4Ob85/72 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 45/128
Spruch
Bedeutung des im P IX des Kollektivvertrages für die Angestellten der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs verwendeten Ausdrucks: "jeweils gesetzliches Pensionsanfallsalter (§§ 253, 253a und 253b ASVG)"
OGH 28. 11. 1972, 4 Ob 85/72 (LGZ Wien 44 Cg 102/72; ArbG Wien 4 Cr 2133/71)
Text
Die Klägerin hat ihr Dienstverhältnis zur Beklagten zum 31. 7. 1971 gekundigt. Sie begehrt von der Beklagten unter Berufung auf Sonderbestimmungen im Kollektivvertrag vom 9. 3. 1964 für die Angestellten der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs eine Abfertigung von S 51.175.- sA.
Die Beklagte hat den Anspruch der Höhe nach nicht bestritten, jedoch darauf hingewiesen, daß die für eine Abfertigung im Kollektivvertrag ihrer Meinung nach geforderte Zuerkennung einer Alterspension wegen eines noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin nicht möglich sei, und die Abweisung der Klage beantragt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, uzw auf Grund des folgenden festgestellten Sachverhaltes:
P IX des Kollektivvertrages für die Angestellten der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs, Beilage ./C, hat folgenden Wortlaut:
"IX Lösung des Dienstverhältnisses bei Erreichung des gesetzlichen Pensionsanfallsalters.
Angestellte, die das jeweils gesetzliche Pensionsanfallsalter (§§ 253, 253a und 253b ASVG) erreicht haben und die vorangegangenen 5 Jahre im Betrieb tätig gewesen sind, können ihr Dienstverhältnis gemäß § 20 Abs 4 des AngG kundigen und haben trotzdem Anspruch auf die volle ihnen gemäß § 23 des AngG zustehende Abfertigung."
Die am 23. 11. 1915 geborene Klägerin hat auf Grund ihres Beschäftigungsverlaufes 351 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben. Für die Zeit vom 1. 8. 1934 bis 15. 9. 1935, vom 9. 5. 1937 bis 31. 5. 1937 und vom 1. 6. 1937 bis 14. 7. 1937 ergaben sich mangels Entrichtung von Pensionsversicherungsbeiträgen keine Versicherungszeiten. Ebenso ergab sich für ihre Tätigkeit im Haushalt für die Zeit vom 13. 11. 1945 bis zum 19. 5. 1948 keine Versicherungszeit. In der Zeit vom 1. 6. 1938 bis 13. 11. 1945, vom 20. 5. 1948 bis 30. 6. 1949 und vom 1. 7. 1951 bis 11. 7. 1952 war die Klägerin in der Anwaltskanzlei ihres Ehegatten mittätig. Für diese Zeiträume ergaben sich keine anrechenbaren Versicherungszeiten, weil nach der damaligen Gesetzeslage die im Betrieb des Ehegatten mittätige Frau von der Versicherungspflicht ausgenommen war. Diese Ausnehmung der Ehegattin von der Versicherungspflicht wurde erst mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. 7. 1968, G 2/68, als verfassungswidrig aufgehoben. Diese Aufhebung wurde mit Ablauf des 31. 5. 1969 wirksam.
Rechtlich meinte das Erstgericht, es komme für den Anspruch auf Abfertigung nicht nur auf das reine, in den §§ 253, 253a und 253b ASVG genannte Pensionsanfallsalter an, sondern es müßten auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 253a oder des § 253b ASVG für eine Pensionsgewährung bei einem Alter von über 55, jedoch unter 60 Jahren vorliegen. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. § 253a ASVG scheide von vornherein aus, weil der einjährige arbeitslosen- oder Krankengeldbezug fehle. Aber auch die Voraussetzungen nach § 253b ASVG seien nicht gegeben, weil die anrechenbaren Versicherungszeiten 420 Monate nicht erreichten. Die Berufstätigkeit der Klägerin würde einen Pensionsanfall allerdings nicht hindern, da das Erfordernis des § 253b Abs 1 lit d ASVG vorweg auszuscheiden sei.
Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab der Berufung nicht Folge.
Hiezu führte es aus:
Wenn die Klägerin in ihrer Rechtsrüge meine, es komme für den Anfall der Abfertigung nur auf das Pensionsanfallsalter an, so könne diese Rechtsauffassung nicht geteilt werden.
Abschnitt IX des Kollektivvertrages für die Angestellten der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs bestimme zwar, daß die Abfertigung dann gebühre, wenn der Angestellte "das jeweilige gesetzliche Pensionsanfallsalter (§§ 253, 253a und 253b ASVG) erreicht hat".
Man könnte nun meinen, daß es also nur auf die Erreichung eines bestimmten Alters ankomme, uzw bei der Alterspension nach § 253 ASVG auf die Erreichung des 65. (männlich) oder 60. (weiblich) Lebensjahres, bei der vorzeitigen Alterspension nach § 253a ASVG und bei der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG auf die Erreichung des 60. bzw 55. Lebensjahres.
Diese Auslegung sei aus mehrfachen Gründen nicht richtig.
Unter "Erreichung des gesetzlichen Pensionsanfallsalters" könne nur der Zeitpunkt verstanden werden, zu dem die Pension anfällt. Die Pension falle nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz aber nicht schon mit der Erreichung eines bestimmten Alters an. Es müßten bei den einzelnen Pensionsarten noch eine Reihe von weiteren Voraussetzungen vorliegen.
Bei der reinen Alterspension nach § 253 ASVG müsse außerdem die Wartezeit erfüllt sein, dh es müßten zum Stichtag 180 Versicherungsmonate vorliegen und es dürfe keine Pflichtversicherung bestehen.
Bei der vorzeitigen Alterspension nach § 253a ASVG komme zur Altersgrenze für weibliche Versicherte von 55 Jahren noch die Erfüllung der Wartezeit von 180 Monaten und der Umstand dazu, daß innerhalb der letzten 13 Monate durch 52 Wochen der Bezug von Arbeitslosen- oder Krankengeld vorliegen müsse.
Bei der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG müsse die Wartezeit erfüllt sein, dh es müßten 420 Versicherungsmonate vorliegen, davon innerhalb der letzten 36 Monate 24 Pflichtversicherungsmonate in der Pensionsversicherung, und schließlich dürfe der Versicherte in allen drei Fällen nicht erwerbstätig sein.
Seien nicht alle diese Voraussetzungen erfüllt, so falle die betreffende Pension nicht an. Sie falle vielleicht, wenn zB ein Jahr später die Wartezeit für die vorzeitige Alterspension erfüllt sei, bei einer weiblichen Versicherten erst mit 56 und nicht schon mit 55 Jahren an.
Der Anfallszeitpunkt hänge davon ab, daß alle Anspruchsvoraussetzungen zum Stichtag vorliegen. Sei das nicht der Fall, so falle die Pension nicht an.
Die Kollektivvertragsparteien hätten diese Auffassung auch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht sagten, die Abfertigung falle mit Erreichung des 60. oder 55. Lebensjahres an, sondern für den Anfall auf die Gesetzesstellen der §§ 253, 253a und 253b ASVG hinwiesen.
Das Argument der Berufungswerberin, daß nach Abschnitt IX des Kollektivvertrages als weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Abfertigung eine vorangegangene 5 Jahre dauernde Betriebstätigkeit gegeben sein müsse, was mit § 253a ASVG wegen der dort angeführten einjährigen Arbeitslosigkeit unvereinbar sei, sei zwar zutreffend, jedoch nicht stichhältig.
Entweder handle es sich um einen Redaktionsfehler der Kollektivvertragsparteien, die den § 253a ASVG überhaupt nicht zitieren hätten sollen, oder es sei die vorangegangene Betriebstätigkeit durch 5 Jahre so zu verstehen, daß sie unmittelbar vor der einjährigen Arbeitslosigkeit liegen müsse.
Vorliegend könne die Alterspension nach § 253 ASVG nicht anfallen, weil die Klägerin erst 56 Jahre alt sei; für die vorzeitige Alterspension nach § 253a ASVG fehle es an der einjährigen Arbeitslosigkeit und die Voraussetzungen für die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG lägen ebenfalls nicht vor, weil die Klägerin nicht 420 Versicherungsmonate aufweisen könne. Für alle drei Versicherungsarten sei aber überdies Voraussetzung, daß der Versicherte nicht erwerbstätig ist. Das treffe auf die Klägerin, die weiterhin berufstätig sei, nicht zu.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und verurteilte die beklagte Partei gemäß dem Klagebegehren.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Strittig ist die Auslegung von P IX des Kollektivvertrags. Seine Überschrift lautet: "Lösung des Dienstverhältnisses bei Erreichung des gesetzlichen Pensionsanfallsalters". Dann wird gesagt, daß Angestellte, die das jeweils gesetzliche Pensionsanfallsalter (§§ 253, 253a und 253b ASVG) erreicht haben und die vorangegangenen fünf Jahre im Betrieb tätig gewesen sind, ihr Dienstverhältnis nach § 20 Abs 4 AngG kundigen können und trotzdem Anspruch auf die volle ihnen gemäß § 23 AngG zustehende Abfertigung haben.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Mit dem Begriff "jeweils gesetzliches Pensionsanfallsalter (§§ 253, 253a und 253b ASVG)" wird auf die angeführten Normen des ASVG verwiesen, denen die Tragweite dieses Begriffs entnommen werden soll, uzw gemäß dem "jeweils" geltenden Recht. Wenn man aus den angegebenen Bestimmungen des ASVG das Lebensalter der Versicherten als allein maßgebend betrachtet, so ergibt sich für die Alterspension (§ 253 ASVG) die Vollendung des 60. Lebensjahres, für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit nach § 253a ASVG die Vollendung des 55. Lebensjahres und für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG ebenfalls die Vollendung des 55. Lebensjahres als maßgebender Zeitpunkt. Kommt es also nur auf das Lebensalter der Versicherten an, dann konnte die Klägerin jedenfalls nach Vollendung des 55. Lebensjahres iS des P IX des Kollektivvertrages kundigen. Gewiß scheint bei einer solchen Auslegung der Hinweis auf ein höheres Lebensalter von 60 Jahren, das die Alterspension nach § 253 ASVG voraussetzt, wenig sinnvoll.
Die Klägerin vertritt in der Revision die Ansicht, die erforderliche Arbeitslosigkeit von einem Jahr bei § 253a ASVG könne - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - auch nicht unmittelbar nach der fünfjährigen Betriebszugehörigkeit anfallen, da maßgeblich für die Frage der Abfertigung der Zeitpunkt der Kündigung bzw Auflösung des Dienstverhältnisses sei. Auch die §§ 253 und 253b ASVG würden, folge man der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, unhaltbare Konsequenzen mit sich bringen. Insbesondere hätten die Arbeitgeber in der Regel gar nicht die Möglichkeit zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension erfüllt seien. Die Auslegung des Berufungsgerichtes würde auch zu dem von den Kollektivvertragsparteien offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führen, daß jemand, der Anspruch auf Alterspension habe, zudem eine Abfertigung erhalte, daß aber bei Fehlen eines Pensionsanspruches auf Grund welcher Umstände immer auch ein Abfertigungsanspruch nicht gegeben wäre.
Hiezu ist zu sagen:
Es ist undenkbar, daß ein Versicherter die normale Alterspension nach § 253 ASVG jemals in einem früheren Zeitpunkt erhält als die vorzeitige Alterspension nach den §§ 253a und 253b ASVG. Dies spräche dafür, daß alle oder doch einzelne besonders charakteristische Merkmale, die für die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension von Bedeutung sind, auch für die Auslegung des Begriffs des gesetzlichen Pensionsanfallsalters im Sinne des Kollektivvertrages heranzuziehen sind. Dann hätte auch der Hinweis auf das verschiedene Lebensalter in den dort zitierten Bestimmungen des ASVG seine Berechtigung. Dagegen spricht aber, daß dies zu Ergebnissen führen würde, wie sie von der Klägerin in der Revision dargelegt wurden.
Der Klägerin ist zuzugeben, daß diese Ergebnisse nach dem vorliegenden Kollektivvertrag nicht als vom Normengeber gewollt angesehen werden können. Dies führt dazu, eine Auslegung zu suchen, die ein sachgemäßes Ergebnis zur Folge hat. Wenn der Normengeber vom "jeweils gesetzlichen Pensionsanfallsalter" spricht und hiezu auf die §§ 253, 253a und 253b ASVG verweist, so läßt dies die Auslegung zu, daß nur das Pensionsanfallsalter nach der jeweiligen Fassung dieser gesetzlichen Bestimmungen gemeint ist. Damit sollte dem Angestellten die Möglichkeit eingeräumt werden, in dem nach dem Lebensalter frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem eine der drei angeführten Pensionen anfallen kann, zu kundigen, ohne deshalb die Abfertigung zu verlieren. Bei Einfügung der in Klammer angeführten Bestimmungen des ASVG zu diesem Zweck wurde allerdings nicht bedacht, daß es irreführend sein kann, auf die Altersstufe der normalen Alterspension nach § 253 ASVG hinzuweisen, weil dies doch nur für den unwahrscheinlichen Fall von Bedeutung sein könnte, daß die vorzeitigen Alterspensionen abgeschafft werden.
Abschließend ist daher zu sagen, daß es dem Sinn der Norm am ehesten entspricht, das Pensionsanfallsalter nach einer der in Klammer zitierten Bestimmungen des ASVG ohne andere in diesen Gesetzesstellen normierte Erfordernisse als Voraussetzung des Abfertigungsanspruches nach Wahl des Angestellten gelten zu lassen.
Dies führt aber zur Abänderung des angefochtenen Urteils iS der Klagsstattgebung.