JudikaturOGH

5Ob88/61 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. April 1961

Kopf

SZ 34/54

Spruch

Nach § 918 ABGB. muß nur eine Frist erteilt werden, in der die bereits vorbereitete, nicht die noch gar nicht in Angriff genommene Erfüllung durchgeführt werden kann.

Entscheidung vom 12. April 1961, 5 Ob 88/61.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Eigentümer der EZ. 2369 KG. L. war Dr. Rudolf H. zu 2/16 und dessen Töchter Gertraud und Karola H. zu je 7/16 Anteilen. Mit notariellem Vertrag vom 20. März 1950, ergänzt durch die Aufsandungserklärung vom 19. Juni 1950, verkauften die genannten Eigentümer 3/4 Anteile ihrer Liegenschaft an die beklagte Partei, und zwar "um zusammen 1/4 Anteil des von der Firma S. Co. auf deren Kosten laut des dem Vertrag beigehefteten unverbindlichen Planes auf diesem Grundstück zu errichtenden dreistöckigen Hauses". In Punkt IX des Vertrages wurde vereinbart, daß sich das Eigentum an dem Grundstück dann ändern sollte, wenn der beabsichtigte Hausbau aus irgend einem Grund nicht fertiggestellt werden sollte, und zwar im verhältnismäßigen Anteil zur Fertigstellung. In Punkt X des Vertrages verpflichtete sich die Beklagte, für die Benützung des ganzes Gründes bzw. des ganzen auf dem Grundstück errichteten Hauses an die Verkäufer als gemeinsame Eigentümer des 1/4 Anteiles des Grundstückes vom Tage der Genehmigung der Baupläne durch die Baubehörde angefangen bis zur Einstellung des Baues bzw. dessen Fertigstellung einen Betrag von 400 S monatlich und von jenem Tag angefangen einen Betrag von 600 S monatlich auf deren Konto bei der O.-Landeshypothekenanstalt einzuzahlen, wobei eine Wertsicherungsklausel vereinbart wurde. In Punkt XII wurde vereinbart, daß das Verwaltungsrecht auch hinsichtlich der außerordentlichen Maßnahmen der Beklagten zustehen solle. Soweit bauliche Maßnahmen am oder im Vertragsgegenstand beabsichtigt seien, sei die Beklagte verpflichtet, um die allenfalls erforderliche baubehördliche Genehmigung einzuschreiten.

Da sich die Verkäuferin Gertraud H. nach Vertragsabschluß weigerte, die Vertragsurkunde zu unterfertigen, wurde sie am 24. Dezember 1953 von der beklagten Partei auf Unterfertigung der Urkunde geklagt und mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 21. Jänner 1955 gemäß dem Klagebegehren verurteilt. Diese Entscheidung ist seit 29. Juni 1955 rechtskräftig. Dr. Rudolf H. ist am 10. Jänner 1954 verstorben, die Drittklägerin mj. Dagny H. ist seine Rechtsnachfolgerin hinsichtlich seines Liegenschaftsanteiles.

Mit Schreiben vom 8. Juni 1957 forderte der Vertreter der Kläger die beklagte Partei auf, ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag vom 20. März 1950 betreffend die Erbauung des Hauses zu erfüllen, und setzte ihr unter Androhung des Vertragsrücktrittes zum Einschreiten für eine baubehördliche Genehmigung eine Frist bis 1. Juli 1957, für den Baubeginn eine solche bis 1. August 1957 und für die Fertigstellung des Gebäudes eine Nachfrist bis 1. März 1958. Am 10. Juli 1957 brachte die beklagte Partei beim Stadtplanungsamt L. ein Ersuchen im Sinne des § 8 der Linzer Bauordnung ein. Am 29. November 1957 brachte sie ein Ansuchen um Baubewilligung ein. Die auf Grund dieses Ansuchens erteilte Baubewilligung wurde im Instanzenzug aufgehoben, weil die Klägerinnen als Miteigentümer der Erteilung der Baubewilligung nicht zugestimmt und diese angefochten hatten. Mit Schreiben vom 19. September 1957 an den Beklagtenvertreter erklärte der Vertreter der Klägerinnen, er habe leider feststellen müssen, daß die Beklagte die Nachfristen gemäß seinem Schreiben vom 8. Juni 1957 nicht eingehalten habe, eine Verlängerung dieser Fristen von den Klägerinnen nicht bewilligt werde und daher der Rücktritt vom Vertrag vom 20. März 1950 rechtswirksam geworden sei. Die Klägerinnen seien auch mit einer vergleichsweisen Regelung gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 10. September 1957 nicht einverstanden. In diesem Schreiben hatte der Beklagtenvertreter dem Klagevertreter mitgeteilt, daß die Beklagte am 10. Juli 1957 um die Baubewilligung angesucht habe, und hatte sich namens der Beklagten bereit erklärt, den Klägerinnen vom 1. Juli 1957 angefangen den Betrag von 400 S wertgesichert unter der Bedingung auszuzahlen, daß die Klägerinnen der Beklagten die unbeschränkte Benützung des gesamten Grundstückes überlassen.

Dieser Sachverhalt ist unbestritten.

Die Klägerinnen stellten das Klagebegehren auf lastenfreie Übergabe der an die beklagte Partei veräußerten Anteile der Liegenschaft EZ. 2369 GB. L., und zwar von 21/64 Anteilen an Gertraud H., 21/64 Anteilen an Karola H. und 6/64 Anteilen an die mj. Dagny H., und auf Bewilligung der Einverleibung der Löschung des ob den 2/64 Anteilen des Rudolf H. und den je 7/64 Anteilen der Gertraud und der Karola H. einverleibten Vorkaufsrechtes. Von den Rechtsgrunden, auf welche sich dieses Klagebegehren grundet, wurde der Rechtsgrund der Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes und der Unbestimmtheit des Vertrages schon vom Obersten Gerichtshof in seiner in dieser Sache ergangenen Entscheidung vom 27. Jänner 1960 als nicht gegeben erledigt; die weiteren Rechtsgrunde des Wuchers, der Nichtzurechnungsfähigkeit des Dr. H. bei Vertragsabschluß und des Rücktrittes vom Vertrag im Sinne des § 918 ABGB. wurden vom Erstgericht auch im zweiten Rechtsgang als nicht gegeben angesehen; demgemäß wurde das Klagebegehren abgewiesen. Hinsichtlich des Rechtsgrundes des Wuchers wurden schon in der Berufung der Klägerinnen gegen das Ersturteil die wesentlichen Feststellungen, auf die sich in diesem Punkt die Entscheidung des Erstgerichtes grundete, nicht angefochten; der Rechtsgrund des Wuchers ist auch nicht mehr Gegenstand der Revision. Gegenstand der Revision der Klägerinnen sind nur mehr der Rechtsgrund der Unzurechnungsfähigkeit des Dr. H. und der Rechtsgrund des § 918 ABGB.

Das Berufungsgericht hat gleich dem Ersturteil diese beiden Rechtsgrunde nicht als gegeben angenommen und demgemäß das Ersturteil bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Parteien Folge und hob die Urteile der Untergerichte auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Revision ist begrundet, soweit sie sich gegen den von den Untergerichten eingenommenen Standpunkt wendet, es sei offenbar, daß die beklagte Partei innerhalb der ihr gewährten Nachfrist, das ist bis zum Schreiben vom 9. September 1957, den Vertrag nicht erfüllen konnte. Zunächst kann dem Standpunkt des Berufungsgerichtes nicht gefolgt werden, daß es für die Frage der Angemessenheit der Nachfrist richtigerweise wohl überhaupt nur darauf ankommen könne, ob die dem Beklagten obliegende Gesamtleistung, also die Fertigstellung des Gebäudes, bis zum Schluß der Nachfrist möglich war. Daß auch schon das Ansuchen um Baubewilligung eine Leistung der beklagten Partei darstellte, auf deren zeitgerechte Erbringung die Klägerinnen ein Recht hatten, ergibt sich aus der Bestimmung des Punktes XII in Verbindung mit den Punkten IX und X des Vertrages. Im Punkt XII übernahm die beklagte Partei die Verpflichtung, um die allenfalls erforderliche baubehördliche Genehmigung einzuschreiten. Daß schon diese Verpflichtung ein Vertragspunkt war, auf dessen Einhaltung die Klägerinnen dringen konnten, ergibt sich aus den Bestimmungen der Punkte IX und X des Vertrages, nach denen den Verkäufern bestimmte Rechte schon vom Tag der Genehmigung der Baupläne durch die Baubehörde und nach Beginn des Baues zustehen sollten. So wird im Punkt IX bestimmt, daß sich das Eigentumsrecht an dem Grundstück ändern sollte, wenn der beabsichtigte Hausbau aus irgendeinem Gründe nicht fertiggestellt werden sollte, und zwar im verhältnismäßigen Anteil zur Fertigstellung, und laut Punkt X läuft die Verpflichtung der beklagten Partei zur Zahlung eines Betrages von 400 S vom Tag der Genehmigung der Baupläne durch die Baubehörde an, während es für die Erhöhung dieses Betrages auf den Betrag von 600 S gar nicht erforderlich ist, daß der Bau fertiggestellt wird, sondern diese Erhöhung auch schon dann eintritt, wenn der Bau aus irgendeinem Grund eingestellt wird. Den Klägerinnen müßte das Recht, vom Vertrag zurückzutreten, daher schon dann zugebilligt werden, wenn die beklagte Partei ihrer Verpflichtung, ein Ansuchen um Baubewilligung einzubringen, innerhalb einer angemessenen Nachfrist nicht nachgekommen wäre.

Nun haben die Untergerichte den Standpunkt eingenommen, daß die beklagte Partei ihr Ansuchen um Baubewilligung nicht früher als am 29. November 1957 hätte einbringen können, weil sie nach Erhalt des Schreibens vom 8. Juni 1957 erst anfangen mußte, neu zu planen, sodann erst das Ansuchen nach § 8 der Linzer Bauordnung einbringen mußte und erst nach Erledigung dieses Ansuchens den Baumeister E. mit der Planverfassung betrauen konnte. Die Erledigung des Bauansuchens hätte sodann einen Zeitraum von mindestens drei bis vier Monaten erfordert, so daß zur Zeit des Schreibens vom 9. September 1957, in welchem die Klägerinnen erklärten, daß sie ihre Rücktrittserklärung als wirksam ansähen und jede weitere Erfüllungshandlung durch die beklagte Partei ablehnten, die Beklagte noch nicht im Besitz der baubehördlichen Genehmigung sein konnte.

Dazu ist folgendes zu sagen:

Es ist nicht notwendig, daß dem Schuldner die ganze zur Vorbereitung der schuldigen Leistung erforderliche Frist noch einmal erteilt wird (JBl. 1930 S. 81). Der Gläubiger darf von der Voraussetzung ausgehen, daß der Schuldner mit den erforderlichen Vorbereitungen und Arbeiten bereits begonnen hat (Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 205). Dem säumigen Teil soll eine Frist gewährt werden, in der die bereits vorbereitete Erfüllung beschleunigt und vollendet, nicht aber eine Frist, in der die noch gar nicht in Angriff genommene Erfüllung bewirkt werden kann (Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 457). Nun hat der Oberste Gerichtshof schon in seiner in dieser Sache ergangenen Entscheidung vom 27. Jänner 1960 ausgesprochen, daß mit Rücksicht darauf, daß im Vertrag eine Frist für die von der Beklagten zu erbringende Leistung nicht festgesetzt wurde, die Beklagte ohne unnötigen Aufschub zu leisten, d. h. mit den nötigen Vorbereitungen zu ihren Leistungen ohne schuldhaftes Zögern zu beginnen hatte. Nun ergab sich die Notwendigkeit, die Vorbereitungen zur Bauplanung bis Juli 1955 aufzuschieben, daraus, daß die beklagte Partei erst mit der Klägerin Gertraud H. wegen Unterfertigung des Vertrages Prozeß führen mußte. Nicht festgestellt ist aber, aus welchen Gründen die beklagte Partei ab Juli 1955 mit der Vorbereitung zum Bau nicht beginnen konnte. Die Klägerinnen haben behauptet, daß die Beklagte dazu schon längst in der Lage gewesen wäre, und unter Beweis gestellt, daß sie schon im Jahr 1949 im Besitz von Bauplänen gewesen sei. Das Berufungsgericht hat dies mit dem Bemerken abgetan, daß die beklagte Partei keineswegs genötigt gewesen sei, den Bau auf Grund dieser alten Pläne durchführen zu lassen, und daß sie daher ohne weiteres nunmehr einen anderen Baumeister mit der Planverfassung beauftragen habe können, was deshalb nicht unzweckmäßig gewesen sein dürfte, weil sich seit der ersten Planverfassung schon wegen der Erhöhung der Baukosten die tatsächlichen Verhältnisse doch wohl entscheidend geändert hätten. Hier erhebt sich aber zunächst die Frage, ob nicht wenigstens das Ansuchen nach § 8 der Linzer Bauordnung trotz der Änderung der Kostengrundlage auf Grund der alten Baupläne hätte eingereicht werden können, und es ist weiters die Frage offen, warum in der Zeit von zwei Jahren von der Beendigung des Vorprozesses bis zum Rücktrittsschreiben vom 8. Juni 1957 die Beklagte, wenn sie schon nicht die alten Baupläne zum Bau verwenden wollte, nicht einen anderen Baumeister mit der Planung beauftragen konnte. Zur Klärung der Frage, ob hier ein Aufschub mit dem Beginn der Planungsarbeiten auch noch nach dem Juli 1955 nötig war und wie lange er nötig war, ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Erstgerichtes nicht zu vermeiden. Erst nach Klärung dieser Frage wird eine verläßliche Beurteilung möglich sein, ob die Beklagte nicht bis zur Erklärung des endgültigen Vertragsrücktrittes vom 19. September 1957, bis zu welchem Zeitpunkt die gewährte Nachfrist auf jeden Fall zu rechnen ist, nicht wenigstens das Ansuchen um Baubewilligung hätte einbringen können. Wäre dies der Fall, dann wäre der Rücktritt vom Vertrag rechtswirksam. Hätte die Beklagte nicht einmal ihre primäre Pflicht zur Einbringung des Ansuchens um Baubewilligung innerhalb einer angemessenen Rücktrittsfrist erfüllt, so würde allein daraus schon die Berechtigung des Rücktrittes folgen, und die Gewährung weiterer Fristen für die Erteilung der Baugenehmigung und die Vollendung des Baues käme überhaupt nicht mehr in Frage.

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