JudikaturOGH

2Ob108/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 1960

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Udo M*****, vertreten durch Dr. Leopold Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) Maria K***** 2) Karl K*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Kurt Weiser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 124.295,15 s. A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 18. Dezember 1959, GZ R 360/59-21, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Juni 1959, GZ 1 Cg 63/58-15, in der Hauptsache bestätigt, im Kostenspruch abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 2.327,77 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstbeklagte verursachte am 26. 4. 1958 in Innsbruck als Lenkerin eines Personenkraftwagens, dessen Halter der Zweitbeklagte ist, einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde. Ihr alleiniges, auch durch strafgerichtliches Urteil rechtskräftig festgestelltes Verschulden an dem Unfall ist unbestritten. Der Kläger begehrte - unter Berücksichtigung einer im Zuge des Verfahrens vorgenommenen Klagsänderung - die Feststellung der Pflicht der beiden Beklagten zum Ersatze allen aus dem Unfall entstandenen und in Zukunft noch entstehenden Schadens, ferner die Bezahlung von 100.000 S Schmerzengeld, 3.900 S für Sachschäden, 16.500 S für Verdienstentgang und 3.895,15 S für Heilungskosten. Das Erstgericht erkannte gemäß dem Feststellungsbegehren, verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 91.235,15 S (darunter 70.000 S für Schmerzengeld) und wies das Leistungsmehrbegehren hinsichtlich eines Betrages von 500 S - mit Rücksicht auf den Zuspruch eines Betrages in dieser Höhe gemäß § 369 StPO im Strafverfahren - zurück, im Übrigen ab.

Die gegen dieses Urteil nur von den Beklagten erhobene Berufung blieb in der Hauptsache erfolglos, nur im Kostenpunkt wurde ihr Folge gegeben.

Beide Beklagte fechten das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision seinem ganzen Inhalte nach mit der Einschränkung an, dass die Erstbeklagte ein Schmerzengeld von 35.000 S als gerechtfertigt anerkennt. Als Revisionsgründe machen die Beklagten unrichtige rechtliche Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend. Sie beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Feststellungsbegehren hinsichtlich der Haftung des Zweitbeklagten für zukünftige Schäden gemäß § 12 KfzVerkG beschränkt und das Begehren auf Zahlung von Schmerzengeld gegenüber dem Zweitbeklagten zur Gänze, im Übrigen bezüglich des 35.000 S übersteigenden Anspruches abgewiesen wird. Hilfsweise beantragen sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

Was zunächst die Höhe des Schmerzengeldes anlangt, so haben die Untergerichte folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Kläger erlitt außer einer kleinen, ohne Eiterung abgeheilten Rissquetschwunde an der Stirn einen offenen Stückbruch des linken Unterschenkels mit handflächengroßer Fleischlappenwunde. Dieser Bruch wurde eingerichtet und mit zwei Drahtschlingen in idealer Stellung befestigt. Die Lappenwunde wurde ausgeschnitten und genäht. Zur Entspannung der Naht wurde entlang des Wadenbeines ein langer Aufschnitt gemacht und eine Hauttransplantation durchgeführt. Um den Hüftkopf einzurenken, wurde oberhalb des Knies ein Nagelzug angelegt. Das ganze Bein wurde in Gips gelegt. Der Unterschenkelbruch ist in idealer Stellung knöchern verheilt. Es besteht noch eine mäßige Schwellung und am linken Bein ein mäßiger Muskelschwund. Es ist möglich, dass die Drahtschlingen in Zukunft durch operativen, mit einer mehrtägigen stationären Behandlung verbundenen Eingriff entfernt werden müssen. Der Kläger erlitt auch eine luxatio centralis des linken Hüftgelenkes. Der Beckenknochen war im Bereich der linken Hüftpfanne in Handtellergröße zersplittert. Die Hüftpfanne war quer gebrochen, vom hinteren unteren Quadranten ein Teil abgebrochen. Der Hüftkopf war aus der Pfanne gerenkt und mit dem Pfannenrandfragment verschoben. Zwei Operationen - davon eine in Narkose - zur Einrenkung der Hüfte misslangen. Daher wurde vierzehn Tage nach dem Unfall das Hüftgelenk nach Freilegung "blutig" eingerichtet und eine Nagelung mit Extension angebracht. Es war dies ein großer, dem Kläger sehr schwächender Eingriff. Eine folgende Wundinfektion wurde binnen drei Tagen beherrscht. In der Folge war die Beweglichkeit des Knie- und Sprunggelenkes nur wenig eingeschränkt. Es ist zu erwarten, dass diese Gelenke wieder voll beweglich werden. Das linke Hüftgelenk ist nur in sagittaler Richtung beweglich, das Bein kann fast ganz gestreckt und nur mäßig vermindert gebeugt werden. Alle übrigen Bewegungen des linken Beines sind erheblich eingeschränkt und schmerzhaft. Es kann nicht gesagt werden, ob das Hüftgelenk beweglich bleiben oder in günstiger oder ungünstiger Stellung versteifen wird. Weil es noch nicht versteift ist, hat der Kläger Bewegungs- und Belastungsschmerzen, ist aber beweglicher als im Falle einer Versteifung. Im letzteren Fall ist die Fähigkeit, länger zu sitzen, noch mehr eingeschränkt als derzeit. Die Fähigkeit, anhaltend zu gehen oder zu stehen, wird der Kläger nie mehr erreichen, er wird auch nie mehr länger ununterbrochen sitzen können. Die Ausbildung einer mäßigen Arthrose im linken Hüftgelenk ist möglich. Der Kläger wird sein ganzes Leben hindurch Föhnwetterschmerzen und an Föhntagen einige Stunden lang beachtliche, einen Arbeitseinsatz ausschließende Schmerzen haben. Mit Rücksicht auf die häufige Föhnwetterlage in Innsbruck werden mittlere Schmerzen zusammengefasst etwa vier Wochen jährlich bestehen. Der Kläger hatte im zeitlichen Anschluss an den Unfall durch achtzehn Tage starke, dann durch siebzehn Tage mittlere und durch hundertfünfundsechzig Tage geringere und seit 21. 11. 1958 geringere tägliche Schmerzen und Beschwerden. Er war durch hunderachtundzwanzig Tage arbeitsunfähig, dann durch vierzehn Tage kaum arbeitsfähig und anschließend noch durch fünfzehn Tage invalide. Er ist derzeit in seiner Arbeitsfähigkeit wesentlich eingeschränkt, kann seine Berufstätigkeit nur unter größter Willensanstrengung und unter Schmerzen ausüben und muss täglich längere Ruhepausen einschalten.

Gegen den von den Vorinstanzen für angemessen befundenen Schmerzengeldbetrag von 70.000 S macht die Revision nun geltend, dass der Kläger nach dem Sachverständigengutachten willensstark und nicht empfindlich sei, und die Schmerzen und Unlustgefühle daher weniger stark empfinde als ein Durchschnittsmensch. Auch sei es nicht gerechtfertigt, unter Berücksichtigung der Föhnanfälligkeit jährlich vier Wochen mittelstarke Schmerzen anzunehmen. Der Kläger habe das Bestehen einer besonderen Föhnempfindlichkeit gar nicht behauptet. Föhnanfälligkeit könne durch eigene Willenskraft, insbesondere von zielstrebigen Menschen, weitgehend überwunden werden. Der Sachverständige habe auch eine allmähliche Besserung der Föhn- und Wetterschmerzen angenommen. Es gehe daher nicht an, für dreißig Jahre Lebenserwartung - wie vom Berufungsgericht geschehen - jährlich vier Wochen gleichbleibende mittelstarke Schmerzen anzunehmen. Das Berufungsgericht hätte den Sachverständigen neuerlich befragen müssen. Die Annahme fortgesetzter mittelstarker Schmerzen von gleichbleibender Stärke durch dreißig Jahre jährlich vier Wochen lang widerspreche angesichts der vom Sachverständigen bekundeten echten Besserung im Laufe der Zeit den Denkgesetzen.

Diesem Vorbringen kann nur insofern beigepflichtet werden, dass ein Mensch, dessen besondere Intoleranz gegen Schmerzen auf Grund seiner persönlichen Konstitution feststeht, unter Umständen ein höheres Schmerzengeld wird beanspruchen können als ein anderer, der diese Schmerzen weniger heftig empfindet. Denn bei Bemessung des Schmerzengeldes ist immer auf alle in der Person des Geschädigten liegenden Umstände Bedacht zu nehmen. Für die Revision ist damit jedoch nichts entscheidendes gewonnen. Denn im vorliegenden Fall rechtfertigen es alle übrigen in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkte, das Schmerzengeld wie geschehen zu bemessen: Es muss hier vor allem auf die Schwere und Mehrzahl der Verletzungen, auf die Schwierigkeiten, die sich insbesondere bei der Behandlung der Hüftgelenksluxation ergaben, und auf die beträchtlichen Dauerfolgen verwiesen werden, die teils bereits bestehen, mit deren möglichem Eintritt der Kläger andererseits noch rechnen muss. Was insbesondere die Föhnanfälligkeit betrifft, so ist es zwar richtig, dass der Kläger vor Gericht eine solche nicht ausdrücklich behauptet hat. Die Vorinstanzen durften sie gleichwohl mit berücksichtigen, weil der Sachverständige auf Grund der ihm vom Kläger gemachten anamnestischen Angaben ihr Vorhandensein bestätigt hat (vgl S 116). Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass der Sachverständige, der ja auf die erhöhte Bereitschaft des Klägers, körperliche Schmerzen zu überwinden, aufmerksam gemacht hat, bei der Beurteilung der Intensität der Föhn- und Wetterbeschwerden auf diese Veranlagung des Klägers nicht Bedacht genommen habe. Entgegen der Darstellung in der Revision hat das Berufungsgericht keineswegs den Standpunkt vertreten, der Kläger werde dreißig Jahre hindurch jährlich vier Wochen gleichbleibende Beschwerden und Schmerzen wegen seiner Föhnanfälligkeit zu tragen haben. Das Berufungsgericht hat vielmehr die durchaus zutreffende Ansicht ausgesprochen, dass der Kläger in diesen Jahren eine Reihe von Unannehmlichkeiten wird erdulden müssen, wie die wesentliche Beschränkung seiner körperlichen Beweglichkeit, die Unfähigkeit länger zu gehen, zu stehen und zu sitzen. Die wenn auch abklingenden wetterbedingten Unlustgefühle bilden daher nur eine weitere, jedenfalls nicht zu übersehende Komponente für die Beurteilung des gesamten Ungemachs, mit dem der Kläger in Zukunft wird rechnen müssen. Es kommt noch dazu, dass er auch eine weitere Operation gewärtigen und mit einer Versteifung des Hüftgelenkes rechnen muss, die seine Fähigkeit länger zu sitzen noch mehr beeinträchtigen wird. Der Beruf des Klägers als Wirtschaftstreuhänder erfordert aber zweifellos vor allem eine im Sitzen auszuübende Tätigkeit. Alle diese Erwägungen ergeben sich zwanglos aus den von den Vorinstanzen getroffenen, auf den Bekundungen des ärztlichen Sachverständigen beruhenden Feststellungen und es war daher nicht erforderlich, diesen Sachverständigen neuerlich zu vernehmen.

Bedenkt man, dass der Kläger zur Zeit des Unfalles erst etwa 33 Jahre alt war und erfahrungsgemäß mit einer weiteren Lebensdauer von etwa dreißig Jahren rechnen kann, dann musste das Schmerzengeld so berechnet werden, dass es ihm für die ganze Zeit einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Lebensfreude, wozu auch die Unlustgefühle zu rechnen sind, die infolge der Minderung der Arbeitsfähigkeit auftreten, ermöglicht. Der Oberste Gerichtshof vermag bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Rechtsirrtum der Vorinstanzen bei Bemessung des Schmerzengeldes nicht zu erkennen.

Der Zweitbeklagte wendet sich in der Revision im Besonderen gegen seine von den Vorinstanzen bejahte Haftung nach Art IV EVzKfzVerkG. Das Erstgericht hat in diesem Belange festgestellt, dass der Zweitbeklagte den Wagen unter finanzieller Beihilfe seines Dienstgebers erworben hat und unterhält. Er stellte die Fahrzeugschlüssel der Erstbeklagten, die mit seinem Wissen den Wagen lenkte, zur Verfügung, und zwar auch für Fahrten zu Einkäufen für den Haushalt. Die Unglücksfahrt war eine solche Einkaufsfahrt. Das Berufungsgericht hat auf Grund dieser Feststellungen die Ansicht vertreten, dass die Erstbeklagte auf Grund der sich aus §§ 91 f ABGB ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten Bevollmächtigte des Zweitbeklagten gemäß § 1027 ABGB sei und den Zweitbeklagten als ihren Ehemann aus diesen Haushaltsgeschäften gemäß § 1014 ABGB berechtige und verpflichte. Der Zweitbeklagte hafte daher für den Schaden, den die Erstbeklagte gelegentlich einer zur Besorgung von Haushaltsgeschäften unternommenen Fahrt schuldhaft verursacht habe. Gegen dies Ansicht führt die Revision ins Treffen, es könne ein wirtschaftliches Interesse des Zweitbeklagten nicht darin erblickt werden, dass sich die Erstbeklagte bei den Einkaufsfahrten des Fahrzeuges des Zweitbeklagten bediente. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Erstbeklagte die Einkäufe zu Fuß nicht hätte besorgen können und etwa aus Zeitmangel den Wagen hätte benützen müssen. Die Erstbeklagte habe zur Unfallszeit nur für sich selbst zu sorgen gehabt, weil der Zweitbeklagte im Krankenhaus und die beiden Söhne der Beklagten abwesend gewesen seien.

Diesen Argumenten vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Für die Annahme eines - in Art IV EVzKfzVerkG gar nicht ausdrücklich normierten - Interesses im Sinne dieser Bestimmung ist es nicht erforderlich, dass der Halter von der Fahrt einen wirtschaftlichen Vorteil hat (ZVR 1957 Nr 103). Es genügt, dass nach den vorliegenden Feststellungen der Zweitbeklagte den Wagen der Erstbeklagten zur Besorgung der ihr als seiner Ehefrau in Bezug auf die Haushaltsführung zukommenden Aufgaben zur Verfügung stellte. Dass die Erstbeklagte die Einkäufe für den Haushalt auch zu Fuß hätte machen können, ist ohne Bedeutung, ebensowenig der Umstand, dass der Zweitbeklagte und die beiden Söhne der Beklagten zur Unfallszeit nicht im Haushalt verpflegt wurden. Damit erledigt sich auch die Mängelrüge, mit der sich die Revision über das Unterbleiben von Beweisaufnahmen über die behauptete Abwesenheit der Söhne der Streitteile beschwert.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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