JudikaturOGH

4Ob101/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 1960

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hohenecker als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gitschthaler und Dr. Nedjela und die Beisitzer Dr. Strickner und Dr. Schrammel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Egon M*****, Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, *****, vertreten durch Dr. Karl Albrecht Majer, Rechtsanwalt in Wien I., wider die beklagte Partei Stadtgemeinde *****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Baden, wegen 37.902,60 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 21. April 1960, GZ 1 c Cg 4/60-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wiener Neustadt vom 4. Feber 1960, GZ Cr 196/59-7, soweit angefochten bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, die mit 4.013,14 S bestimmten Kosten erster Instanz, ferner die mit 1.730,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.011,70 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens die beklagte Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsfolge zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Kündigungsentschädigung und Abfertigung im Gesamtbetrage vom 74.972,92 S samt Anhang unter Hinweis auf folgendes Vorbringen: Er sei als ordinierender Arzt bei der Stiftung "Wohltätigkeitshaus B*****" ab 1. 5. 1933 zunächst probeweise tätig gewesen. Mit Vertrag vom 20. 1. 1935 sei er für fünf Jahre angestellt und für die Zeit nachher eine halbjährige Kündigungsfrist vereinbart worden. Nach Auflösung der genannten Stiftung im Jahre 1939 habe ihn unter Wahrung seiner erworbenen Rechte die Beklagte übernommen; er sei bei ihr als Chefarzt bis zum Jahre 1945 im Angestelltenverhältnis gewesen. Laut Beschluss des Gemeinderates der Beklagten vom 4. 7. 1945 sei ihm mitgeteilt worden, dass auf Grund des § 20 VerbotsG seine Anstellung mit 1. 4. 1945 widerrufen werde. Er habe sich dann wiederholt in B***** zum Dienst gemeldet, doch habe die Beklagte entweder ablehnend oder überhaupt nicht reagiert. Mit Schreiben vom 26. 7. 1958 sei ihm schließlich auf seine Eingabe vom 26. 9. 1957 mitgeteilt worden, dass seine Entlassung rückwirkend aufgehoben, die Beklagte aber nicht in der Lage sei, ihn in ihren Dienststand aufzunehmen. Diese Erklärung sei als Aufhebung der Entlassung bei gleichzeitiger Kündigung des Dienstverhältnisses zu werten. Da dem Kläger eine halbjährige Kündigungsfrist zustehe, habe die Beklagte frühestens für 31. 3. 1959 kündigen können. Sie schulde infolgedessen neben Gehalt für die Zeit vom 1. 8. 1958 bis 31. 3. 1959 im Betrage von 38.000 S eine Abfertigung in der Höhe des 8-fachen eines Monatsentgelts, das sei ein Gesamtabfertigungsbetrag von 38.000 S, wozu noch der anteilsmäßige 13. Monatsgehalt komme. Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, dass der Kläger nicht bei ihr, sondern bei der Stiftung "Wohltätigkeitshaus B*****" beschäftigt gewesen sei. Die Stiftung sei zwar im Jahre 1939 von der Beklagten übernommen, im Jahre 1945 aber wieder reaktiviert worden. Der Kläger habe daher seine Ansprüche gegen die Stiftung zu stellen. Der zwischen dem Kläger und der genannten Stiftung auf 5 Jahre abgeschlossene Dienstvertrag sei im Jahre 1939 erloschen. Im November 1939 sei die genannte Stiftung aufgelöst und ihr Vermögen der Beklagten überlassen worden. Ein besonderer Dienstvertrag zwischen den Streitteilen sei nicht geschlossen worden. Der Kläger sei nach der Tarifordnung A (TOA) für Angestellte im öffentlichen Dienst entlohnt worden. Ab dem Außerkrafttreten der TOA im Jahre 1946 seien auf den Kläger die Bestimmungen des ABGB anzuwenden. Wenn daher dem Kläger eine Entlohnung zustehe, dann nur für eine vierwöchentliche Kündigungsfrist, Abfertigung gebühre ihm überhaupt nicht. Das Angestelltengesetz sei nicht anwendbar, weil die Beklagte keine der im § 2 Z 1 bis 9 AngG aufgezählten Unternehmungen sei. Der Kläger habe von der Beklagten überhaupt nichts zu fordern. Die im Jahre 1945 ausgesprochene Entlassung sei unter Behandlung des Klägers nach den Bestimmungen der NS-Amnestie 1957 rückwirkend aufgehoben worden. Nach § 44 Abs 2 des Gesetzes vom 14. März 1957, BGBl Nr 82/1957, stehe dem Kläger ein Anspruch auf irgendwelche Bezüge nicht zu. Außerdem sei Verzicht des Klägers auf allfällige Ansprüche anzunehmen. In einem Schreiben vom Jahre 1946 habe der Kläger vom Bürgermeister der Beklagten freundschaftlichen Rat erbeten, ob er mit seiner baldigen Wiederverwendung im Sanitätsdienste der Stadt B***** rechnen könne oder nicht. "Im negativen Falle wäre er genötigt, sich anderwärts umzusehen." Auf dieses Schreiben sei anscheinend nicht reagiert worden. In der Folge sei der Kläger jahrelang untätig geblieben, um erst mit Schreiben vom 29. 11. 1956 über seinen Anwalt an die Beklagte mit Ansprüchen heranzutreten. Dabei hätte er bereits im Jahre 1947 auf Grund der Bestimmungen des NS-Gesetzes 1947 um seine Rehabilitierung ansuchen können.

Demgegenüber brachte der Kläger noch vor, dass sein Dienstverhältnis dem Angestelltengesetz unterliege, er sich um seine Wiederverwendung bei der Beklagten bemüht und sie auch begehrt habe. Das Erstgericht hat dem Kläger einen Betrag von 37.902 S samt 4 % Zinsen ab 7. 11. 1959 für Abfertigung zugesprochen, das Mehrbegehren von 37.070,32 S samt Anhang für Kündigungsentschädigung dagegen abgewiesen. Das Urteil hat folgende Sachverhaltsgrundlage: Nach Ablauf des Probedienstvertrages kam es zwischen dem Kläger und der Stiftung "Wohltätigkeitshaus B*****" (in der Folge nur mehr kurz Stiftung genannt) zu einem neuen Dienstvertrag, womit ein befristetes Dienstverhältnis vom 1. 5. 1934 bis 30. 4. 1939 vereinbart worden ist. Für die Zeit nachher stand beiden Teilen halbjähriges Kündigungsrecht zu. Das Dienstverhältnis war für den Kläger Hauptberuf, die kleine selbständige Praxis nur Nebenbeschäftigung. Von 1938 bis August 1939 war der Kläger auch Vertragsarzt bei der deutschen Luftwaffe. Am 15. August 1939 rückte er zur Deutschen Wehrmacht ein, bei der er bis zum Kriegsende verblieb. Das Dienstverhältnis des Klägers zur Stiftung ist am 30. 4. 1939 nicht beendet, sondern fortgesetzt worden. Mit Bescheid des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 17. 8. 1939, Zahl II/4-164, 914/1939, ist über Antrag des Stillhaltekommissärs für Vereine, Organisationen und Verbände die Stiftung aufgelöst und ihr Vermögen der Beklagten eingewiesen worden. Im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides war der Kläger bereits zur Wehrmacht eingerückt. Sein Dienstverhältnis wurde ohne Abschluss einer neuen Vereinbarung von der Beklagten fortgesetzt. Der Kläger hat auch bis zum Kriegsende von der Beklagten den Gehalt bezogen. Mit Beschluss des Gemeinderates der Stadt B***** vom 7. 4. 1945 wurde die Anstellung des Klägers mit Wirkung vom 1. 4. 1945 widerrufen. Der nur minderbelastete Kläger bemühte sich zwischen 1945 und 1948 einige Male mündlich und im Jahre 1946 auch einmal schriftlich um seine Wiederverwendung bei der Beklagten, erhielt aber abschlägige Erklärungen, weil das Gebäude der Stiftung in der Zeit von 1945 bis zum Abzug der russischen Besatzungsmacht im Herbst 1955 von dieser besetzt war. Erst mit Schreiben vom 29. 11. 1956 wendete sich der Kläger wieder an die Beklagte und vertrat den Standpunkt, dass sein Dienstverhältnis ungelöst sei und Ansprüche verschiedener Art bestünden. Auf Grund des Antrages des Klägers vom 26. 9. 1957 erhielt er von der Beklagten folgende Zuschrift: "Auf Ihren Antrag vom 26. 9. 1957 betr. die Behandlung ihres Mandanten gemäß §§ 9 und 45 der NS-Amnestie 1957, BGBl Nr 82/1957, teilt Ihnen die Stadtgemeinde B***** folgendes mit:

Gemäß § 44 der NS-Amnestie 1957, BGBl Nr 82/1957, ist die seinerzeit erfolgte Entlassung des Herrn Dr. Egon M***** von gesetzeswegen rückwirkend aufgehoben. Die NS-Amnestie 1957 hat wohl etwa bisher bestehende Hindernisse für die dienstrechtliche Behandlung nach den bisherigen NS-Gesetzen beseitigt, begründet aber keinen Rechtsanspruch auf Übernahme in einen Dienstposten. Die Stadtgemeinde B***** ist daher nicht in der Lage, den Antragsteller, Herrn Dr. Egon M*****, in ihren Dienststand aufzunehemen."

Ein Versuch des Klägers sodann seine Ansprüche im Verwaltungsweg durchzusetzen, hatte keinen Erfolg, weil nach dem Bescheid des Amtes der nö Landesregierung vom 1. 6. 1959 nicht die Verwaltungsbehörden, sondern das Arbeitsgericht zur Verhandlung und Entscheidung über die klägerischen Ansprüche berufen sei. Seit 1947 ist der Kläger als Facharzt für Frauenheilkunde in W***** tätig; im dortigen Krankenhaus war er nie angestellt. Das monatliche Durchschnittseinkommen des Klägers in seiner Privatpraxis beträgt zirka 2.500 S. Das Wohltätigkeitshaus in B***** hatte bei Dienstantritt des Klägers 400 Betten und beschäftigte außer dem Kläger noch 3 Sekundarärzte. Die im Jahre 1955 reaktivierte Stiftung verpachtete den Betrieb der Beklagten, die ihn noch heute führt. Der Bezug des Klägers für den Fall, als er bei der Stiftung oder der Beklagten fortlaufend weiter beschäftigt worden wäre, würde in der Zeit vom 1. 5. 1957 bis 30. 4. 1959 monatlich einschließlich Familienzulage und Wohnungsbeihilfe 4.211,40 S betragen haben, und zwar 13 mal im Jahr.

In rechtlicher Beziehung meint das Erstgericht: Die passive Klagslegitimation sei gegeben, weil die Beklagte den Kläger bei Übernahme des Vermögens der Stiftung ebenfalls übernommen habe, ohne dass eine rechtliche Änderung des Dienstvertrages eingetreten wäre. Die Wiederherstellung der Stiftung im Jahre 1955 sei rechtlich ohne Bedeutung, weil gar nicht behauptet werde, dass der Kläger von der Stiftung unter Anrechnung aller bisherigen Rechte und Pflichten eingestellt worden sei, vielmehr habe die Beklagte auch nach Reaktivierung der Stiftung das Wohltätigkeitshaus B***** als Pächterin weiterbetrieben. Mit dem Schreiben der Beklagten vom 26. 7. 1958, dem Kläger zugestellt am 29. 7. 1958, sei die seinerzeitige Entlassung des Klägers rückwirkend aufgehoben und damit zum Ausdruck gebracht worden, dass das Dienstverhältnis am 29. 7. 1958 noch bestanden habe. Die Ablehnung der Wiederverwendung des Klägers bedeute rechtlich eine neuerliche Entlassung, ohne dass hiefür wichtige Gründe angeführt werden konnten. Das Schreiben vom 26. 7. 1958 bedeute aber auch, dass nach Meinung der Beklagten das Dienstverhältnis des Klägers nicht durch langjähriges Untätigsein erloschen sei. Dies wäre wohl auch deshalb nicht anzunehmen, weil der Kläger in den Jahren 1945 bis 1948 einige Versuche zur Wiederverwendung bei der Beklagten unternahm. Es könne ihm nicht schaden, wenn er von 1948 bis 1956 nichts unternahm, weil doch als Ablehnungsgründe gegen seine Wiederverwendung die Besatzungsverhältnisse genannt wurden; diese hielten aber bis zum Herbst 1955 unverändert an. Das Untätigsein durch etwa ein Jahr lasse gegebenenfalls noch keinen Verzicht annehmen, weil nach geschehener Räumung von durch die Besatzungsmacht benützten Gebäude eine gewisse Zeit bis zur Wiederaufnahme des Betriebes im Wohltätigkeitshaus B***** toleriert werden müsste. Gemäß § 44 der NS-Amnestie 1957 fände eine Nachzahlung von Bezügen nicht statt, wohl aber stünden Bezüge für die Zeit nach Aufhebung der Entlassung zu. Die Höhe der Bezüge sei vom Kläger richtig errechnet. Wegen grundloser Entlassung gebühre dem Kläger die Kündigungsentschädigung. Als privatrechtliches Dienstverhältnis unterliege dieses den Bestimmungen des Angestelltengesetzes, nicht aber jenen des ABGB. Der zunächst beim Wohltätigkeitshaus B***** beschäftigt gewesene Kläger sei von der Beklagten mit gleichen Rechten und Pflichten übernommen worden. Nach § 2 Abs 1 Z 1 AngG sei das Angestelltengesetz auf das Dienstverhältnis von Personen anwendbar, die höhere Dienstleistungen bei Stiftungen jeder Art verrichten. Zum gleichen Ergebnis führe auch die Anwendung der §§ 3, 2 Abs 1 Z 8 AngG. Infolge der grundlosen Entlassung würden dem Kläger die Ansprüche im Sinne des § 29 AngG gebühren, wenn er sie binnen 6 Monaten nach Entlassung geltend gemacht hätte (§ 34 AngG). Da dies nicht geschehen sei, sei der Anspruch auf Kündigungsentschädigung verfallen. Dem Kläger gebühre aber die geltendgemachte Abfertigung im Ausmaß von 9 Monatsgehältern, weil eine Dienstzeit von mehr als 20 Jahren erwiesen sei (§ 23 AngG). Diesbezüglich gelte die dreijährige, noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es sei, so führt es aus, davon auszugehen, dass der Kläger, wie nicht bestritten, minderbelasteter Nationalsozialist und bereits vor dem 13. 3. 1938 bei einer Stiftung angestellt war. Der "Widerruf" seiner Anstellung unter Berufung auf § 20 VerbotsG 1945 sei auf alle Fälle verfehlt gewesen, weil diese Gesetzesbestimmung vorausgesetzt habe, dass das Dienstverhältnis zwischen dem 13. 3. 1938 und 27. 4. 1945 begründet wurde. Eine Entlassung nach § 14 VG 1945 sei deshalb nicht möglich gewesen, weil der Kläger nicht zum Personenkreis des § 10 VG 1945 gehörte. Die als Entlassung des Klägers aufzufassende Verfügung der Beklagten vom 4. 7. 1945 sei somit im Gesetze nicht begründet gewesen. Es könne infolgedessen dahingestellt bleiben, ob es eines Antrages nach dem Amnestiegesetz 1957 überhaupt bedurft habe; auf alle Fälle bringe aber der Bescheid vom 26. 7. 1958 zum Ausdruck, dass der Kläger am 4. 7. 1945 zu Unrecht entlassen worden sei, was die Beklagte auch nicht bestreite. Ob sie damit eine Willenserklärung kundgetan oder nur ihre Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht habe, sei belanglos. Mit Recht habe das Erstgericht angenommen, dass auch nach Auffassung der Beklagten das Dienstverhältnis des Klägers am 26. 7. 1958 noch aufrecht gewesen sei. Wenn die Beklagte gleichzeitig erklärte, den Kläger aus was immer für Gründen trotz ungelösten Dienstverhältnisses nicht verwenden zu können, müsse darin der Ausspruch der Kündigung erblickt werden. Daran könne auch der weitere Inhalt des Schreibens vom 26. 7. 1958 nichts ändern. Das Dienstverhältnis des Klägers sei in einem Zeitpunkt begründet worden, in dem der Dienstgeber eine Stiftung war; dasselbe treffe für die Zeit der Lösung zu. Es komme daher § 2 Abs 1 Z 1 AngG, auf alle Fälle aber § 2 Abs 1 Z 8 AngG zur Anwendung. Dass der Kläger während der vorübergehenden Auflösung der Stiftung Angestellter der Beklagten war, sei belanglos. Gewiss dürfe der Dienstnehmer, wenn er seinen Anspruch nicht verwirken wolle (§ 863 ABGB), nicht jahrelang untätig bleiben, sondern sei verpflichtet, irgend etwas zu unternehmen. Gegebenenfalls müssten die besonderen Verhältnisse, während welcher der Kläger untätig blieb, gebührend berücksichtigt werden. Der Kläger habe sich einmal schriftlich bemüht, mit seinem Dienstgeber in Kontakt zu kommen; dabei habe er allerdings nicht seine Verwendung im bisherigen Umfang verlangen können, weil ihm die Besetzung seiner Arbeitsstätte durch die Russen bekannt war. B***** sei das Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht gewesen. Gerade öffentliche Gebäude seien fast durchwegs jahrelang besetzt gewesen. Die Beklagte habe vielfach Anfragen zu dieser Zeit gar nicht beantwortet. Es sei glaubwürdig, dass der Kläger mehrmals in B***** wegen seiner Wiederverwendung vorsprach, eine solche aber im ursprünglichen Rahmen gar nicht möglich war, weil das Gebäude der Stiftung durch die Russen besetzt war. Wenn daher der Kläger zunächst einmal abwartete, wie sich die Verhältnisse gestalten würden, könne darin nicht eine rechtlich beachtliche Untätigkeit und damit auch keine Verschweigung seiner Ansprüche erblickt werden.

Das Berufungsurteil ficht die beklagte Partei mit Revision wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung an; sie beantragt, es dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, allenfalls das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsschöpfung zurückzuverweisen.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Der Revisionswerberin ist zuzugeben, dass die Feststellung des angefochtenen Urteils, der Kläger habe das Dienstverhältnis als leitender Arzt neben einer nicht ins Gewischt fallenden Privatpraxis hauptberuflich ausgeübt, zu dem im Berufungsverfahren unbestrittenen Sachverhalt gehört, aktenwidrig ist, ebenso die weitere Feststellung, der Kläger sei im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses Dienstnehmer der Stiftung "Wohltätigkeitshaus B*****" gewesen, mit der Aktenlage nicht übereinstimmt. Wäre übrigens letzteres richtig, hätte das Klagebegehren schon aus dem Grunde der mangelnden passiven Klagslegitimation der Beklagten abgewiesen werden müssen. Die Aktenlage ergibt, dass von der Beklagten das zwischen dem Kläger und der Stiftung "Wohltätigkeitshaus B*****" begründete Dienstverhältnis fortgesetzt wurde und ein neues Dienstverhältnis zwischen dem Kläger und der im Jahre 1955 reaktivierten Stiftung, die das Unternehmen "Wohltätigkeitshaus B*****" gleich wieder an die Beklagte verpachtete, nicht eingegangen worden ist. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt indessen deshalb nicht vor, weil die aufgezeigten Widersprüche zur Aktenlage keine solchen im Sinne des § 503 Z 3 ZPO sind, d.h. sie sind nicht von Wesenheit und für die Entscheidung, wie gleich gezeigt werden soll, nicht von kausaler Bedeutung. Es ist vor allem nicht entscheidend, ob der Kläger nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes oder nach jenen der Tarifordnung A oder den Bestimmungen des ABGB zu behandeln ist. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt mithin nicht vor. Das Schwergewicht liegt auf dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. hiezu ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: Mit Zuschrift vom 4. Juli 1945 ist die Anstellung des Klägers auf Grund des § 20 des Gesetzes über das Verbot der NSDAP mit 1. 4. 1945 widerrufen und festgestellt worden, dass er daher mit diesem Tage aus dem Dienste der Stadt B***** ausscheide. In der Folge bewarb sich der Kläger bis 1948 wiederholt mündlich, ein Mal auch schriftlich, bei der Beklagten um seine Wiederverwendung. Diese Versuche hatten niemals einen Erfolg. Bis zum Abzug der russischen Besatzungstruppen war das Wohltätigkeitshaus B***** von diesen besetzt. Vom Jahre 1948 bis November 1956 ist der Kläger völlig untätig geblieben. Erst mit Schreiben seines Vertreters vom 29. November 1956 erinnert er die Beklagte (wieder) daran, dass der Widerruf seiner Anstellung auf Grund des § 20 VG 1945 ohne gesetzliche Deckung gewesen sei und er sich als ungekündigt betrachte, auch bereit sei, seinen Dienst in B***** wieder anzutreten. Die Antwort des Bürgermeisters der Beklagten war, dass diese nicht in der Lage sei, die Ansprüche des Klägers anzuerkennen. Mit Antrag vom 26. 9. 1957 begehrte der Kläger seine Behandlung nach den §§ 9 und 45 der NS-Amnestie 1957, BGBl Nr 82/1957, worauf er die Zuschrift der Beklagten vom 26. 7. 1958 erhielt, in der darauf verwiesen wird, dass die seinerzeit geschehene Entlassung gemäß § 44 NS-Amnestie 1957 von Gesetzes wegen rückwirkend aufgehoben sei, die nach den bisherigen NS-Gesetzen bestandenen Hindernisse für eine dienstrechtliche Behandlung beseitigt seien, dadurch jedoch ein Rechtsanspruch auf Übernahme in einen Dienstposten nicht begründet und die Gemeinde nicht in der Lage sei, den Kläger in den Dienststand aufzunehmen. Erst mit Antrag vom 8. 9. 1958 nimmt der Kläger auf diese Zuschrift der Beklagten Bezug und teilt ihr mit, dass er für die Übernahme auf einen Posten wegen Überschreitung der Altersgrenze ohnehin nicht in Betracht komme, ihm jedoch eine Lösung des Dienstverhältnisses erwünscht sei. Er reflektiere in diesem Falle auf Gewährung einer Kündigungsentschädigung und eines Ruhegenusses. Mit Schreiben vom 9. 10. 1958 teilte der Beklagte dem Einschreiter mit, dass sie die im Schreiben des Klägers vom 8. 9. 1958 dargelegte Ansicht über die Anwendung der NS-Amnestie 1957 nicht zu teilen vermöge und der Auffassung sei, das Dienstverhältnis sei durch stillschweigendes Einverständnis gelöst worden und vermeintliche Ansprüche seien längst verjährt.

Da der Kläger nach den getroffenen Feststellungen nie zum Personenkreis des § 17 VG 1945 gehörte, auch nicht erst in der Zeit zwischen 13. 3. 1938 und 27. 4. 1945 angestellt wurde, war schon die im Schreiben vom 4. 7. 1945 enthaltene Erklärung über den Widerruf irrig und gesetzwidrig. Der Kläger war auch nie Illegaler, sodass das Schreiben vom 4. 7. 1945 auch keine Entlassung nach § 14 VG 1945 bewirken konnte. Eine Verpflichtung zum Widerruf dieser gar nicht dem Gesetz entsprechenden Entlassung im Sinne des II. Hauptstückes und Abschnittes II Z 6 NSG 1947 bestand nicht (E des OGH vom 22. 9. 1953, 4 Ob 163/53 = Arb 5821). Da jedoch die Beklagte trotz des Hinweises des Klägers, dass bei ihm die Voraussetzungen einer Entlassung nach dem VerbotsG 1945 nicht vorliegen, eine Wiedereinstellung des Klägers in ihre Dienste ablehnte und die Ausscheidung des Klägers aus den Diensten aufrechterhielt, der Kläger einen Arbeitseinsatz auch gar nicht erzwingen konnte und sich nicht weniger als acht Jahre völlig passiv verhielt, es in der schriftlichen Erklärung des Klägers vom 29. 1. 1946 an den Bürgermeister der Beklagten wörtlich heißt, "er wäre im negativen Falle (gemeint bei Nichtwiedereinstellung) genötigt, sich anderweitig umzusehen", können diese Umstände nur so gedeutet werden, dass selbst dann, wenn das Entlassungsschreiben vom 4. 7. 1945 zunächst als wirkungslos angesehen wird, das Dienstverhältnis jedenfalls in der Folge durch schlüssiges Verhalten beider Teile zum Erlöschen kam. Die Ablehnung jeder Wiederverwendung des Klägers, Verweigerung jedweder Zahlung von Bezügen an den Kläger durch die Beklagte einerseits und die reaktionslose Hinnahme dieser ablehnenden Haltung der Beklagten durch den Kläger andererseits während eines überaus langen Zeitraumes, obwohl er nicht gehindert war, seine Ansprüche auf Entgelt gerichtlich zu verfolgen, rechtfertigen durchaus die Annahme stillschweigender Auflösung des Dienstverhältnisses (§ 863 ABGB). Im Zusammenhang damit ist auch der Einwand der Beklagten beachtlich, dass der Abschluss des Staatsvertrages und damit auch der Abzug der Besatzungstruppen von niemanden erwartet wurde, vielmehr mit einer endlos langen Dauer der Besatzung gerechnet wurde, die Ereignisse des Jahres 1955 somit durchaus überraschend kamen. Wenn schon dem Kläger zugebilligt wird, dass er im Gebäude der Stiftung während der Besatzung durch die Russen nicht tätig sein konnte, so bestand für ihn, zumal nach dem Inkrafttreten des NSG 1947 nicht das geringste Hindernis, Lohn- oder sonstige Ansprüche wie Kündigungsentschädigung oder Abfertigung gegen die Beklagte geltend zu machen. Für die Nichtverfolgung derartiger Ansprüche lässt sich auf keinen Fall die russische Besetzung des Gebäudes der Stiftung als Rechtfertigung heranziehen, denn für eine solche Annahme fehlt es sowohl an jedem Vorbringen des Klägers als auch an Feststellungen. Das Angstmoment spielt hier, wie unbestritten feststeht, überhaupt keine Rolle. War aber das Dienstverhältnis längst erloschen, als der Kläger seinen Antrag vom 26. 9. 1957 an die Beklagte stellte, dann kommt auch der Zuschrift der Beklagten vom 26. 7. 1958 an den Kläger rechtlich keine Bedeutung zu. Denkfolgerichtig konnte § 44 des Amnestiegesetzes 1957 nur eine Entlassung, die seinerzeit dem § 14 VG 1945 entsprach, aufheben. Wenn der erste Satz des Schreibens der Beklagten vom 26. 7. 1958 besagt "Gemäß § 44 der NS-Amnestie 1957 ..... ist die seinerzeit erfolgte Entlassung des Herrn Dr. Egon M***** von Gesetzes wegen rückwirkend aufgehoben", so ist der Einwand der Beklagten richtig, dass sie sich mit diesem Hinweis auf das Gesetz geirrt hat. Ein Dienstverhältnis, das, wie gezeigt, nicht aus Gründen des Verbotsgesetzes beendigt war, konnte auch nicht auf Grund des § 44 AmnestieG 1957 wieder aufleben. Es ergibt sich demnach, dass dem Kläger infolge längst eingetretener Verjährung auch kein Abfertigungsanspruch zusteht, selbst wenn das Angestelltengesetz auf ihn anwendbar wäre. Der Revision war daher Erfolg zuzuerkennen und das Begehren in Abänderung des angefochtenen Urteils zur Gänze abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO bzw auf den §§ 41, 50 ZPO.

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