2Ob202/60 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Rat des Obersten Gerichtshofes Dr.Sabaditsch als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Bauer als Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Parteien Franz M***** und Maria M*****, vertreten durch Dr. Ewald Rönfeld, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte und widerklagende Partei Fritz K*****, vertreten durch Dr. Harald W. Jesser und DDr. Manfred Erschen, Rechtsanwälte in Leoben, wegen a) S 13.000 sA und b) Abgabe einer Löschungserklärung infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 10. März 1960, GZ R 2028/60, R 2007/60-20, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei die Urteile des Bezirksgerichtes Judenburg vom 14. Dezember 1959, GZ C 2005/59-8, und vom 26. November 1959, GZ C 273/59-11, in der Hauptsache bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 1.653,26 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 17. 12. 1952 haben die Parteien einen Vertrag geschlossen, mit dem die Eheleute M***** dem Franz K***** die Liegenschaft EZ 486 der KG J***** verkauft haben. In Punkt I des schriftlichen Vertrages wurde gesagt, dass der Beklagte die Liegenschaft um den vereinbarten Kaufpreis von 70.000 S kaufe. Im Punkt II wurde festgehalten, dass dieser Kaufpreis als Leibrentenkapital gewidmet werde. Im Punkt III wurde neben einem lebenslänglichen Wohnungsrecht die Zahlung einer Rente auf Lebensdauer der Kläger vereinbart, die ab 1. 1. 1955 monatlich 1.300 S und für den Fall des Ablebens eines der beiden Eheleute monatlich 1.000 S betragen sollte. Auf Grund dieses Vertrages wurde im Grundbuch das Eigentumsrecht für den Beklagten und das Pfandrecht für das "Leibrentenkapital von 70.000 S bzw die jeweiligen Leibrenten von monatlich 1.300 S" sowie für eine Nebengebührenkaution von 20.000 S zugunsten der Kläger einverleibt. Die Kläger begehren nunmehr vom Beklagten die Bezahlung der monatlichen Rente von 1.300 S, während der Beklagte mit Widerklage die Einwilligung der Kläger zur Löschung des Pfandrechtes begehrt. Er vertritt die Auffassung, dass er, weil er bereits Rentenleistungen von zusammen 70.000 S erbracht habe, zu weiteren Leistungen nicht mehr verpflichtet sei. Die Kläger behaupten dagegen, dass die Rente auf Lebenszeit zu leisten sei.
Der Erstrichter gab dem Begehren der Kläger statt und wies das Begehren des Beklagten ab. Er stellte fest: Die vereinbarte Rente sei nach der Absicht der Parteien auf Lebenszeit der Kläger zu bezahlen. Die Vertragsbestimmung über einen Kaufpreis von 70.000 S sei nur darauf zurückzuführen, dass Gebühren erspart werden sollten, da ansonsten die mit S 165.000 kapitalisierte Leibrente der Gebührenbestimmung zugrunde gelegt worden wäre. Die Liegenschaft habe einen Wert von S 163.235 gehabt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Es wiederholte das Beweisverfahren mit Ausnahme der Parteienvernehmung und der Vernehmung des Sachverständigen und ergänzte es durch Vernehmung eines weiteren Zeugen und durch Einsichtnahme in den beigeschafften Akt der Finanzbehörde. Es kam gleichfalls zum Ergebnis, dass die Absicht der Parteien auf Zahlung einer Leibrente auf Lebensdauer der Kläger gerichtet gewesen sei und dass die Bestimmung über den Kaufpreis von 70.000 S lediglich aus abgabenrechtlichen Gründen in den Vertrag aufgenommen worden sei. Die Feststellung des Erstgerichtes über den Verkehrswert der Liegenschaft übernahm es auf Grund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen insoweit, als es für unbedenklich erachtete, dass ein Betrag von 70.000 S keine entsprechende Gegenleistung für die Liegenschaft gewesen wäre. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dass sich aus der Vertragsurkunde, die im Hinblick auf deren Beglaubigung gemäß § 294 ZPO vollen Beweis mache, eindeutig die Richtigkeit des Standpunktes der Kläger ergebe, sodass ein anderer Parteiwille selbst dann nicht hätte festgestellt werden können, wenn die übrigen Beweisergebnisse den Standpunkt des Beklagten gestützt hätten, was aber - abgesehen von der vom Erstrichter als unglaubwürdig bezeichneten Parteiaussage des Beklagten - ohnehin nicht der Fall sei. Der Vernehmung der vom Beklagten beantragten Zeugen Dr. K***** und Dr. Sch***** darüber, welcher Standpunkt den Finanzbehörden gegenüber eingenommen worden sei, bedürfe es nicht, zumal der Akt der Finanzbehörde ohnehin vorliege.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf § 503 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision des Beklagten mit dem Antrag, es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht begründet.
Dem Beklagten ist wohl darin beizupflichten, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Vertragsurkunde mache im Hinblick auf die gerichtliche Beglaubigung der Unterschrift vollen Beweis, sodass selbst dann, wenn die sonstigen Beweisergebnisse den Standpunkt des Beklagten unterstützt hätten, eine andere als die aus der Urkunde hervorgehende Parteienabsicht nicht hätte festgestellt werden können, unzutreffend ist. Die vom Berufungsgericht herangezogene Bestimmung des § 294 ZPO besagt nur, dass Privaturkunden, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mit ihrem gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichen versehen sind, vollen Beweis dafür begründen, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern herrühren. Dadurch wird der Gegenbeweis gegen die Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen nicht ausgeschlossen. Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin gefolgt, dass insoweit, als die Vertragsurkunde zur Erforschung der Absicht der Parteien herangezogen wurde, nur eine als rechtliche Beurteilung zu wertende Auslegung der Urkunde vorliege. Der Grundsatz, dass Urkundenauslegung rechtliche Beurteilung sei, gilt nämlich dann nicht, wenn zur Auslegung des Urkundeninhaltes auch sonstige Beweise über die Absicht der Parteien herangezogen werden (E v 25. 3. 1959, EvBl 1959 Nr 184, ua). Im vorliegenden Falle wurden aber darüber, was die Parteien beabsichtigt haben, mehrere Zeugen, darunter auch der Vertragsverfasser Dr. P*****, gehört. Das Berufungsgericht hat sich übrigens selber veranlasst gesehen, das Beweisverfahren durch Vernehmung der Zeugen zu wiederholen und durch Einholung weiterer Beweise zu ergänzen. Die Erforschung der Absicht der Parteien ist daher im vorliegenden Falle nicht eine Frage der rechtlichen Beurteilung, sondern der Beweiswürdigung.
Damit ist aber für den Beklagten nichts gewonnen, weil das Berufungsgericht nicht etwa die sonstigen Beweisergebnisse vernachlässigt, sondern auf Grund der Beweiswiederholung die erforderlichen Feststellungen über die Absicht der Parteien getroffen hat. Die unrichtige Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dass selbst dann, wenn die übrigen Beweise den Standpunkt des Beklagten gestützt hätten, als Absicht der Parteien nichts anderes hätte festgestellt werden können, als was nach seiner Ansicht schon aus der Vertragsurkunde unmissverständlich hervorgehe, hat daher auf die Entscheidung keinen nachteiligen Einfluss ausgeübt. Mangelhaft soll das Berufungsverfahren deshalb sein, weil nicht auch die beiden Beamten der Finanzbehörde Dr. K***** und Dr. Sch***** über die Absicht der Parteien und die Ansicht des Vertragsverfassers Dr. P***** bei der Vergebührung des Vertrages als Zeugen vernommen wurden. Die Frage, ob einem Zeugen ohne weiteres Glauben geschenkt werden kann oder ob erst Kontrollbeweise durchgeführt werden sollen, gehört aber nach der ständigen Rechtsprechung in das Gebiet der Beweiswürdigung, die im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar ist (E v 2. 6. 1953, EvBl 1953 Nr 355).
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.