JudikaturOGH

3Ob90/55 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 1955

Kopf

SZ 28/55

Spruch

Zeitliche Abnahme der väterlichen Gewalt wegen strafbarer Handlungen.

Entscheidung vom 23. Februar 1955, 3 Ob 90/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Ehe der Eltern des am 28. Juli 1940 geborenen Minderjährigen Werner W., Alfons und Hermine W., wiederverehelichte S., wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 10. April 1946 geschieden. Die eheliche Mutter, in deren Pflege und Erziehung sich der Minderjährige befindet, stellte den Antrag, gemäß § 177 ABGB. dem ehelichen Vater die väterliche Gewalt für immer abzuerkennen.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Es stellte fest, daß Alfons W. vielfach vorbestraft sei, darunter auch wegen Verbrechens der Schändung, daß er sich nie um den Minderjährigen persönlich gekümmert habe, ihn nie besuchte und ihm nie zu Weihnachten oder sonstigen Anlässen Geschenke übergeben habe und daß er seiner Unterhaltspflicht nur auf Grund gerichtlicher Verfügungen nachkomme. Der eheliche Vater habe sich nach Meinung des Erstgerichtes bewußt der Möglichkeit begeben, einem Erwerb nachzugehen und so für das Kind zu sorgen. Da es sich bei ihm um einen mehrfach abgestraften Verbrecher handle, der neuerlich eine Strafe wegen eines Sittlichkeitsdeliktes zu gewärtigen habe, sei es selbstverständlich, daß er für immer zu einer Kindererziehung unfähig erscheine.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Kuratelsgerichtes über Rekurs des ehelichen Vaters dahin ab, daß dieser hinsichtlich der Erziehung des Minderjährigen gemäß § 178 ABGB. unter die Aufsicht des Gerichtes gestellt und einem Vormund gleichgehalten werde. Das Rekursgericht führte aus, es sei nicht, richtig, daß der eheliche Vater die Verpflegung und Erziehung des Minderjährigen gänzlich vernachlässigt habe. Vielmehr habe er, wenn auch säumig und über Drängen, zumindest teilweise den Unterhalt des Kindes bestritten; daraus ergebe sich, daß die Voraussetzungen des § 177 ABGB. nicht zutreffen. Die Tatsache mehrerer Vorstrafen erweise sich nicht als ausreichend, um die väterliche Gewalt auch nur zeitlich abzuerkennen. Hiezu sei eine Gefährdung des Kindes rechtliche Voraussetzung. Eine derartige Gefährdung sei aber nach den erstrichterlichen Feststellungen nicht dargetan und umso weniger zu besorgen, als das Kind dem väterlichen Einfluß zufolge Trennung der Elternteile nahezu gänzlich entzogen sei. Da sich aber der eheliche Vater immerhin erheblicher Pflichtverletzungen gegenüber dem Kinde schuldig gemacht habe und im Hinblick auf die Vorstrafen eine objektive Besorgnis für das Wohl des Kindes bestehe, sei es zweckmäßig, den ehelichen Vater hinsichtlich der Erziehung des Kindes einem Vormund gleichzustellen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs teilweise Folge, sprach gemäß § 178 ABGB. die zeitlich beschränkte Aberkennung der väterlichen Gewalt aus und trug dem Erstgericht die Bestellung eines Vormundes für den Minderjährigen auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist zwar dem Rekursgericht beizupflichten, daß die Voraussetzungen des § 177 ABGB. für die dauernde Entziehung der väterlichen Gewalt im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. § 177 ABGB. setzt voraus, daß der eheliche Vater die Verpflegung und Erziehung seines Kindes gänzlich, vernachlässigt, d. h. ständig seine Unterhaltspflicht böswillig nicht erfüllt (GlUNF. 2962). Hievon kann aber hier nicht gesprochen werden, da der eheliche Vater, wenn auch erst über gerichtlichen Auftrag, seine Unterhaltspflicht bis zu seiner Verhaftung zumindest zum Teil erfüllt hat. Wenn auch seine Verhaftung die gänzliche Unfähigkeit zur Bestreitung des Unterhaltes zur Folge gehabt hat, so kann doch nicht gesagt werden, er habe das Verbrechen, dessentwegen er zu einer 2 1/2jährigen Kerkerstrafe verurteilt wurde, deshalb begangen, um sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen, und daß er daher böswillig seine Unterhaltspflicht nicht erfülle. Die Ansicht des Kuratelsgerichtes, der eheliche Vater habe sich durch die selbstverschuldete Haft bewußt der Möglichkeit begeben, einem Erwerb nachzugehen und so für das Kind zu sorgen, vermag daher die dauernde Entziehung der väterlichen Gewalt im Sinne des § 177 ABGB. nicht zu rechtfertigen.

Hingegen kann aber auch die Ansicht des Rekursgerichtes nicht geteilt werden, daß die bloße Unterstellung des ehelichen Vaters unter die Aufsicht des Gerichtes und die Gleichstellung mit einem Vormund eine hinreichende Vorsorge gegen eine weitere Gefährdung des Minderjährigen darstellen könnte. Beide Untergerichte haben festgestellt, daß sich der eheliche Vater um den Minderjährigen seit der Scheidung nicht mehr gekümmert, ihn nie besucht und ihm auch weder zu Weihnachten noch zu sonstigen Fest- oder Gedenktagen Geschenke gemacht hat. Bereits darin ist eine grobe Vernachlässigung der Pflichten eines ehelichen Vaters gelegen. Überdies weist aber der eheliche Vater nebst zahlreichen anderen Vorstrafen eine erst in der jüngsten Zeit über ihn verhängte Strafe von 2 1/2 Jahren schweren Kerkers wegen Verbrechens nach § 128 StG. auf. Eine Person, die sich Unmundigen gegenüber aufs schwerste sittlich vergeht, mögen sich auch die Sittlichkeitsdelikte nur gegen weibliche Unmundige gerichtet haben, ist zur Erziehung ihres mj. Sohnes nicht geeignet, da sowohl in der erwähnten Verurteilung als auch in den zahlreichen Diebstahlsvorstrafen die Gefahr eines bösen Beispiels und damit nachteiliger Folgen für den Minderjährigen gelegen sein kann. Die bloße Unterstellung hinsichtlich der Fürsorge unter die Aufsicht des Gerichtes erscheint im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zweckmäßig, weil der eheliche Vater, jedenfalls während der Dauer der Verbüßung der über ihn verhängten Strafe von 2 1/2 Jahren schweren Kerkers, gar nicht in der Lage wäre, eine Fürsorge für die Person des Minderjährigen auszuüben. Die vorliegenden Umstände rechtfertigen vielmehr die zeitweilige Abnahme der väterlichen Gewalt (GlUNF. 7556).

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