorganen der Anstalt eine Täuschung über Tatsachen hervorgerufen wird. Der blinde Passagier, der lediglich darauf abzielt, unbemerkt zu bleiben, aber niemandem eine Berechtigung, befördert zu werden, vortäuscht, bleibt somit straflos (Dokumentation zum StGB, S. 170; Leukauf-Steininger, StGB, S. 752, Foregger-Serini Erl. III zu § 149 StGB).
Wendet man diesen Grundsatz auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich, daß Dietmar A zwar durch Besteigen des Zuges ohne Fahrkarte die Beförderung ohne Entrichtung des Entgeltes bewirken wollte, dabei aber keine Täuschungshandlung gesetzt hat, weil er nach dem Akteninhalt den Zug ohne Kontrolle bestiegen hat. In seinen Angaben gegenüber dem ihn kontrollierenden Schaffner ist aber ein der Täuschung über Tatsachen dienendes Verhalten nicht zu erkennen, weil es sich hiebei um den Rechtfertigungsversuch des ertappten Schwarzfahrers handelt, der nicht als tatbestandsmäßig im Sinn des § 149 Abs. 1 StGB angesehen werden kann.
Einzuräumen ist, daß durch die oben aufgezeigte Gesetzesauslegung der Anwendungsbereich des § 149 Abs. 1
StGB im Fall der Erschleichung der Beförderung stark eingeschränkt wird und insbesonders kein Raum für einen Schuldspruch nach dieser Gesetzesstelle in Fällen wie dem gegenständlichen bleibt, sofern der Schwarzfahrer im Fall seiner Betretung bloß versucht, sich herauszureden; der Oberste Gerichtshof scheint deshalb auch in der zu RZ 1976/21 veröffentlichten Entscheidung, die auch Täuschung von Mitreisenden als tatbilderfüllend ansieht, einen strengeren Standpunkt eingenommen zu haben. Die oben dargelegte, den Anwendungsbereich des § 149 StGB stark einschränkende Gesetzesauslegung entspricht jedoch der Beurteilung, die ein ähnlich gelagerter Sachverhalt in der zu SSt 40/51 veröffentlichten Entscheidung gefunden hat. Im übrigen besteht nunmehr auch kein besonderes rechtspolitisches Interesse an einer Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 149 Abs. 1 StGB in Beziehung auf dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalten, weil nach dem durch das Bundesgesetz vom 27. April 1977 Art. I Z 8 BGBl 232/1977 eingefügten Art. IX des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG), Abs. 1 Z 5 derjenige eine durch die Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 3.000 S zu ahndende Verwaltungsübertretung begeht, der sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen dieser Einrichtung festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten.' Der Auffassung, in den Angaben des Angeklagten gegenüber dem (ihn kontrollierenden) Schaffner sei ein der Täuschung über Tatsachen dienendes Verhalten nicht zu erkennen, weil es sich hiebei (bloß) um den Rechtfertigungsversuch des ertappten Schwarzfahrers handelte, der nicht als tatbestandsmäßig im Sinne des § 149 Abs. 1 StGB angesehen werden könne, weshalb der in Rede stehende Tatbestand nicht erfüllt sei, vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizutreten.
Richtig ist, daß nach § 149 Abs. 1 StGB nur strafbar ist, wer die entgeltlose Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt mittels Täuschung über Tatsachen erschleicht, wobei eine derartige Täuschung begrifflich nur gegenüber einem zur Prüfung des erforderlichen gültigen Fahrausweises und damit des Nachweises über die ordnungsgemäß erfolgte Bezahlung des Fahrpreises bestellten und berufenen Organ der Verkehrsanstalt geschehen kann. Nun war aber im gegenständlichen Fall der Zugschaffner jenes befugte Organ, das - erstmals nach Antritt der Fahrt durch den Angeklagten - diese Prüfung vorzunehmen hatte und durch dessen Täuschung erst die (entgeltlose) Beförderung erschlichen werden konnte (und sollte), zumal Bahnsteigsperren derzeit in Österreich nicht bestehen und demzufolge die Prüfung des Fahrausweises und - vor allem - dessen Entwertung im Regelfall bestimmungsgemäß erst durch den Schaffner erfolgt. Gerade darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der in SSt 40/51 veröffentlichten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt.
Unrichtige Angaben eines 'blinden Passagiers' gegenüber dem Schaffner über eine vorgegebene Berechtigung zur Beförderung können wohl, müssen aber nicht (in jedem Fall) bloße (straflose) Ausreden sein, die nur eine Rechtfertigung des ertappten Schwarzfahrers bezwecken; sie vermögen vielmehr durchaus auch umgekehrt dazu zu dienen (und hiefür die Eignung zu besitzen), die (Weiter )Beförderung zu erschleichen. Es kommt daher darauf an, wozu sie im jeweiligen konkreten Einzelfall gebraucht wurden. Was solcherart im obigen Sinne wirklich bezweckt wurde, ist jedoch letztlich eine Tatfrage. Vorliegend ist das Schöffengericht bei seinen bezüglichen Urteilsannahmen der (geständigen) Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 22. August 1977 (S. 111 d. A) gefolgt, wo sich der Angeklagte (auch durch sein Schuldbekenntnis) ersichtlich auf sein vor dem Bezirksgericht Knittelfeld am 17. November 1976 (S. 34 im einbezogenen - allerdings nicht einjournalisierten - Akt U 32/77) abgelegtes Geständnis (und nicht auf seine davon abweichenden Angaben vor der Gendarmerie; vgl. S. 11 im bezeichneten Akt) bezogen und dieses zum Inhalt seiner Verantwortung vor dem erkennenden Gericht gemacht hat (vgl. § 271 Abs. 3 StPO). Darnach hat aber der Angeklagte die falschen Angaben deshalb gebraucht, um zu erreichen, daß er mit dem 'Tauern-Expreß' zumindest bis Salzburg befördert wird.
Von diesen Urteilsannahmen ausgehend waren aber die inkriminierten, vom Angeklagten gegenüber dem Zugschaffner auf dessen Aufforderung, den Fahrausweis vorzuzeigen, aufgestellten falschen Behauptungen, durch welche die ordnungsgemäße Bezahlung des Fahrpreises sowie der Besitz eines gültigen Fahrausweises schon bei Antritt der Fahrt (§ 15 Abs. 2, 16 Abs. 1 EVO) und während der Fahrt (§ 21 EVO) vorgetäuscht und die (Weiter )Beförderung zumindest bis Salzburg erschlichen werden sollte, durchaus taugliche Täuschungshandlungen zur Erreichung des angestrebten verpönten Erfolgs, nämlich der entgeltlosen Beförderung bis zu dem gewünschten Reiseziel; sie beinhalten im gegebenen Fall nicht bloß den nachträglichen Rechtfertigungsversuch einer Schwarzfahrt, sondern dienten gerade dazu, die entgeltlose Beförderung (weiter) zu erschleichen. So gesehen haftet daher dem Schuldspruch wegen § 149 Abs. 1 StGB die behauptete Gesetzesverletzung nicht an. In diesem Umfang war mithin die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.