JudikaturOGH

4Ob104/57 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 1957

Kopf

SZ 30/61

Spruch

Beim Bestand eines im Inland geschlossenen Dienstvertrages ist österreichisches Recht auch dann anzuwenden, wenn die Dienste im Ausland zu leisten sind.

Zur Frage des stillschweigenden Verzichtes auf Rechte aus einem Dienstvertrag.

Entscheidung vom 22. Oktober 1957, 4 Ob 104/57.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrt von der beklagten Dampfschiffahrtsgesellschaft die Bezahlung eines Entgeltes von 72.000 S mit der Begründung, daß er bis zum Jahre 1945 Verwalter des damals der Beklagten gehörigen Kohlenbergwerks in F. (Ungarn) gewesen und das Dienstverhältnis nicht aufgelöst worden sei. Daß er mit der Klage bis zum Jahre 1956 zugewartet habe, liege daran, daß er vor dem Abzug der Russen aus Österreich Unannehmlichkeiten zu befürchten gehabt hätte, wenn er geklagt hätte.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Kläger sei im Jahre 1943 auf Grund einer in Wien getroffenen mündlichen Abmachung zum Verwalter des der Beklagten damals gehörigen Bergwerks in F. bestellt worden. Der schriftliche Dienstvertrag sei mit Datum vom 17. September 1943 in F. ausgefertigt worden. Ende November 1944 habe der Kläger wegen des Herannahens der russischen Armee Ungarn fluchtartig verlassen müssen. Er habe den Generaldirektor D. der Beklagten aufgesucht und ihn gefragt, was nun mit ihm werde und wie weit er mit Rücksicht auf die labilen Verhältnisse mit seiner Unterstützung rechnen könne, worauf D. mit Rücksicht auf die Verdienste des Klägers die Zusage gegeben habe, es werde ihm kein Unrecht geschehen. Der Kläger habe jedoch mit Rücksicht auf die damaligen Verhältnisse weder eine klare Zusage für eine fixe Verwendung in Wien noch eine Kündigung erhalten. Nach der Beendigung des Krieges habe der Kläger den damaligen Generaldirektor B. der Beklagten aufgesucht. Das Thema der Vorsprache sei dasselbe gewesen. Auch Generaldirektor B. habe den Kläger auf die unklaren Verhältnisse verwiesen. Da der Kläger alles im freundschaftlichen Wege habe geklärt wissen wollen, sei er nicht mit Geldforderungen gekommen. Es sei ihm ausschließlich an der Fortsetzung seines Dienstvertrages gelegen gewesen. Der Kläger habe auch mit Rücksicht auf noch lebende Verwandte in Ungarn Bedenken gehabt, gegen die Beklagte einen Rechtsstreit zu führen. Diese Motive seien jedoch in den Unterredungen mit der Beklagten nicht berührt worden. Im Jahre 1954 seien dem Kläger von der Beklagten 1000 S überwiesen worden, als der Kläger krank gewesen sei. Nach den getroffenen Feststellungen könne der Kläger ein Entgelt von der Beklagten nicht verlangen. Das Dienstverhältnis, das mit Rücksicht auf den Erfüllungsort F. ungarischem Recht unterliege, sei als einverständlich aufgelöst anzusehen. Dem Kläger habe klar werden müssen, daß seine Verwendung als Bergwerksverwalter in Ungarn nicht mehr möglich sein werde. Eine ausdrückliche Zusage seiner Weiterverwendung in Wien sei nicht gemacht worden. Der Umstand, daß der Kläger nicht einmal ein Gehalt beansprucht habe, lasse keinen anderen Schluß zu, als daß der Kläger genau gewußt habe, der Dienstvertrag mit dem Erfüllungsort F. sei als außer Wirksamkeit getreten anzusehen. Abgesehen davon sei die Pengö-Währung, auf die der Dienstvertrag gelautet habe, völlig entwertet worden.

Infolge Berufung des Klägers bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Die Ansicht des Erstgerichtes, der Dienstvertrag unterliege dem ungarischen Recht, sei mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 36 ABGB. nicht zu billigen. Es komme auf den Ort des Abschlusses des Dienstvertrages an, und der sei Wien gewesen. Der Ort, in dem der Vertrag erfüllt werden sollte, spiele keine Rolle. Der Kläger habe zwar nach dem Kriege mehrmals bei der Beklagten vorgesprochen, jedoch keine bestimmte Forderung gestellt, da er die maßgebenden Persönlichkeiten mit Geldforderungen nicht habe verstimmen wollen und es für unanständig gehalten habe, ohne Ausübung einer Tätigkeit Geldforderungen zu stellen. Vor der Einbringung der Klage (1. Juni 1956) habe der Kläger zuletzt im Jahre 1952 oder 1954 bei Generaldirektor B. vorgesprochen, um die Einlösung seines Versprechens zu erreichen. Wenn sich der Kläger auch bei der Beklagten wiederholt um sein Schicksal erkundigt habe, sei es von ihm doch unterlassen worden, konkrete Forderungen, sei es auf Geldleistungen, sei es auf Fortsetzung des Dienstverhältnisses, zu stellen. Die Beklagte habe auch keine konkreten Zusagen gemacht. Der Einwand des Klägers, er habe während der Besatzungszeit nicht wagen dürfen, eine Klage einzubringen, sei unberechtigt. Es seien derartige Klagen auch gegen die Besatzungsmacht oder die von ihr verwalteten Unternehmungen eingeleitet worden. Die Wohnung des Klägers sei nicht in der russischen Besatzungszone gelegen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was das im vorliegenden Fall anzuwendende Recht betrifft, ist die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß nicht ungarisches, sondern österreichisches Recht in Frage kommt zu billigen. Der Vertrag ist nämlich nach den Feststellungen der Untergerichte in Wien mündlich zustandegekommen, wobei alle wesentlichen Bedingungen festgelegt worden sind. Der Umstand, daß die schriftliche Ausfertigung des Dienstvertrages in F. (Ungarn) ausgestellt wurde, spielt keine Rolle, weil nicht behauptet worden ist, daß der Vertrag erst mit der schriftlichen Abfassung wirksam werden sollte (§ 884 ABGB.). Nach der Vorschrift des § 36 ABGB. ist das österreichische Recht auf Verträge anzuwenden, die im Inland zwischen einem Ausländer und einem Österreicher geschlossen werden. Im vorliegenden Fall waren zwar beide Vertragsteile Inländer. Allein wenn sogar bei der Teilnahme eines Ausländers am Vertrag nicht das ausländische, sondern nur das inländische Recht maßgebend sein soll, ist der Schluß gerechtfertigt, daß dies um so mehr zu gelten hat, wenn am Vertrag nur Inländer beteiligt sind. Die Meinung, daß in einem solchen Fall auch zu unterscheiden sei, ob der Vertrag im Inland oder Ausland zu erfüllen ist, und daß das Recht des Erfüllungsortes anzuwenden sei, ist in der früheren Rechtsprechung vertreten worden (JBl. 1930 S. 451, Rspr. 1929 Nr. 116, SZ. X 359, GlUNF. 6352 = SpR. 219). Die Argumente dieser Judikatur sind keinesfalls überzeugend. Sie erschöpfen sich darin, daß der Erfüllungsort als Anknüpfungspunkt maßgebend oder der Vertragswille auf Anwendung des ausländischen Rechts anzunehmen sei. Dementsprechend haben die Entscheidungen JBl. 1934 S. 413 und ArbSlg. 4289 (ebenso auch ArbSlg. 46O6) den entgegengesetzten Standpunkt vertreten und angenommen, daß beim Bestand eines im Inland geschlossenen Dienstvertrages österreichisches Recht auch dann anzuwenden ist, wenn die Dienste im Ausland zu leisten sind. Abgesehen davon, daß sich für die Maßgeblichkeit des Erfüllungsortes als Anknüpfungspunkt aus dem Gesetz kein Hinweis ergibt, darf nicht übersehen werden, daß gerade im Dienstrecht die Anwendung ausländischer Rechtsnormen erhebliche Auswirkungen auf den Inhalt des Vertrages haben kann, weil die sozialen Verhältnisse von Staat zu Staat sehr verschieden sein können, und schon aus diesem Grund die österreichischen Vertragspartner an der Anwendung des österreichischen Rechts interessiert sein müssen. Es stunde dem Dienstgeber frei, die Rechte seines Dienstnehmers dadurch zu verkürzen, daß er ihn in ein Land zur Dienstleistung schickt, in dem nur unzulängliche soziale Schutzbestimmungen bestehen.

Im vorliegenden Fall ist der Dienstvertrag in Wien geschlossen worden. Auf ihn ist inländisches Recht anzuwenden. Daß die Parteien ungarisches Recht hätten anwenden wollen, ist nicht erwiesen worden.

Die Untergerichte sind der Meinung, daß der Kläger auf seine Rechte aus dem Dienstvertrag stillschweigend verzichtet habe. Nach den vorliegenden Beweisergebnissen ist eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht möglich.

Der Kläger ist Ende 1944 aus Ungarn nach Wien zurückgekehrt, weil F., der Ort seiner Dienstleistung, unterdessen von der russischen Armee besetzt worden ist. Daß der Kläger nunmehr hätte annehmen müssen, sein Dienstvertrag sei erloschen, weil die vertragsmäßige Dienstleistung in F. nicht mehr möglich war, kann nicht gesagt werden. Nach den von den Untergerichten als erwiesen angenommenen Äußerungen des damaligen Generaldirektors D. der Beklagten (dem Kläger werde mit Rücksicht auf seine Verdienste kein Unrecht geschehen) konnte der Kläger vielmehr annehmen, daß er anderweitig verwendet würde, sobald sich die Verhältnisse geklärt haben würden. Andererseits konnte die Beklagte aus dem Verhalten des Klägers nicht ohne weiteres den Schluß ziehen, er verzichte auf weitere dienstrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte. Wenn die Beklagte dem Kläger bei seinen weiteren Vorsprachen seit dem Jahre 1945 erklärt hätte, sie sehe den Dienstvertrag mit dem Kläger als aufgelöst an, und wenn der Kläger dessenungeachtet gegen die Beklagte keine Schritte unternommen hätte, um seine Ansprüche zu wahren, wäre der Schluß gerechtfertigt, der Kläger habe auf seine Rechte aus dem Dienstvertrag verzichtet. So aber wurde der Kläger ständig hingehalten, wobei die ungeklärten Verhältnisse bei der Beklagten, die von der russischen Besatzungsmacht teilweise beschlagnahmt worden war, eine Rolle spielten. Der Kläger war, wie die Untergerichte als erwiesen angenommen haben, bestrebt, seine Rechtslage auf gütlichem Wege zu klären. Dies müßte der Beklagten erkennbar gewesen sein. Der Kläger hat behauptet, daß er eine Klage gegen die Beklagte schon deshalb nicht habe riskieren können, weil er den Russen mißliebig gewesen sei und Verfolgung hätte gewärtigen müssen, wenn er mit seinen Entgeltsansprüchen hervorgetreten wäre. Die Untergerichte haben Erhebungen über diese Behauptung unterlassen, obwohl die behaupteten Umstände zur Beurteilung der Frage, ob ein stillschweigender Verzicht des Klägers angenommen werden kann, von erheblicher Bedeutung gewesen wären. Es ist wohl anzunehmen, daß die Funktionäre der Beklagten von dieser allfällig bestehenden Zwangslage des Klägers Kenntnis haben mußten. War dies der Fall, konnte die Beklagte aus der Tatsache, daß der Kläger bis zum Abzug der Besatzungsmacht eine Klage nicht erhoben hat, nicht gleich auf einen konkludenten Verzicht schließen. Dagegen spräche, daß der Kläger wiederholt vorgesprochen und schließlich im Jahre 1954 auch einen ausführlichen Brief an die Beklagte geschrieben hat, in dem er von der Beklagten - wieder in gütlicher Weise - eine Abfertigung erbeten hat. In diesem Brief äußerte der Kläger auch, daß sein Dienstvertrag bis heute noch nicht gelöst worden sei.

Die Beklagte konnte aus dem Verhalten des Klägers nur dann auf einen stillschweigenden Verzicht auf seine Ansprüche aus dem Dienstvertrag schließen, wenn sie mit Berücksichtigung aller konkreten Umstände vernünftigerweise nichts anderes annehmen konnte. Mußte die Beklagte aber nur einen Zweifel haben, daß der Kläger wirklich verzichten wolle, kann das Erlöschen seiner Ansprüche aus dem Rechtsgrund des konkludenten Verzichtes nicht angenommen werden.

Der Einwand der Beklagten, der Kläger könne schon deshalb keine Ansprüche stellen, weil das Bergwerk, für das er Dienste leisten sollte, nicht mehr in der Hand der Beklagten sei und deshalb Unmöglichkeit der Leistung vorliege, ist unberechtigt. Ein Dienstverhältnis kann nämlich ohne weiteres an einem anderen als dem ursprünglichen Dienstort fortgesetzt werden.

Die Beweisunterlagen sind noch mangelhaft. Die Sache kann daher rechtlich nicht abschließend beurteilt werden.

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