2Ob134/66 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 39/100
Spruch
Zulässigkeit der aufrechnungsweisen Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches gegen den Anspruch der Eisenbahn auf Nachzahlung irrtümlich zu niedrig berechneter Fracht
Entscheidung vom 27. Mai 1966, 2 Ob 134/66
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz
Text
Für die am 26. April 1965 mit Frachtkarte Nr. 2072, Abgabe-Nr. 9057, vom Brenner in Linz-Frachtenbahnhof eingelangte Frachtsendung, Inhalt 1412 kleine Puppen im Gewicht von 2500 kg, Wagen-Nr. 208.037, wurden die Kosten für die Vorfracht auf der italienischen Strecke irrig berechnet, und zwar anstatt mit 53.900 Lire nur mit 23.900 Lire. Die beklagte Partei war frachtbriefmäßiger Empfänger der Sendung, die mit dem Frankaturvermerk "unfrei" versehen war. Der Differenzbetrag ergibt in österreichischer Währung 1275 S.
Gegenüber dem auf die Bestimmung des § 72 (1) EVO. gestützten Klagebegehren auf Nachzahlung des Unterschiedsbetrages von 1275 S wendet die beklagte Partei aufrechnungsweise eine Gegenforderung in gleicher Höhe aus dem Titel des Schadenersatzes ein, weil sie die verfrachtete Ware auf Grund der unrichtigen Berechnung um den Klagsbetrag zu billig verkauft habe.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die in § 72 (1) EVO. vorgesehene Einhebung von Frachtfehlbeträgen sei nicht rechtswidrig. Mangels Rechtswidrigkeit der Schadenszufügung bestehe kein Ersatzanspruch.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Nicht die nachträgliche Einhebung des Unterschiedsbetrages, sondern die der Verpflichtung aus dem abgeschlossenen Frachtvertrag zuwider unrichtige Berechnung der Fracht sei rechtswidrig und begrunde unter der Voraussetzung eines Verschuldens der Organe der klagenden Partei, des Eintrittes eines Schadens und des Kausalzusammenhanges eine Schadenersatzpflicht nach bürgerlichem Recht. Die Anwendung der Schadenersatzbestimmungen des bürgerlichen Rechtes sei durch die Schadenersatzvorschriften der Eisenbahnverkehrsordnung nicht ausgeschlossen, ebensowenig die Aufrechnung von Schadenersatzforderungen mit Frachtgebührenforderungen. Demnach sei das Verfahren in der Richtung des Vorliegens der von der klagenden Partei nicht zugestandenen tatsachenmäßigen Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch ergänzungsbedürftig. Auch sei unter Bedachtnahme auf den Mitverschuldenseinwand der klagenden Partei zu prüfen, ob die beklagte Partei deshalb ein Mitverschulden treffe, weil sie sich an Hand der kundgemachten Tarife von der Richtigkeit der Frachtberechnung hätte überzeugen müssen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Auf die widersprüchlichen Auffassungen in Lehre und Rechtsprechung hat sowohl das Berufungsgericht wie die klagende Partei in ihrem Rekurs erschöpfend verwiesen. Der Oberste Gerichtshof schließt sich den überzeugend begrundeten Erwägungen des Berufungsgerichtes an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann und die durch die Rekursausführungen nicht widerlegt werden. Im einzelnen ist auf diese noch zu erwidern:
Der Ansicht der klagenden Partei, die unrichtige Berechnung der Fracht sei nicht rechtswidrig, kann nicht gefolgt werden. Das österreichische Recht versteht den Begriff der Rechtswidrigkeit in objektivem Sinn, wie sich aus § 1294 ABGB. ergibt. Für das Schadenersatzrecht ist das Erfordernis der Verletzung eines subjektiven Rechtes abzulehnen. Denn der Schadenersatzanspruch setzt zwar ein rechtlich geschütztes Interesse voraus, es muß aber gleichgültig sein, ob die juristische Konstruktion dieses Interesse als subjektives Recht gelten läßt oder nicht (Ehrenzweig, Das Recht der Schuldverhältnisse 1928, § 301). Es läßt sich aber auch der Standpunkt vertreten, daß das Interesse desjenigen, der mit der Eisenbahn einen Frachtvertrag abschließt, an der richtigen Frachtberechnung auf seiten der Eisenbahn als eine diese treffende vertragliche Nebenverpflichtung zu beurteilen ist, wie gerade der zur Entscheidung stehende Fall beweist. Diese vertragliche Nebenverpflichtung wird auch durch die Verpflichtung des anderen Vertragsteiles, die Richtigkeit der Berechnung zu überprüfen, nicht ausgeschlossen, weil einer Verletzung der Überprüfungspflicht lediglich aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne der zu § 1304 ABGB. entwickelten Lehre und Rechtsprechung Bedeutung zukommt. Liegt aber eine Vertragsverletzung im dargelegten Sinn bei der klagenden Partei vor, dann obliegt ihr gemäß § 1298 ABGB. der Beweis, an der Erfüllung ihrer vertragsmäßigen Verbindlichkeit ohne Verschulden verhindert worden zu sein (vgl. SZ. XXXIV 50), und es ist entgegen der Ansicht der klagenden Partei nicht Sache des Beklagten, besondere Umstände geltend zu machen, in denen das Verschulden der klagenden Partei bestehen soll - ganz abgesehen davon, daß diesfalls auf Seiten des Beklagten ein absoluter Beweisnotstand bestunde. Daß ein Irrtum bei Berechnung der Fracht, wie ihn die klagende Partei selbst behauptet, ein zum Schadenersatz verpflichtendes Versehen begrunden kann, wird selbst in jenem Schrifttum nicht allgemein ausgeschlossen, das die klagende Partei ansonsten zur Begründung ihres Rechtsstandpunktes heranzieht. Diesfalls wird auf die Anm. 2 zu § 70 EVO. bei Finger, Eisenbahngesetze[3], verwiesen, wonach unrichtige Frachtberechnungen nicht ohne weiteres schuldhaft ist.
Es trifft auch nicht zu, daß die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches wegen schuldhafter unrichtiger Frachtberechnung mit den Grundsätzen des Frachtrechtes und der Eisenbahnverkehrsordnung nicht vereinbar sind. Dagegen spricht der Umstand, daß der Schadensbegriff des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches sehr weit ist und objektiv schon jeden Zustand umfaßt, an dem ein geringeres rechtliches Interesse besteht als an dem bisherigen (Wolff bei Klang-Komm.[2] VI 1), während subjektiv jedermann, d. h. im Sinn der ständigen Rechtsprechung der durch eine rechtswidrige Handlung Verletzte bzw. der aus dem Schuldverhältnis Berechtigte Schadenersatz fordern kann. Die in § 6 EVO. enthaltene Verpflichtung der Eisenbahn, Tarife aufzustellen und zu veröffentlichen, rechtfertigt keinen Schluß in der Richtung einer verminderten Sorgfaltspflicht bei der Berechnung der vom anderen Teil für die Beförderung von Gütern zu erbringenden Gegenleistung.