2Ob77/77 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, Hausfrau und Kleinlandwirtin in *, vertreten durch Dr. Wilfried Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, wider die beklagten Parteien 1) A*, Bäckermeisterin in *, und 2) I* Aktiengesellschaft, *, beide vertreten durch Dr. Hansjörg Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 80.000,-- s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 25. Jänner 1977, GZ 4 R 207/76 17, womit infolge Berufung beider Streitteile das Endurteil des Landesgerichtes Linz vom 30. September 1976, GZ 6 Cg 196/75 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 2.909,40 (darin S 171,-- Umsatzsteuer und S 600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin wurde am 23. April 1973 bei einem von der Erstbeklagten als Lenkerin des bei der z weitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs, Kennzeichen *, verschuldeten Verkehrsunfall verletzt. Sie nimmt die Erstbeklagte und die z weitbeklagte Partei aus diesem Unfallereignis aus dem Titel des Schadenersatzes als Schuldner zur ungeteilten Hand in Anspruch. Sie hält ein Schmerzengeld von (rechnerisch) S 120.000,-- als angemessen und macht mit vorliegender Klage – neben einem Feststellungsbegehren – unter Anrechnung bereits geleisteter S 40.000,-- den Restanspruch auf Zahlung von S 80.000,-- samt 4 % Zinsen seit 23. Mai 1973 geltend.
Die beklagten Parteien – ihre Solidarhaftung dem Grunde nach ist unbestritten – beantragen Abweisung des Klagebegehrens, weil den erlittenen Verletzungen und den Folgen ein Schmerzengeld von nur S 40.000,-- adäquat sei. Dieser Betrag sei jedoch bereits bezahlt worden.
Mit Endurteil – über das Feststellungsbegehren wurde mit rechtskräftigem Teilanerkenntnisurteil vom 5. 11. 1975 abgesprochen – gab das Erstgericht dem noch offenen Leistungsbegehren, ausgehend von einem als (rechnerisch) angemessen erkannten Schmerzengeld von S 95.000,--, im Umfang von S 55.000,-- samt 4 % Zinsen seit 14. Juli 1975 statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 25.000,-- samt 4 % Zinsen seit 23. Mai 1973 sowie ein Zinsenmehrbegehren für die Zeit vom 23. Mai 1973 bis 13. Juli 1975 a b . Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin erlitt durch den Unfall zahlreiche Schnittwunden mit Glaskörpereinsprengungen im Gesichtsbereich, und zwar an der Stirn, den Wangen und der linken Ohrmuschel sowie an der linken Halsseite, ferner eine Gehirnerschütterung, eine Schleimhautwunde an der Unterlippe, den Abbruch der oberen Schneidezähne sowie des oberen und unteren vierten Zahnes links, eine Risswunde am rechten Kniegelenk mit Eröffnung des Schleimbeutels und schließlich eine perforierende Verletzung des rechten Augapfels.
Die erste Behandlung der Klägerin nach dem Unfall erfolgte im Arbeitsunfallkrankenhaus *, wo mit Ausnahme der Hautverletzungen sämtliche Wunden ausgeschnitten und genäht wurden. Am rechten Kniegelenk wurde eine Gipshülle angelegt. N och am Unfallstag wurde die Klägerin in das Krankenhaus * überstellt, wo sie bis 18. Mai 1973 in stationärer Behandlung war. Dort erfolgte die Behandlung der Hornhaut- und Lederhautwunde des rechten Auges sowie eine Koagulation der abgehobenen Netzhaut. Infolge neuerlicher Abhebung der Netzhaut mußte sich die Klägerin am 13. August 1974 in die Augenklinik * begeben, wo sie bis 9. September 1974 stationär behandelt wurde. Am 21. August 1974 wurde dort die Nachoperation der Netzhautabhebung durchgeführt. Der stationäre Krankenhausaufenthalt der Klägerin dauerte insgesamt 54 Tage. Darüber hinaus stand die Klägerin wegen des Zahnverlustes, einer Gehör s chädigung und der Augenverletzung in ambulanter ärztlicher Behandlung.
Von der Gehirnerschütterung her sind keine organneurologischen Ausfallserscheinungen nachzuweisen. Die Verletzungen hinterließen jedoch zahlreiche Narben, und zwar im Bereich der linken Ohrmuschel, über dem Ohr, an der Stirn sowie an der Halsseite und am Unterkiefer. Die Gesichtsnarben sind im allgemeinen zart. Auffallend ist nur die 2 bzw. 3 cm lange Narbe an der linken Ohrmuschel, eine etwas hypertrophe blasse 12 mal 8 mm große vorspringenden Narbe an der linken Stirnseite und eine 1,5 cm lange winkelige Narbe an der rechten Augenbraue. Der Zustand der übrigen Narben an der Wange und an der unteren Halsseite weist gegenüber der ersten Untersuchung eine Besserung auf. Die Narben wirken zwar nicht unmittelbar entstellend, sind aber sichtbar und stellen einen Schönheitsfehler dar. Der Zahnverlust wurde durch Prothesen ausgeglichen, womit zugleich die Behebung eines bereits vor dem Unfall bestandenen Gebißschadens erfolgte.
Als Folge der Verletzung des rechten Auges kam es anfangs zur Wahrnehmung von Doppelbildern, die allgemein als unangenehm empfunden werden. Darüberhinaus ist eine Minderung der Sehkraft und eine Schielstellung auswärts eingetreten. Durch die Netzhaut- und Augapfeloperation wurde zudem eine Einengung des Gesichtsfeldes bewirkt. Die Sehminderung hat sich allerdings inzwischen etwas gebessert, die Sehschärfe ist bis auf 5/7 korrigierbar. Im Nahbereich ist die Korrekturmöglichkeit etwas geringer, weshalb die Klägerin trotz Verwendung einer Brille mit dem rechten Auge nur Nieden 6, was einem größeren Druck entspricht, lesen kann. Demgegenüber kann sie mit dem linken Auge bei Korrektur bis Nieden 2 lesen. Die Sehstörung im rechten Auge beeinträchtigt beim Lesen, Nähen und bei feineren Hausarbeiten. Das Auge ist nach wie vor gegen Staubeinwirkung, Wind und Sonne sehr empfindlich. Spätkomplikationen durch die Augenverletzung sind nicht auszuschließen.
Die Unfall v erletzungen bewirkten am linken Ohr auch eine anfangs nur mäßige Schwerhörigkeit. Schließlich trat aber am linken Ohr eine völlige Ertaubung ein. Die Klägerin verspürt im linken Ohr zeitweise krachende Geräusche, und zwar dann, wenn sie darauf liegt oder etwas schneller geht. Falls sie im Schlaf auf das linke Ohr zu liegen kommt, wird sie durch die Geräuschentwicklung sogar geweckt.
Die Verletzung am rechten Knie hatte den Verlust des Schleimbeutels zur Folge. Unter der Kniescheibe besteht noch eine Schwellung, ferner verblieb eine 9,5 cm lange sichtbare Narbe.
Eine Besserung des gegenwärtigen Gesundheitszustandes der Klägerin ist nicht mehr zu erwarten. Sie war als Hausfrau und Kleinlandwirtin tätig und konnte ihrer Arbeit zunächst bis Sommer 1973 und dann im zweiten Halbjahr 1974 nicht nachgehen. In der übrigen Zeit konnte sie keine schweren Arbeiten, sondern nur leichte Hausarbeiten verrichten und mußte insbesondere Staubentwicklungen oder Augenreizungen vermeiden. Die als Folge des Unfalles eingetretene bleibende Minderung der Erwerbsfähigkeit ist mit 25 % zu beziffern.
Durch die Unfallverletzungen und deren Behandlung litt die Klägerin zwei Wochen an starken, drei Wochen an mittelstarken und sechs Wochen hindurch (gerafft) an leichten Schmerzen. Dazu kommen die psychischen Belastungen durch Ertaubung, Sehminderung, Wahrnehmung von Doppelbildern, Schielen, Narben als Schönheitsfehler und die notwendig gewordene Zahnprothese.
Rechtlich gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß das Gesamtbild der Verletzungen und ihrer Folgen ein Schmerzengeld von (rechnerisch) S 95.000,-- als angemessen erscheinen lasse. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Teilzahlung von S 40.000,-- sei noch ein Betrag von S 55.000,-- zuzuerkennen, das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 25.000,-- jedoch abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab keiner der von beiden Streitteilen gegen das erstgerichtliche Endurteil erhobenen Berufungen Folge.
Zur S c h me rzengeldbemessung führte das Berufungsgericht aus, daß das Erstgericht alle Verletzungskomponenten und ihre Folgen bei der Ausmittlung des Schmerzengeldes ausgewogen berücksichtigt habe. Obgleich bei der Klägerin schon vor dem Unfall eine leichte Sehminderung eingetreten war, sei diese jedoch durch die Unfallsfolgen in einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß verstärkt worden, weil die Sehschwäche nicht in allen Bereichen korrigierbar, eine Schielstellung verblieben und eine Einengung des Gesichtsfeldes bewirkt worden sei. Das Auge werde immer empfindlich bleiben. Dazu komme die erhebliche seelische Belastung der Klägerin, die mit der Wahrnehmung der Doppelbilder und der zweimaligen Operation verbunden gewesen sein müsse. Infolge der Netzhautablösung habe die Besorgnis einer Erblindung des rechten Auges nicht unbegründet sein können. Schließlich sei die unfallskausale völlige Ertaubung des linken Ohres sowie der Verlust von Schneidezähnen zu berücksichtigen.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird in seinem ganzen Umfange von den beklagten Parteien mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in Richtung kostenpflichtiger Klagsabweisung bekämpft.
Die Klägerin, die eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Die Revisionswerber verweisen insbesondere darauf, daß schon vor dem Unfall eine leichte Sehminderung bei der Klägerin vorhanden gewesen sei, sodaß also die mit der Augenverletzung verbundenen Unlustgefühle nicht vollkommen neu aufgetreten seien und die an sich unbestrittene Sehminderung daher nicht derart, wie durch die Untergerichte geschehen, „aufgewertet“ werden dürfe. Dazu macht die Klägerin in der Revisionsbeantwortung geltend, das Berufungsgericht sei mit der Annahme einer schon vor dem Unfall bestehenden leichten Sehminderung in unzulässiger Weise über den in erster Instanz unbekämpft gebliebenen Sachverhalt hinausgegangen. Die Rüge der Klägerin kann auf sich beruhen, weil auch das Revisionsgericht nicht zu einer für die Klägerin ungünstigeren Beurteilung gelangt und deshalb eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nicht erforderlich erscheinen.
Auf der Grundlage der festgestellten unfallsbedingten Verletzungen der Klägerin, der Dauer und Intensität der körperlichen und der seelischen Schmerzen, der Kompliziertheit des Heilungsverlaufes und der Dauerfolgen einschließlich der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist die Schmerzengeldbemessung durch die Vorinstanzen zu billigen. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß bei der Klägerin zwei Sinnesorgane nicht unerheblich gestört wurden. Der von den Revisionswerbern zitierte Fall (2 Ob 260/70), ist, abgesehen von der seither (197 1 ) erfolgten Geldwertverdünnung, zum Vergleich schon deswegen ungeeignet, weil der Kläger dieses Verfahrens einen höheren Schmerzengeldanspruch gar nicht erhoben hatte.
Der Revision muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.