JudikaturOGH

5Ob873/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Dezember 1976

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sobalik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel, Dr. Marold, Dr. Samsegger und Dr. Griehsler als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) F* S*, Pensionist, *, 2.) Verlassenschaft nach B* S*, gestorben * 1976, Hausfrau *, und 3.) H* B* geborene S*, alle vertreten durch Dr. Ernst Hofer, Rechtsanwalt in Feldkirch wider die beklagte Partei J* S*, Bauunternehmer, *, vertreten durch Dr. Theodor Veiter und Dr. Clement Achammer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen S 195.259,20 s. A. (Rekursinteresse S 161.717,– s. A.) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 30. September 1976, GZ 2 R 219/76 30, womit das Teilurteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 18. Mai 1976, GZ 6 Cg 3348/74 25, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Beklagte errichtete als Bauunternehmer über Auftrag der Ehegatten E* und M* S* auf deren Grundstück * einen Anbau. Dazu wurde auch eine Felssprengung durchgeführt, bei der das daneben gelegene Wirtschaftsgebäude der Kläger samt Zubau zu einem Wohnhaus einstürzte. Zu dieser Sprengung wurde der Arbeitnehmer des Beklagten, F* H*, als Sprengbefugter, eingesetzt.

Die Kläger begehrten mit der am 25. Jänner 1974 eingebrachten Klage den Ersatz des ihnen dabei zugefügten Schadens in Höhe von insgesamt S 194.579,20 s. A. (S 195.259,20 s. A.). Davon entfallen S 161.717,– auf den Schaden aus der Sprengung selbst, die unsachgemäß durchgeführt worden sei.

Der Beklagte beantragte K1agsabweisung, weil die Sprengung fachmännisch einwandfrei durchgeführt worden sei und alle notwendigen Vorkehrungen für den Schutz der Anrainer getroffen worden seien. Das eingestürzte Gebäude sei schon baufällig gewesen. Durch die Sprengung habe kein anderes benachbartes Objekt irgendwelche Schäden erlitten. Der Beklagte habe die Sprengung völlig seinem Sprengmeister überlassen und keinen Einfluß auf die Durchführung durch den Sprengbefugten genommen. Eine allfällige Haftung bestünde nur nach § 1315 ABGB. Bei F* H*, der schon mehrere hundert Sprengungen anstandslos durchgeführt habe, liege aber eine Untüchtigkeit im Sinne dieser Gesetzes stelle nicht vor.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Klagebegehren über den Betrag von S 161.717,– s. A., betreffend den eigentlichen Sprengungsschaden, ab. Seinen Feststellungen zufolge war der Sprengbefugte F* H* schon seit 1954/55 beim Beklagten beschäftigt. Er hatte schon im Jahre 1939 nach einem achttägigen Kurs in Regensburg einen Sprengschein erworben und vervollkommnete seine Kenntnisse durch die praktische Tätigkeit. Er nahm vom 7. April bis 17. April 1970 an einem vom Wirtschaftsförderungsinstitut der Handelskammer für Vorarlberg veranstalteten Sprenglehrgang mit 90 Unterrichtsstunden teil und legte mit gutem Erfolg die Abschlußprüfung ab. Er erhielt darauf einen Sprengbefugtenausweis. F* H* war vor der gegenständlichen Sprengung schon an insgesamt etwa 100 Sprengungen als Sprenggehilfe und als Sprengbefugter beteiligt. Darunter gab es auch größere Sprengungen, die zum Teil noch näher an Gebäuden und sogar in Kellern von Gebäuden stattfanden und ohne nennswerte Schäden verliefen.

Zur Absprengung von schwarzem harten Mergelfels wären etwa 250 Gramm Sprengstoff pro m 3 nötig gewesen. F* H* verwendete aber für die insgesamt etwa 90 m 3 Fels 29 kg Gelatine-Donarit, also etwa 322 pro m 3 . Diese Menge lag an der Obergrenze. Dies war aber für den Schadensfall nicht ausschlaggebend. Ursache des Schadens waren vielmehr die durch die Sprengung entstandenen Bodenerschütterungen. Um das Gebäude der Kläger vor Schäden zu bewahren, hätten wegen seiner Nähe nur 300 bis 450 Gramm Sprengstoff (zwei bis drei Patronen Gelatine-Donarit) gleichzeitig zur Detonation gebracht werden dürfen. Dies unabhängig von einer allfälligen Baufälligkeit des Gebäudes der Kläger. F* H* ließ jedoch tatsächlich jeweils 1,5 bis 2 kg Sprengstoff gleichzeitig zünden.

Zur richtigen Einschätzung solcher Bodenerschütterungen bedarf es einiger komplizierter Formeln und Berechnungen, die von einem gewöhnlichen Sprengbefugten im allgemeinen nicht zu erwarten sind. F* H* hätte aber die Möglichkeit gehabt, sich eines Sprengfachmannes zu bedienen, der ihm durch Rat und auch durch Berechnung Grundlagen in die Hand gegeben hätte, wodurch ein Schadensfall vermieden hätte werden können. F* H* machte davon keinen Gebrauch, weil er zufolge seiner großen und langjährigen Erfahrung vermeinte, daß keine Schwierigkeiten gegeben seien und nicht an eine Gefährdung der den Sprengort benachbarten Objekte dachte. Bei dem vom Wirtschaftsförderungsinstitut vorgetragenen Lehrstoff wird zu wenig Augenmerk auf die mit Sprengungen verbundenen Gefahren von Bodenerschütterungen gelegt. F* H* hatte im Sprengkurs nur gehört, daß man Bodenschwingungen in der Nachbarschaft des Sprengortes hauptsächlich durch die Verwendung von sogenannten Millizündern vermeiden könne. Ihm war auch bekannt, daß nicht nur die Zündung der einzelnen Bohrlochreihen, sondern die der einzelnen Bohrlöcher durch die Verwendung dieser Zünder gestaffelt werden könne. Im vorliegenden Fall berücksichtigte er dies dadurch, daß er drei Serien von Ladungen jeweils in einem zeitlichen Abstand von je 20 Millisekunden hintereinander zur Zündung brachte, wobei aber die einzelnen Ladungen zu hoch waren.

F* H* war außerstande, das Maß der Bodenerschütterung bezogen auf den bestimmten Zielort, auch nur ungefähr abzuschätzen, bzw. zu kalkulieren. Im Vergleich zu seinem Berufskollegen, also zu anderen Sprengbefugten Vorarlbergs unterschied er sich aber hinsichtlich seines Wissens- und Erfahrungsstandes sowie der angewandten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit nicht zu seinem Nachteil.

Das Erstgericht verneinte auf Grund dieses Sachverhaltes eine Schadenshaftung des Beklagten. § 1313 a ABGB könne hiefür nicht herangezogen werden, da der Beklagte zu den Klägern keine vertraglichen Beziehungen unterhalten habe. Auch § 1315 ABGB biete hiefür keine Grundlage, weil der Sprengbefugte F* H* nicht als untüchtiger Besorgungsgehilfe qualifiziert werden könne. Er verfüge über die vorgeschriebene Ausbildung sowie eine außergewöhnlich lange und zwischenfallsfreie Praxis als Sprengmeister. Ein Sprengbefugter mit herkömmlicher Ausbildung und Berufspraxis sei aber nicht in der Lage, mögliche Prognosen hinsichtlich der Auswirkung der Sprengung durch Bodenerschütterungen zu stellen. Dies stelle zwar aus der Sicht eines Experten eine grobe Unkenntnis dar, die F* H* veranlassen hätte müssen, sich eines Sprengfachmannes zu bedienen. Die Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB sei aber nicht nach einem absoluten Maßstab, sondern im Vergleich zu Berufskollegen des Besorgungsgehilfen zu beurteilen. Er unterscheidet sich diesbezüglich aber nicht zu seinem Nachteil. Daß Sprengbefugte nach der Sprengarbeiterschutzverordnung nach so kurzer und wenig tiefschürfender Ausbildung berechtigt seien, die für Dritte unter Umständen sehr gefährlichen Sprengarbeiten unter eigener Verantwortung und ohne Überwachung zu besorgen, könne H* nicht angelastet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Parteien auf der Grundlage der unbekämpft gebliebenen Feststellungen Folge, hob das Teilurteil auf und verwies die Rechtssache unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht bejahte zunächst den Haftungsgrund nach § 1315 ABGB. Der Beklagte habe für seinen Arbeitnehmer einzustehen, der ihm in mehrfacher Hinsicht als Weisungsgebundener und Untergebener gegenüberstehe, wenn er auch im speziellen Teilbereich nach den Bestimmungen der Sprengarbeiterverordnung vor allem der Behörde und Dritten gegenüber selbständig und eigenverantwortlich sei. F* H* sei aber für die Vornahme von Sprengungen in der Nähe von Gebäuden schlechthin untüchtig gewesen, weil er vor allem wegen seines mangelnden Wissens über die Bodenerschütterungen Gefahren für umliegende Gebäude nicht einmal zu erkennen, geschweige denn abzuwenden vermocht hätte. Dabei komme es nur auf das objektive Vorliegen einer solchen habituellen Untüchtigkeit zufolge unvollständiger Ausbildung an.

Der Beklagte hafte aber auch nach § 1313 a ABGB. Bei der Übernahme von Sprengarbeiten gelte im Sinne der nunmehr weitgehend anerkannten Lehre über vertragliche Schutzpflichten zugunsten Dritter zwischen den Vertragspartnern im Zweifel immer als vereinbart, daß Grundnachbarn des Bestellers nicht zu Schaden kommen dürften. Der Beklagte habe im Rahmen dieser Haftung gemäß § 1313 a ABGB für seinen Erfüllungsgehilfen einzustehen und gemäß § 1298 ABGB auch zu beweisen, daß er ohne sein oder seines Erfüllungsgehilfen Verschulden an der Erfüllung dieser seiner vertraglichen Schutzpflicht verhindert worden sei. Dieser Entlastungsbeweis sei dem Beklagten aber nicht gelungen, weil der Schaden leicht zu verhindern gewesen wäre, wenn mit der entsprechenden Sorgfalt, insbesondere der Betrauung eines Sprengfachmannes vorgegangen worden wäre. Gerade bei Sprengungen sei immer äußerste Vorsicht geboten und daher ein strenger Maßstab am Platze.

Da bei den einzelnen Teilansprüchen nicht jeweils wenigstens ein Teil der behaupteten Beträge feststehe und sohin die Voraussetzungen für ein Teilzwischenurteil fehlten, gelangte das Berufungsgericht zur Aufhebung des angefochtenen Teilurteiles zur Klärung des Schadens und seiner Höhe.

Gegen den berufungsgerichtlichen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit den Anträgen, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgerichte die Entscheidung im Sinne einer Bestätigung des Ersturteiles aufzutragen, in eventu den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgerichte aufzutragen, wegen Mangelhaftigkeit das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache zur Erneuerung der Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Es ist dem Erstgericht zunächst darin beizupflichten, daß eine Haftungsgrundlage für den begehrten Schadenersatz nicht zufolge Schadensverursachung im Rahmen der Tätigkeit eines „gefährlichen Betriebes“ vorgefunden werden kann, weil die dann stattfindende besondere Haftung des Betriebsinhabers nicht schon dann eintritt, wenn ein an sich ungefährlicher Betrieb, wie ein Bauunternehmen, im Einzelfall unter gewissen Umständen, etwa bei der Vornahme von Sprengungen, zu einem gefährlichen wird. Sie ist vielmehr erst dann zu bejahen, wenn eine solche Gefahr nach Art des Betriebes regelmäßig und allgemein vorhanden ist (vgl. SZ 46/36).

Wohl aber ist die Haftung des Beklagten nach § 1315 ABGB gegeben. Besorgungsgehilfe im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede Hilfsperson, deren sich ein Geschäftsherr zur Besorgung irgendwelcher Tätigkeiten bedient. ( Koziol-Welser , Grundriß 3 , I 314). Dem Rekurswerber ist nun durchaus darin beizupflichten, daß in Lehre und Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, daß § 1315 ABGB ein Abhängigkeitsverhältnis bezüglich der zu besorgenden Angelegenheiten zwischen dem Geschäftsherrn und dem Gehilfen voraussetzt. Ein solches Verhältnis ist nach Wilburg (ZBl 1930, 727 ff) nicht gegeben, wenn der Gehilfe die aufgetragenen Angelegenheiten nicht selbständig, d. h. nach eigener Sachkunde und eigenem Ermessen besorgt, sondern nur unter der Aufsicht und nach den Weisungen des Geschäftsherrn. Das sind allerdings solche Willenserklärungen, die die Vornahme der Handlung allgemein oder im einzelnen Falle anordnen. Ist schon auf Grund eines allgemeinen Weisungsrechtes in diesem Sinne auch ein Abhängigkeitsverhältnis des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber zu verstehen, so kommt dies in der von der Revision zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung (JBl 1968, 473) noch viel klarer zum Ausdruck, da dort die Annahme einer solchen Haftung bei Beschäftigung eines selbständigen Unternehmers als „Gehilfen“ zur Entscheidung stand und hinsichtlich eines Arbeitnehmers als Gehilfen gar nicht in Frage gestellt wurde (so auch Ehrenzweig , Schuldverhältnisse II/1, 688), Auch Koziol Welser , Österreichisches Haftpflichtrecht II, 277, schließen die Besorgungshilfenhaftung nur aus, wenn etwa selbständige Unternehmer zur selbständigen Durchführung der Tätigkeit bestellt wurden. Die Haftung des Geschäftsherrn nach § 1315 ABGB für die vom Gehilfen verursachten Schäden berührt eine eigene Haftung des Gehilfen gegenüber dem Geschädigten nicht. Dies steht im vorliegenden Fall mit der Bestimmung des § 2 Abs 4 der Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung über den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei der Ausführung von Sprengarbeiten, BGBl 1954/77, in der Fassung der Verordnungen BGBl 1965/77 und BGBl 1975/441, in Einklang, wonach der Sprengbefugte hinsichtlich der Ausführung der Sprengarbeiten allein anordnungsbefugt ist. Damit ist aber entgegen der Auffassung des Rekurswerbers nicht das der Besorgungsgehilfeneigenschaft vorauszusetzende Abhängigkeitsverhältnis des Dienstnehmers beseitigt, das kraft des allgemeinen Aufsichts- und Weisungsrechtes des Geschäftsherren hinsichtlich der durchzuführenden Arbeiten gegeben ist. Daß der Geschäftsherr im Einzelfall Spezialkenntnisse zur Verrichtung besonderer Arbeiten nicht hat und sich gerade deshalb eines solcherart geschulten Dienstnehmers bedient, der sie dann nach eigener Sachkenntnis durchführt, ist geradezu der Regelfall bei derartigen Dienstleistungen und kann die Anwendbarkeit der Besorgungsgehilfenhaftung nach § 1315 ABGB nicht beeinträchtigen.

Diese Haftung setzt kein Auswahlverschulden des Geschäftsherrn voraus. Voraussetzungen ist nur die objektiv gegebene Untüchtigkeit des Gehilfen. Dem Zweck der Bestimmung des § 1315 ABGB entsprechend ist es auch keine Voraussetzung für die Ersatzpflicht des Geschäftsherren, daß der Gehilfe selbst schuldhaft gehandelt hat ( Koziol , Österreichisches Haftpflichtrecht a. a. O. 280, 281).

Daß im vorliegenden Falle zufolge einer unzulänglichen Ausbildung des Sprengmeister F* H* objektiv eine habituelle Untüchtigkeit gegeben war, ist den Feststellungen der Untergerichte unzweifelhaft zu entnehmen. Daß ein diesbezüglicher Wissensmangel zufolge der Unzulänglichkeit der Ausbildung auch bei anderen Absolventen der diesbezüglichen Kurse gegeben sein soll, ist ohne Belang. Es erübrigte sich damit eine diesbezügliche Beweisaufnahme.

Inwieweit das Klagebegehren auch in der Bestimmung des § 1313 a ABGB seine Begründung finden könnte, kann demnach dahingestellt bleiben.

Da es auf der Grundlage der schon im übrigen zutreffenden rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Beschlusses noch einer Verfahrensergänzung in erster Instanz bedarf, war dem Rekurs sohin ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

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