JudikaturOGH

7Ob39/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 1976

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Johann Tischler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Gert Waizer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 11.478,33 DM samt Anhang und Feststellung (Streitwert 100.000 S), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 30. Jänner 1976, GZ. 2 R 426/75 20, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Oktober 1975, GZ. 6 Cg 974/74 14, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Beklagte verschuldete am 27. Dezember 1971 mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW., Kennzeichen *, einen Verkehrsunfall, bei dem der von F* G* gelenkte Wagen, Marke Mercedes, Kennzeichen * schwerstens beschädigt und dessen mitfahrende Gattin erheblich verletzt wurde. Die Klägerin erbrachte an die Geschädigten Leistungen in der Höhe von 11.478,33 DM. Hievon wurden 35 DM und 60 DM am 20. Feber bzw. 13. März 1973 bezahlt.

Mit ihrer am 24. Dezember 1974 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den Ersatz der von ihr erbrachten Leistungen in der vorgenannten Höhe und beantragt die Feststellung, daß ihr der Beklagte für alle weiteren von ihr aus dem Verkehrsunfall vom 27. Dezember 1971 noch zu erbringenden Leistungen zu haften habe. Der Beklagte sei im Zeitpunkte des Schadensfalles trotz qualifizierter Mahnung mit Nachfristsetzung im Sinne des § 39 VersVG vom 7. Dezember 1971 mit der Bezahlung der für das Jahr 1971 vorgesehenen Prämienerhöhung von 454,70 S im Verzug gewesen. In ihren Schreiben vom 19. Juni und 30. Juni 1972 habe sie daher dem Beklagten mitgeteilt, daß sie leistungsfrei sei und ihn im Sinne des § 12 Abs. 3 VersVG belehrt. Da der Beklagte fristgerecht eine Deckungsklage nicht eingebracht habe, könne die Klägerin bei ihm hinsichtlich der von ihr an die geschädigten Dritten erbrachten Leistungen nach § 158 f VersVG Regreß nehmen. Welche Leistungen die Klägerin in Zukunft zu erbringen haben werde, stehe derzeit noch nicht fest. Der Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß ihm die Mahnung vom 7. Dezember 1971 nie zugekommen sei. Von dem Prämienrückstand habe er erst im April 1972 erfahren und diesen dann sofort bezahlt.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Nach seinen Feststellungen gab der Beklagte der Klägerin als seinen Wohnort *, an, wo er einen Neubau errichtete. Da er in * arbeitete und nur alle 14 Tage nach * kam, beauftragte er seinen in *, wohnhaften Bruder F*, die eingegangene Post zu sammeln und ihm bei seinen 14 tägigen Besuchen zu übergeben. Einen Nachsendeauftrag erteilte der Beklagte weder der Post noch seinem Bruder F*. Das Sammeln und die Übergabe der Post durch den Bruder des Beklagten erfolgte jedoch bisher ohne Zwischenfälle. Im Jahre 1971 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Aufforderung, die Prämienerhöhung im Betrage von 454,70 S zu bezahlen und mahnte ihn am 16. September 1971. Am 7. Dezember 1971 sandte ihm schließlich die Klägerin eine Nachfristmahnung mit Belehrung nach § 39 VersVG, nicht eingeschrieben, an seine Adresse in *. Ein Postfehlbericht langte bei der Klägerin nicht ein. Bis zum Unfallstag (27. Dezember 1971) bezahlte der Beklagte den offenen Prämienbetrag nicht. Am 13. April 1972 verständigte die Klägerin den Beklagten (wieder nicht eingeschrieben, jedoch langte dieser Brief bei ihm ein), daß die Verkehrsbehörde von dem unterbrochenen Versicherungsschutz verständigt worden sei und er mit einer Einziehung des Kennzeichens und einer Prämienklage rechnen müsse. Mit Verwendung eines beigeschlossenen Erlagscheines bezahlte der Beklagte am 17. April 1972 460,70 S. Am 7. Juni 1972 meldete der Beklagte der Klägerin den Schadensfall (siehe Beilage ./B). Hierauf teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 19. Juni 1972 mit, daß wegen Nichtbezahlung der Nachtragsprämie für das Jahr 1971 Leistungsfreiheit eingetreten sei. Sie würde zwar die Geschädigten befriedigen, jedoch werde eine Regreßklage folgen. In diesem Schreiben wurde der Beklagte auch auf die Bestimmungen des § 12 Abs. 3 VersVG hingewiesen. Als der Beklagte eine gütliche Regelung zu erreichen versuchte, erhielt er von der Klägerin mit deren Schreiben vom 30. Juni 1972 einen endgültigen ablehnenden Bescheid. Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Klägerin endgültig leistungsfrei geworden sei, weil der Beklagte eine Deckungsklage nicht eingebracht habe. Ob dieser die qualifizierte Mahnung nach § 39 VersVG tatsächlich erhalten habe, brauche daher nicht mehr geprüft zu werden. Da auch noch in Zukunft mit Ersatzansprüchen der geschädigten Dritten zu rechnen sei, erweise sich sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren als berechtigt.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Habe der Versicherer die Ansprüche des geschädigten Dritten vor Ablauf der dem Versicherten gesetzten Klagsfrist befriedigt, so könne er seine Leistungsfreiheit nicht mehr auf das ungenützte Verstreichenlassen der Frist des § 12 Abs. 3 VersVG stützen. Hier stehe fest, daß von der Klägerin Leistungen in der Höhe von 11.383,33 DM noch vor Ablauf der dem Beklagten gesetzten Klagefrist erbracht worden seien. Hinsichtlich des Restbetrages von 95 DM sei dies wohl höchst unwahrscheinlich, könne aber noch nicht abschließend beurteilt werden, weil nicht feststehe, wann dem Beklagten das endgültige Ablehnungsschreiben vom 30. Juni 1972, durch das die Frist des § 12 Abs. 3 VersVG in Lauf gesetzt wurde, zugekommen sei. Das Erstgericht werde daher in dieser Richtung ergänzende Erhebungen vorzunehmen haben. Sollten diese ergeben, daß der Betrag von 95 DM von der Klägerin erst nach Ablauf der gesetzten Frist bezahlt worden sei, werde trotzdem auch hinsichtlich dieses Betrages zu prüfen sein, ob die von der Klägerin in Anspruch genommene Leistungsfreiheit berechtigt sei oder nicht. Lasse nämlich der Versicherte die ihm nach § 12 Abs. 3 VersVG gesetzte Klagsfrist ungenützt verstreichen, so habe dies für ihn nur zur Folge, daß er selbst als Versicherungsnehmer gegen den Versicherer keinen Anspruch auf Versicherungsschutz mehr stellen könne. Leiste daher der Versicherer im Rahmen des § 158 c VersVG an den geschädigten Dritten, so trete seine Leistungsfreiheit nicht schlechthin schon durch die Untätigkeit des Versicherten im Sinne des § 12 Abs. 3 VersVG ein. Der Versicherer müsse daher ungeachtet des Fristablaufes seine Leistungsfreiheit beweisen. Die gegenteilige Ansicht würde zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß selbst ein Versicherungsnehmer, der vom geschädigten Dritten nicht in Anspruch genommen werde und daher seinerseits keinerlei Ansprüche gegen den Versicherer geltend machen wolle, trotzdem nach § 12 Abs. 5 VersVG Klage erheben müßte. Ob die von der Klägerin in Anspruch genommene Leistungsfreiheit nach § 59 Abs. 2 VersVG berechtigt sei, könne hingegen noch nicht abschließend beurteilt werden. Den Feststellungen des Erstgerichtes könne nämlich nicht entnommen werden, ob dem Beklagten das Schreiben vom 7. Dezember 1971 noch vor dem 27. Dezember 1971 (Unfall) zugekommen sei. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Erhaltes des Schreibens reiche nicht aus. Auch über das Feststellungsbegehren könne noch nicht abgesprochen werden, weil nicht feststehe, ob tatsächlich mit künftigen Leistungen der Klägerin an die Schädiger zu rechnen sei.

Die Klägerin bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin erachtet die Rechtssache im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils bereits für spruchreif. Das ungenützte Verstreichen der dem Versicherten gesetzten Frist im Sinne des § 12 Abs. 5 VersVG habe den Verlust seines Versicherungsschutzes ohne Rücksicht darauf zur Folge, ob die vom Versicherer in Anspruch genommene Leistungsfreiheit berechtigt sei oder nicht. Die Ablehnungserklärung müsse nur unzweideutig sein und dürfe beim Versicherten keine Zweifel aufkommen lassen. Dies sei jedoch hier der Fall.

Den Ausführungen der Rekurswerberin kann nicht gefolgt werden. Hat der Versicherer schon während oder vor Setzung der Klagsfrist nach § 12 Abs. 3 VersVG an die geschädigten Dritten Leistungen erbracht, so hat er dem Versicherten bereits Versicherungsschutz gewährt. Eine Klage des Versicherten gegen den Versicherer auf Gewährung des Versicherungsschutzes wäre daher in diesem Falle völlig zwecklos, weil der im Klagsweg angestrebte Erfolg bereits durch die Leistung des Versicherers vorweggenommen wurde. Eine trotzdem vom Versicherer dem Versicherten nach § 12 Abs. 3 VersVG gesetzte Klagsfrist ist daher hinsichtlich der von ihm bereits erbrachten Leistungen ohne Bedeutung (VersR 1972/654, ZVR 1968/97, 1971/162, 7 Ob 10/68, 7 Ob 206, 207/74, zuletzt 7 Ob 175/75). In Ansehung der an die geschädigten Dritten bereits vor Ablauf der dem Beklagten gesetzten Klagsfrist erbrachten Leistungen kann daher die Rekurswerberin ihre Leistungsfreiheit nicht aus dem ungenützten Verstreichenlassen dieser Frist durch den Beklagten herleiten, sondern muß dafür materielle Gründe nachweisen (7 Ob 175/75). Wenn aber das Berufungsgericht zur Klärung der von der Rekurswerberin behaupteten Leistungsfreiheit nach § 39 Abs. 2 VersVG eine Verfahrensergänzung für erforderlich hält, so kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten, wenn, so wie hier, die vom Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluß vertretene Rechtsansicht richtig ist ( Fasching IV S. 414, SZ 38/227, EvBl 1970/168, 7 Ob 167/72 u.a.m.). Das gleiche gilt auch für die vom Berufungsgericht hinsichtlich des Feststellungsbegehrens und über den Ablauf der dem Beklagten gesetzten Klagsfrist angeordneten Verfahrensergänzung.

Sollte sich allerdings im zweiten Rechtsgang herausstellen, daß die Rekurswerberin die behaupteten Leistungen von 60 DM und 35 DM (am 20. Feber bzw. 15. März 1973) erst nach Ablauf der dem Beklagten gesetzten Klagsfrist erbrachte, so wird das Erstgericht davon auszugehen haben, daß in diesem Umfange die Rekurswerberin endgültig leistungsfrei geworden ist (SZ 27/207, VersR 1974/610). Eine wirksame Fristsetzung nach § 12 Abs. 3 VersVG hat allerdings wie das Berufungsgericht richtig hervorhebt zur Voraussetzung, daß der Versicherte gegen den Versicherer einen Deckungsanspruch erhoben hat (VersR 1970/804, 1972/190 u.a.m.). Die Erhebung eines solchen Anspruches liegt schon in der vom Versicherten dem Versicherer erstatteten Schadensmeldung (VersR 1970/804). Eine solche wurde aber vom Beklagten bereits am 7. Juni 1972 erstattet (siehe Beilage ./B). Im übrigen mißversteht das Berufungsgericht die in den Entscheidungen ZVR 1969/248 und 1975/42 ausgesprochene Rechtsansicht, daß in dem ungenützten Verstreichenlassen der Ausschlußfrist des § 12 Abs. 3 VersVG durch den Versicherten noch kein Anerkenntnis des Regreßanspruches des Versicherers zu erblicken ist. Denn damit sollte nur zum Ausdruck gebracht werden, daß ungeachtet des Verstreichens der Frist des § 12 Abs. 3 VersVG der Rechtsbestand des auf den Versicherer nach § 158 f. VersVG übergegangenen Anspruches des geschädigten Dritten im Regeßprozeß zu prüfen ist (siehe ZVR 1973/42), während die Frage der Leistungsfreiheit des Versicherers bereits feststeht und daher nicht mehr Gegenstand dieses Rechtsstreites ist (VersR 1972/654).

Die Prüfung der von der Rekurswerberin behaupteten Leistungsfreiheit nach § 39 Abs. 2 VersVG bedarf, wie das Berufungsgericht richtig hervorhebt, einer ergänzenden Verhandlung in erster Instanz. Die Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht erfolgte sohin im Ergebnis zu Recht. Das Erstgericht wird daher sein Verfahren in dem vom Berufungsgericht erforderlich erachteten Umfang zu ergänzen und dann neuerlich zu entscheiden haben. Ob die qualifizierte Mahnung der Rekurswerberin vom 7. Dezember 1971 dem Beklagten zugekommen ist, wird davon abhängen, ob sie in dessen Hände oder wenigstens in die Hände einer Person gelangt ist, die nach den Postvorschriften (§§ 174 ff. PostO) für ihn zur Empfangnahme berechtigt war (JBl 1975/374, VersRdsch 1959 , 53 und 114, mit Besprechung von Wahle , 7 Ob 206, 207/74).

Dem Rekurs der Klägerin war somit nicht stattzugeben.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

Rückverweise