JudikaturOGH

4Ob513/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. April 1960

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hohenecker als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster, Dr. Gitschthaler, Dr. Bachofner und Dr. Nedjela als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred Z*****, Polizeibezirksinspektor, *****, vertreten durch Dr. Michael Stern, Dr. F. G. Aufricht und Dr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Elisabeth Z*****, Schneiderin, *****, vertreten durch Dr. Engelbert Fiedler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1960, GZ 4 R 32/60-39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25. November 1959, GZ 27 Cg 353/59-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Untergerichte werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

"Die zwischen Alfred Wilhelm Z*****, geboren am 6. Juni 1911, und Elisabeth Z*****, geboren am 9. Juli 1920, vor dem Standesamt Wien-Brigittenau-Leopoldstadt am 7. 6. 1947 geschlossene Ehe wird mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteiles aufgelöst ist.

Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft beide Teile, doch überwiegt das Verschulden der Beklagten.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die Hälfte der mit 1.683,05 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, das sind 841,52 S und die Hälfte der mit 382,38 S bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz, das sind 191,19 S, binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen."

Die Beklagte ist ferner schuldig, dem Kläger die Hälfte der mit 472,05 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens, das sind 236,03 S binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten aus dem Verschulden derselben. Diese beantragt die Abweisung der Klage, weil das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei und stellt hilfsweise einen Mitschuldantrag.

Das Erstgericht hat festgestellt: In der am 7. 6. 1947 geschlossenen Ehe der Streitteile gab es bis zum Kuraufenthalt der Beklagten im Juli 1959 in Hofgastein häufig Zwistigkeiten aus nichtigen Ursachen. Der Kläger reagierte auf diese Zwistigkeiten damit, dass er tagelang und auch noch länger trotzte und sich um seine Frau nicht kümmerte. Die Ehegatten versöhnten sich aber immer wieder und der Kläger war nach einer solchen Versöhnung ein guter Ehemann, der seiner berufstätigen Frau in der Hauswirtschaft in einer Art und Weise unter die Arme griff, die über das Durchschnittsmaß weit hinausgeht. In der Ehe der Streitteile herrschte auch sonst nicht immer Einhelligkeit. Der Kläger wünschte sich eine attraktive Frau, war über das schlechte Aussehen seiner Frau und über ein mürrisches Gesicht ungehalten und warf ihr vor, sie habe eine "Visage". Die Beklagte hat sich über das Verhalten des Klägers gekränkt. Im Juli 1959 fuhr die Beklagte zu einem Erholungsaufenthalt nach Hofgastein. Dort machte sie die Bekanntschaft des Franz J*****, eines verheirateten Mannes. Diese Bekanntschaft führt dazu, dass J***** einmal im Bett der Beklagten übernachtete und dass ein anderes Mal die Beklagte und J***** ein Zimmer mieteten, um in diesem Zimmer gemeinsam übernachten zu können. Einen Ehebruch hat das Erstgericht nicht als erwiesen angenommen, doch als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Nach der Rückkehr der Beklagten nach Wien besuchte sie mit J***** das Trabrennen in Baden und eine Frau A*****. Sie traf sich mit J***** so lang, bis sie vom Kläger einmal in einem Lokal in der Inneren Stadt gestellt wurde. Die Beklagte verließ das Lokal mit J***** und nicht mit dem Kläger. Während des Aufenthaltes in Hofgastein hat die Beklagte ständig ihren Mann herabgesetzt, ihn gemein beschimpft und den Standpunkt vertreten, sie wolle sich ohnehin von ihm scheiden lassen, sie bleibe nicht bei ihm.

Nach Ansicht des Erstgerichtes hat das Verhalten des Klägers vor dem Juli 1959 nicht das Ausmaß einer schweren Eheverfehlung erreicht. Es hat aber das Verhalten der Beklagten mit J***** als solche beurteilt und daher die Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten geschieden. Über Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen und das Ersturteil bestätigt. Auch nach Ansicht des Berufungsgerichtes war das Verhalten des Klägers vor dem Juli 1959 nicht ein solches, dass es als schwere Eheverfehlung qualifiziert werden könnte. Die Beweisanträge, die die Beklagte in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt hatte, wurden als unerheblich abgewiesen, weil sie sich auf Vorfälle beziehen, die vor dem Juli 1959, also vor jenem Zeitpunkt liegen, bis zu welchem die Ehe im Wesentlichen funktioniert haben und die daher die Zerrüttung der Ehe nicht verursacht haben könnten. Gegen das Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie begehrt in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz, hilfsweise auch die Abänderung des Urteils auf Abweisung der Klage oder auf Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers. Der Kläger hat beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise begründet.

Nach § 60 Abs 3 EheG ist auch ohne Erhebung einer Wiederklage auf Antrag des Beklagten die Mitschuld des Klägers auszusprechen, wenn die Ehe wegen einer Verfehlung des Beklagten geschieden wird und dieser zur Zeit der Erhebung der Klage oder später auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können. Hatte der Beklagte bei der Klageerhebung das Recht, die Scheidung wegen Verschuldens des Klägers zu begehren, bereits verloren, so ist dem Antrag gleichwohl stattzugeben, wenn dies der Billigkeit entspricht. Letzteres trifft im vorliegenden Fall zu.

Das festgestellte Verhalten des Klägers, nach Streitigkeiten aus nichtigen Ursachen tagelang zu trotzen und sich um seine Frau nicht zu kümmern, muss, da es sich um Streitigkeiten aus nichtigen Ursachen handelte, ebenso als schwere Eheverfehlung des Klägers gewürdigt werden wie seine herabsetzenden Vorwürfe, die Beklagte sehe schlecht aus und sie habe eine "Visage". Die Beklage hat zwar infolge Zeitablaufes und infolge der stattgefundenen Versöhnung das Recht verloren, diese Verfehlungen als Ehescheidungsgrund geltend zu machen, es entspräche aber nicht der Billigkeit, diese Verfehlungen im Sinne des § 60 Abs 3 EheG nicht zu berücksichtigen, einerseits deshalb, weil sich die Beklagte, wie festgestellt, über dieses Verhalten des Klägers gekränkt hat, andererseits aber auch deshalb, weil bei der Verschuldensabwägung das Gesamtverhalten beider Eheteile während des ganzen Eheverlaufes zu beurteilen ist.

Die festgestellten Eheverfehlungen der Beklagten, nämlich ihr ehewidriges Verhältnis mit Franz J***** und die Herabsetzung des Klägers vor fremden Leuten in Hofgastein, überwiegen aber zweifellos die Eheverfehlungen des Klägers bedeutend, und zwar auch dann, wenn es richtig sein sollte, wie die Beklagte in zweiter Instanz behauptet und unter Beweis gestellt hat, dass sie der Kläger im Jahre 1957 in Gesellschaft durch herabsetzende Äußerungen schwer gekränkt und dass sich der Kläger im Jahr 1955 geäußert habe, er lasse sich scheiden, weil seine Frau krank sei. Beweiserhebungen über diese Behauptungen bedarf es daher nicht, weil sie eine Änderung der Entscheidung nicht herbeiführen könnten. Auf das neue Vorbringen des Klägers in der Revisionsbeantwortung kann nicht eingegangen werden, weil auch im Eheverfahren in dritter Instanz das Neuerungsverbot besteht. Überwiegt aber das Verschulden der Beklagten das Verschulden des Klägers bedeutend, so mangelt dem Scheidungsbegehren des Klägers nicht die sittliche Rechtfertigung. Unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 60 Abs 3 Satz 2 EheG war aber der Revision teilweise Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 und 50 ZPO.

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