6Ob256/63 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 37/15
Spruch
Auch wer eine Liegenschaft ohne Titel benützt hat, haftet nach geschlossenem Räumungsvergleich nicht für den während der Räumungsfrist durch Zufall entstandenen Schaden.
Entscheidung vom 22. Jänner 1964, 6 Ob 256/63. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt von den beiden Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Bezahlung eines Betrages von 47.000 S mit der Begründung, daß sie unredliche Besitzer des von ihnen eigenmächtig benützten Superädifikates gewesen seien, dessen Eigentümer der Kläger gewesen sei und das während der Benützung durch sie aus unbekannter Ursache abgebrannt sei. Die Klagssumme ergebe sich aus dem Wert des Gebäudes von 42.000 S und aus den Kosten für die Abräumung der Brandruine sowie für die Freimachung der Gartenparzelle im Gesamtbetrage von 5000 S. Die Beklagten bestritten jegliche Unredlichkeit ihres Besitzes, behaupteten, daß sie kein Verschulden an dem Brand treffe, und bekämpften die Höhe des geltend gemachten Schadens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Folgender Sachverhalt wurde festgestellt: Der kriegsverschollene Kläger ist Mitglied eines Kleingartenvereines und hat von diesem die Parzelle 80, Gruppe B, des Grundstückes Nr. 2036 der Liegenschaft EZ. 948, Katastralgemeinde L. gepachtet. Noch vor dem Jahre 1937 baute der Kläger auf der von ihm gepachteten Parzelle mit Hilfe seines nunmehrigen Abwesenheitskurators ein Wochenendhaus. Als gegen Ende des Krieges die bereits mit dem Erstbeklagten verheiratete Schwester des Klägers, Philomena M. an den Kläger herantrat, ihr zu gestatten, daß sie mit Gatten und Sohn (Erst- und Zweitbeklagten) dieses Haus beziehe, lehnte dies der damals zum Militärdienst eingerückte Kläger ab. Philomena M. hat aber trotzdem mit ihrem Sohn das Haus bezogen, während der gleichfalls eingerückte Erstbeklagte in dieses erst nach Kriegsende einzog. Die Gattin des Klägers wendete gegen die Benützung des Gartens und Hauses durch die Familie des Erstbeklagten nichts ein; sie bezahlte sogar einige Jahre hindurch aus eigenen Geldmitteln den Pachtzins, ohne von dem Garten und dem Haus einen Nutzen zu haben. Erst nach einigen Jahren übernahm Philomena M. bzw. der Erstbeklagte die Bezahlung des Pachtzinses. Die Erstgenannte wußte, daß das Haus im Eigentum ihres vermißten Bruders stehe und machte auch diesbezüglich entsprechende Angaben bei dem Finanzamt für den XXI. Bezirk. Der Verein anerkannte den Kläger als Mitglied und es wurden auch alle die Pachtangelegenheiten betreffenden Verständigungen der Gattin des vermißten Klägers zugestellt. Der Erstbeklagte und seine Frau gingen wohl zu den Mitgliederversammlungen, hatten dort aber keine Rechte.
Der Zweitbeklagte ist einige Zeit nach Kriegsende aus dem Haus weggezogen und in dieses erst einige Zeit nach dem Tode seiner Mutter (9. Februar 1960) mit seiner Familie wieder eingezogen.
Der Erstbeklagte hat, da das Haus nunmehr zu klein war, an dieses einen weiteren Raum angebaut, den er als Schlafraum verwendete.
Bei der Verlassenschaftsabhandlung nach Philomena M. gab der Erstbeklagte unberechtigt an, daß er und seine verstorbene Gattin je einen Hälfteanteil an dem Haus gehabt haben. Es wurde deshalb ihm und dem Zweitbeklagten die angeblich im Eigentum der Verstorbenen gestandene Haushälfte eingeantwortet. Der Kurator des Klägers unterrichtete hierauf den Erstbeklagten, daß der vermißte Kläger noch immer Eigentümer des Hauses sei. Er erklärte sich aber damit einverstanden, daß die Beklagten das Haus kaufen. Der Erstbeklagte lehnte dies mit dem Hinweis ab, daß das Haus je zur Hälfte ihm und seiner verstorbenen Frau gehört habe. Die Gattin des Klägers nahm hierauf eine Aufkündigung vor. Als die Beklagten diese unbeachtet ließen, wurde eine Räumungsklage, die aber irrtümlich nur gegen den Erstbeklagten gerichtet war, eingebracht. Im Laufe des beim Bezirksgericht Floridsdorf zu 4 C .../61 durchgeführten Verfahrens wurde in der Verhandlungstagsatzung vom 19. Dezember 1961 ein Vergleich geschlossen, in welchem sich der Erstbeklagte verpflichtete, die Kleingartenparzelle samt dem darauf befindlichen Haus bis längstens 31. Dezember 1962 geräumt von eigenen Fahrnissen unter Verzicht auf jeglichen Räumungsaufschub bei Exekution zu übergeben. Ein Benützungsentgelt für das Wohnen bis zu diesem Zeitpunkt wurde nicht vereinbart.
Es wurde aber auch gegen den Zweitbeklagten eine Räumungsklage eingebracht, über welche die Verhandlungstagsatzung für den 11. Jänner 1962 anberaumt wurde. Zu dieser ist der Zweitbeklagte nicht erschienen, worauf das Klagebegehren auf Kosten eingeschränkt wurde und in diesem Sinn ein Versäumungsurteil erging.
Am 20. Dezember 1961 kochte die Gattin des Zweitbeklagten in der Küche dieses Hauses und bemerkte, daß aus den stillgelegten Gasrohren Rauch ausströmte. Als der Erstbeklagte die Verschalung, aus welcher der Rauch austrat, entfernte, entstand infolge der Luftzufuhr plötzlich hinter dieser Verschalung ein Brand. Die Versuche aus eigenen Kräften den Brand zu löschen, waren vergebens und es kam zu einem größeren Hausbrand, bei dem auch der meiste Hausrat der beiden Beklagten verbrannte.
Die Brandursache konnte nicht festgestellt werden.
Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, daß der Erstbeklagte unredlicher Besitzer des Hauses gewesen sei, weil er auf jeden Fall gewußt habe, daß er persönlich, entgegen seiner Behauptung vor dem Notar, niemals Eigentümer einer Haushälfte gewesen sei. Allerdings sei ihm mit gerichtlichem Vergleich die kostenlose Benützung des Hauses für ein weiteres Jahr bis Ende 1962 zugestanden worden. Hingegen sei der redliche Besitz des Zweitbeklagten anzunehmen, weil er seit frühester Kindheit in diesem Haus gewohnt habe und daher habe annehmen können, daß seine Eltern Eigentümer des Hauses seien. Wenn auch nach dem Tode der Philomena M. der Kurator des Klägers gegenüber dem Erstbeklagten in Anwesenheit des Zweitbeklagten das Gegenteil behauptet habe, so habe der Zweitbeklagte diesen ihm gegenüber nicht weiter belegten Behauptungen keinen Glauben schenken müssen. Dies alles sei aber für den Rechtsstreit nicht entscheidend, denn es würden die beiden Beklagten nur dann für den durch den Brand entstandenen Schaden haften, wenn sie ein Verschulden an diesem Brand treffen würde, was aber im Verfahren nicht nachgewiesen worden sei. Es setze nämlich auch die vom Kläger geltend gemachte Schadenshaftung nach § 335 ABGB. ein Verschulden voraus.
Der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung blieb ein Erfolg versagt.
Das Berufungsgericht vermochte sich der Auffassung des Erstgerichtes nicht anzuschließen, daß auch ein unredlicher Besitzer nur gemäß den §§ 1295, 1324 ABGB. für einen durch seinen Besitz verursachten Schaden hafte und eine weitere Haftung nur im Falle einer strafrechtlich verbotenen Besitzergreifung in Frage käme. Er hafte nämlich gemäß § 335 ABGB. auch für den Zufall, den die Sache, falls sie im Besitz des Eigentümers gestanden wäre, nicht getroffen hätte. Es erachtete aber deshalb die Klagsabweisung für gerechtfertigt, weil in der Klage die besondere, ein Verschulden nicht voraussetzende Haftung nach § 335 ABGB. geltend gemacht worden sei, jedoch keine Behauptungen aufgestellt worden seien, aus welchen Gründen der Schaden nicht entstanden wäre, wenn die Parzelle und das Haus im Besitz des Klägers gewesen wäre bzw. wenn die Benützung im Sinn des Klägers stattgefunden hätte. Es erweise sich daher das Klagevorbringen als unschlüssig und bilde keine geeignete Grundlage für das Klagebegehren. Dazu komme, daß der Erstbeklagte infolge des mit dem Kläger abgeschlossenen Räumungsvergleiches das Haus im Zeitpunkt des Brandes weder rechtswidrig noch unredlich benützt habe. Das gleiche gelte auch für den Zweitbeklagten, da dieser mit Rücksicht auf den vom Erstbeklagten abgeschlossenen Vergleich habe annehmen können, daß er als Familienangehöriger des Erstbeklagten gleichfalls für die im Vergleich vereinbarte Zeit das Haus benützen dürfe. Die gegen den Zweitbeklagten gerichtete Räumungsklage sei diesem erst nach dem Brand zugestellt worden. Es mangle sohin eine wesentliche Voraussetzung für die auf § 335 ABGB. gegrundete Schadenersitzklage, weshalb sich auch aus diesem Gründe deren Abweisung als gerechtfertigt erweise.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In der Rechtsrüge wird die Auffassung der Untergerichte bekämpft, daß die beiden Beklagten im Zeitpunkt des Brandes weder rechtswidrig noch unredlich das Haus benützt haben und daß das Klagevorbringen infolge der Unterlassung von Behauptungen aus welchen Gründen der Schaden nicht entstanden wäre, wenn die Parzelle und das Haus im Besitz des Klägers gewesen wären, nicht schlüssig sei.
Was nun die Frage anlangt, ob die beiden Beklagten im Zeitpunkt des Brandes rechtmäßige und redliche Besitzer des Hauses gewesen sind, so kommt es entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung nicht nur darauf an, wie die Beklagten den Besitz an dem Haus erlangt haben, sondern auch darauf, ob nicht in der Folge Umstände eingetreten sind, die eine Änderung der bisherigen Sach- und Rechtslage herbeigeführt haben. Diesbezüglich ist nun davon auszugehen, daß in dem Rechtsstreit 4 C .../61 des Bezirksgerichtes Floridsdorf der Kläger mit der Behauptung, Pächter der Kleingartenparzelle und Eigentümer des darauf errichteten Hauses zu sein, den Erstbeklagten aus dem Rechtsgrund der eigenmächtigen und titellosen Benützung auf Räumung der Gartenparzelle und des Hauses klagte und daß mit dem pflegschaftsbehördlich genehmigten gerichtlichen Vergleich vom 19. Dezember 1961 der Erstbeklagte sich verpflichtete, die Gartenparzelle sowie das darauf befindliche Haus dem Kläger bis längstens 31. Dezember 1962 geräumt von eigenen Fahrnissen unter Verzicht auf jeglichen Räumungsaufschub bei Exekution zu übergeben. Durch die Räumungsverpflichtung hat der Erstbeklagte implicite den aufrechten Bestand der Pachtrechte des Klägers an der Parzelle und dessen Eigentum an dem darauf errichteten Haus anerkannt und die bisherige titellose Benützung von Parzelle und Haus durch ihn zugegeben. Andererseits hat sich der Kläger damit einverstanden erklärt, daß trotzdem der Beklagte dies alles bis zum 31. Dezember 1962 weiterbenützen dürfe. Selbst wenn nun der Erstbeklagte bis zum Abschluß dieses Räumungsvergleiches unredlicher Besitzer gewesen ist, so war er es seit Vergleichsabschluß nicht mehr, weil er von da an die Liegenschaft und das Haus mit Zustimmung des Klägers bis zum 31. Dezember 1962 benützen durfte, sohin die weitere Benützung nicht mehr rechtswidrig geschah. Der Umstand, daß der Kläger sich zum Abschluß des gerichtlichen Vergleiches nach den Revisionsausführungen nur aus Gründen der Prozeßökonomie entschloß, fällt nicht ins Gewicht, vielmehr kommt es nur darauf an, daß der Kläger gegen eine entsprechende Räumungsverpflichtung des Erstbeklagten letzten Endes mit der Benützung von Parzelle und Haus durch den Erstbeklagten bis zum 31. Dezember 1962 einverstanden gewesen ist. Da aber gemäß § 326 ABGB. unredlicher Besitzer einer Sache nur derjenige ist, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten muß, daß die Sache, welche er mit dem Willen innehat, sie als die seinige zu behalten (§ 309 ABGB.), einem anderen zugehöre, der Erstbeklagte aber, wie oben dargelegt wurde, auf jeden Fall durch den Vergleichsabschluß vom 19. Dezember 1961 die Sache mit Zustimmung des Klägers bis zum 31. Dezember 1962 nur mehr als Innehaber benützte, so kann von einem unredlichen Besitz des Erstbeklagten im Zeitpunkt des Brandes (21. Dezember 1961) keine Rede sein (MietSlg. 1.098 (31), 1.597 (75), 1.598, 2.732). Wenn es auch bei diesen Entscheidungen um Schadenersatzansprüche für die Zeit geht, während welcher dem Verpflichteten vom Gericht ein Räumungsaufschub nach Art. 6 der Schutzverordnung bewilligt wurde und ausgesprochen wurde, daß derjenige, der mit Bewilligung des Gerichtes die Wohnung vorläufig nicht räumt, nicht rechtswidrig handelt, weshalb dadurch, daß er auf Grund des vom Gericht bewilligten Räumungsaufschubes in der Wohnung verbleibt, keine Schadenersatzpflicht begrundet wird, so lassen sich diese Rechtssätze, wie oben dargelegt wurde, auch auf den gegenständlichen Fall, wo der Verpflichtete auf Grund eines Räumungsvergleiches für eine bestimmte Zeit in der Wohnung verbleibt, anwenden.
Soweit aber in der Revision noch ausgeführt wind, es handle sich bei dem gegenständlichen Vergleich, insbesondere mit Rücksicht auf die Bestimmungen des § 1379 ABGB., um keinen Neuerungsvertrag, weshalb "die Natur des ursprünglichen Verhältnisses der Beklagten zu dem Haus nicht geändert worden sei" (sie seien also weiterhin unredliche Besitzer des Hauses geblieben), sind diese Ausführungen nicht stichhältig, weil, wie oben dargelegt wurde, der Vergleich alle Voraussetzungen nach § 1380 ABGB. erfüllt.
Da sohin hinsichtlich des Erstbeklagten mit der angefochtenen Entscheidung richtig erkannt wurde, daß er seit Abschluß des Vergleiches und somit im Zeitpunkt des Schadensfalles kein unredlicher Besitzer war, ist eine Schadenshaftung nach § 335 ABGB., auf welche allein die Klage gegrundet wurde, nicht gegeben. Die im übrigen zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes dahingehend, daß im erstinstanzlichen Verfahren keine Behauptungen in der Richtung einer Verschuldenshaftung aufgestellt wurden, sind in der Revision nicht mehr bekämpft worden.
Was nun den Zweitbeklagten anlangt, kommt ihm der mit dem Erstbeklagten abgeschlossene Vergleich schon deshalb zugute, weil er als Sohn des Erstbeklagten, der ja mit der Mitbenützung des Hauses durch den Zweitbeklagten und seine Familie einverstanden gewesen list, nicht nur mit Recht annehmen konnte, daß er das Haus ebenso lange wie der Erstbeklagte benützen dürfe (dies ist auch die Auffassung des Kurators des Klägers, wie aus dessen Angaben in der Verhandlungstagsatzung vom 5. Februar 1963, hervorgeht), sondern auch einen vom Erstbeklagten abgeleiteten Benützungstitel besaß, der unter Umständen einem direkten Räumungsanspruch des Klägers entgegenstand. Die vom Kläger gegen den Zweitbeklagten eingebrachte Räumungsklage 4 C .../61, durch welche allenfalls eine Schlechtgläubigkeit des Zweitbeklagten hätte begrundet werden können, ist aber diesem erst nach dem Brand, nämlich am 30. Dezember 1961 zugestellt worden. Es ist also auch gegenüber dem Zweitbeklagten mangels eines unredlichen Besitzes ein Schadenersatzanspruch nach § 335 ABGB. nicht gegeben.