3Ob310/60 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Ersten Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Heller als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Liedermann, Dr. Machek, Dr. Berger und Dr. Überreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emma N*****, vertreten durch Dr. Reinhold Möbius, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei S***** Aktiengesellschaft für Maschinen-, Kessel- und Waggonbau, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Dostal, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und Zahlung (Gesamtstreitwert S 158.550), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 13. Juni 1960, GZ 6 R 224/60-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1. April 1960, GZ 20 Cg 385/59-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung aufgetragen, wobei auf die Kosten des Rekurses der beklagten Partei als weitere Berufungskosten Bedacht zu nehmen sein wird.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist unstreitig Universalerbin ihres am 5. 6. 1957 in Bad Wiessee verstorbenen Gatten Friedrich N*****. Sie behauptet, ihr Gatte sei auf Grund des Dienstvertrages vom 23. und 26. 6. 1939 und des Schreibens vom 19. 6. 1944, Beilagen F und G, unkündbar bis 15. 6. 1949 bei der W*****-AG (kurz L*****) als alleiniges Vorstandsmitglied und Generaldirektor angestellt gewesen. Gemäß Schreiben des Vorsitzers des Aufsichtsrates dieser AG Oskar R. H***** vom 9. 9. 1943, Beilage J, sei ihrem Gatten eine Pension von RM 1.500 und ihr eine Pension vom RM 1.000 monatlich zuerkannt worden. Die L***** sei nach Beendigung der USIA-Verwaltung und Rückgabe an die Republik Österreich auf Grund des Verschmelzungsvertrages vom 17. 1. 1958 und mit Beschluss der Hauptversammlung vom 14. 2. 1958 durch Aufnahme mit der Beklagten verschmolzen worden und damit erloschen. Die beklagte Partei sei daher Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Dienstgeberin ihres verstorbenen Gatten. Friedrich N***** habe sich im März 1945 wegen seiner reichsdeutschen Herkunft und führenden Stellung in der Rüstungsindustrie nach Tirol absetzen müssen, von wo er nach anfänglichen Versuchen, die L***** in Westösterreich wieder aufzubauen, nach Deutschland zwangsrepatriiert worden sei. Erst mit Schreiben vom 26. 2. 1946 sei er vom öffentlichen Verwalter L***** der L***** von seiner Löschung als Vorstandsmitglied im Handelsregister und von seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen in Kenntnis gesetzt worden. Er habe sich aber mit dieser rechtswidrigen Entlassung niemals abgefunden. Infolge der USIA-Verwaltung der L***** bis 13. 8. 1956 und wegen der Geltung der dienstrechtlichen Ansprüche von reichsdeutschen Staatsangehörigen als deutsches Eigentum in Österreich habe Friedrich N***** die Regelung seiner Ansprüche durch einen zwischenstaatlichen Vertrag zwischen Österreich und der Deutschen Bundesrepublik abgewartet, um dann seine Ansprüche gelten zu machen. Er habe daher bis zu seinem Tode am 5. 6. 1957 nichts zur Wahrung seiner Ansprüche unternommen. Die Bestimmung und die Anmeldungsfrist des § 19 des Ersten Staatsvertragesdurchführungsgesetzes seien weder ihm noch der Klägerin bekannt geworden.
Auf Grund des Österreichischen-Deutschen Vermögensvertrages, BGBl Nr 119/58, habe die Klägerin ihre Ansprüche als Universalerbin nach Friedrich N***** und auf Grund ihres eigenen Pensionsanspruches angemeldet und die Amtsbestätigung vom 20. 4. 1959, Zl 269.923/l-Üb/59, von dem Bundesministerium für Finanzen ausgestellt erhalten, womit ihr die Ansprüche aus dem Dienst- und Pensionsvertrag bis zum Betrag von S 250.458 bedingt rückübertragen worden seien. Weil ihr nur bedingt rückübertragen wurde und weil die S 260.000-Grenze des Art 9 des Vermögensvertrages ihr nicht nur als Universalerbin, sondern auch Kraft des eigenen Pensionsanspruches, also doppelt zukomme, habe sie den Schlichtungsausschuss nach dem Vermögensvertrag angerufen. Während sich der Schlichtungsausschuss gegenüber der Beklagten für unzuständig erklärt habe, sei das Schlichtungsverfahren gegenüber der Republik Österreich ergebnislos geblieben. Bis zu einem Betrag von S 250.458 könne sie gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der L***** Ansprüche geltend machen, soferne es sich bei den seit Ablauf der Anmeldungsfrist gemäß § 19 des 1. StVDG, also seit 31. 12. 1956, entstandenen Ansprüchen auf Pension überhaupt um deutsches Vermögen handle. Nach der Rechtsprechung des OGH entstehe das Recht auf die einzelnen Pensionsraten erst am jeweiligen Anfallstag.
Die Klägerin macht geltend a) in ihrer Eigenschaft als Universalerbin des Friedrich N***** dessen Ansprüche auf Pension von monatlich RM/S
1.500 für die Zeit vom 1. 1. 1957 bis 5. 6. 1957, daher für 5 Monate und 5 Tage RM/S 7.750, b) auf Grund ihres Anspruches auf Witwenpension seit 6. 6. 1957 bis 31. 12. 1959, d.s. für 30 Monate und 24 Tage, RM/S 30.800, zusammen RM/S 38.660 sA. Trotz der mangelnden, weil vor 1945 verbotenen Wertsicherungsklausel sei die angemessene Valorisierung der Pensionsansprüche von RM 1.500 bzw RM 1.000, wie solche Pensionsansprüche in der Maschinenindustrie für vergleichbare Angestellte seit 1945 erhöht worden seien, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bei Auslegung von Verträgen berechtigt.
Da die beklagte Partei jede vergleichsweise Erledigung ihrer Ansprüche unter Hinweis auf die Präklusion nach § 19 des 1. StVDG wegen Nichtanmeldung der Pensionsansprüche ablehne und überdies behaupte, dass der Pensionsvertrag vom 9. 9. 1943 mangels gehöriger Zeichnung nicht rechtswirksam sei, sei sie zur Klageführung genötigt, sie beantragt das Urteil 1) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, den Pensionsvertrag gegenüber der Klägerin zu erfüllen, und 2) die Beklagte zu verurteilen, die obgenannten Beträge (vervielfältigt mit einem vom Gericht zu bestimmenden Aufwertungsfaktor X) zu bezahlen.
Die Beklagte wendet ein, es sei überhaupt kein Pensionsvertrag zustandegekommen, der Mann der Klägerin sei selbst ausgeschieden, habe seinen Anspruch durch Nichtausübung erwirkt, schließlich seinen angeblichen Anspruch auf Grund des Aufrufes nach § 19 a. StVDG nicht angemeldet - ebenso nicht die Klägerin - und dadurch verloren. Der Erstrichter wies die Klage ohne Aufnahme von Beweisen ab. Unbestritten sei, dass die L***** zu den im § 18 Abs 1 des 1. StVDG genannten Unternehmen gehöre und dass sie gemäß § 19 dieses Gesetzes am 8. 9. 1956 einen Gläubigeraufruf erlassen habe. Da weder Friedrich N***** noch die Klägerin, wie unbestritten sei, ihre Ansprüche bis 31. 12. 1956 angemeldet haben, seien ihre Ansprüche aus dem Pensionsvertrag vom 9. 9. 1943 - gleichgültig ob dieser nun rechtswirksam zustandegekommen sei oder nicht - erloschen. Davon abgesehen müsse auch eine Verwirkung der Ansprüche des Friedrich N***** und damit auch des von seinen Ansprüchen abgeleiteten Anspruches der Klägerin auf Witwenpenison angenommen werden. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit Rechtskraftvorbehalt auf und wies die Sache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Nur solche Ansprüche auf monatliche Pensionsbezüge seien als deutsches Eigentum anzusehen gewesen, die vor dem 8. 5. 1945 fällig geworden seien. Nur diese wären auf den Österreichischen Staat übergegangen. Unter Annahme der Rechtswirksamkeit des Pensionsvertrages wären monatliche Pensionsraten für Friedrich N***** entweder mit seiner Löschung im Handelsregister oder wenn man auch die Unkündbarkeit bis 15. 6. 1949 als rechtswirksam abgeschlossen annähme, von diesem Zeitpunkt an fällig gewesen. Diese Beträge wären, auch wenn sie von Friedrich N***** bis Ende 1956 geltend gemacht worden wären, bis zu diesem Zeitpunkt von ihm anzumelden gewesen. Es sei auch des Bezugsrecht, das schon mit dem Abschluss des Pensionsvertrages, also vor dem 8. 5. 1945 entstanden sei, nicht als deutschen Eigentum verfallen gewesen. Dieses Bezugsrecht stelle eine bloße Anwartschaft dar und hätte vor dem Eintritt der Pensionierung keinen Vermögenswert gehabt. Als Recht ohne Vermögenswert sei es auch nicht zum Gläubigeraufruf anzumelden gewesen. Der Anfall von Pensionsansprüchen sei für die Klägerin erst längst nach Ablauf der Aufgebotsfrist eingetreten. Man könne daraus, dass Friedrich N***** seine monatlichen Pensionsbezüge nicht beansprucht habe, nicht ableiten, dass dadurch der Pensionsanspruch der Klägerin verwirkt sei. Friedrich N***** habe nach den Umständen der Ansicht sein können, dass seine Ansprüche unter den Begriff des deutschen Eigentums in Österreich fallen und dass er daher erst den Abschluss eines entsprechenden Vermögensvertrages abwarten müsse. Das Verfahren erster Instanz sei daher mangelhaft geblieben. Abgesehen von der Frage des rechtswirksamen Zustandekommens des Dienst- und Pensionsvertrages habe das Erstgericht von seinem Standpunkt von Beweisaufnahmen auch in der Richtung absehen können, ob Friedrich N***** selbst aus der L***** ausgeschieden sei und sich seine Abfertigung selbst ausgezahlt habe, wie dies der Beklagte behaupte, schließlich welchen Auftrag er seinem Anwalt Dr. M***** hinsichtlich seiner Ansprüche gegeben habe. Eine Aufwertung der Pensionsansprüche sei allerdings unzulässig, wenn nicht die klagende Partei eine vertragliche Aufwertungsklausel nachweisen könne.
Diesen Aufhebungsbeschluss ficht die beklagte Partei mit Rekurs und stellt den Antrag, unter Aufhebung des Beschlusses dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von seiner Rechtsansicht im angefochtenen Beschluss aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Im Rekurs verweist die beklagte Partei neuerlich auf das schon in der Klagebeantwortung zitierte, von der Klägerin in Fotokopie vorgelegte und von ihr als rechtliche Grundlage des in Anspruch genommenen Ruhegenusses bezeichnete Schreiben des Vorsitzers des Aufsichtsrates Oskar R. H***** vom 9. 9. 1943, Beilage J, wonach eine Pension "im Fälligkeitsfalle" in der Höhe von RM 1.500 an Friedrich N***** und von RM 1.000 an seine Witwe zugesagt wird. Dazu wird im Rekurs rechtlich ausgeführt, "im Fälligkeitsfalle" könne nichts anderes bedeuten als nach ordnungsgemäßer Beendigung der aktiven Tätigkeit des Friedrich N***** im Unternehmen, nicht aber bei einem früheren Ausscheiden aus dem Unternehmen, wie es laut Schreiben des öffentlichen Verwalters der L***** vom 26. 7. 1946 erfolgt sei. Für den Fall eines Ausscheidens durch Flucht sei im Schreiben vom 9. 9. 1943 keine Leistung zugesagt worden.
Durch diese Ausführungen wird die Schlüssigkeit der Klage in einem entscheidenden Punkte verneint. Sie waren daher zunächst zu prüfen. Der Ruhegenuss eines Dienstnehmers ist ein Teil seines Entgeltanspruches und wird, abgesehen von Fällen besonderer Vereinbarung, nach der allgemeinen Verkehrsübung erst nach ordnungsgemäßer Beendigung der vereinbarten Dienstzeit gewährt. Im vorliegenden Fall ist die Dienstzeit des Friedrich N*****, die nach dem Klagsvorbringen vereinbarungsgemäß bis 15. Juni 1949 hätte dauern sollen, ebenfalls nach dem Klagsvorbringen vorzeitig durch Umstände beendet worden, die auf Seite des Dienstnehmers lagen. Die Klägerin hat ausdrücklich angeführt, dass die zwangsweise Repatriierung ihres Mannes Friedrich N***** wegen seiner deutschen Staatsangehörigkeit erfolgt ist, wie er sich auch deshalb und wegen seiner führenden Stellung in der Rüstungsindustrie im März 1945 von Wien habe absetzen müssen.
Gemäß dem nach § 42 des 1. AngG subsidiär auch für das Angestelltenverhältnis geltenden § 1155 ABGB (Klang2 V 191) gebührt in Fällen der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses dem Dienstnehmer nur dann das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Dienstgebers liegen, daran verhindert wurde. Daraus ergibt sich der klare Umkehrschluss, dass in den Fällen, in welchen ein Dienstnehmer durch Umstände, die nicht auf Seite des Dienstgebers sondern auf seiner Seite liegen, an der Leistung verhindert wird, ihm grundsätzlich für die betreffende Zeit kein Entgelt gebührt, es sei denn, dass Ausnahmsbestimmungen wie § 1154b ABGB, § 8 AngG für bestimmte Gründe und bestimmte Zeiten Platz greifen (4 Ob 91/53 in ArbSlg 5.757). Für Fälle der vorliegenden Art sind keine Ausnahmsbestimmungen im Gesetz vorgesehen. Daraus folgt, dass zunächst Friedrich N***** durch sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Dienst der L***** aus auf seiner Seite gelegenen Gründen, ohne Rücksicht auf die Frage des Verschuldens, nicht nur den Entgeltsanspruch aus dem Dienstvertrag, sondern auch aus dem nach Behauptung der Klägerin rechtswirksam abgeschlossenen Ruhegenussvertrag auf alle Fälle verloren hat. Dasselbe muss aber auch für den Ruhegenussanspruch der Klägerin selbst gelten, der nichts anderes als einen erweiterten Ruhegenuss des Friedrich N***** Kraft seiner Unterhaltspflicht für seine Gattin und zwar unter den gleichen, für ihn geltenden Bestimmungen bedeutet. In ähnlicher Weise hat auch der Deutsche Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass der aus politischen Gründen entlassene Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Frage eines Verschuldens dann, wenn die vertraglichen Voraussetzungen der Ruhegenussgewährung nicht erfüllt sind, in aller Regel keinen Ruhegehalt beanspruchen kann (Palandt,
19. Aufl. 1960, § 626 BGB A.3c, BGH, "Betriebsberater" 57/258, BGHZ 8, S 363, 12 S 339). Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass es sich bei der vorzeitigen Entlassung ihres Gatten um eine Lage handelte, die die Parteien nicht unbedingt voraussehen konnten. Für eine Vertragsergänzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 914 ABGB (Gschnitzer in Klang2, IV, 408), auf welche Grundsätze im Sinne des § 157 BGB auch in den vorgenannten Bundesgerichtshofentscheidungen Bezug genommen wurde, fehlt es aber an schlüssigen, die maßgebenden Gesamtverhältnisse beider Parteien berücksichtigenden Behauptungen. Mangels Schlüssigkeit der Klage war weder auf die weiteren Ausführungen im Rekurs noch auf die weitere Begründung des angefochtenen Beschlusses einzugehen. Die Sache ist vielmehr im Sinne der Abweisung der Klage spruchreif. Es war daher dem Rekurs Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.