JudikaturOGH

8Os106/61 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. April 1961

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. April 1961 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Mironovici, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Heidrich, Dr. Mayer, Dr. Bröll und Dr. Möller als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Oberhammer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hermann P***** wegen der Übertretung nach dem § 1 Unterhaltsschutzgesetz 1925 über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. Mai 1959, GZ 8 U 725/58 11, und das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 6. Juli 1959, AZ 11 Bl 28/59, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Rat des Obersten Gerichtshofs Dr. Heidrich, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Aggermann, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. Mai 1959, GZ 8 U 725/58 11, womit Hermann P***** der Übertretung der Verletzung der Unterhaltspflicht nach dem § 1 USchG 1925 schuldig erkannt, hiefür zu einer Freiheitsstrafe und zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt wurde, und das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 6. Juli 1959, AZ 11 Bl 28/59, womit auf die Berufung des Hermann P***** wegen Nichtigkeit kein Bedacht genommen, die Berufung wegen Schuld zurückgewiesen und ihm die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt wurden, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 1 Abs 1 des Bundesgesetzes vom 4. Februar 1925, BGBl 69 über den Schutz des gesetzlichen Unterhalts (Unterhaltsschutzgesetz 1925), das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht überdies in den Bestimmungen der §§ 467 und 474 StPO.

Diese Urteile und die darauf beruhenden nachfolgenden Verfügungen und Entscheidungen des Bezirksgerichts Klagenfurt, insbesondere der Beschluss vom 28. Juli 1959 (S 60 der Akten), womit ua der Pauschalkostenbeitrag mit 120 S bestimmt und eingehoben wurde, werden aufgehoben und es wird die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung hinsichtlich des gegen Hermann P***** von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gestellten Antrags auf Bestrafung wegen Übertretung nach dem § 1 USchG 1925 an das Bezirksgericht Klagenfurt zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Hermann P***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. 5. 1959, GZ 8 U 725/58 11, der Übertretung nach § 1 des Unterhaltsschutzgesetzes vom 4. 2. 1925, BGBl 69, schuldig erkannt, weil er in der Zeit vom Mai bis Dezember 1958 in V***** durch grobe Verletzung seiner Pflicht zur Leistung des gesetzlichen Unterhalts sein eheliches Kind Hermann P*****, geb *****, der Not ausgesetzt hatte.

Die Entscheidungsgründe dieses Urteils führen aus, dass der Angeklagte, der zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 300 S verpflichtet war, für das genannte Kind zu Handen seiner geschiedenen Ehefrau Margarethe O***** in der Zeit vom Mai bis Dezember 1958 in zwei Teilbeträgen nur 1.500 S leistete, ferner am 6. 2. 1959 300 S und am 22. 4. 1959 500 S. Die Kindesmutter verfüge selbst über kein Einkommen, erhalte von ihrem von ihr getrennt lebenden Gatten zweiter Ehe für sich und zwei weitere eheliche Kinder aus zweiter Ehe nur 650 S monatlich und lebe bei ihrer Mutter. Die Verantwortung des Angeklagten, die Kindesmutter sei vermögend, weil sie eine Liegenschaft und ein Haus verkauft habe, sei nicht zutreffend, weil sie den Erlös aus diesen Verkäufen ihrem zweiten Ehegatten zur Verfügung gestellt habe, der jedoch wirtschaftlich Schiffbruch erlitten habe. Die weitere Verantwortung des Angeklagten, er habe die zur Finanzierung eines Eigenheimes eingegangenen Schuldverpflichtungen in monatlichen Teilzahlungen von 600 S abstatten müssen, sei gleichfalls nicht stichhältig, weil der Angeklagte von vornherein gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kinde fahrlässig gehandelt habe, wenn er sich auf das mit einem Hausbau verbundene finanzielle Risiko eingelassen habe. Er habe damit in Kauf genommen, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kinde nicht nachkommen zu können.

Hermann P***** sen wurde mit dem erwähnten Urteil zu einer Arreststrafe in der Dauer von drei Tagen und gemäß dem § 389 StPO zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens verurteilt; die Vollziehung der Freiheitsstrafe wurde für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.

Über die gegen dieses Urteil von Hermann P***** erhobene Berufung erkannte das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht mit Urteil vom 6. 7. 1959, AZ 11 Bl 28/59 (ONr 16 der Akten) zu Recht, dass auf die Berufung des Hermann P***** wegen Nichtigkeit gemäß dem § 467 StPO kein Bedacht genommen, die Berufung wegen Schuld zurückgewiesen und der Berufung wegen Strafe keine Folge gegeben werde. In den Entscheidungsgründen führte das Berufungsgericht, das gemäß dem § 473 Abs 2 StPO mit einer Beweiswiederholung durch neuerliche Vernehmung der Kindesmutter Margarethe O***** als Zeugin vorgegangen war, aus, dass diese über kein Vermögen und Einkommen verfüge, weil das aus den Liegenschaftsverkäufen stammende Geld verbraucht worden sei; würde ihre Mutter sie nicht unterstützen, wäre das unterhaltsberechtigte Kind der Not und Verwahrlosung ausgesetzt; durch die Handlungsweise des Angeklagten, der vermögend genug sei, ein Eigenheim zu bauen, daher auch in der Lage gewesen sein müsse, für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, sei demnach der Tatbestand nach dem § 1 USchG (1925) hergestellt. Da Nichtigkeitsgründe nicht vorgelegen seien, sei auf die Berufung des Angeklagten Hermann P***** wegen Nichtigkeit kein Bedacht zu nehmen gewesen.

Das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. 5. 1959, GZ 8 U 725/58 11, und das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 6. 7. 1959, AZ 11 Bl 28/59, stehen mit dem Gesetze nicht im Einklang.

Gemäß dem § 1 Abs 1 des USchG 1925 machte sich einer Übertretung schuldig, wer durch grobe Verletzung seiner Pflicht zur Leistung des gesetzlichen Unterhalts den Unterhaltsberechtigten der Not oder der Verwahrlosung aussetzte. Nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle war eine Bestrafung dann ausgeschlossen, wenn das Übel durch Hilfe von anderer Seite abgewendet wurde, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Unterhaltspflichtige auf diese Hilfe rechnen konnte.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß dem § 474 StPO erkennt der Gerichtshof, wenn er die Berufung nicht als unzulässig oder ungegründet zurückzuweisen oder eine eigene Nichtzuständigkeit auszusprechen findet, in der Sache selbst nach den für die Urteilsfällung der Gerichtshöfe erster Instanz geltenden Vorschriften.

Der § 1 USchG 1925 stellte ein Gefährdungsdelikt dar ( Altmann-Jacob II S 1576, Rittler II S 229, Nowakowski S 161, SSt VI/113, X/34, XXIII/17, XXVl/25), der Tatbestand ist demnach bereits verwirklicht, wenn die konkrete Gefahr bestand, dass der Unterhaltsberechtigte der Not oder Verwahrlosung anheim fiel, ohne dass es des wirklichen Eintritts dieses Übels bedurfte. Die Voraussetzungen der Straflosigkeit des Täters waren aber dann gegeben, wenn die die Hilfe leistenden dritten Personen - soferne der Unterhaltspflichtige auf eine derartige Hilfe rechnen konnte - als selbst subsidiär unterhaltspflichtig gewillt und imstande waren, den Unterhalt laufend zu erbringen.

Im gegenständlichen Falle hat das Bezirksgericht Klagenfurt festgestellt, dass die Kindesmutter bei ihrer Mutter, also der mütterlichen Großmutter des unterhaltsberechtigten Minderjährigen, die gemäß dem § 143 ABGB subsidiär unterhaltspflichtig ist, im gemeinsamen Haushalt lebt und für die Wohnung nichts zu bezahlen hat. Den Feststellungen des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht ist zu entnehmen, dass die erwähnte Großmutter des Minderjährigen während der Zeit der Nichtleistung des Unterhaltes durch den Angeklagten für den Lebensunterhalt ihrer Tochter und des Minderjährigen aufgekommen ist. Die Strafbarkeit des Angeklagten Hermann P***** hängt demnach von der Beantwortung der Frage ab, ob er mit der Hilfe der mütterlichen Großmutter des Kindes rechnen konnte oder nicht; konnte er auf diese Hilfe rechnen, dann wird er zwar nicht mangels einer Gefährdung straffrei, die Hilfe der mütterlichen Großmutter als solche entlastet ihn jedoch ( Arlt-Pichler-Drexler , Das Unterhaltsschutzgesetz, Graz 1933 S 37, SSt XXVI/25). Darüber aber, ob die mütterliche Großmutter des mj Hermann P***** tatsächlich vermögend war - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besitzt sie einen PKW, nach Aussage der Kindesmutter bei der Berufungsverhandlung (S 47) besitzt sie auch Vermögen -, ob sie regelmäßig für das Kind gesorgt hat und gewillt war, auch weiterhin den Unterhalt laufend zu leisten, und vor allem, ob dem unterhaltspflichtigen Angeklagten diese Umstände bekannt gewesen sind und ob er mit dieser Hilfe rechnen konnte, mangelt es an den notwendigen Urteilsfeststellungen, sodass schon aus diesem Grunde die Aufhebung der Urteile und die Rückverweisung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Klagenfurt nicht zu umgehen ist.

Es kommt aber vor allem noch dazu, dass beide Gerichte sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob die Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Angeklagten eine grobe war, wozu umsomehr Anlass bestanden hätte, als der Angeklagte nach den Feststellungen des Erstgerichts für die Zeit vom 20. 4. 1958 bis zum 22. 4. 1959 bei einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 300 S insgesamt 2.300 S geleistet und die Kindesmutter bei der Berufungsverhandlung angegeben hat, der Angeklagte schulde ihr nur mehr insgesamt 600 S. Das Wort „grob“ bedeutet einen moralisch-ethischen Begriff ( Arlt Pichler Drexler S 38), es hat also der Richter in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Unterhaltspflichtverletzung als grob anzusprechen ist. Wird also einerseits das Verhältnis zwischen der faktisch erbrachten Leistung des Unterhaltspflichtigen und dem geschuldeten Betrage nicht ohne Bedeutung sein, so wird es andererseits bei einem Zahlungsverzug auf die Gründe desselben und vor allem darauf ankommen, ob der Unterhaltspflichtige nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der für die Pflege und Erziehung des Kindes aufkommenden Personen doch mit einer Überbrückung seines Zahlungsverzugs rechnen konnte ( Tschulik , ÖJZ 1960 S 599). Auch in dieser Richtung mangelt es beiden Urteilen an den notwendigen Feststellungen.

In der unter ONr 13 der Akten erliegenden Berufungsausführung hat der rechtsfreundlich vertretene Angeklagte Hermann P***** ausgeführt, durch welche Punkte des Erkenntnisses des Bezirksgerichts Klagenfurt er sich für beschwert erachte und welche Nichtigkeitsgründe (§ 281 Z 5 und 9a StPO) er geltend machen wolle. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer der Vorschrift des § 467 Abs 2 StPO nicht nachgekommen ist, wie dies das Berufungsgericht durch die Formulierung des Urteilssatzes zum Ausdruck bringt. Gelangte das Berufungsgericht nach durchgeführter Berufungsverhandlung zur Auffassung, dass die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht vorliegen, dann hatte es gemäß dem § 474 StPO die Berufung wegen Nichtigkeit als ungegründet (wegen Verneinung der Nichtigkeitsgründe) zurückzuweisen. Die Fassung des Urteilsspruchs des Berufungsgerichts, es werde auf die Berufung des Angeklagten Hermann P***** wegen Nichtigkeit gemäß dem § 467 StPO kein Bedacht genommen, ist demnach verfehlt ( Lohsing-Serini S 595).

Der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen.

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