8Os139/61 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 1961 unter dem Vorsitze des Rates des Obersten Gerichtshofs Dr. Prinz, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayer, Dr. Bröll, Dr. Möller und Dr. Reiter als Richter, dann des Richteramtsanwärters Dr. Schneider als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas H***** und Andere, wegen des Verbrechens der Notzucht nach dem § 127 StG, und weiteren strafbaren Handlungen über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 27. Februar 1961, GZ 12 Vr 2464/60-26, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Rat des Obersten Gerichtshofs Dr. Möller, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Ersten Staatsanwalts Dr. Klee und der Ausführungen der Verteidiger Dr. Karl Hirsch und Dr. Walter Tanzer zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten Martin M***** betreffenden Strafausspruch aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Der Angeklagte Martin M***** wird für das ihm im Urteil (Punkt II 2 des Urteilssatzes) angelastete Verbrechen der Notzucht nach dem § 127 StG, nach dem § 126 StG unter Anwendung der §§ 11 Abs l Z 1 und 2 JGG sowie des § 265a StPO zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von 6 (sechs) Monaten , verschärft durch zwei harte Lager, und gemäß § 389 StPO zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Gemäß den §§ 1 und 2 des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949 wird die Vollziehung dieser Freiheitsstrafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.
Mit ihrer Berufung bezüglich des Angeklagten Martin M***** wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Anschließend hat der Oberste Gerichtshof nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Berufung der Staatsanwaltschaft den
Beschluss
gefasst:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Andreas H*****, Anton G***** und Hugo O***** wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die nachstehend genannten jugendlichen Angeklagten schuldig erkannt und zwar:
Andreas H***** der Verbrechen der Notzucht (§ 127 StG), der teils versuchten, teils vollbrachten Schändung (§§ 128 und 8 StG), sowie der Unzucht wider die Natur (§ 129 I lit b StG),
Anton G***** der Verbrechen der Notzucht (§ 127 StG), der Schändung (§ 128 StG) und der Unzucht wider die Natur (§ 129 I lit b StG),
Martin M***** des Verbrechens der Notzucht (§ 127 StG),
Hugo O***** der Verbrechen der teils versuchten, teils vollbrachten Notzucht als Mitschuldiger (§§ 127, 5 und 8 StG) und des Verbrechens der Unzucht wider die Natur (§ 129 I b StG).
Sie wurden hiefür nach dem § 126 StG - offenbar erste Strafstufe - unter Anwendung des § 11 - gemeint 11 Abs l und 2 - JGG und § 54 StG sowie - ausgenommen Martin M***** - auch unter Bedachtnahme auf § 34 StG wie folgt verurteilt:
Andreas H***** und Anton G***** zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von je einem Jahr mit Verschärfung,
Martin M***** zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von zwei Monaten mit Verschärfung und Hugo O***** zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von acht Monaten mit Verschärfung.
Gemäß den §§ 1 und 2 des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949 wurden sämtliche ausgesprochenen Freiheitsstrafen für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.
Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie dem Gerichtshof die in der Anwendung des § 54 StG gelegene Überschreitung des ihm zustehenden Strafmilderungsrechts bei Ausmessung sämtlicher oben näher bezeichneten Strafen zum Vorwurf macht.
Die Rüge ist, soweit das Jugendschöffengericht über den wegen Verbrechens der Notzucht schuldig erkannten Martin M***** gemäß dem § 126 StG - unter Anwendung des § 11 Abs l und 2 JGG - und § 54 - StG eine strenge Arreststrafe in der Dauer von zwei Monaten verhängte, begründet.
Für die Anwendbarkeit des außerordentlichen Milderungsrechtes nach § 54 StG ist nämlich vorausgesetzt, dass das Verbrechen im Gesetz nicht mit einer Strafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist. Nur in diesem Fall kann die Strafe auch unter sechs Monate herabgesetzt werden. Hieran vermögen auch die Bestimmungen der Z l und 2 des § 11 JGG nichts zu ändern. Denn wie der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung mit eingehender Begründung, so zB auch in den unter SSt XII/2, EvBl 1946 Nr 449 und SSt XIX/1 veröffentlichten Entscheidungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, zum Ausdruck gebracht hat, ist die Frage, ob im einzelnen Falle bei einem straffälligen Jugendlichen das Milderungsrecht des § 54 StG oder die Bestimmungen der §§ 265a (bzw 339) StPO anzuwenden sind, darnach zu beantworten, unter welches Strafgesetz der Angeklagte fiele, wenn er nicht jugendlich wäre (vgl auch Kadecka , Das österreichische Jugendgerichtsgesetz S 82).
Diese Rechtsmeinung steht auch mit der im Urteil zur Stützung seiner gegenteiligen Ansicht angerufenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27. 1. 1953, 5 Os 1153/53 (JBl 1954 S 441 f), vertretenen Auffassung im Einklang, wonach bei Jugendlichen auch nach der Strafprozessnovelle 1952 (wie bisher) die bedingte Verurteilung ohne Rücksicht auf die gesetzliche Strafdrohung (das ist jene, die ihn treffen würde, wenn er nicht Jugendlicher wäre) möglich ist. Denn auch aus diesem Anlass hat der Oberste Gerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass hiedurch die dem Jugendgerichtsgesetz zugrundeliegende Auffassung, wonach durch die Bestimmungen des § 11 Abs l Z l und 2 JGG ein besonderer Strafsatz für Jugendliche nicht begründet wird, und die daraus u.a. für die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes abzuleitenden Schlussfolgerungen nicht berührt werden.
Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten durfte das Erstgericht, da der Angeklagte Martin M***** des Verbrechens der Notzucht nach dem § 127 StG schuldig erkannt wurde, für das im ersten Strafsatz des § 126 StG eine Strafe von fünf bis zehn Jahren bestimmt ist, nicht das außerordentliche Milderungsrecht des § 54 StG heranziehen. Nach dem somit allein in Betracht kommenden außerordentlichen Milderungsrecht des § 265a StPO wäre der Gerichtshof aber nur befugt gewesen, die Strafe in ihrer Dauer herabzusetzen, jedoch nie unter sechs Monate .
Dadurch, dass das Jugendschöffengericht über Martin M***** die Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von nur zwei Monaten verhängte, hat es die Grenzen des ihm zustehenden Milderungsrechtes überschritten. Das Urteil ist daher in dem den Angeklagten Martin M***** betreffenden Strafausspruch im Sinne der Z ll des § 281 StPO nichtig.
Im Übrigen kann die Beschwerde aber nicht zum Erfolg führen. Dass die Bemessung der über Andreas H***** und Anton G***** in der Dauer von je einem Jahr strengen Arrestes sowie über Hugo O***** in der Dauer von acht Monaten strengen Arrestes verhängten Strafen nach dem Gesetz unzulässig wäre, wird in der Beschwerde nicht behauptet. Diese bezeichnet es vielmehr - der Sache nach - als verfehlt, dass der Gerichtshof die Milderung der im Gesetz angedrohten Mindeststrafe von 5 Jahren mit der Anwendung des § 54 StG begründet hat. In Wahrheit behauptet sie damit nicht, dass der Ausspruch des Gerichtshofs über die bezüglichen Strafen eine Gesetzesverletzung darstelle, sondern erblickt diese in der Begründung dieses Ausspruchs, die aber der Sache nach auf eine unrichtige Zitierung der auf die Angeklagten Andreas H*****, Anton G***** und Hugo O***** angewendeten strafgesetzlichen Bestimmungen hinausläuft. Darin liegt gewiss ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 260 Z 4 StPO, der aber mit Nichtigkeit nicht bedroht ist (vgl ÖRZ 1937, S 35).
Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft teilweise Folge zu geben, das Urteil in dem den Angeklagten Martin M***** betreffenden Strafausspruch aufzuheben und wie im Spruche zu erkennen. Im Übrigen war sohin die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
Bei der bei dem Angeklagten Martin M***** sohin neu vorzunehmenden Strafbemessung hat der Oberste Gerichtshof die vom Erstgericht hinsichtlich dieses Angeklagten festgestellten Strafzumessungsgründe als zutreffend übernommen. Es konnte daher das außerordentliche Milderungsrecht des § 265a StPO in weitestgehendem Ausmaß angewendet und die über den jugendlichen Angeklagten auszusprechende Strafe unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 11 Z l, 2 JGG 1949 mit dem Mindestmaße von sechs Monaten ausgemessen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat sich auch dem vom Erstgericht über die Anwendbarkeit des Gesetzes über die bedingte Verurteilung angestellten Erwägungen angeschlossen, weshalb bezüglich dieses Angeklagten wie im Spruche zu entscheiden war.
Mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Staatsanwaltschaft hat bezüglich der übrigen drei Angeklagten die Berufung gegen das Strafausmaß angemeldet und ausgeführt und bei den Angeklagten Andreas H***** und Anton G***** auch die Ausschaltung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung beantragt.
Bei der Strafbemessung hinsichtlich dieser Angeklagten hat das Erstgericht als erschwerend angenommen: Bei Andreas H***** und Anton G***** das Zusammentreffen von drei Verbrechen, die zahlreichen Wiederholungen und die Schädigung zahlreicher Mädchen und bei Hugo O***** das Zusammentreffen zweier Verbrechen, die zahlreiche Wiederholung seiner strafbaren Handlungen und die Schädigung zweier Mädchen.
Als mildernd hat das Erstgericht bei diesen Angeklagten das Geständnis, die Unbescholtenheit, den guten Leumund, die mangelhafte Erziehung und die Verführung durch einen Erwachsenen gewertet.
Angesichts dieser Strafzumessungsgründe wendete es daher das außerordentliche Milderungsrecht des § 54 StG, richtig des § 265a StPO, an.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ausführt, das Erstgericht habe den festgestellten Erschwerungsumständen zu wenig Beachtung geschenkt, erweist sich als nicht begründet. Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen richtig festgestellt; bei Bemessung der Strafe konnte im Übrigen auch nicht übersehen werden, dass die Angeklagten bei Begehung der letzten Straftaten gerade das 16. Lebensjahr erreicht hatten, somit ihre Straftaten in einem Alter begangen haben, in dem die Schuldeinsicht sicherlich vorhanden war, aber sich noch nicht voll ausgewirkt hat. Wird aber auch dieser Umstand berücksichtigt, erscheinen die über diese Angeklagten ausgesprochenen Strafen durchaus schuldangemessen, sodass von deren Erhöhung abgesehen werden konnte.
Was aber schließlich die Anwendung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung anbelangt, so ist wohl der Staatsanwaltschaft zuzustimmen, wenn sie darauf verweist, dass die Angeklagten Andreas H***** und Anton G***** zahlreiche unmündige Mädchen zu wiederholten Malen geschändet haben.
Mit Rücksicht auf die vom Erstgericht bei diesen Angeklagten angeordnete Fürsorgeerziehung hielt der Oberste Gerichtshof die bloße Androhung der Vollziehung der über diese beiden Angeklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafen doch für zweckmäßiger als die sofortige Vollstreckung der Strafen, zumal da nunmehr anzunehmen ist, dass durch die angeordnete Fürsorgeerziehung die jugendlichen Angeklagten, denen Besserungsfähigkeit keineswegs abgesprochen werden kann und soll, von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen, die letzten Endes ihren Ursprung auch in einer mangelhaften Beaufsichtigung hatten, abgehalten werden können.
Es war daher wie im Spruche zu erkennen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die bezogene Gesetzesstelle.