8Ob188/72 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 45/100
Spruch
Die Wirksamkeit eines Gesetzes kann sich vom Zeitpunkt der Kundmachung an auch auf Tatbestände erstrecken, die in die Zeit vor der Kundmachung fallen. Ist aber eine Verbindlichkeit schon unter der Herrschaft des alten Gesetzes durch Erfüllung oder Verzicht erloschen, wird sie von der Rückwirkung grundsätzlich nicht mehr erfaßt
Nach vergleichsweiser Abfindung des Geschädigten durch den Haftpflichtversicherer noch vor der Kundmachung des UFG 1967, WrLGBl 1969/8, findet keine Legalzession nach § 30 Abs 1 leg cit statt
OGH 26. 9. 1972, 8 Ob 188/72 (OLG Wien 9 R 34/72; LGZ Wien 29 Cg 149/71)
Text
Der Bedienstete der Klägerin (Stadt Wien) August Z wurde am 3. 2. 1967 bei einem vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall verletzt, der von der Klägerin als Dienstunfall anerkannt wurde. Die Klägerin leistet an August Z auf Grund des Landesgesetzes vom 24. 1. 1969 über die Unfallfürsorge der Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihre Hinterbliebenen und Angehörigen (Unfallfürsorgegesetz 1967 - UFG 1967), LGBl 1969/8, eine Versehrtenrente.
Mit der am 21. 5. 1971 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallfürsorge und Legalzessionarin ihres Bediensteten nach § 30 UFG 1967 als teilweisen Ersatz ihrer Pflichtleistungen die Zahlung von S 43.589.- sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Pflichtaufwendungen im Rahmen des Deckungsfonds.
Der Beklagte machte geltend, daß August Z am 24. 1. 1969 von der Haftpflichtversicherung des Beklagten S 30.000.- erhalten und auf sämtliche weiteren Ansprüche verzichtet habe. Überdies wendete er Verjährung der Klagsforderung ein.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, daß August Z spätestens am 30. 3. 1967 bei Erstattung der Unfallmeldung an die Klägerin der Name des Beklagten und der Schaden bekannt war. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der Regreßanspruch der Klägerin als Legalzessionarin unterliege denselben Verjährungsvorschriften, denen der Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger unterliege. Die Verjährungsfrist habe für August Z am 30. 3. 1970 geendet, weshalb auch die von der Klägerin am 21. 5. 1971 mittels Klage geltend gemachten Regreßansprüche wegen Verjährung abzuweisen seien. Auf Ersatzansprüche, die der sozialversicherungsrechtlichen Legalzession unterliegen, könne zwar nicht verzichtet werden; doch sei auf die Einwendung des Verzichtes wegen der Verjährung der Regreßansprüche nicht mehr einzugehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000.- übersteigt. Es stellte noch ergänzend fest, daß August Z am 11. 4. 1968 einen Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente gestellt und am 14. 1. 1969 gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Beklagten eine Entfertigungserklärung abgegeben hat. Rechtlich führte es aus, August Z habe mit seinem Antrag Leistungen der Klägerin nach dem UFG 1967 in Anspruch genommen. Damit seien seine Ersatzansprüche gegen den Beklagten auf die Klägerin nach § 30 UFG 1967 übergegangen. Er habe daher nach dem 11. 4. 1968 über seine Ansprüche nicht mehr verfügen können. Die von ihm am 24. 1. 1969 dem Haftpflichtversicherer des Beklagten gegenüber abgegebene Entfertigungserklärung sei daher rechtlich ohne Bedeutung. Für den durch Legalzession erworbenen Anspruch des Sozialversicherungsträgers laufe keine eigene Verjährung. Sie beginne mit der Kenntnis des Geschädigten vom Schädiger und vom Schaden. Die bescheidmäßige Feststellung des Rentenanspruches des Versicherten und dessen Rechtskraft seien daher für die Verjährung ohne Bedeutung. Die Klägerin habe nicht behauptet, daß Schaden und Schädiger dem Verletzten erst zu einem solchen Zeitpunkt bekannt geworden sei, daß die am 21. 5. 1971 erhobene Klage noch als innerhalb der Verjährungsfrist eingebracht angesehen werden könne.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Wiener Unfallfürsorgegesetz 1967 vom 24. 1. 1969 regelt die Ansprüche der Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihrer Hinterbliebenen und Angehörigen auf Leistungen aus Anlaß eines Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit. Es wurde am 18. 4. 1969 im Landesgesetzblatt kundgemacht. § 30 des Gesetzes ist mit "Übergang des Schadenersatzanspruches" überschrieben. § 30 Abs 1 des Gesetzes enthält eine mit § 332 ASVG fast gleichlautende Bestimmung. Kann eine Person, der nach den Bestimmungen des Unfallfürsorgegesetzes Leistungen zustehen, den Ersatz des Schadens, der ihr durch den Dienstunfall oder die Berufskrankheit erwachsen ist, auf Grund anderer Rechtsvorschriften beanspruchen, geht der Anspruch auf die Stadt Wien insoweit über, als diese Leistungen zu erbringen hat. § 40 des Gesetzes bestimmt, daß es am 1. 7. 1967 in Kraft tritt. § 41 des Gesetzes enthält Übergangsbestimmungen. Nach Abs 1 Z 1 dieser Gesetzesstelle sind die Bestimmungen des Gesetzes auch auf Personen sinngemäß anzuwenden, die bei früherem Inkrafttreten des Gesetzes Versehrte, Angehörige oder Hinterbliebene wären, wobei die Geldleistungen nur auf Antrag gebühren, uzw ab 1. 7. 1967, wenn der Antrag binnen einem Jahr nach Kundmachung des Gesetzes gestellt wird, sonst von dem der Einbringung des Antrages folgenden Monat an.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ansicht der Untergerichte, daß die Verjährungsfrist für den Anspruch der Klägerin schon mit der Kenntnis des Geschädigten vom Schädiger und Schaden begonnen habe. Sie meint, nach den Übergangsbestimmungen des § 41 Abs 1 Z 1 UFG 1967 bewirke die Anmeldung eines Dienstunfalles, der sich vor dem 1. 7. 1967 ereignet habe, nicht nur die formalrechtliche, sondern auch die materiellrechtliche Entstehung des Anspruches. Der Anspruch August Z habe nicht schon am 3. 2. 1967. sondern frühestens mit der Kundmachung des UFG am 18. 4. 1969 entstehen können. Sein Antrag auf Gewährung einer Versehrtenrente sei nicht schon mit 11. 4. 1968, sondern erst mit 18. 4. 1969, dem Tage der Kundmachung des Gesetzes, wirksam gestellt worden. Entstehe der Anspruch des Geschädigten erst mit der Anmeldung, ergebe sich daraus, daß die Verjährungsfrist für den Geschädigten mit der Kenntnis des Schadens und des Schädigers, für den Legalzessionar aber erst mit der wirksamen Anmeldung durch den Geschädigten zu laufen beginne. Auch könne die Verzichtserklärung August Z vom 24. 1. 1969 mit Rücksicht auf die Rückwirkung des Gesetzes auf den 1. 7. 1967 nicht als wirksam angesehen werden.
Schon aus der Überschrift des § 30 UFG 1967 ergibt sich, daß es sich bei dem im Abs 1 dieser Gesetzesstelle normierten Anspruch der Klägerin nicht um einen Anspruch kraft eigenen Rechtes, sondern um einen gesetzlichen Zessionsanspruch handelt. Bei dieser Legalzession entsteht der Anspruch - gleich wie nach § 332 ASVG und § 125 BKUVG - in der Person des Verletzten und geht von dieser auf den Träger der Sozialversicherung über. Die Revision hält bei ihren Ausführungen über die Entstehung des Anspruches nicht den Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger, der auf Grund der Legalzession auf die Klägerin übergeht, vom Anspruch des Verletzten gegen die Klägerin auf Leistungen aus dem UFG 1967 auseinander. Diese Ansprüche sind nicht ident und können zu verschiedenen Zeitpunkten entstehen.
Hier handelt es sich um den Rückgriffsanspruch, den die Klägerin als Legalzessionarin geltend macht. Im Vordergrund steht die Frage, ob mit Rücksicht auf den vom Beklagten behaupteten Verzicht August Z auf weitergehende Ansprüche der von der Klägerin auf Grund der Legalzession geltend gemachte Anspruchsübergang überhaupt eingetreten ist. Wäre diese Frage zu verneinen, bedürfte es nicht mehr der Prüfung der Frage der Verjährung des Anspruches der Klägerin. Der Beklagte behauptet einen Verzicht August Z auf weitergehende Ansprüche am 24. 1. 1969. Das UFG 1967 ist erst am 18. 4. 1969 kundgemacht worden. Die Wirksamkeit eines Gesetzes kann nicht vor Vollendung des Gesetzgebungsaktes, also nicht vor der Kundmachung, eintreten (vgl Pisko, Klang in Klang[2] I/1, 70). Vom Zeitpunkt der Kundmachung an kann sich zwar die Wirksamkeit, die das Gesetz hiedurch erlangt hat, auch auf Tatbestände erstrecken, die in die Zeit vor der Kundmachung fallen. Eine solche Rückwirkung erfaßt aber im Zweifel nicht bereits erledigte Fälle. Ist also eine Verbindlichkeit schon unter der Herrschaft des alten Gesetzes durch Erfüllung oder Verzicht erloschen, so wird sie von der Rückwirkung grundsätzlich nicht mehr erfaßt (vgl Ehrenzweig, System[2] I/1 89; Wolff in Klang[2] I/1, 75). Hat sich demnach August Z am 24. 1. 1969, somit vor der Kundmachung des Gesetzes, hinsichtlich seiner Ansprüche wirksam mit dem Beklagten abgefunden, dann bestand im Zeitpunkt der späteren Kundmachung des Gesetzes kein Anspruch mehr, der auf die Klägerin hätte übergehen können. Daran vermag entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auch nichts zu ändern, daß August Z bereits am 11. 4. 1968, also noch vor Abgabe der Entfertigungserklärung vom 24. 1. 1969, bei der Klägerin einen Antrag auf Zuerkennung einer Rente gestellt hat. Denn durch diese Antragstellung wurde die bis dahin durch keine gesetzliche Bestimmung eingeschränkte Verfügungsgewalt des August Z über seinen Schadenersatzanspruch nicht aufgehoben.
Eine auf diese Weise zustande gekommene Schuldtilgung noch vor der Kundmachung des Gesetzes muß aber auf Grund der Feststellungen des Berufungsgerichtes angenommen werden. Der Beklagte hat von Anfang an behauptet, daß August Z vergleichsweise für den Verdienstentgang einen Abfindungsbetrag von S 30.000.- erhalten und gleichzeitig auf alle weitergehenden Ansprüche verzichtet habe. Tatsächlich hat auch, wie das Berufungsgericht - ohne daß dies bekämpft worden wäre - feststellte, Z am 24. 1. 1969 eine solche Entfertigungserklärung abgegeben. Daß sich etwa die Abfindung entgegen der Behauptung des Beklagten nicht auf den gegenständlichen Anspruch bezogen hätte, hat die Klägerin nie behauptet. Sie hat vielmehr diesem Vorbringen des Beklagten nur den rechtlichen Einwand entgegengesetzt, daß die Verzichtserklärung ihres Bediensteten mit Rücksicht auf die Legalzession nicht wirksam sei. Diese Rechtsansicht der Klägerin ist aber, wie bereits ausgeführt, unzutreffend. Die vergleichsweise Abfindung August Z durch den Haftpflichtversicherer des Beklagten noch vor der Kundmachung des Unfallfürsorgegesetzes 1967 ist daher als wirksam anzusehen. Der Verzicht auf weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Empfang des Abfindungsbetrages stellt eine Schuldtilgung dar. Es konnte daher auf Grund des später kundgemachten Gesetzes ein Anspruch auf die Klägerin nicht übergehen. Es erübrigt sich damit, auch noch auf die Frage der Verjährung des Anspruches einzugehen und zu erörtern, welchen Einfluß auf den Lauf der Verjährung einer noch nicht getilgten Schadenersatzforderung die Hemmungsbestimmung des § 63 Abs 2 KFG sowie die Zahlung des Betrages von S 30.000.- gehabt hätten.