6Ob437/59 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 32/167
Spruch
Einrede der mehreren Beischläfer nach § 1717 BGB.; erbbiologischanthropologische Untersuchung.
Voraussetzung für ein Anerkenntnis gemäß § 1718 BGB. ist, daß es sich um ein lebendes oder um ein solches Kind handelt, das gelebt hat, ferner daß das Anerkenntnis in einer öffentlichen Urkunde im Sinne des § 415 der deutschen ZPO. abgegeben worden ist.
Entscheidung vom 16. Dezember 1959, 6 Ob 437/59.
I. Instanz: Bezirksgericht Lienz; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, der Beklagte sei als Vater der am 6. April 1956 außer der Ehe geborenen Zwillingskinder Petra und Klaus Z. anzusehen, und das damit verbundene Unterhaltsbegehren ab. Die Kinder seien im Zeitpunkt ihrer Geburt, so wie die Mutter, Staatsbürger der Deutschen Bundesrepublik gewesen. Es sei daher (§ 12 der 4. DVzEheG.) deutsches Recht anzuwenden. Das Erstgericht stellte fest, daß die Kindesmutter innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist des § 1717 BGB. (9. Juni bis 8. Oktober 1955) mit dem Beklagten am 26. August 1955 und mit Alfred H. (hinsichtlich dessen Mehrverkehr im Sinne des § 1717 Abs. 1 Satz 1 BGB. eingewendet wurde) einige Tage vorher Geschlechtsverkehr hatte. Nach den klassischen Blutgruppen, den Bluteigenschaften, den Rhesusfaktoren und Untertypen sei keiner der beiden Männer, die der Kindesmutter innerhalb der Empfängniszeit beiwohnten, von der Vaterschaft auszuschließen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, daß die Zwillinge von Alfred H. stammten. Das nach den Behauptungen der klagenden Parteien vom Beklagten an die Amtsvormundschaft N. im Dezember 1955 angeblich gerichtete Schreiben über eine Anerkennung der Vaterschaft könne unter dem Gesichtspunkt des § 1718 BGB. von keiner Bedeutung sein, weil es sich dabei nicht um eine öffentliche Urkunde handle. Das Klagebegehren sei daher gemäß § 1717 BGB. abzuweisen gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Parteien Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im vorliegenden Rechtsstreit ist aus den in dieser Richtung zutreffenden Gründen der Untergerichte deutsches Recht anzuwenden (SZ. XXI 77 u. v. a.). Der Mehrverkehr der Kindesmutter in der Empfängniszeit steht nach den Beweisergebnissen fest. Nun trifft es zwar zu, daß nach § 1718 BGB. derjenige, der seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen Urkunde anerkennt, sich auf einen Mehrverkehr im Sinne des § 1717 BGB. nicht berufen kann. Doch ist dadurch für die Kläger nichts gewonnen, weil sie lediglich ein vor der Geburt der Kinder ergangenes Anerkenntnisschreiben des Beklagten behaupteten, das mit Recht als bedeutungslos abgetan wurde. Denn Voraussetzung für ein Anerkenntnis gemäß § 1718 BGB. ist, daß es sich um ein lebendes (also schon geborenes) Kind handelt oder um ein solches, das gelebt hat, ferner daß das Anerkenntnis in einer öffentlichen Urkunde im Sinne des § 415 der deutschen ZPO. abgegeben worden ist, wofür Amtsgerichte, Notare und Standesbeamte zuständig sind (Palandt, Kommentar zum BGB., 18. Aufl. S. 1290 f.).
Der Oberste Gerichtshof befindet jedoch in Überprüfung der vorliegenden Rechtssache unter dem geltendgemachten Revisionsgrund die vorliegenden Feststellungen nicht für ausreichend, um darüber abschließend absprechen zu können, ob es im Sinne des § 1717 Abs. 1 Satz 2 BGB. den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß das Kind aus der Beiwohnung des Alfred H. stammt. Wenn § 1717 BGB. anzuwenden ist, darf dem Kind nicht die Möglichkeit genommen werden, im Wege der erbbiologisch-anthropologischen Untersuchung den Nachweis zu erbringen, daß der Beklagte der Vater ist und daher die Zeugung durch den festgestellten Mehrverkehr offenbar unmöglich ist (2 Ob 261/55). Der Einrede der mehreren Beischläfer kann durch die Replik begegnet werden, es sei den Umständen nach offenbar unmöglich, daß das Kind aus der Beiwohnung des Dritten empfangen wurde (§ 1717 Abs. 1 Satz 2 BGB.; Warneyer, Kommentar zum BGB., 10. Aufl. S. 849;
Staudinger, Kommentar zum BGB., 9. Aufl. IV/2 S. 1251;
Reichsgerichtsräte-Kommentar zum BGB., 9. Aufl. IV S. 554 ff.; EvBl. 1955 Nr. 305). Daß dieser letztere Beweis im Sinne des § 1717 Abs. 1 Satz 2 BGB. nicht nur durch die Vornahme der Blutuntersuchung, sondern auch durch die erbbiologischanthropologische Untersuchung möglich ist, steht im Einklang mit der deutschen Lehre und Rechtsprechung. Denn die Zeugung durch einen bestimmten Mann ist nach dieser Gesetzesstelle dann als offenbar unmöglich anzusehen, wenn diese Folgerung derart zwingend ist, daß die Annahme des Gegenteiles mit dem gesunden Menschenverstand unvereinbar wäre (Palandt a. a. O. S. 1290, 1221; Reichsgerichtsräte-Kommentar a. a. O. S. 555, 432; 1 Ob 196/50; EvBl. 1955 Nr. 305). Nun trifft es zwar zu, daß ein Antrag auf erbbiologisch-anthropologische Untersuchung in der hier in Betracht kommenden Richtung vor dem Erstgericht nicht gestellt wurde. Doch hatte der Erstrichter - zumal die klagenden Parteien vor dem Gericht erster Instanz rechtsfreundlich nicht vertreten waren - gemäß § 432 Abs. 1 ZPO. die Obliegenheit, ihnen die zur Vornahme ihrer Prozeßhandlungen nötigen Anleitungen zu geben (1 Ob 381/52). Dazu bestand im vorliegenden Fall umso mehr eine Pflicht, als deutsche Rechtsvorschriften zur Anwendung kamen und nach der anzuwendenden Gesetzesstelle des § 1717 BGB. der Einrede des Mehrverkehrs dadurch begegnet werden kann, daß der Beweis dafür, daß es den Umständen nach unmöglich ist, daß das Kind aus der Beiwohnung des Dritten empfangen wurde (EvBl. 1955 Nr. 305), durch die erbbiologisch-anthropologische Untersuchung angetreten wird.