6Ob681/76 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lassmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sperl und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto, Dr. Resch und Dr. Vogel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, Geschäftsfrau, *, vertreten durch Dr. Eduard Fürst, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Firma W*, 2.) Firma Al*, Baumeisterunternehmen, Inhaber Ing. E*, 3.) F*, Kaufmann, *, 4.) M*, Geschäftsfrau, ebendort, die Zweitbeklagte vertreten durch Dr. Friedrich Rammel, Rechtsanwalt in Gloggnitz, Dritt- und Viertbeklagte vertreten durch Dr. Ernst Fasan, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Zahlung von 22.000 S samt Anhang und Unterlassung (Gesamtstreitwert 24.000 S) infolge Revisionsrekurses der dritt- und viertbeklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 30. März 1976, GZ. 5 R 74/76 26, womit der Beschluß des Landesgerichtes für ZRS. Wien vom 6. Februar 1976, GZ. 6 Cg 3/74 17, auf gehoben wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz hinsichtlich der Klage gegen den Drittbeklagten und die Viertbeklagte wiederhergestellt wird.
Die Klägerin ist schuldig, dem Dritt- und der Viertbeklagten die mit 1.702,29 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten 121,65 S Umsatzsteuer und 60, S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte ursprünglich die Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung eines Betrages von 22.000 S samt 10 % Zinsen ab Klagstag zur ungeteilten Hand sowie zur Unterlassung des Betretens und Befahrens des Grundstückes Nr. 46 der EZ. *, KG. * (Gerichtsbezirk *). Sie bringt im wesentlichen vor, die Dritt- und Viertbeklagten seien je zur Hälfte Eigentümer der Nachbarparzelle Nr. 47. Obgleich die Klägerin sämtlichen Beklagten die Benützung der über ihre Grundstücke führenden Privatstraße ausdrücklich untersagt habe, hätten die Erst- und Zweitbeklagte, ohne daß dies vom Drittbeklagten oder der Viertbeklagten abgestellt worden wäre, die Privatstraße der Klägerin von Juni bis Oktober 1972 im Rahmen des Anführens von Material mit schweren Fahrzeugen wiederholt widerrechtlich benützt und dadurch schwer beschädigt. Zwischen den Beklagten bestehe eine Rechtsgemeinschaft, und zwar hätten der Dritt- und die Viertbeklagte die Zweitbeklagte damit beauftragt, auf ihrem Grundstück Drainagen durchzuführen und Schutt von einem Abbruch abzuladen. Im Rahmen dieser Arbeiten habe die Zweitbeklagte die Erstbeklagte herangezogen und beauftragt, daran mitzuwirken. Es bestehe somit zwischen den Parteien ein Auftragsverhältnis.
Die Beklagten erhoben die Prozeßeinreden der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit.
Im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten ruht das Verfahren.
In der Tagsatzung vom 12. 6. 1975 schränkte die Klägerin ihr Zahlungsbegehren ohne Anspruchsverzieht auf den Betrag von 13.010 S samt Anhang ein und führte zur Begründung aus, es sei ihr aus den Verfahrensergebnissen bekannt geworden, daß die Zweit- bis Viertbeklagten gemeinsam nur für einen Teil des Schadens einzustehen hätten. Diese Klagseinschränkung fand nicht die Zustimmung der Beklagten.
Nach nicht abgesonderter Verhandlung gab das Erstgericht der Prozeßeinrede der örtlichen Unzuständigkeit statt und wies die Klage, soweit sich diese gegen die Zweit-bis Viertbeklagten richtet, zurück. Das Erstgericht konnte nicht als erwiesen annehmen, daß die von der Klägerin behauptete Beschädigung ihrer Privatstraße durch die Zweit-bis Viertbeklagten im Zusammenhang mit einem zwischen diesen Parteien einerseits und der Erstbeklagten andererseits bestehenden Auftragsverhältnis oder sonst einem mit der Erstbeklagten erfolgten Zusammenwirken verursacht worden wäre.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß bestätigte das Berufungsgericht die erstgerichtliche Entscheidung hinsichtlich eines Zahlungsbegehrens von 8.990 S samt 10 % Zinsen ab Klagstag und hinsichtlich des Kostenausspruches, doch hob es den Beschluß erster Instanz im übrigen auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Die Rekurskosten behandelte es als weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Das Rekursgericht billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Prozeßeinrede der sachlichen Unzuständigkeit nicht begründet sei und wies weiter darauf hin, daß die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit nicht auf § 81 JN gestützt worden sei, wobei es sich um eine bloß verzichtbare Unzuständigkeit handle. Es sei daher lediglich zu untersuchen, inwieweit für die gegenständliche Klage der Wahlgerichtsstand nach § 93 JN gegeben sei. Dieser setze nach Lehre und Rechtsprechung eine materielle Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO auf der Beklagtenseite voraus, wobei der Umstand keine Rolle spiele, daß das Verfahren gegenüber der Erstbeklagten ruhe.
Eine materielle Streitgenossenschaft zwischen mehreren Beklagten im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO liege vor, wenn die Beklagten in Ansehung des Streitgegenstandes, als des durch das Klagebegehren erfaßten Rechtes und des daraus abgeleiteten Anspruches, in Rechtsgemeinschaft stünden oder aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund, also einem einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalt, verpflichtet seien. Eine solche Streitgenossenschaft sei gegeben, wenn mehrere Beklagte zur ungeteilten Hand aus einer unerlaubten Handlung in Anspruch genommen würden.
Strittig sei, auf welcher Grundlage die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden sei. Fasching und mehrere Entscheidungen vertreten den Standpunkt, daß die im § 41 Abs. 1 JN angeordnete amtswegige Zuständigkeitsprüfung (im Bereich der heilbaren Unzuständigkeit) gemäß § 41 Abs. 2 JN auf Grund der Klagsangaben vorzunehmen sei, während über die rechtzeitig erhobene Unzuständigkeitseinrede nach mündlicher Verhandlung auf Grund der Ergebnisse dieser Verhandlung zu entscheiden sei. Im Zusammenhang mit der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte habe sich jedoch eine Rechtsprechung entwickelt, wonach die Entscheidung über die Zuständigkeit dann, wenn die die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes begründenden Tatsachen auch Anspruchsvoraussetzungen seien, nur auf die Klageangaben gestützt werden könne, aber von dem auf Grund der Verhandlungsergebnisse als erwiesen angenommenen Sachverhalt abhänge, wenn diese Tatsachen reine Zuständigkeitsvoraussetzungen seien. Nach dieser Rechtsprechung sei die Klage nur dann zurückzuweisen, wenn die Zuständigkeitsvoraussetzungen bereits auf Grund der Klageangaben oder die reinen Zuständigkeitsvoraussetzungen auf Grund der gewonnenen Verhandlungsergebnisse fehlten, während die Klage abzuweisen sei, wenn sich erst im Verfahren herausstelle, daß die nach dem Klagevorbringen gegebenen, zugleich Anspruchsvoraussetzungen darstellenden Zuständigkeitsvoraussetzungen nicht vorlägen. Der genannte Grundsatz sei in jüngster Zeit verallgemeinert worden. So habe der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 6/74 und 4 Ob 344/75 ausgesprochen, daß für die Zuständigkeitsfrage die Ergebnisse der über die Prozeßeinrede stattgefundenen Verhandlung nur bei solchen Zuständigkeitsvoraussetzungen maßgeblich seien, die nicht zugleich Voraussetzungen des eingeklagten Anspruches seien. Die Frage, ob Umstände gegeben seien, von denen neben der Zuständigkeit auch der Bestand des Klagsanspruches abhänge, könne nur im Verfahren über die Sache selbst entschieden werden. Während das Erstgericht der angefochtenen Entscheidung die erstgenannte Auffassung zugrundegelegt habe, folge das Rekursgericht der jüngsten Rechtsprechung, dies aus der Erwägung, daß es in den Fällen, in den sich die zur Lösung der Zuständigkeitsfrage und der Frage des Zurechtbestehens des geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruches nötigen tatsächlichen Grundlagen nicht oder kaum voneinander trennen ließen; in höchstem Grade unzweckmäßig wäre, die bereits gewonnenen tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen bloß zur Fällung einer rein prozessualen Entscheidung, nicht aber sogleich zur sachlichen Entscheidung über den materiellrechtlichen Anspruch heranzuziehen. Dazu komme, daß die Entscheidung des Urteiles eine umfassendere Überprüfung im Rechtsmittelverfahren ermögliche, als eine Entscheidung durch Beschluß, was insbesondere für die Überprüfung der Tatfrage gelte.
Gehe man von dieser Rechtsansicht aus, so sei die Berechtigung der von den Beklagten erhobenen Einrede der örtlichen Unzuständigkeit im gegenständlichen Fall, in dem die Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 93 JN zugleich Voraussetzungen des von der Klägerin gegen die Beklagten zur ungeteilten Hand geltend gemachten Anspruches nach § 523 ABGB seien, an Hand des klägerischen Vorbringens zu überprüfen. Nach diesem werde den Zweit- bis Viertbeklagten eine verbotswidrige Benützung und Beschädigung der Privatstraße der Klägerin von Juni bis Oktober 1972 angelastet, an der diese zusammen mit der Erstbeklagten in einer ihre gesamtschuldnerische Haftung nach dem § 1301 f. ABGB begründenden Weise mitgewirkt hätten. Damit würden aber insoweit zugleich mit den materiellen Anspruchsvoraussetzungen die Voraussetzungen für die Annahme einer materiellen Streitgenossenschaft zwischen sämtlichen Beklagten und demnach die Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 93 JN behauptet. Lediglich in Ansehung des Zahlungsbegehrens, betreffend die vom Frühjahr 1973 bis zum Frühjahr 1974 nicht auch von der Erstbeklagten mitverursachten Schäden, sei bereits nach dem klägerischen Vorbringen eine materielle Streitgenossenschaft zwischen der Erstbeklagten einerseits und den übrigen Beklagten andererseits nicht anzunehmen. Zur Entscheidung über diesen Teil des Zahlungsbegehrens sei das Erstgericht schon nach dem klägerischen Vorbringen örtlich unzuständig. Die von den Beklagten erhobene Prozeßeinrede sei daher in Ansehung des Zahlungsbegehrens in der Höhe von 13.010 S samt Anhang sowie in Ansehung des Unterlassungsbegehrens unbegründet und lediglich hinsichtlich des Zahlungsbehrbegehrens von 8.990 S begründet.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs des Dritt- und der Viertbeklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Beschluß des Gerichtes erster Instanz wieder hergestellt werde.
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Obwohl es im Spruch des Rekursgerichtes nicht eindeutig klar gesagt wurde, ist die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin zu verstehen, daß dieses den Beschluß erster Instanz teilweise abgeändert und die Prozeßeinrede der örtlichen Unzuständigkeit verworfen hat. Diese Auslegung ergibt sich ungeachtet des Wortes „aufgehoben“ und ungeachtet des Umstandes, daß die Rekurskosten, die nur dem Zuständigkeitsstreit zugehören, als weitere Verfahrenskosten erster Instanz vorbehalten wurden. Die Absicht, die Prozeßeinrede teilweise zu verwerfen, ergibt sich auch klar aus der zusammenfassenden Beurteilung am Schluß der Begründung des angefochtenen Beschlusses.
Vorliegendenfalls ist von der tatsächlichen Feststellung des Erstgerichtes auszugehen, es sei nicht erwiesen, daß die von der Klägerin behauptete Beschädigung ihrer Privatstraße durch die Zweit- bis Viertbeklagten im Zusammenhang mit einem zwischen diesen Parteien einerseits und der Erstbeklagten andererseits bestehenden Auftragsverhältnis oder sonst einem mit der Erstbeklagten erfolgten Zusammenwirken verursacht worden wäre. Es geht ja um den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 JN, also darum, ob die Beklagten hinsichtlich des. strittigen Anspruches in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus dem selben rechtlichen und tatsächlichen Grund verpflichtet sind. Nur die Erstbeklagte hat ihren allgemeinen Gerichtsstand im Sprengel des Erstgerichtes. Fehlen die Voraussetzungen der materiellen Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO, dann ist insoweit die Prozeßeinrede der örtlichen Unzuständigkeit hinsichtlich der übrigen Beklagten begründet.
Auf Grund der Klagsbehauptungen allein kann die örtliche Zuständigkeit verneint werden, etwa dann, wenn ein Kompetenztatbestand nicht behauptet wird oder sich die Zuständigkeit aus den Behauptungen rechtlich nicht ergibt. Bei Vorliegen einer Prozeßeinrede seitens der Beklagten wird aber das Verfahren schon hinsichtlich der Prozeßvoraussetzung – hier der örtlichen Zuständigkeit – kontradiktorisch, es ist über die Prozeßeinrede nach abgesonderter oder nicht abgesonderter Verhandlung mit Beschluß zu entscheiden. Grundlage dieser Entscheidung ist aber das Ergebnis des kontradiktorischen Verfahrens, weil nur dann die Prozeßeinrede mit ihren, die Zuständigkeit betreffenden Behauptungen oder Bestreitungen ihren prozessualen Sinn erfüllt.
Eine Verquickung der Frage der Prozeßvoraussetzung und der Präge der materiellen Berechtigung des Klagsanspruches darf nicht stattfinden und zwar vor allem deshalb nicht, weil die sachliche Berechtigung des Klagsanspruches nur von einem Gericht beurteilt werden darf, hinsichtlich dessen alle Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, also auch die örtliche Zuständigkeit.
Das in erster Instanz durchgeführte kontradiktorische Verfahren hat zu dem Ergebnis geführt, daß entgegen den Klagsbehauptungen kein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Erstbeklagten einerseits, der übrigen Beklagten andererseits besteht, woraus sich ergibt, daß zwischen allen vier Beklagten keine materielle Streitgenossenschaft besteht und der Gerichtsstand des § 93 JN gegen die Zweit- bis Viertbeklagte nicht gegeben ist.
Nur der Dritt- und die Viertbeklagte haben den Beschluß des Rekursgerichtes angefochten. Da ihr Revisionsrekurs berechtigt ist, war ihm Folge zu geben und die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz insoweit wiederherzustellen, als sie die Klage gegen diese Parteien betrifft. Zwischen der zweitbeklagten Partei einerseits, der dritt- und viertbeklagten Partei anderseits besteht keine unzertrennliche Streitgenossenschaft im Sinne des § 14 ZPO, weshalb sich auch die Entscheidung über die Prozeßeinrede ihrer Wirkung nach nur auf die Rechtsmittelwerber bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 und § 52 Abs. 1 ZPO.