JudikaturOGH

1Ob544/77 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. März 1977

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel, Dr. Petrasch, Dr. Schubert und Dr. Vogel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* G*, Maurer, *, vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei L* G*, Landwirt, *, vertreten durch Dr. Friedrich W. Martin, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, wegen Anfechtung eines Vertrages (Streitwert S 10.000,-), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 14. Jänner 1977, GZ 1 R 457/76 18, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 28. September 1976, GZ 4 C 1249/75 11, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * mit dem Grundstück *, auf dem sich ein Brunnen befindet, und Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * mit den Grundstücken * und *. Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * mit dem Grundstück *, auf dem entlang der Südgrenze ein 2 m breiter Weg zur Liegenschaft EZ * des Beklagten führt. Am 26. September 1972 schlossen die Streitteile eine Vereinbarung, mit der der Kläger dem Beklagten zu Gunsten der EZ * die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes über das Grundstück * und der Beklagte dem Kläger zu Gunsten der EZ * die Dienstbarkeit des Wasserbezugs- und Leitungsrechtes einräumte. Diese Vereinbarung wurde in dem notariellen Dienstbarkeitsvertrag vom 25. 1. bzw. 30. Jänner 1973 beurkundet.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger 1) die Feststellung, daß der Dienstbarkeitsvertrag vom 25. Jänner bzw. 30. Jänner 1973 auf gehoben sei und 2) „den Beklagten schuldig zu erkennen, die Einverleibung der Dienstbarkeit des Fahrens und Gehens entlang des Grundstückes * inliegend in der Liegenschaft EZ * KG * zu löschen“. (Gemeint ist wohl die Verurteilung des Beklagten zur Einwilligung in die Löschung der Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes über das Grundstück * zu Gunsten der Liegenschaft EZ *).

Der Kläger stützte sein Begehren darauf, daß er bei Abschluß des Vertrages infolge seiner geistigen Zurückgebliebenheit, seiner sprachlichen Schwierigkeiten und seiner Unerfahrenheit nicht geschäftsfähig gewesen sei. Die Vereinbarung sei überdies nur „unter Zwang bzw. Irrtum“ zustandegekommen. Worin der behauptete Irrtum gelegen sei, führte der Kläger nicht näher aus. Den geltend gemachten Zwang erblickte er darin, daß ihn der Beklagte nur durch die am 26. September 1972 ausgesprochene Drohung, den auf dem Grundstück * befindlichen Brunnen, dessen Wasser der Kläger zur Versorgung seines Hauses unbedingt benötigt habe, zuzuschütten, zum Abschluß der Vereinbarung veranlaßt habe. Diese Drohung sei ungerechtfertigt gewesen, weil dem Kläger schon von M* G*, dem Rechtsvorgänger des Beklagten, das Recht eingeräumt worden sei, Wasser aus dem auf dem Grundstück * befindlichen Brunnen zu beziehen, was dem Beklagten auch bekannt gewesen sei. Erst nach Unterfertigung des Dienstbarkeitsvertrages habe der Kläger erfahren, daß er keine Veranlassung gehabt hätte, die Drohung des Beklagten ernst zu nehmen, zumal ihm bereits von M* G* das Wasserbezugsrecht zugesichert worden sei.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, daß ihm die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes über das Grundstück * vom Kläger schon vor dem Jahr 1971 stillschweigend eingeräumt worden sei. Er bestritt, daß der Kläger geschäftsunfähig gewesen und durch Zwang und Irrtum zum Abschluß der Vereinbarung veranlaßt worden sei. Im Verfahren 4 C 32/75 (4 C 35/75) des Bezirksgerichtes Klagenfurt habe der Kläger in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 17. Jänner 1975 den gegenständlichen Dienstbarkeitsvertrag voll und ganz anerkannt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger ist sprech- und hörbehindert, sodaß es einige Mühe erfordert, sich mit ihm zu verständigen. Er ist jedoch in der Lage, das Ausmaß und das Wesen eines Rechtsstreites und der Erteilung einer Vollmacht zu erfassen. Er ist heute und war auch im Jahr 1972 in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen.

Seit der Errichtung seines Hauses unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg bezieht der Kläger das Wasser aus dem auf dem Grundstück * gelegenen Brunnen. Etwa um 1970 bekam er diesen Brunnen endgültig von seinem Bruder M* G*, dem Vater des Beklagten, „geschenkt“.

Der „gegenständliche“ Weg besteht schon seit undenklichen Zeiten in einer Breite von 2 bis 2,5 m und wurde mit Pferdefuhrwerken befahren. Der ihn nördlich begrenzende Betonzaun wurde vom Kläger vor 13 oder 14 Jahren errichtet. Im Jahr 1965 wurde der Weg nach Süden um 2 bis 2,5 m verbreitet und im Süden durch eine Stützmauer begrenzt, bei deren Errichtung der Kläger mithalf.

Infolge verschiedener Streitigkeiten zwischen den Parteien erklärte sich der Bürgermeister J* D* bereit, zu intervenieren. An der Verhandlung vom 26. September 1972 haben sich hauptsächlich J* D*, der Beklagte und J* W*, der Schwiegervater des Klägers, beteiligt. Der Kläger ist abseits gestanden und hat lediglich die Worte „Brunnen mein, Vater mir geben“ gesagt. Es hat ihm aber niemand Beachtung geschenkt. Weder der Bürgermeister noch J* W* wußten damals, daß der Brunnen „ohnehin dem Kläger gehörte“. Dies erfuhr „er“ erst anläßlich der Vorlage der Bestätigung vom 30. März 1973 (erliegend im Akt U 174/75 des Bezirksgerichtes Friesach). Der Beklagte sagte, er werde den Brunnen zuschütten, wenn er den Weg nicht bekomme. Aus diesem Grund entschloß sich J* W* zum Abschluß des Vertrages, der auch vom Ehepaar W* und vom Kläger und seiner Frau unterschrieben wurde. Die Unterschrift W* veranlaßte den Kläger noch, zur Bemerkung „Vater dumm, warum unterschreiben“; er unterschrieb aber dann doch auch.

Zwei oder drei Wochen später kam der Kläger zum Bürgermeister und schimpfte mit ihm wegen der Vereinbarung vom 26. September 1972. Der Kläger und seine Frau erhielten in der Folge am Amtstag (der Gemeinde) die Auskunft, daß sie nun auch zum Notar gehen müßten. Gleiches teilte ihnen der Bürgermeister auch schriftlich mit.

Am 25. Jänner 1973 kam es in der Kanzlei des Notars Dr. Hölzl zur Vertragserrichtung. Vom Substituten Dr. Anderluh wurde den Beteiligten der Sachverhalt nochmals erklärt. Dr. Anderluh hatte den Eindruck, daß auch der Kläger alles verstanden hatte. Damals war nicht davon die Rede, daß der Kläger und seine Frau zum Abschluß des Vertrages vom 26. September 1972 gezwungen worden wären.

Wenn der Bürgermeister D* gewußt hätte, daß der Kläger ohnehin „Eigentümer“ des Brunnens war, hätte er die in Rede stehende Vereinbarung nicht so formuliert.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Kläger bei Abschluß der Vereinbarung geschäftsfähig gewesen sei und daß auch von einer Irreführung durch den Beklagten keine Rede sein könne, weil der Kläger gewußt habe, daß der Brunnen ihm gehöre. Wohl aber sei die Drohung des Beklagten, er werde den Brunnen zuschütten, wenn er den Weg nicht bekomme, geeignet gewesen, den Kläger in Furcht zu versetzen. J* W* habe gemeint, daß der Beklagte seine Drohung jedenfalls wahr gemacht hätte und auch die Gattin des Klägers habe angegeben, daß sie auf keinen Fall unterschrieben hätte, wenn der Beklagte nicht diese Drohung ausgestoßen hätte. Berücksichtige man die Schwerfälligkeit des Klägers, müsse man demnach zur Erkenntnis gelangen, daß es lediglich diese Drohung gewesen sei, die ihn veranlaßt habe, die Vereinbarung vom 26. September 1972 zu unterfertigen. Damit sei der Tatbestand des § 870 ABGB verwirklicht und die Anfechtung des Vertrages berechtigt. Auf die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 17. Jänner 1975 den Dienstbarkeitsvertrag anerkannt, sei nicht weiter einzugehen, weil nach Erinnerung des Richters damals kein Anerkenntnis abgegeben worden sei.

Infolge Berufung des Beklagten hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, vertrat aber die Ansicht, daß sie zur erschöpfenden rechtlichen Beurteilung dieser Streitsache nicht ausreichten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, daß der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses voll handlungsfähig gewesen sei.

Bezüglich der Irrtumsanfechtung könne das Vorbringen des Klägers, daß er erst nach Unterzeichnung der Vereinbarung auf Grund von Nachforschungen erfahren habe, daß ihm bereits von M* G*, dem Rechtsvorgänger des Beklagten, das Wasserbezugsrecht zugesichert worden sei, nur dahin verstanden werden, daß er bei Abschluß der nunmehr angefochtenen Vereinbarung nicht gewußt habe, daß er schon vorher ein Recht auf Bezug von Wasser aus dem Brunnen des Beklagten erworben habe, daß er also insoweit aus einem Irrtum um dieses Wasser gefürchtet habe. Da der Kläger aber nicht behauptet habe, daß dieser Irrtum durch den Beklagten veranlaßt worden sei oder ihm aus den Umständen auffallen habe müssen und weil von einer Täuschung überhaupt nicht die Rede sein könne, fehlten die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Vereinbarung vom 26. September 1972 wegen Irrtums.

Zu untersuchen bleibe nur, ob der Kläger tatsächlich aus Furcht die Vereinbarung abgeschlossen habe und ob das Rechtsgeschäft aus diesem Grund angefochten werden könne. Gemäß § 870 ABGB müsse die Drohung rechtswidrig und die dadurch erzeugte Furcht gegründet sein. Rechtswidrig sei eine Drohung dann, wenn durch ein unerlaubtes Mittel ein unerlaubter Zweck, durch ein unerlaubtes Mittel ein erlaubter Zweck, durch ein erlaubtes Mittel ein unerlaubter Zweck oder durch ein erlaubtes Mittel ein erlaubter Zweck erzielt werden solle, Mittel und Zweck jedoch einander nicht angemessen (adäquat) sei. Die durch Drohung erzeugte Furcht müsse überdies Beweggrund, die Drohung also Ursache (oder zumindest Mitursache) für die Willenserklärung des Bedrohten sein. Außerdem müsse die Furcht gegründet sein, was einerseits von einer gewissen Schwere des angedrohten Übels, andererseits von der Wahrscheinlichkeit seiner Verwirklichung abhänge, wobei auf die Individualität des Bedrohten Bedacht zu nehmen sei.

Zur Beurteilung dieser Frage reichten die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes nicht aus.

Zunächst fehle eine Feststellung darüber, aus welchem Grund der Kläger die Vereinbarung vom 26. September 1972 abgeschlossen habe, insbesonders darüber, ob dies aus Furcht vor der Drohung des Beklagten, er werde den Brunnen zuschütten, geschehen sei. Aus welchem Grund sich der Schwiegervater des Klägers zum Abschluß entschlossen habe, sei unerheblich, zumal nicht festgestellt worden sei, daß dieser als bevollmächtigter Vertreter des Klägers gehandelt habe. Das Klagevorbringen, daß der Kläger erst nach Unterzeichnung des Dienstbarkeitsvertrages, also erst nach dem 25. Jänner 1973, erfahren habe, daß ihm von M* G* das Wasserbezugsrecht zugesichert worden sei, lasse eher darauf schließen, daß der Kläger diese Drohung nicht als ungerecht empfunden habe, daß er vielmehr der vom Bürgermeister vorgeschlagenen Regelung zugestimmt habe, um eine bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen und die Verbücherung und damit die Verdinglichung seines Wasserbezugsrechtes zu erreichen. Dazu seien Feststellungen zu treffen, was wohl erst nach einer gemäß § 182 ZPO vorzunehmenden Klarstellung des diesbezüglichen Vorbringens möglich sein werde.

Es fehlten Feststellungen, aus denen sich ableiten ließe, ob die Drohung des Beklagten rechtswidrig gewesen sei. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der Beklagte wußte oder wissen mußte, daß er kein Recht habe, den auf seinem Grundstück * befindlichen Brunnen zuzuschütten. Das Erstgericht habe zwar fest gestellt, daß der Kläger etwa um 1970 diesen Brunnen „endgültig“ von seinem Bruder M* G*, dem Vater des Beklagten, „geschenkt“ bekommen hätte. Doch reiche dies nicht aus, um die Drohung des Beklagten als rechtswidrig zu qualifizieren. Dazu bedürfe es der Feststellung, ob und bis wann M* G* Eigentümer des Grundstückes * gewesen sei, auf welche Weise er dem Kläger den Brunnen „geschenkt“ habe (worunter wohl nur die Einräumung einer Dienstbarkeit zu verstehen sein werde) und ob der Beklagte als Rechtsnachfolger des M* G* davon gewußt habe.

Es werde unter Umständen auch darauf ankommen, ob der Beklagte mit der Drohung, den Brunnen zuzuschütten, ein erlaubtes Ziel erreichen habe wollen, ob er also Anspruch auf die Einräumung des Geh- und Fahrrechtes über das Grundstück * des Klägers gehabt habe. Im Hinblick auf die Behauptung des Beklagten, daß ihm der Kläger dieses Recht stillschweigend eingeräumt habe, werde festzustellen sein, wer im Jahr 1965 Eigentümer der Grundstücke * und * gewesen sei, wem gegenüber der Kläger der Einräumung der Dienstbarkeit stillschweigend zugestimmt habe und welches Verhalten er gesetzt habe, aus dem sich eine solche Zustimmung ableiten lasse. Es werde zu klären sein, aus welchem Grund der Kläger seinen Zaun zurückversetzte und aus welchem Grund er bei der Errichtung der Stützmauer mitarbeitete.

Aber auch zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Furcht des Klägers gegründet gewesen sei, reiche der bisher festgestellte Sachverhalt nicht aus. Zwar ließe sich die Art des angedrohten Übels beurteilen, wenn man davon ausgehe, daß der Kläger auf das Wasser aus dem Brunnen angewiesen sei, doch hänge die Frage, als wie schwer der Kläger dieses Übel empfinden mußte und ob zur Abwendung dieses Übels der Abschluß der Vereinbarung vom 26. September 1972 vernünftig und zweckmäßig gewesen sei, von der Leibes- und Gemütsbeschaffenheit der bedrohten Person, also von der Individualität des Bedrohten ab, die gerade im vorliegenden Fall im Hinblick auf die körperlichen Gebrechen des Klägers von entscheidender Bedeutung sei. Ein Durchschnittsmensch hätte, wenn er der Überzeugung gewesen wäre, bereits ein Recht auf den Bezug von Wasser aus dem Brunnen des Beklagten erworben zu haben und dieses Recht auch gegenüber dem Beklagten durchsetzen zu können, die Drohung sicher nicht als schwer empfunden und auch die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung nicht hoch eingeschätzt. Ob dies aber auch für den Kläger zutreffe, werde nur an Hand von auf Grund eines Gutachtens eines psychiatrischen Sachverständigen zu treffenden Feststellungen beurteilt werden können.

Endlich erlösche der Anspruch auf Anfechtung einer Vereinbarung durch deren nachträgliche Bestätigung, die einen Verzicht auf das Anfechtungsrecht bedeute. Das Verfliegen einer solchen nachträglichen Bestätigung habe der Beklagte behauptet und dazu auch Beweise angeboten. Es bedürfe auch in dieser Richtung einer konkreten Tatsachenfeststellung, sofern sich das Anfechtungsrecht des Klägers nicht aus anderen Gründen als unbegründet erweisen sollte.

Damit kam das Berufungsgericht zur Aufhebung des Ersturteiles.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, „den angefochtenen Beschluß aufzuheben und der Berufung des Beklagten keine Folge zu geben“. Der Rekursantrag ist verfehlt, weil im Rekurs gegen einen berufungsgerichtlichen Beschluß, der das Urteil erster Instanz aufhebt und die Ergänzung des Verfahrens aufträgt, eine Entscheidung in der Hauptsache nicht begehrt werden kann, doch hindert dies die meritorische Behandlung des Rechtsmittels nicht (EvBl 1958/28; RZ 1966, 203 u.v.a.).

Rechtliche Beurteilung

Sachlich ist der Rekurs des Klägers im Ergebnis nicht berechtigt.

Vorwegzunehmen ist, daß die Frage, ob der hier zur Beurteilung stehende Dienstbarkeitsvertrag wegen eines Willensmangels des Klägers nur teilweise aufgelöst werden könnte, deswegen unerörtert bleiben kann, weil sich aus Punkt 1 des Klagebegehrens ergibt, daß der Kläger die Auflösung des gesamten Vertrages anstrebt.

Wenn er in seinem Rechtsmittel ausführt, der hier in Frage stehende Dienstbarkeitsvertrag sei deswegen unwirksam, weil er nicht den Bestimmungen des Notariatszwangsgesetzes entspreche, so ist ihm zu entgegnen, daß gemäß § 1 Abs 1 lit e NotZwG nur Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die von Blinden, von Tauben, die nicht lesen oder von Stummen, die nicht schreiben können, abgeschlossen werden, zu ihrer Gültigkeit der Notariatsaktsform bedürfen. Der Kläger ist nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen weder blind, taub noch stumm. Auch für die Annahme, daß der Kläger infolge seiner festgestellten körperlichen Gebrechen (Sprech- und Hörbehinderung) einem Taubstummen gleichzusetzen sei (vgl SZ 45/47), fehlt in den getroffenen Feststellungen jeder Anhaltspunkt.

Im übrigen behauptet der Kläger in seinem Rechtsmittel nicht mehr, daß er im Zeitpunkt des Abschlusses der hier in Frage stehenden Vereinbarung geschäftsunfähig gewesen sei und daß die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen Irrtums im Sinne des § 871 ABGB gegeben seien. Er behauptet nur, daß ihn einzig und allein die Drohung des Beklagten, er werde den Brunnen zuschütten, wenn ihm der Kläger den Weg nicht gebe, bzw. die Furcht vor dieser dem Beklagten zuzumutenden Handlung bewogen habe, der Vereinbarung vom 26. September 1972 zuzustimmen. Das Erstgericht habe alle zur Annahme dieses Tatbestandes nach dem § 870 ABGB erforderlichen Feststellungen getroffen, sodaß sich der aufhebende Beschluß des Berufungsgerichtes als unbegründet erweise.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Das Berufungsgericht ist rechtlich durchaus zutreffend davon ausgegangen, daß die Anfechtung eines Vertrages wegen ungerechter und gegründeter Furcht im Sinne des § 870 ABGB voraussetzt, daß die diesen Anfechtungsanspruch begründende Drohung ursächlich sein muß, daß sie also Ursache, zumindest Mitursache für die Willenserklärung des Bedrohten sein muß, daß es sich um eine ungerechte Drohung handeln muß und daß die dadurch veranlaßte Furcht des Bedrohten gegründet sein muß (siehe dazu Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 102 ff).

Um beurteilen zu können, ob im vorliegenden Fall die festgestellte Erklärung des Beklagten, er werde den Brunnen zuschütten, wenn er den Weg nicht bekomme, überhaupt als ernstgemeinte Drohung oder nur als erkennbare Unmutsäußerung, deren Verwirklichung nicht zu erwarten war, zu qualifizieren ist, wird zunächst genau festgestellt werden müssen, wem gegenüber, unter welchen Umständen und in welchem Zusammenhang diese Erklärung abgegeben wurde. Nur dann, wenn sich auf Grund dieser Feststellung ergibt, daß eine ernstgemeinte und ernstzunehmende Drohung des Beklagten überhaupt vorlag, wird im Sinne der folgenden Rechtsausführungen ihr Einfluss auf die Willensbildung des Klägers zu untersuchen sein.

Was zunächst die Ursächlichkeit der Drohung des Beklagten, den Brunnen zuzuschütten, für die Willenserklärung des Klägers bezüglich der Einräumung des Geh- und Fahrrechtes an den Beklagten anlangt, so läßt sie sich aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. Das Erstgericht hat festgestellt, daß sich wegen dieser Drohung J* W*, der Schwiegervater des Klägers, zum Abschluß des Vertrages entschloss, den dann auch der Kläger und seine Frau unterschrieben. Daß J* W* bei der Verhandlung vom 26. September 1972 als bevollmächtigter Vertreter des Klägers aufgetreten wäre, wurde weder behauptet noch festgestellt. Das Motiv des Klägers für den Abschluß der damals mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarung läßt sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen nicht beurteilen. Wenn das Erstgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung sinngemäß ausführte, daß J* W* und die Gattin des Klägers diese Drohung ernst genommen hätten und man müsse deswegen, berücksichtige man die Schwerfälligkeit des Klägers, zu der Erkenntnis gelangen, daß es lediglich diese Drohung des Beklagten gewesen sei, die den Kläger veranlaßt habe, die Vereinbarung vom 26. September 1972 zu unterfertigen, so liegt darin lediglich eine im übrigen nicht zwingende Schlußfolgerung, nicht aber eine eindeutige Tatsachenfeststellung über das Motiv, das den Kläger zum Abschluß dieser Vereinbarung bewog. Wenn unter diesen Umständen das Berufungsgericht die Frage des Motives des Klägers für den Abschluß dieser Vereinbarung (Bereinigung strittiger Ansprüche oder Furcht vor der Drohung des Beklagten, den Brunnen zuzuschütten) für aufklärungsbedürftig hielt, ist dies durchaus zu billigen. Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, daß die festgestellte Bemerkung des Klägers gegenüber seinem Schwiegervater „Vater dumm, warum unterschreiben“ wohl eher gegen die Annahme spricht, die Drohung des Beklagten mit dem Zuschütten des Brunnens hätte ihn besonders beeindruckt.

Nicht gefolgt kann den Ausführungen des Berufungsgerichtes insoweit werden, als es ergänzende Tatsachenfeststellungen zur Beurteilung der Widerrechtlichkeit der Drohung des Beklagten für erforderlich erachtete.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Drohung mit einem Übel, durch dessen an sich erlaubte Zufügung der Drohende seine Interessen wahrt, im allgemeinen nicht widerrechtlich ( Gschnitzer a.a.O. 104; SZ 28/200; RZ 1937, 279). Ein solches Vorgehen schließt aber die Rechtswidrigkeit der Drohung nicht aus, wenn es als Mittel zur Herbeiführung eines Erfolges dient, auf den der Drohende keinen Anspruch hatte oder wenn Mittel und Zweck für sich betrachtet zwar nicht rechtswidrig sind, aber das Mittel zur Erreichung dieses Zweckes nicht angemessen ist, also bei einer Inadäquanz von Mittel und Zweck. Entscheidend ist daher, ob die Drohung nach Treu und Glauben bzw. nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes zu werten ist (JBl 1973, 313). Wie sich aus § 1295 Abs 2 ABGB ergibt, darf niemand die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der zwar erlaubten, aber zur Wahrung eigener Interessen ungeeigneten Schädigung eines anderen als ein Zwangsmittel gegen diesen mißbrauchen ( Gschnitzer a.a.O. 104).

Berücksichtigt man dies im vorliegenden Fall, dann ergibt sich, daß ungeachtet eines etwaigen Rechtes des Klägers auf Wasserbezug aus dem Brunnen des Beklagten bzw. eines etwaigen Rechtes des Beklagten auf Einräumung des Geh und Fahrrechtes über den Grund des Klägers sich die Drohung des Beklagten, den Brunnen zuzuschütten, schon deswegen als rechtswidrig und damit als ungerecht im Sinne des § 870 ABGB darstellt, weil dieses dem Kläger angedrohte Übel nur zu einer Schädigung des Klägers führen konnte, nicht aber geeignet war, dem behaupteten Anspruch des Beklagten auf Einräumung eines Geh- und Fahrrechtes über den Grund des Klägers zur Durchsetzung zu verhelfen. Diese Drohung des Beklagten war vielmehr ein zur Durchsetzung des angestrebten Zweckes Einräumung des Geh- und Fahrrechtes über den Grund des Klägers völlig inadäquates Mittel und damit ungerecht im Sinne des § 870 ABGB, ohne daß in diesem Zusammenhang noch näher zu erörtern wäre, ob der Kläger zum Wasserbezug aus dem Brunnen auf dem Grund des Beklagten dem oder der Beklagte zum Gehen und Fahren auf dem Grund des Klägers berechtigt war.

Mit Recht hat hingegen das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß auch die Frage, ob die Furcht des Klägers gegründet war, auf Grund der Feststellungen des Erstgerichtes nicht beurteilt werden kann. Gegründet ist die Furcht nur dann, wenn das Übel, das die bedrohte Person unmittelbar treffen soll, so bedeutsam ist, daß seine Abwendung durch die Abgabe der verlangten Willenserklärung als vernünftig und zweckmäßig bezeichnet werden kann. Bei der Beurteilung der Schwere und der Empfindlichkeit des Übels ist auf die persönlichen Verhältnisse des Bedrohten, auf seine Gemütsbeschaffenheit und seine wirtschaftliche Lage Bedacht zu nehmen ( Gschnitzer a.a.O. 108; JBl 1973, 313). Es kommt bei der Beurteilung der Frage, ob die Furcht gegründet ist, nicht auf die objektive Rechtslage an, sondern auf die subjektive Einstellung des Bedrohten in Bezug auf die von ihm befürchteten Folgen des angedrohten Übels. Ein vermeintlicher Zwang wirkt nicht schwächer als der wirkliche Zwang (JBl 1961, 417; 4 Ob 504/70).

Sollte sich also herausstellen, daß die Drohung des Beklagten mit dem Zuschütten des Brunnens überhaupt kausal für die Willenserklärung des Klägers bezüglich der Einräumung des Geh- und Fahrrechtes an den Beklagten war, dann wird im Sinne obiger Rechtsausführungen beurteilt werden müssen, ob sich diese Drohung für den Kläger unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse als so schwerwiegend darstellte, daß sich von seiner persönlichen Warte aus die Einräumung des Geh- und Fahrrechtes an den Beklagten als vernünftig und zweckmäßige Abwehrmaßnahme darstellte. In diesem Zusammenhang wird es in erster Linie darauf ankommen, ob und in welchem Ausmaß der Kläger auf den Wasserbezug aus dem Brunnen des Beklagten angewiesen war, ob er die Möglichkeit hatte, seinen Wasserbedarf auf andere Weise zu decken, ob er sich seiner rechtlichen Möglichkeiten als Rechtsbesitzer (Besitzstörungsklage, einstweilige Anordnung) bewußt war und ob etwa sein Wasserbedarf ein so dringender war, daß er vermeinte, auch durch Ausschöpfung seiner rechtlichen Möglichkeiten im Falle der Verwirklichung der Drohung des Beklagten ernstlichen Schaden leiden zu müssen. Erst nach Klarstellung dieser Umstände wird sich beurteilen lassen, ob das vom Beklagten dem Kläger angedrohte Übel so bedeutsam war, daß sich seine Abwendung durch die Einräumung des vom Beklagten verlangten Geh- und Fahrrechtes durch den Kläger als vernünftig und zweckmäßig darstellt.

Letztlich hat das Berufungsgericht auch rechtlich richtig darauf verwiesen, daß die Einwendung des Beklagten, der Kläger habe die mit ihm getroffene Vereinbarung in der Folge ausdrücklich anerkannt und bestätigt, nicht übergangen werden kann. Sollte der Kläger nach Wegfall einer durch die Drohung des Beklagten begründeten Zwangslage die mit ihm geschlossene Vereinbarung frei von Willensmängel bestätigt haben, dann wäre darin ein Verzicht auf sein Anfechtungsrecht zu erblicken, der zum Erlöschen dieses Anfechtungsrechtes führt ( Gschnitzer , Lehrbuch, Allgemeiner Teil 159). In diesem Zusammenhang wird insbesonders auch zu klären sein, ob die behauptete Furcht des Klägers vor dem ihm vom Beklagten angedrohten Übel auch noch im Zeitpunkt der Unterfertigung des vor dem Notar abgeschlossenen Dienstbarkeitsvertrages sie erfolgte rund 4 Monate nach der am 26. September 1972 gefallenen Drohung ursächlich für die Unterfertigung dieses Vertrages durch den Kläger war.

Soweit das Berufungsgericht, ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof gebilligten Rechtsansicht, die Ergänzung des Verfahrens zur Gewinnung der erforderlichen Tatsachengrundlagen als erforderlich erachtete, kann dem der Oberste Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (SZ 38/227; EFSlg 12327 u.v.a.).

Dem Rekurs des Klägers mußte unter diesen Umständen der Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Rekurskosten beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.

Rückverweise