2Ob24/77 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* , Rentner, *, vertreten durch Dr. Alfred Eichler, Rechtsanwalt in Linz, und der auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenientin Allgemeine Unfallversicherungsanstalt *, vertreten durch die Landesstelle für * in *, diese vertreten durch Dr. Hermann Schönfellner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei A*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Wilhelm Kos, Rechtsanwalt in Linz, wegen Schadenersatzes und Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. November 1976, GZ. 3 R 119/76 61, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 12. Mai 1976, GZ. 7 Cg 3/73 54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die im übrigen bestätigt werden, werden im Ausspruch über das Feststellungsbegehren dahin abgeändert, daß dieser zu lauten hat:
Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für alle zukünftigen Schäden aus dem Unfall vom 5. Mai 1969 in * in der * Garage (gegenüber dem Haus Nr. * in der *) im Ausmaß von zwei Dritteln bis zur Höhe der Haftungshöchstbeträge des EKHG zu haften hat.
Das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung bis zur Höhe der Haftpflichtversicherungssumme wird abgewiesen.
Die Beklagte ist schuldig der klagenden Partei und der Nebenintervenientin an Kosten des Revisionsverfahrens je S 4.548,96 (davon je S 336,96 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 5. Mai 1969 um etwa 18 Uhr 35 ereignete sich auf der damaligen Baustelle der * Garage gegenüber dem Hause * in * ein Unfall. Der Kläger wurde von dem rechten hinteren Zwillingsrad eines von dem inzwischen verstorbenen J* gelenkten und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Lastkraftwagen überrollt. Er erlitt dadurch eine Zerquetschung des linken Fußes mit nachfolgendem Verlust des linken Unterschenkels im mittleren Drittel. Als Dauerfolge blieb eine Empfindlichkeit des Stumpfes zurück. Das gegen J* eingeleitete Strafverfahren endete mit Freispruch.
Der Kläger verlangt von der Beklagten als Haftpflichtversicherer, und zwar unter Anrechnung eines Eigenverschuldensanteiles von einem Drittel, Zahlung eines Schmerzengeldes von S 180.000,-- s.A. Ferner begehrt er die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 5. Mai 1969 zu zwei Drittel bis zur Höhe der Versicherungssumme. Er bringt dazu im wesentlichen vor, J* habe den Unfall verschuldet, weil er es an der notwendigen Aufmerksamkeit habe fehlen lassen.
Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, der Kläger habe den Unfall allein verschuldet. Dieser habe sich für J* als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG dargestellt.
Nachdem ein Teil- und Zwischenurteil aufgehoben worden war erkannte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang im Sinne des K la gebegehrens, wobei es von folgenden Feststellungen ausging:
Am Unfallstag (5. 5. 1969) waren auf dem Gelände der gegenüber dem Haus * befindlichen *-Tankstelle (* Garage) Erdaushubarbeiten im Gang, die von einem Löffelbagger durchgeführt wurden. Seitens der Transportfirma E* war der mit diesen Arbeiten beauftragten Baufirma ein Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt worden, dessen Lenker J* war. Der Lastkraftwagen war mit zwei Außenspiegeln ausgerüstet. Um etwa 18 Uhr 35 befanden sich auf der Baustelle im Bereich der Baugrube noch der Bagger mit dem Fahrer Fr*, der Polier S* und der Kläger. Zu dem letztgenannten Zeitpunkt war der Bagger schon etwa eine halbe Stunde lang außer Betrieb. Fr* setzte ihn noch einmal in Betrieb, um die Baggerschaufel in eine andere Stellung zu bringen. Der von J* gelenkte Lastkraftwagen war bereits fertig beladen und zur Abfahrt bereit. Das Tankstellengelände fällt in Richtung zur Zufahrt zur Tankstelle von der * her bzw. zu den Zapfsäulen leicht ab.
Wie der Unfall sich abspielte, ist nicht genau feststellbar. Es kann auch die Stellung des Lastkraftwagens unmittelbar vor dem Unfall nicht genau festgestellt werden. Geht man von der in der Unfallskizze (im Strafakt erliegend) eingezeichneten Blutlache als jener Stelle aus, an der mit Sicherheit der linke Unterschenkel des Klägers zertrümmert wurde, und bringt man den Lastkraftwagen in jene Stellung, daß sich dessen rechtes Hinterrad über dieser Blutlache befindet, dann mußte der Lastkraftwagen, um an den Zapfsäulen vorbeizukommen, bereits eine erhebliche Schrägstellung gegenüber der in der Skizze eingezeichneten eingenommen haben. Eine stärkere Schrägstellung bis fast parallel zu den Zapfsäulen liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit. Der Kläger kann sowohl während einer Vorwärtsfahrt des Lastkraftwagens als auch durch den zurückfahrenden Lastkraftwagen erfaßt und verletzt worden sein. Der Kläger kann während des Anfahrens des Lastkraftwagens entweder vollkommen stillgestanden oder auch einen oder zwei Schritte zurückgegangen und dadurch an den Lastkraftwagen gestoßen und zum Sturz gekommen sein. Stand der Kläger still, dann wäre eine Streifung durch den Lastkraftwagen möglich gewesen. Bei einem in scharfer Kurvenfahrt befindlichen Fahrzeug beschreiben die Hinterachse und die Hinterräder, einen wesentlich engeren Kurvenradius als die Vorderräder, sodaß es während einer solchen Kurvenfahrt zu einer seitlichen Versetzung des Fahrzeughinterteiles in stärkerem Maß kommt als beim Fahrzeugvorderteil. Der Kläger konnte daher auf diese Weise vom Lastkraftwagen angefahren bzw. gestreift worden sein, wobei er mit dem Rücken etwa parallel zur Bordwand des Lastkraftwagens gestanden sein dürfte. Der Lastkraftwagenfahrer hätte den stehenden Kläger vor dem Wegfahren im rechten Rückblickspiegel mit Sicherheit erkennen können. Der Kläger stand unmittelbar vor dem Löffelbagger mit dem Rücken zur Tankstelle bzw. zum Lastkraftwagen und gab Handzeichen. Er hatte zwar keinen Auftrag, sich mit dem Einweisen des Baggers zu befassen, er war aber dennoch berechtigt, dies erforderlichenfalls zu tun. Der schon seit dem Krieg stark schwerhörige Kläger sah den Lastkraftwagen weder heranfahren, noch hörte er ihn. Während er den Löffelbagger mit Handzeichen einwies, verspürte er einen Stoß in den Rücken. Er stürzte dabei, und sein linkes Bein wurde vom rechten Hinterrad des Lastkraftwagens überrollt. Eine Änderung des vom Kläger vor dem Unfall eingenommenen Standortes konnte nicht festgestellt werden. Nach dem Unfall lag der Kläger unmittelbar beim rechten hinteren Zwillingsrad des Lastkraftwagens, und zwar in Richtung zum rechten Vorderrad auf dem Rücken mit dem Kopf in Richtung Baugrube, ohne daß er dabei von dem rechten Hinterrad des Lastkraftwagens festgeklemmt gewesen wäre.
Aus medizinischer Sicht ist zum Unfallmechanismus festzustellen, daß die Zertrümmerung des linken Unterschenkels sowohl durch Abquetschen als auch durch Überfahrenwerden entstanden sein kann. Letzterenfalls ist jedoch nicht erforderlich, daß der Unterschenkel komplett überfahren wurde, es genügt auch ein teilweises Überfahren durch ein Rad mit sekundärer rückläufiger Bewegung. Daß am Körper des Klägers andere Verletzungen als die am Unterschenkel nicht vorhanden waren, spricht nicht dagegen, daß er einen Stoß in den Rücken erhalten hat. Ob der Kläger zurückgeschritten ist, läßt sich medizinisch nicht feststellen. Es muß sich aber das linke Bein hinter dem rechten befunden und somit eine Schrägstellung zur Achse des Lastkraftwagens bestanden haben. In der Endlage ist sicher eine Drehung erfolgt, doch läßt sich daraus nicht mit Sicherheit ableiten, ob der Kläger zurürckgeschritten oder allenfalls selbst unter den Lastkraftwagen gefallen ist oder „oberhalb des Körpermittelpunktes umgeworfen wurde “ .
Eine wesentliche Alkoholbeeinträchtigung des Klägers zur Unfallszeit ist nicht feststellbar.
Der Kläger erlitt eine Zertrümmerung des linken Fußes, insbesondere des Sprung- und Fersenbeines mit Ablederung der Haut des linken Unterschenkels. Er war mehrfach in stationärer Krankenhausbehandlung, und zwar im Arbeitsunfallkrankenhaus * in der Zeit vom 5. Mai bis 29. Juli 1969. Anschließend war er 218 Tage im Rehabilitationszentrum *, wo er später weitere 29 Tage war. Der stationäre Aufenthalt des Klägers betrug somit insgesamt 329 Tage. Der Kläger erlitt eine derartige Zerreißung der Haut, daß noch am Unfallstag eine Unterschenkelamputation durchgeführt wurde. Es bestand eine von der Mitte des Unterschenkels schräg abwärts bis in die Gegend des Chopard'schen Gelenks reichende Wunde, die sich von hier gegen das Fußgewölbe und bis zum hinteren Rand der Ferse zog. Der innere Wundwand war blau verfärbt, die Haut war innen bis zur Ferse in einer Breite von 6 bis 8 cm von der Unterlage abgeledert. Sprung- und Fersenbein waren freiliegend, und es waren Knochenstücke von 2 cm Durchmesser abgebrochen. Des primäre Röntgen ergab einen offenen Verrenkungsbruch im Chopart'schen Gelenk mit Abbruch eines Knochen Stückes von 2 mal 2,5 cm Durchmesser vom Kopf des Sprungbeines und eines ähnlichen Stückes vom vorderen Fersenbeinfortsatz. Der Vorfuß war um volle Breite nach außen verschoben und verdreht. Die Unterschenkelamputation wurde in Allgemeinnarkose durchgeführt. Es wurden Hautlappen abpräpariert, der Knochen freigelegt, das Schienbein 18 cm unterhalb des Kniegelenksspaltes durchgesägt und das Wadenbein 3 cm oberhalb durchtrennt. Die Nerven und Gefäße wurden 3 cm oberhalb durchtrennt und unterbunden. Schließlich wurde die Muskulatur entsprechend versorgt. Nach der Amputation bestand ein vorne gut abgeschrägter Schienbeinstumpf von 18 cm Länge. Dieser wurde verbandlos behandelt. In der Folge bildete sich an der Streckseite eine Blauverfärbung von 4 cm Durchmesser, aus der sich eine Blase von 5 mal 3 cm mit Blauverfärbung und Schmerz im Stumpf bildete. Am 16. Mai 1969 wurde eine Spannungsblase über der Hautnekrose abgetragen. Es entwickelte sich eine neuerliche Nekrose von 5 mal 3 ,5 cm. Am 31. Mai 1969 wurde nach neuerlicher Abdeckung eine Dermatomdeckung durchgeführt. Am 10. Juni 1969 wurde das Dermatom, das nur zum Teil angeheilt war, freigelegt. Am 26. Juni 1969 bestand noch ein schmierig belegtes Geschwür im Ausmaß von 1,5 mal 2 cm, das sich erst allmählich verkleinerte. Der Kläger wurde sodann zur Prothesenanpassung in das Rehabilitationszentrum * verlegt, wo er sich erstmals vom 25. Juli 1969 bis 27. Februar 1970 befand. Er erhielt zunächst eine Behelfsprothese. Am 28. August 1969 wurde der Geschwürgrund mit einem scharfen L öffel angefrischt. Erst im Oktober 1969 heilte das Geschwür völlig ab. Sodann konnten Gehübungen durchgeführt werden, wobei sich neuerdings eine leichte Sekretion entwickelte. Es erfolgte eine Prothesenvisite und eine allmähliche Anpassung, wobei noch Durchblutungsstörungen an der Stumpfstelle vorhanden waren. Im Jänner 1970 konnte der Kläger bereits ohne Stockhilfe mit einer Behelfsprothese gehen. Am 15. Jänner 1970 bekam er die endgültige Prothese. Diese mußte allerdings mehrfach korrigiert werden. Um weitere Strecken zurücklegen zu können, wurde der Kläger mit Stützkrücken ausgestattet. In der Zeit vom 17. November 1970 bis 14. Dezember 1970 war er noch einmal im Rehabilitationszentrum * zur Nachuntersuchung, wobei eine Prothesenkorrektur empfohlen wurde. Nach Fertigstellung einer neuen Prothese konnte der Kläger mit Stockhilfe gehen. Zu diesem Zeitpunkt war er körperlich schon sehr abgebaut. Die Stumpfkuppe war leicht durchblutungsgestört. Da der Kläger schon eine Invaliditätspension bezog, wurde eine Rehabilitation nicht durchgeführt.
Nach dem gegenwärtigen Befund besteht objektiv ein Verlust des linken Unterschenkels im mittleren Drittel mit Stumpfbeschwerden und einem prothetisch versorgten Stumpf. Es liegen Durchblutungsstörungen des Stumpfes vor; es besteht eine Blauverfärbung; es sind auch Narben sichtbar, sodaß die Beschwerden größer sind als bei einem einfachen, glatten Unterschenkelstumpf an günstiger Stelle. Diese schlechten Stumpfverhältnisse gehen darauf zurück, daß wegen der ausgedehnten Hautablederungen eine nicht ganz korrekte Amputation in typischer Weise durchgeführt wurde. Der Stumpf zeigt eine 18 cm lange Narbe. Das Schienbein springt etwas vor, die Stumpfkuppe ist schlecht durchblutet und zyanotisch verfärbt. Sie fühlt sich kühl an. Es besteht eine beträchtliche Umfangdifferenz mit Museklschwund am Unterschenkel von 6 cm und am Oberschenkel von 10 cm. Die Beweglichkeit des Kniegelenkes ist fast normal. Der Kläger kann eine Prothese tragen und mit Stockhilfe gehen. Weitere Strecken kann er allerdings nicht mehr zurücklegen. Er ist in seinen Möglichkeiten zur Fortbewegung behindert. Der gegenwärtige Zustand ist als Dauerzustand anzusehen. Spätkomplikationen können durchaus auftreten; es kann zu Druckstellen und Abszessen im Stumpfbereich kommen. Es kann sich auch die Notwendigkeit weiterer Behandlungen und einer Erneuerung der Prothese ergeben. Auch Bestrahlungen können erforderlich werden. Wegen der schlechten Durchblutung der Stumpfkuppe kann es auch zu einer Nachamputation kommen. Der weitere Verlauf kann aus medizinischer Sicht nicht überblickt werden. Die Lebenserwartung des Klägers beträgt nach den einschlägigen Tabellen 12 1/2 Jahre. Der Kläger befindet sich in einem eher etwas schlechten Allgemeinzustand, sodaß die Lebenserwartung eher als etwas niedriger anzunehmen wäre.
Unter Berücksichtigung von Art und Umfang der unfallskausalen Verletzungen, der Behandlungsmaßnahmen sowie in Anlehnung an die einschlägige medizinische Erfahrung mit vergleichbaren Verletzungen bestanden anfangs nächtliche Phantomschmerzen und mit der Nekroseabtragung verbundene Schmerzen, sodaß durch etwa 3 bis 4 Wochen starke Schmerzen anzunehmen sind. Schmerzen mittleren Grades erstrecken sich auf die Phantomschmerzen, auf die Belastungsbeschwerden, die Durchblutungsstörungen und die langanhaltenden Geschwürbildungen. Sie können mit 6 bis 8 Wochen Dauer angenommen werden. Überdies hatte der Kläger leichte und fallweise leichte Schmerzen zu erdulden, die gerafft in der Dauer von 9 Monaten angenommen werden können. Künftighin wird der Kläger je nach körperlicher Belastung mit gerafft etwa 3 Wochen leichten Schmerzen zu rechnen haben. Diese körperlichen Schmerzen treten hinter den psychischen Belastungen, die sich aus der Unterschenkelamputation mit ihren weitreichenden Folgen ergeben, weit zurück.
In rechtlicher Beziehung beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt folgendermaßen:
Da hinsichtlich des Unfallsherganges nicht zu beseitigende Unklarheiten bestehen, könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Unfall allein auf ein schuldhaftes Verhalten des Klägers zurückzuführen sei. Da Zweifel über den Unfallshergang aber zu Lasten des Fahrzeughalters gehen, könne auch nicht gesagt werden, daß der Unfall sich für den Lenker des Lastkraftwagens als unabwendbares Ereignis dargestellt habe. Den Kläger treffe ein mitwirkendes Verschulden, weil er trotz seiner starken Schwerhörigkeit nicht auf den Lastkraftwagen geachtet habe. Bei Abwägung der Verschuldensanteile sei auf die gegenüber einem Fußgänger bestehende erhöhte Betriebsgefahr des Lastkraftwagens Bedacht zu nehmen, sodaß eine Schadensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Beklagten gerechtfertigt erscheine.
Angesichts der schweren Unfallsfolgen erscheine ein Schmerzengeld von S 270.000 angemessen. Dem Kläger sei somit unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens ein Betrag von S 180.000,-- zuzusprechen gewesen.
Mit Rücksicht auf die Dauerfolgen, komme auch dem Feststellungsbegehren Berechtigung zu.
Die Berufung der Beklagten, mit der Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens angestrebt wurde, blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Es hielt auch die Rechtsrüge nicht für gerechtfertigt. Daß der Kläger schuldhaft gehandelt habe, würde die Beklagte nur befreien, wenn erwiesen wäre, daß der mit Willen des Fahrzeughalters beim Betrieb des Lastkraftwagens tätige J* jede erdenkliche Sorgfalt angewendet habe. Das könne nicht gesagt werden, da der Unfallsablauf weitgehend ungeklärt geblieben sei. Ein Verschulden des J* könne allerdings auch nicht unterstellt werden. Es treffe somit die Erfolghaftung nach § 7 EKHG mit der Verschuldenshaftung nach § 1304 ABGB zusammen, sodaß die Ausmittelung der Haftungsquote nach § 7 EKHG zu erfolgen habe. Hiebei finde eine Abwägung der Betriebsgefahr und des mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten statt. Bei Gegenüberstellung der Betriebsgefahr, die von einem auf Baustellen fahrenden Lastkraftwagen ausgehe, und dem Verschulden des Klägers erscheine die vom Erstgericht vorgenommene Aufteilung zutreffend. Auf Baustellen werde von den dort Beschäftigten gegenüber fahrenden Fahrzeugen keine besondere Achtsamkeit an den Tag gelegt; der Kläger habe immerhin damit rechnen können, daß der Lastkraftwagen nicht in Betrieb genommen werde, ohne daß sich der Lenker bezüglich einer allfälligen Gefährdung anderer Personen vorher überzeugte.
Gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes bestehen keine Bedenken.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache an eine der Unterinstanzen zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen, allenfalls es im Sinne einer gänzlichen Abweisung oder einer teilweisen Abweisung auf der Grundlage einer Schadensteilung im Verhältnis 4 : 1 zu Lasten des Klägers und eines Schmerzengeldes von rechnungsmäßig S 100.000,-- abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nur teilweise gerechtfertigt.
Zum Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit wird zunächst ausgeführt, daß Berufungsgericht habe zur Unterstützung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes und zur Abweisung der diesbezüglichen Berufungsanträge dem Akteninhalt widersprechende Überlegungen benützt; es hätte im Rahmen der Beweiswürdigung und zur Unterstützung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes auch nur die im Verfahren erster Instanz abgeführten Beweismittel heranziehen dürfen, nicht aber Umstände, die im Verfahren erster Instanz nicht erörtert worden oder überhaupt unrichtig seien.
In diesem Zusammenhang wird zunächst die Annahme des Berufungsgerichtes beanstandet, die Einzeichnung der Position des Lastkraftwagens in der im Strafakt erliegenden Skizze sei offensichtlich auf die Angaben J*s zurückzuführen. Dem ist entgegenzuhalten, daß die erwähnte Skizze den ausdrücklichen Vermerk trägt, daß sie nach Angabe des Anzeigers angefertigt wurde. Aus dem Strafakt (und zwar aus S 21 ) ergibt sich, daß J* der Anzeiger war. Es kann also keine Rede davon sein, daß dem Urteil des Berufungsgerichtes in einem wesentlichen Punkt eine tatsächliche Voraussetzung zugrundegelegt erscheint, die mit den Prozeßakten erster oder zweiter Instanz in Widerspruch steht (§ 503 Z 3 ZPO).
Soweit die Beklagte mit dem oben erwähnten Vorbringen etwa einen Verstoß des Berufungsgerichtes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz geltend machen und sich auf den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens stützen wollte, wäre sie nur darauf hinzuweisen, daß der erwähnte Strafakt 16 U 732/69 des Bezirksgerichtes Linz vom Erstgericht in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 7. November 1972 (s.A. 21 des Aktes) eingesehen und verlesen wurde, womit er ein Beweismittel wurde, auf das das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung nicht nur Bedacht nehmen durfte, sondern dessen Beachtung ihm darüber hinaus Pflicht war. Es kann daher auch von einem Verfahrensverstoß nicht die Rede sein.
Weiters wird geltend gemacht, es treffe nicht zu, daß die von J* im Strafverfahren (S. 63 des Strafaktes) gemachte Angabe, der Kühler des Lastkraftwagens sei in Richtung Landstraße gestanden, genau der Einzeichnung in der Skizze entspreche. Nun ist es zwar richtig, daß der Kühler des in der Skizze eingezeichneten Lastkraftwagens nach Süden und damit keineswegs in Richtung der bekanntlich in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Landstraße zeigt. Dieser Umstand betrifft aber keinen für die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes wesentlichen Umstand. Das Berufungsgericht hat nämlich die Frage, geprüft, ob eindeutige Beweisergebnisse in der Richtung vorliegen, daß der Lastkraftwagen zu einer Schrägfahrt nicht gezwungen gewesen sei. Es hat diese Frage mit Rücksicht darauf verneint, daß über die ursprüngliche Stellung des Lastkraftwagens verschiedene, nicht übereinstimmende Aussagen vorliegen und daß auch J* im Zuge des Strafverfahrens seine Angaben geändert hat. Deckt sich die auf der Skizze nach den Angaben J*s gemachte Einzeichnung über die Stellung des Lastkraftwagens mit keiner der von ihm im Strafverfahren (S. 63 und S 93 des Strafaktes) gemachten Angaben, dann könnte dies nur die erwähnte Ansicht des Berufungsgerichtes erhärten. Auch insoweit liegt eine Aktenwidrigkeit im Sinne des § 503 Z 3 ZPO nicht vor.
Soweit die Ausführungen des Berufungsgerichtes, aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. P* sei für den Standpunkt der Berufungswerber nichts zu gewinnen, weil diesem Gutachten zufolge der Unfallshergang von beiden Ausgangspositionen des Lastkraftwagens erklärbar sei, als aktenwidrig bezeichnen, zeigen sie einen Widerspruch der oben dargestellten Art nicht auf, sondern bekämpfen damit lediglich die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Diese Ausführungen sind nämlich lediglich dagegen gerichtet, daß die Vorinstanzen nicht die für die Beklagte günstige mögliche Unfallsvariante als erwiesen angenommen und die weitere Variante, daß der Kläger stillgestanden ist und von dem in scharfer Kurvenfahrt befindlichen Lastkraftwagen angestoßen wurde, nicht ausgeschlossen haben. Daß es bedeutungslos sei, wie der Lastkraftwagen und aus welcher Position er abgefahren sei, hat das Berufungsgericht – entgegen der Behauptung der Beklagten – aber gar nicht ausgesprochen.
In der Rechtsrüge vertritt die Beklagte nach wie vor die Ansicht, der Unfall hätte als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG beurteilt werden und die Haftung der Beklagten deswegen gänzlich verneint werden müssen, wo doch feststehe, daß der Kläger auf den Lastkraftwagen überhaupt nicht geachtet habe. Auf das Maß der zur Erbringung des Entlastungsbeweises erforderlichen Sorgfalt seien bei einem Unfall auf einem Baustellenbetrieb weniger strenge Anforderungen zu stellen als etwa im allgemeinen Straßenverkehr. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Zunächst sei darauf verwiesen, daß schon nach dem klaren Wortlaut des § 9 Abs. 2 EKHG eine Befreiung von der Halterhaftung nicht schon dann eintritt, wenn der Unfall auf das Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist, sondern daß dazu auch noch kommen muß, daß die mit Willen des Halters beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die nach § 9 Abs. 2 EKHG gebotene äußerste Sorgfalt ist dann beobachtet, wenn der Fahrzeuglenker eine über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehende, besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht gezeigt hat, die z.B. auch die Rücksichtnahme auf eine durch die Umstände nahegelegte Möglichkeit eines unrichtigen oder ungeschickten Verhaltens anderer gebietet (JBl 1972, 150, ZVR 1074/190 u.a.). Mit einem unvorsichtigen Verhalten von Arbeitern auf einer Baustelle muß aber ein Kraftfahrer ebenso rechnen wie mit einem verkehrswidrigen Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr. Es besteht daher auch kein Grund, an die Sorgfaltspflicht bei der Lenkung eines Lastkraftwagens in einem Baustellenbereich geringere Anforderungen zu stellen. Nach den Feststellungen konnte der genaue Unfallshergang nicht geklärt werden. Es blieb unter anderem auch die Möglichkeit offen, daß der Kläger rechts seitlich von dem Lastkraftwagen stand und von diesem bei einer Kurvenfahrt angestoßen und zu Fall gebracht wurde, in welchem Fall der Lastkraftwagenlenker den Kläger durch den rechten Rückspiegel hätte bemerken können. Ist diese Möglichkeit nicht auszuschließen, dann kann von der Führung des Entlastungsbeweises nicht die Rede sein. Nicht aufklärbare Ungewißheiten über wesentliche Einzelheiten des Unfallsherganges gehen zu Lasten des Halters (bzw. seines Haftpflichtversicherers), weil eben dann der Entlastungsbeweis nicht als erbracht angesehen werden kann (ZVR 1968/90, ZVR 1970/91, ZVR 1971/29, ZVR 1971/179 u.a.). Der in der Revision bezogene Fall der Entscheidung ZVR 1968/206 war in den entscheidenden Punkten anders gelagert. Dort bediente sich der Lastkraftwagenfahrer eines Einweisers und der Verletzte befand sich an einer Stelle, an der er nicht erwartet und gesehen werden konnte.
Beim Zusammentreffen der Gefährdungshaftung nach § 7 EKHG mit der Verschuldenshaftung kommt § 1304 ABGB zur Anwendung und es hat daher eine Schadensteilung stattzufinden ( Veit , EKHG 3 S. 103, Koziol , Haftpflichtrecht II S. 466, 8 Ob 232/73, 8 Ob 113/76; vgl. auch die das Zusammentreffen von Verschuldenshaftung mit anderen Haftungstatbeständen betreffenden Fälle DREvBl 1942/271 und SZ 38/2). Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, findet hier eine Abwägung der Betriebsgefahr und des mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten statt (ZVR 1965/221). Mit Rücksicht auf die von einem Lastkraftwagen ausgehende Betriebsgefahr, die im allgemeinen die von einem Fußgänger in das Verkehrsgeschehen getragenen Gefahren weit überwiegt, und unter Bedachtnahme darauf, daß dem Kläger nicht mehr als eine Vernachlässigung der mit Rücksicht auf seine Schwerhörigkeit gebotenen Aufmerksamkeit vorgeworfen werden kann, bestehen gegen die Schadensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Beklagten keine Bedenken.
Was schließlich die Bemessung des Schmerzengeldes mit rechnungsmäßig S 270.000,-- betrifft, hat das Berufungsgericht zutreffend auf die mit dem Heilungsverlauf verbundenen Komplikationen, den besonders lange dauernden Anstaltsaufenthalt, die durch den Unfall bedingte vorzeitige Beendigung der beruflichen Tätigkeit und die mit dem Teilverlust eines Unterschenkels verbundenen dauernden Beschwerden hingewiesen. Nicht zu übersehen ist aber auch, daß die Amputation wegen der ausgedehnten Hautablederungen nicht korrekt in typischer Weise durchgeführt werden konnte, was wieder ungünstige Stumpfverhältnisse zur Folge hatte, sodaß die Notwendigkeit einer Nachamputation nicht auszuschließen ist. Berücksichtigt man schließlich die mit dem Verlust eines Beines verbundenen seelischen Belastungen, dann kann in der Bemessung des Schmerzengeldes mit rechnungsmäßig S 270.000,-- ein Rechtsirrtum nicht erkannt werden.
Da eine Haftung der Beklagten wegen Verschuldens des Lastkraftwagenlenkers verneint wurde und demnach nur die Halterhaftung nach dem EKHG zum Tragen kommen konnte, haftet die Beklagte für die vom Kläger davongetragenen Schäden nicht mit der Beschränkung auf die Haftpflichtversicherungssumme nach § 63 KFG, sondern nur bis zur Höhe der Haftungshöchstbeträge nach dem EKHG. Wenn dies auch nicht geltend gemacht wurde, so war doch darauf Bedacht zu nehmen und es waren die Urteile der Vorinstanzen insoweit abzuändern, weil bei gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge die rechtliche Beurteilung nach allen in Betracht kommenden Richtungen zu überprüfen ist (RZ 1969,52, EvBl 1964/161 u.a.m.).
Da der auf diese Weise erzielte Erfolg der Revision aber geringfügig ist, ist er weder zum Anlaß einer Abänderung der Kostenentscheidung der Vorinstanzen noch zu einer Teilung der Kosten des Revisionsverfahrens zu nehmen (§ 43 Abs. 2, 50 ZPO).