8Ob212/76 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten. des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Benisch, Dr. Thoma und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, Landwirt, *, vertreten durch Dr. Reiner Weber, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wider die beklagte Partei S*, Landwirt, *, vertreten durch Dr. Volker Lock, Rechtsanwalt in Laa/Thaya, wegen S 9.169,52 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgerichtes vom 16. Juni 1976, GZ 5 R 115/76 16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 19. März 1976, GZ C 434/75 8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.239,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 120,-- und die USt von S 82,94) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 4. Juli 1975 ereignete sich auf der Kreuzung der Landesstrasse * mit einer als Privatweg bezeichneten Strasse ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Ford Cortina * und der Beklagte mit seinem PKW * beteiligt waren.
Der Kläger begehrte vom Beklagten den Ersatz seines Kfz-Schadens in der unbestrittenen Höhe von S 9.169, 5 2 s.A.: Den Beklagten treffe das Alleinverschulden, weil er aus einer nach § 19 Abs. 6 StVO abgewerteten Verkehrsfläche ohne Rücksicht auf den bevorrangten Kläger in die Landesstrasse eingefahren sei.
Der Beklagte wendete ein, dass den Kläger das Alleinverschulden treffe, weil er den dem Beklagten nach § 19 Abs. 1 StVO zukommenden Rechtsvorrang verletzt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Klagsstattgebung ab.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z. 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern, in eventu, es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Im Revisionsverfahren ist lediglich umstritten geblieben, ob der Vorrang dem Kläger nach § 19 Abs. 6 StVO oder dem Beklagten nach § 19 Abs. 1 StVO zugekommen ist.
Das Erstgericht stellte hiezu im wesentlichen fest:
Der Kläger näherte sich mit seinem PKW auf der Landesstrasse * der Kreuzung mit dem von rechts einmündenden Privatweg und hatte 100 m vor der Kreuzung Sicht auf die letzten 150 m dieser Privatstrasse. Unmittelbar vor der Kreuzung war die gegenseitige Sicht durch Gesträuch je 5 m vor der Kreuzung behindert, während die beiden Strassen im Kreuzungsbereich selbst asphaltiert waren und die Landesstrasse auch sonst Asphaltbelag in einer Breite von rund 5,5 m im Unfallsbereich aufwies, war die Privatstrasse nur bis 4 m vor der Kreuzung asphaltiert, ab dem Ende des Asphaltbelages war die Breite von 10,5 m im Einmündungsbereich auf ca. 4,70 m verringert, in weiterer Folge hatte sie nur eine Naturdecke und eine durchschnittliche Breite von 4,50 m.
Die als Privatweg bezeichnete Strasse, auf der der Beklagte fuhr, befindet sich auf Liegenschaften, die dem Gutsherrn des Schlosses * gehören. Diese Strasse war, ebenso wie der Schlosspark, von jeher der Öffentlichkeit zugänglich und wurde von dieser auch von jeher frequentiert. Für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist nur jener Teil, der von dieser Strasse zum Schloss * abzweigt. Dieser Teil ist bei der Abzweigung durch einen Schranken abgesichert. Seit der Errichtung des Waldbades * stellt diese Strasse auch eine Zufahrt zu diesem Waldbad dar. Entgegen der Fahrtrichtung des Beklagten betrachtet, befindet sich auf der rechten Seite dieser Strasse das Verkehrszeichen „ Allgemeines Fahrverbot “ , in dessen weissen Grund sich die Aufschrift „ Privatweg“ befindet. Dieses Verkehrszeichen ist mit der Zusatztafel „ Zufahrt gestattet “ versehen. Die Aufstellung des Verkehrszeichens „ Allgemeines Fahrverbot“ mit dem Hinweis „ Privatweg“ erfolgte, als der Eigentümer auf Grund der erhöhten Verkehrsfrequenz seine Haftung für die schlechte Fahrbahnbeschaffenheit ausschließen wollte. Die Strasse blieb trotzdem weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich.
A usser Streit gestellt wurde, dass die Strasse, die der Beklagte befuhr – entgegen seiner Fahrtrichtung –, verlaufend zum Schloss und zur Güterverwaltung * sowie links abzweigend in einer in schlechtem Zustand befindlichen Fahrbahn nach der Ortschaft * führt.
Auf dieser Grundlage gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass dem Beklagten der Rechtsvorrang zugekommen sei, weil er sich der Unfallskreuzung auf einer Verkehrsfläche genähert habe, die weder als Feldweg noch als Grundstücksausfahrt zu werten sei.
Das Berufungsgericht vertrat hingegen die Auffassung, dass die Privatstrasse unter den festgestellten Verhältnissen einer im § 19 Abs. 6 StVO nur demonstrativ aufgezählten Verkehrsfläche gleichzuhalten sei, sodass der Beklagte wartepflichtig gewesen sei.
Demgegenüber vertritt die Revision weiterhin die Auffassung, dass dem Beklagten der Vorrang nach § 19 Abs. 6 StVO gebühre. Ihre Ausführungen sind jedoch nicht stichhältig.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht sei auf aktenwidriger Grundlage und in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen abgewichen. Den mit diesen Ausführungen geltend gemachten Revisionsgründen des § 503 Z. 2 und 3 ZPO ist schon mangels Relevanz nicht näher zu treten. Die oben wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes im Zusammenhalt mit der eingangs dargelegten Ausserstreit s tellung reichen für die abschliessende Beurteilung der allein strittigen Vorrangfrage aus:
Grundgedanke des § 19 Abs. 6 S tV O ist, dass dem fliessenden Verkehr der Vorrang gegenüber den Verkehrsteilnehmern auf allen jenen Verkehrsflächen zukomme, denen eine wesentlich geringere Bedeutung beizumessen sei als einer N orma l strasse. Ob dies im Einzelfall zutrifft, hängt stets von den konkreten Umständen ab. Dabei ist entscheidend, ob sich diese Verkehrsfläche für die Benützer der beiden Strassen während der Fahrt nach objektiven Kriterien – ohne Rücksicht auf deren Ortskenntnis – in ihrer Gesamtanlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Strassen unterscheidet (ZVR 1976/196). Die vom Beklagten benutzte Verkehrsfläche fällt für den objektiven Betrachter schon nach dem festgestellten und durch die vorliegenden Fotos verdeutlichten äusseren Erscheinungsbild (deutliche Fahrbahnverschmälerung, N aturdecke schon 4 m nach asphaltierter Einmündung, Verlauf zwischen Wald und Wiesen) auf; sie war i m Unfallszeitpunkt ein als solcher gekennzeichneter Privatweg (VwGH 1921/71 in ÖJZ 197 3, 518/341; VwGH 11/72 in ÖJZ 197 3 , 446/294) und sollte nach der durch die festgestellten Verkehrszeichen kundgemachten Widmung (ZVR 196 3 /111, ZVR 1970/85) dem Verkehr mit Kraftfahrzeugen nicht zugänglich sein, es sei denn, es handle sich um die Zufahrt. Der unbefangene Verkehrsteilnehmer konnte somit dem nur die Bedeutung beimessen, dass die Privatstrasse lediglich der Zufahrt zu einem Anwesen des Widmungsberechtigten dienen sollte. Der Umstand, dass die Privatstrasse der Zufahrt zu Schloss, Schlosspark und Bad diente, ist unbeachtlich, da der Charakter einer nach § 19 Abs. 6 StVO zu beurteilenden Verkehrsfläche dadurch nicht verlorengeht, dass sie nicht nur zu einem Anwesen führt (ZVR 1971/92). Dass aber die Privatstrasse entgegen der durch die festgestellten Verkehrszeichen kundgemachten Widmung für die Fahrt zu der Ortschaft * dienen könnte (vgl. ZVR 1970/85), war für einen sich auf der Landesstrasse der Einmündung der Privatstrasse nähernden Verkehrsteilnehmer weder erkennbar noch anzunehmen.
Das Berufungsgericht hat daher die Privatstrasse mit Recht den im § 19 Abs. 6 StVO nur demonstrativ aufgezählten Verkehrsflächen gleichgehalten. Aus der von der Revision ins Treffen geführten Entscheidung 2 Ob 33 5/66, lässt sich für ihren Standpunkt nichts gewinnen. In dem dort behandelten Fall hat der Oberste Gerichtshof vielmehr in den Entscheidungsgründen hervorgehoben, dass es sich bei der dort beurteilten Verkehrsfläche nicht um eine der Zufahrt dienende Privatstrasse handle. Die vom erkennenden Senat gebilligte Beurteilung des Berufungsgerichtes steht vielmehr im Einklang mit den Ent s cheidungen des Obersten Gerichtshofes in ähnlich gelagerten Fä llen (ZVR 1964/272, ZVR 1976/195).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.